Greencard – Scheinehe mit Hindernissen

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Eine Scheinehe mit dem amerikanischen Notfallmediziner Santiago ist die Lösung für die hübsche Irin Saoirse, um die heiß ersehnte Greencard zu ergattern. Dumm nur, dass Santiago so atemberaubend sexy ist! Prompt spürt sie eine unvernünftige sinnliche Sehnsucht …


  • Erscheinungstag 10.03.2021
  • ISBN / Artikelnummer 9783751505949
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

1. KAPITEL

Santi ballte die Fäuste, bis es wehtat. Gut.

Das bedeutete, dass er noch Gefühl darin hatte. Er spreizte die Finger, schüttelte kräftig das Handgelenk aus. Die Bewegung drehte die Zeit zurück, überschüttete ihn mit Erinnerungen, die er längst hinter sich gelassen glaubte. An Afghanistan. Syrien. Afrika. Erkennungsmarken blieben Erkennungsmarken. Wiederbelebung funktionierte oder auch nicht.

Nichts davon spielte jetzt eine Rolle, er durfte sich nicht ablenken lassen. Im Moment war der Brustkorb vor ihm das einzig Wichtige. Die nächste Runde lebensrettender Kompressionen. Dass er hundemüde war, zählte nicht. Das Leben des Mannes, der hier am Boden lag, schon.

„Wo zum Teufel bleibt der Krankenwagen?“, brüllte er.

Niemand antwortete. Nur das Echo seiner eigenen Stimme war zu hören, zurückgeworfen von den Betonpfeilern der Unterführung. Heiser. Frustriert.

Santi verschränkte wieder die Finger ineinander und drückte die Hände kraftvoll auf die Brust des Mannes. Er ignorierte die abgetragene Kleidung, den Geruch eines Menschen, der auf der Straße lebte, und die Tatsache, dass er seit zwanzig Minuten versuchte, ihn wiederzubeleben. So lange war es her, dass er die Notrufzentrale angewählt hatte.

„Komm schon, Miami“, murmelte er, bevor er die Herzdruckmassage für zwei Atemspenden stoppte, die den armen Kerl vielleicht ins Leben zurückholten. „Gib ihm eine Chance!“

Wieder sah er auf die Erkennungsmarke. Diego Gonzalez.

„Was hast du erlebt, amigo?“ Santi streifte seine Motorradjacke ab, ließ sie fallen und machte weiter. So wie Diego aussah, schien die Welt ihn aufgegeben zu haben. Was ich, verdammt, nicht tun werde! Santi hatte es wieder und wieder erlebt, seit er die Armee verlassen hatte: Veteranen, die nach ihrem Einsatz in Übersee im zivilen Leben nicht mehr Fuß fassten. Er mochte den Flecktarnanzug erst vor wenigen Monaten an den Nagel gehängt haben, würde aber niemals die Männer vergessen, die als Soldaten alles gegeben hatten, nur um festzustellen, dass das Leben ihnen wenig zu bieten hatte, wenn sie wieder zu Hause waren.

Zu Hause.

Ein Gedanke, nicht unbelastet und so gefährlich wie die Kugel eines Heckenschützen. Santi schüttelte den Kopf, drückte dabei weiter auf den Brustkorb des Mannes.

Neunundzwanzig, dreißig.

Als er sich hinabbeugte, um wieder zwei Atemstöße zu geben, hörte er in der Ferne eine Sirene heulen.

„Endlich.“ Eins, zwei, drei, vier …

„Wir kommen!“ Saoirse schaltete Blaulicht und Sirene ein. Sie liebte das laute Jaulen, das ihnen im dichten Pendlerverkehr von Miami eine Gasse bahnte.

„Du verrücktes irisches Weib! Du sitzt hier nicht in deinem Rennwagen!“

„Heißt das, du willst am Wochenende eine Runde mitfahren, Joe?“

„Nein, herzlichen Dank. Ich bin froh, wenn ich diesen Einsatz heil überstehe. Und danach bringst du mich bitte auf direktem Weg zur Cantina. Unversehrt“, betonte er, als sie mit hoher Geschwindigkeit die nächste Kurve nahm. „Möge der Himmel deinem nächsten Partner beistehen. Der wird Nerven aus Stahl brauchen.“

Saoirse lachte auf, während sie geschickt jede Lücke im steten Strom der Autos nutzte. Geschwindigkeit lag ihr im Blut, und Floridas tropische Hitze war genau das, was sie brauchte.

Zum Glück war im letzten Jahr nicht alles schiefgegangen!

Das Leben hatte ihr einen dicken Knüppel zwischen die Beine geworfen, ihr aber auch ein Visum für die USA verschafft. Sie hätte als Verlobte einreisen sollen, doch ein Studentenvisum erfüllte denselben Zweck. Natürlich schmerzte es immer noch, dass sie gezwungenermaßen die Richtung gewechselt hatte. Deshalb wollte sie auch nicht darüber nachdenken!

„Was für einen Kuchen hast du dir diesmal ausgesucht, Joe?“, neckte sie ihren Partner. „Hoffentlich nicht diese schreckliche Regenbogentorte wie bei deinem Geburtstag?“

„Hey, kleiner Frechdachs – es ist mein Abschied aus dem Dienst und meine Party. Nicht dein zwölfter Geburtstag!“

„Ich liebe Kokosnuss“, schwärmte sie, den Blick fest auf die Straße gerichtet. „So etwas bekommen wir in Irland nicht alle Tage. Soll ich anrufen und ihnen den Tipp geben, dass es auch dein Lieblingsgeschmack ist?“

Joe suchte mit beiden Händen Halt am Armaturenbrett, als Saoirse abrupt auf die Bremse stieg und sofort wieder Gas gab, nachdem ein sehr teuer aussehendes Cabrio laut hupend an ihnen vorbeigeschossen war.

„Was hatte der denn?“

„Er hat nicht erwartet, dass man mit einem Krankenwagen Jagd auf ihn macht, Saoirse!“, polterte Joe los. „Mädchen, ich will noch was von meiner Rente haben. Du verpasst mir noch einen Herzinfarkt, bevor wir beim Patienten ankommen!“

„Joe! Wie stehen die Chancen, dass du meinen Namen ein einziges Mal richtig aussprichst, bevor unser letzter gemeinsamer Dienst endet? Sier-schah.“ Sie dehnte den vokalträchtigen Namen, den ihre Eltern ihr gegeben hatten. Vielleicht sollte sie den auch ändern. Schon sich die langen Haare abzuschneiden, hatte etwas Befreiendes gehabt.

Joe stolperte über seine Zunge, während er versuchte, ihr nachzusprechen.

Saoirse lachte. „Ich hab’s dir schon oft angeboten: Sag einfach Murphy. Und wenn das zu schwer ist, Murph tut es auch.“

„Sorry, Darlin“, stieß Joe zwischen den Zähnen hervor, als sie wieder eine rote Ampel ignorierte. „Ich gehöre einer Generation an, die eine Lady nicht mit dem Nachnamen anredet.“

„Bin ich das für dich?“ Sie warf ihm einen Seitenblick zu. „Eine Lady?“

„Na ja“, murmelte der Mann, der seit zwei Monaten ihr Einsatzpartner war. „Mehr oder weniger.“

Sie lachte schallend. „Keine Sorge, Joe. Ich bringe dich heil und sicher zu deiner Abschiedsparty. Der einzige Herzinfarkt, mit dem wir es heute zu tun bekommen, betrifft wen auch immer …“ Sie stieg in die Eisen, und der Krankenwagen hielt an einer Überführung neben einem verwaisten Motorrad. „… unter dieser Brücke. Bereit für einen Geländetrip?“

„Hier unten!“, brüllte Santi, sobald die Sirene verstummte und er hörte, wie Türen zugeschlagen wurden. Weiterzählen, Kompressionen fortsetzen und gleichzeitig wahrzunehmen, was in seiner Umgebung passierte, das war ihm zur zweiten Natur geworden. Allerdings hatte er nicht damit gerechnet, dass der Sanitäter in Gestalt einer Stuntfrau auf der Bildfläche erschien!

Wie sie die Böschung mit dem tragbaren EKG in der Hand hinuntersauste, erinnerte eher an einen waghalsigen Snowboarder als an einen vorsichtigen Rettungshelfer, der sich vorschriftsmäßig an die Regeln hielt.

Zuerst kamen, in einer Wolke aus Staub und Kies, die Stiefel in Sicht, dann zwei sehr weibliche Beine … eine schmale Taille und … Holla! Der praktische Sanitäter-Overall saß wie angegossen an einem hinreißenden Frauenkörper.

„Wie lange sind Sie schon dabei?“

Die melodische Stimme und die feminine Figur passten nicht zu ihrer abweisenden Miene. Wehe, du lässt was Unprofessionelles vom Stapel, Cowboy, schien sie zu warnen. Mir nur recht, dachte er. Er war nicht hier, um sich ein Date zu angeln.

„Vierundzwanzig Minuten. Warum haben Sie so lange gebraucht?“

„Sie scheinen zu wissen, was zu tun ist“, schoss sie zurück, während sie die Elektroden des Zwölf-Kanal-EKGs herauszog. „Warum haben Sie ihn noch nicht zurückgeholt?“ Ihre blauen Augen blitzten angriffslustig. „Das ist ganz schön lange für eine Wiederbelebung.“

„Was für eine weise Bemerkung von einer Rettungshelferin.“

„Sanitäterin“, korrigierte sie scharf, ließ ihre Notfalltasche von der Schulter gleiten und prüfte mit behandschuhten Fingern Diegos Karotispuls. Alles, während sie Santi unverwandt in die Augen blickte.

Sollte das ein Wettkampf im Anstarren werden? Santi hätte nichts dagegen gehabt, sich mit ihr zu messen, aber sie mussten ein Leben retten.

„Sind Sie sicher, dass es vierundzwanzig Minuten waren, oder haben Sie nur geschätzt?“

„Ja zu Frage eins. Nein zu zwei.“ Er sah sie an, als wollte er sagen: Sie geben aber schnell auf.

Dafür erntete er einen strafenden Blick, und dann riss sie, ohne mit der Wimper zu zucken, dem Mann das Hemd auf.

Santi konzentrierte sich wieder auf seine Hände. „Er war Soldat.“

„Sie auch?“

„Bei den Marines.“ Mehr Informationen gab er grundsätzlich nicht preis. Santi deutete mit dem Kopf auf den Patienten. „Diego Gonzalez. Steht jedenfalls auf seiner Marke. Dreißig!“ Er gab die notwendigen zwei Atemspenden, während sie die Elektroden auf die stark tätowierte Brust klebte.

„Joe! Kommst du mit dem Defi?“, rief sie über die Schulter, und ihr kurzes weißblondes Haar schimmerte bei der Bewegung. Im nächsten Moment bombardierte sie Santi mit Fragen. „Haben Sie Nitro gesprüht, Epinephrin injiziert oder dergleichen?“

„Klar. Hatte ich alles in meiner unsichtbaren Trickkiste dabei.“

„Ruhig, Brauner. Ich habe nur gefragt.“

Santi achtete auf seinen Tonfall, als er antwortete. Sie machte lediglich ihren Job. Er hatte seinen zu machen. „Ich sah ihn am Straßenrand entlangtaumeln, als ich vorbeifuhr. Dann fiel er die Böschung hinunter. Ich bin Arzt außer … Sanitäter außer Dienst“, berichtigte er sich rasch. Nach Miami war er gekommen, um nach vorn zu blicken und nicht auf das, was hinter ihm lag. „Bin mit dem Motorrad unterwegs und hatte keine Notfalltasche dabei. Deshalb habe ich euch geholt. Diego hat ein paar Schrammen und Schnittwunden, die versorgt werden sollten, und sicher kann er auch eine Infusion vertragen.“ Er deutete auf Diegos trockene Haut. „Dehydriert. Und zwar richtig.“

„Stimmt. Dann mal ran.“ Sie wühlte in ihrer Tasche, während ihr Partner in einer Zeitlupenversion ihres Auftritts den Abhang hinunterrutschte.

Santi fragte sich, wer sie war. Als er sich in der Einsatzzentrale seinen Dienstplan abholte, war er ihr nicht begegnet. Sein Blick glitt zu dem Namensschild auf ihrem Overall.

Murphy.

Er lächelte zufrieden in sich hinein. Irin. Hatte er sich doch gedacht, als er ihren Akzent hörte. Hoffentlich hatte sie auch etwas von dem fabelhaften irischen Glück mitgebracht.

„Und jetzt schön den Mund aufmachen, Diego.“ Mit bewundernswerter Geschwindigkeit intubierte sie den Patienten und verband den Beatmungsbeutel mit der Sauerstoffflasche. Die Frau hatte es nicht zum ersten Mal mit einem Herzinfarkt zu tun, so viel war sicher.

„Joe! Hast du den Defi startklar oder nicht? Und was ist mit ein bisschen Epinephrin für den armen Kerl hier?“

„Ein alter Mann ist kein D-Zug, Mädchen“, brummte ihr Partner und reichte ihr die Elektroden, nachdem er den Defibrillator eingeschaltet hatte. „Epinephrin kommt sofort.“

„Danke, Joe. Du bist der beste Ausbilder, den man sich wünschen kann.“ Sie sah zu Santi hinüber, als das Gerät sich mit dem typischen Jaulen auflud. „Kein Kontakt zum Patienten! Wir wollen Ihnen ja keinen Schock verpassen, oder?“

Er nahm die Hände von Diegos Brust und hob die Arme. Wieder trafen sich ihre Blicke. Santi hatte keine Ahnung, was sie in seinen Augen las, doch der triumphierende Ausdruck in ihren gab ihm weniger das Gefühl, eine Sicherheitsmaßnahme zu ergreifen, sondern sich vielmehr mit erhobenen Händen zu ergeben!

„Abstand!“

Ein Lächeln spielte in ihren Mundwinkeln, als Santi kaum merklich zusammenzuckte. Sie hatte absichtlich lauter gesprochen. Ihm war klar, dass sie nicht mit ihm flirtete, aber er konnte nicht sagen, warum er den Eindruck hatte, dass sie ihn provozieren wollte. Es war ein tropisch heißer Tag. Die Frau schwitzte nicht, aber – ¡valgame Dios! – sie besaß ein glühendes Temperament.

Er folgte ihrem Blick zum Herzmonitor. Es tat sich nichts.

„Joe?“

Wortlos reichte ihr der Kollege eine Spritze mit einer Milligramm-Dosis Epinephrin. Santi setzte inzwischen die Herzdruckmassage fort.

„Soll ich ein Rettungsbrett holen?“ Ohne große Begeisterung sah Joe den steilen Hang hinauf.

Der Ärmste wirkte, als hätte er einen eiskalten Kaffee irgendwo im Schatten bitter nötig. Für Januar war es ungewöhnlich warm.

„Keine Sorge, in dieser Phase brauchen wir keins. Solange wir versuchen, ihn wiederzubeleben, wäre es auf dem Brett für ihn unangenehm.“ Santi beschloss, dem Mann die Arbeit zu erleichtern. „Wollen Sie hier die nächste Runde übernehmen, wenn ich fertig bin? Dann hole ich das Brett und …“

„Nichts da!“, grätschte Murphy dazwischen. „Sie bleiben, wo Sie sind. In unserem Krankenwagen haben Sie nichts zu suchen. Wir kennen Sie nicht.“

„Er hat gesagt, dass er Sanitäter ist“, wandte Joe ein, wohl in der Hoffnung, die Böschung nicht wieder hinaufklettern zu müssen. „Mit wem haben Sie Dienst?“

„Heute mit niemandem. Sagen wir, ich hatte einen Job, und der neue steht an.“ Die weißblonde Amazone bedachte ihn mit einem misstrauischen Blick, aber Santi dachte nicht daran, ihr zu erklären, dass er quasi bereits gestiefelt und gespornt für seinen ersten Tag im Seaside Hospital war. „Neunundzwanzig, dreißig.“

Er hob die Arme, um jeden Kontakt mit Diegos Brustkorb zu vermeiden, und sah Murphy in die Augen, während sie den Power-Knopf des Defis drückte. Den schrillen Ton im Ohr, spürte Santi, wie ihn eine andere Art Stromstoß mitten in den Solarplexus traf. Diese unerklärliche Anziehungskraft, wie sie ein Mann erlebt, dessen Blick mitten in einem Raum voller Menschen auf eine betörend schöne Fremde fällt. So stark, dass er gar nicht anders kann, als zu ihr zu gehen, um diese Anziehung zu ergründen. Schon lange nicht mehr hatte er erlebt, wie unerwartet ein Funke übersprang. Erst recht nicht, dass es am Straßenrand passierte, während er einen Kriegsveteranen wiederzubeleben versuchte.

Santi biss sich auf die Unterlippe, den Blick immer noch unverwandt auf die Frau vor ihm gerichtet … Ihm wurde warm, und die heiße Sonne über Miami war nicht der einzige Grund.

Da … blinzelte sie. Ein rascher Wimpernschlag nur, aber er verriet ihm, dass die Sache nicht einseitig war. Sie spürte es also auch.

Und dann stieß sie einen ungläubigen Laut aus, leise, ohne den Mund zu öffnen, und presste die Lippen zusammen, als müsste sie die Worte, die ihr auf der Zunge lagen, hinunterschlucken.

Santi gab sich seinerseits die größte Mühe, ein Pokerface aufzusetzen, obwohl er am liebsten breit gegrinst hätte.

Er hatte ihrer keltischen Rüstung die erste Kerbe verpasst!

Nicht dass er zu den Männern gehörte, die bei jeder sich bietenden Gelegenheit flirteten, aber die knisternde Spannung zwischen ihnen war schwer zu ignorieren. Die Automatenstimme des Defibrillators brach den Bann. Sanitäterin Murphy sah zum Monitor.

Der zeigte eine schmale flache Linie.

Ihre Finger schossen zu Diegos Halsschlagader, und als hätte ein Engel ihn heilend berührt … biep, biep …, formte sich aus der geraden Linie eine Berglandschaft mit Gipfeln und Tälern. Das Herz schlug wieder. Zwar nicht sehr kräftig, aber mit ein bisschen Glück und nach einem Abstecher ins Krankenhaus sollte das bald der Fall sein.

Blaue Augen blitzten triumphierend auf. „Von mir aus können Sie den Hügel hinaufkraxeln und das Rettungsbrett holen.“ Sie deutete mit einer Kopfbewegung auf Joe. „Mein Partner hat heute seinen letzten Arbeitstag. Wir wollen ja nicht, dass der alte Mann sich einen Bandscheibenvorfall holt, oder?“

„Pass auf, was du sagst, Kleine. Mir bleibt immer noch genug Zeit, mich über dich zu beschweren und dich postwendend dahinzuschicken, wo du hergekommen bist.“ Steif richtete sich Joe auf. Sie hatte seinen Zustand also richtig eingeschätzt.

Nichtsdestotrotz verrutschten ihr bei seinen Worten flüchtig die Gesichtszüge, doch sofort setzte sie ein strahlendes Lächeln auf. Aha, dachte Santi. Es gibt also eine Geschichte.

„Sehr gut, Joe, hack du ruhig auf einem armen Mädchen herum, das gerade erst mit dem Schiff aus Irland gekommen ist. Und jetzt hör auf zu trödeln und mach mir noch eine Epi fertig, ja?“

Amüsiert verfolgte Santi den Schlagabtausch. Bei einer Größe von kaum mehr als 1,60 m hätte sie bei einem Open-Air-Konzert inmitten der stehenden Menge keine Chance. Dass sie sich als Persönlichkeit weit von der Masse abhob, daran hatte Santi jedoch nicht den geringsten Zweifel!

„Hey“, meinte er, während er aufstand. „Wie heißen Sie eigentlich?“

Ohne ihm ein Lächeln zu gönnen, tippte sie mit dem Zeigefinger zweimal auf ihr Namensschild.

Murphy.

Mehr würde sie ihm nicht verraten.

Unwillkürlich musste er lächeln, während er mit wenigen langen Schritten den steilen Hang bewältigte. Ein paar Minuten noch, bis sie Diego auf das Brett geschnallt hatten, dann würde sie wieder verschwinden …

Eine kurze Begegnung mit einer faszinierend anziehenden Frau, die für sein Leben keine Folgen haben würde. Dennoch spürte er, wie sich der Moment in die Abteilung für glückliche Erinnerungen drängte. Nicht dass diese Abteilung besonders groß war, aber das befriedigende Gefühl, noch immer ein heißblütiger Mann zu sein, erinnerte ihn an einiges, was das Leben lebenswert machte.

„Bitte sehr, mija.“

Saoirse streckte beide Hände nach dem eisig beschlagenen Glas aus, das bis zum salzbekrusteten Rand mit einer frisch gemixten Margarita gefüllt war. Ein Cocktail, genau richtig, um nach einem vollen Arbeitstag den Feierabend einzuläuten.

„Deine Eltern haben dir den passenden Namen gegeben, Ángel!“ Dankbar lächelte sie den Barkeeper an. Es war wirklich ein langer Tag gewesen …

„Murph!“

Sie blickte auf, suchte in der wachsenden Menge und entdeckte schließlich ihre Freundin Amanda, die sie zu sich winkte. Saoirse trank einen großen Schluck von ihrer Margarita – natürlich nur, damit sie auf dem Weg nichts verschüttete – und zwängte sich zwischen den dicht gedrängt stehenden Gästen in Mad Ron’s Cantina hindurch bis zu der blau gefliesten Terrasse mit den Picknicktischen. Auch dort war es proppenvoll und zwar mit all denen, die Joe zum Abschied alles Gute wünschen wollten.

Nach wie vor war sie sehr froh, dass sie ihn als Ausbilder bekommen hatte. Der Mann kannte sich aus wie kein Zweiter. Davon abgesehen besaß er nach vierzig Jahren im Rettungsdienst einen riesigen Freundeskreis.

„Hey, Mädchen! Warum hast du so lange gebraucht?“ Amanda begrüßte sie mit einer Umarmung, die für Amerikaner so typisch war und Saoirse gut gefiel. Ihre irischen Landsleute waren da distanzierter. Außerdem tat es gut, eine Freundin zu haben.

„Ich war noch im Krankenhaus, nach einem Patienten sehen.“

„Ach ja? Ein heißer Typ?“

„Nicht wirklich“, winkte sie ab, um zu verbergen, dass sie tatsächlich nach dem gut aussehenden Sanitäter Ausschau gehalten hatte. „Aber er war lange weggetreten – Herzinfarkt –, und ich wollte wissen, ob er sich erholt hat. Reine Neugier. Ich habe noch nie erlebt, dass einer es nach zwanzig Minuten Herzdruckmassage noch geschafft hat.“

„Du hast ihn wiederbelebt? Zwanzig Minuten lang?“ Amanda war beeindruckt.

„Wo denkst du hin?“ Saoirse schlug ihrer Fantasie auf die Finger, die ihr ein Bild von Mr. Mysteriosos muskulösen Unterarmen vorgaukelte. Sie hatte eine Schwäche für kraftvolle Männerarme, und diese hatten es vorhin auf Platz eins der Wochenliste für heiße Unterarme geschafft! Nicht dass sie tatsächlich eine Liste führte … oder sonst wie interessiert war.

Sie verscheuchte das Bild und konzentrierte sich wieder auf Amanda. „Ich hätte mich nicht mit Kompressionen aufgehalten, sondern sofort meine magischen Elektroschocker bei ihm eingesetzt.“

„Was bist du doch für eine fleißige kleine Sanitäterin!“ Amanda versetzte ihr einen leichten Stoß in die Rippen.

Saoirse knuffte die Freundin ihrerseits in die Seite. „Nicht so überheblich, Bohnenstange!“

Lachend stießen sie miteinander an. Amanda war mindestens einen Kopf größer als Saoirse und ließ keine Gelegenheit aus, sie damit zu necken.

Saoirse verspürte einen feinen Stich, als sie an ihren hochgewachsenen Verlobten – Ex! Ex! Exverlobter! – dachte, in dessen Armen sie sich geborgen und sicher gefühlt hatte. Was für ein Irrtum … Rasch vertrieb sie die niederdrückenden Gedanken. Amanda hatte schon wieder diesen prüfenden Blick! Der Frau entging aber auch gar nichts.

„Heraus mit der Sprache, Murph. Warum warst du wirklich im Krankenhaus?“

Statt zu antworten, trank Saoirse einen großen Schluck von ihrer Margarita und erschauerte, als der Tequila ihr eisig die Kehle hinunterrann.

„Oh, Wahnsinn! Sieh dir den an …“ Amanda hatte anscheinend jemanden entdeckt, der ihre volle Aufmerksamkeit erforderte.

Erleichtert ließ Saoirse die Schultern sinken. Puh, noch mal davongekommen! Gerettet von einer männlichen Augenweide.

„Auf drei Uhr“, murmelte ihre Freundin. „Groß, dunkelhaarig und höllisch sexy. Mehr als sexy. Murph, was ist besser als sexy?“

Mr. Mysterioso tauchte vor ihrem inneren Auge auf. „Lecker? Appetitlich? Köstlich? Zum Anbeißen?“

Hmm … hatte alles mit Essen zu tun. Und bestimmt nichts damit, dass sie an gewisse Männerarme dachte?

„Zum Anbeißen“, wiederholte Amanda schwach.

Hat sie vergessen, dass sie glücklich verheiratet ist? „Drei Uhr, sagtest du?“ Saoirse wollte wenigstens einen Blick auf Superman werfen. Was konnte es schon schaden, solange sie Gefühle aus dem Spiel ließ? Niemand sollte ihr ein zweites Mal das Herz brechen.

Sie sah sich die Gesichter an, fand aber keins, bei dessen Anblick sie weiche Knie bekam. „Ich sehe ihn nicht!“

„Stell dich auf die Bank.“ Amanda ignorierte ihren Protest und zerrte sie halb auf die Bank. „Dahinten, am Eingang! Der Typ könnte ganz allein einen Kalender füllen. Stell dir vor, Mr. Ja-Ma’am-uar, auf dem ersten Blatt … Ganz zu Ihren Diensten …

„Mensch, Amanda, hör auf, an mir zu ziehen. Ich kann allein auf die Bank steigen und … Oh!“

Hieß es nicht, der Blitz schlage nicht zweimal an derselben Stelle ein? Nun, das war hiermit widerlegt!

„Verstehst du, was ich meine?“

In dem Moment trafen sich ihre Blicke, er hatte Saoirse entdeckt. Hastig sprang sie von der Bank.

„Er ist okay, hab schon Besseres gesehen“, erklärte sie lässig und kippte die Hälfte der Margarita hinunter. Sie brauchte dringend Abkühlung!

„Hast du Tomaten auf den Augen?“ Amanda starrte sie ungläubig an. „Der Mann ist ja so was von heiß!“

„Findest du?“ Saoirse hoffte, dass niemand ihr anmerkte, wie heiß ihr war! In ihrem Magen tanzte die Margarita Tango, ihr Herz legte einen Schlag zu – oder auch siebzehn! –, und über ihren Rücken zitterten kribbelnde Schauer.

„Hä?“ Amanda legte ihr prüfend die Hand auf die Stirn. „Bist du sicher, dass du noch alle beisammen hast? Wie sollen wir jemals einen scharfen Kerl finden, der dich in den nächsten zwei Monaten heiratet, wenn du so einen miesen Geschmack hast, dass du nicht einmal dieses Prachtexemplar von Mann …“ Temperamentvoll streckte sie den Arm aus, und ihr Zeigefinger landete … an einer Brust. Einer breiten Männerbrust, die Saoirse bereits Stunden zuvor bewundern durfte.

„So sieht man sich wieder, Miss Murphy.“

Du kennst ihn?!

Amanda sah sie mit großen Augen an und sprach die Frage zur Sicherheit noch einmal laut aus.

„Quatsch“, wehrte Saoirse ab. „Nein!“

Sie blickte von ihrer Freundin zu Mr. Mysterioso und wieder zurück. Konnte sich nicht einmal die Erde auftun und sie aufnehmen? Jetzt wäre der richtige Zeitpunkt für Mutter Natur, sich gnädig zu zeigen, nachdem sie nichts unternommen hatte, als Saoirses Verlobter sich am Altar aus dem Staub machte. Wie eine Idiotin in Sahnebaiser stand sie da in ihrem Rüschen-Brautkleid. Los, Mummy Nature, jetzt hast du die Chance, das wiedergutzumachen!

„Santiago.“

Saoirse ignorierte seine ausgestreckte Hand, sodass er sich Amanda zuwandte, um ihr die Hand zu schütteln. Die musste natürlich gleich checken, ob er einen Ring trug.

„Oder nur Santi … falls Sie den Mund nicht ganz so voll nehmen wollen“, fügte er hinzu.

Die Bemerkung war eindeutig an sie gerichtet und heizte Saoirses Fantasie mit Bildern an, die eine Nonne in Höllenglut gestürzt hätten!

Saoirse leerte ihr Glas in einem Zug. Nicht sehr damenhaft und, wie sie feststellte, ein eisiger Schock für ihr Gehirn, der sämtliche Neurotransmitter einfror, die ihr zu einer schlagfertigen Antwort hätten verhelfen können … Okay, Mr. Knackiger-Kalenderkerl ließ sie nicht kalt. Dabei hatte sie sich die Schutzmauern um ihr Herz hart erarbeitet, von ihrem … goldenen Dreieck ganz zu schweigen. Oder wie man das heutzutage auch immer nannte! Saoirse wand sich innerlich. Das war ein bisschen zu viel Feuerwerk in ihren lange vernachlässigten weiblichen Regionen!

„Und Sie sind …?“, hörte sie Santiago fragen.

Santiago. Natürlich hatte er auch einen atemberaubenden Namen …

Warum brachte sie kein Wort heraus?

Autor

Annie O'Neil
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