Ein Gerüst aus Liebe und Hoffnung

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Zu Hause ist, wo das Herz heilt. Um sich nach einer Enttäuschung abzulenken, beschließt Roxie, den alten Familiensitz zu sanieren. Aber wieder droht Unruhe: Beim Arbeiten geht ihr Noah Garrett zur Hand - verboten sexy und leider mit ganz anderen Zielen im Leben als Roxie …


  • Erscheinungstag 13.05.2019
  • Bandnummer 6
  • ISBN / Artikelnummer 9783733746438
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

1. KAPITEL

Hätte man Noah Garretts Mutter gebeten, ihren Sohn mit einem Wort zu beschreiben, hätte sie ihn ohne Zögern einen Teufelskerl genannt.

Die heftigen Gewitterstürme in New Mexico, die seine älteren Brüder dazu trieben, sich ins Bett ihrer Eltern zu verkriechen, hatten ihn schon als Kleinkind in Entzücken versetzt. Während andere Kinder ängstlich zurückwichen oder sogar weinten, wenn ein Hund ihnen das Gesicht ableckte, hatte er vor Freude gejuchzt. In seiner Jugend war ihm kein Baum zu groß zum Hochklettern gewesen, kein Käfer zu hässlich zum Untersuchen, kein Keller zu gruselig zum Erforschen, keine Nacht zu dunkel zum Hinausschleichen. Und wehe dem Spielplatzschreck, der es gewagt hatte, sich mit ihm oder einem seiner Brüder anzulegen!

Deshalb passte das flaue Gefühl im Magen, das ihn gerade beschlich, so gar nicht zu Noah, der in einem winzigen Büro seinem Vater gegenüberstand und beharrlich betonte: „Ich übernehme die Sache.“

Das Gefühl war auch deswegen beunruhigend, weil es nichts mit seinem Vater zu tun hatte, der ihn zwar regelmäßig nervte, jedoch nicht im Geringsten einschüchtern konnte.

Durch die offene Tür zur Werkstatt dröhnte das Heulen von Motorsägen, das Klopfen von Hämmern, das Stimmengewirr der Arbeiter, die sich über den ständigen Lärm hinweg unterhielten. Sie waren sich ihrer Jobs sicherer als angebracht war. Doch abgesehen von seinem Vater war niemand so entschlossen wie Noah, ihnen dazu Anlass zu geben. Selbst wenn es bedeutete, dabei seine eigene Sicherheit zu riskieren.

Gene Garrett rieb sich den dicken Bauch, ließ sich in den Sessel hinter dem Schreibtisch fallen und kramte in der obersten Schublade. „Nett von dir, es anzubieten, aber Charley ist mein Freund. Er erwartet, dass ich den Kostenvoranschlag mache.“

„Abgesehen davon, dass Charley gar nicht da sein wird, steckst du bis über beide Ohren in Arbeit an dem Auftrag in Santa Fe.“

„Und du hast das Jensen-Projekt.“

„Das habe ich vor zwei Tagen fertiggestellt. Weitere Einwände?“

Gene zog die dicken dunklen Augenbrauen über dem goldenen Rahmen seiner Brille zusammen. „Es wird wahrscheinlich ein gewaltiger Auftrag.“

„Aber vermutlich nicht größer als der letzte, und den habe ich bestens bewältigt.“

„Aber auch nur zusammen mit Eli“, konterte Gene. Er kramte weiterhin in der Schublade. „Außerdem schadet es nicht, eine Woche zu warten, bis ich zur Verfügung stehe.“

Wider Willen spürte Noah Verärgerung in sich aufsteigen. „Wie du sehr gut weißt, grenzt es an ein Wunder, dass Roxie deinen Freund überreden konnte, auch nur an eine Renovierung zu denken. Deshalb will sie ihm den Kostenvoranschlag unter Dach und Fach präsentieren. Man soll das Eisen schmieden, solange es heiß ist. Du hast selbst gesagt, dass der Zustand des Hauses ziemlich schlecht ist.“

Endlich fand Gene das Gesuchte und zog mit seiner fleischigen Hand eine Plastikflasche mit Tabletten aus der Schublade. „Genau das ist der Grund, weswegen ich den Auftrag nicht von irgendwem ausführen lassen kann.“

Du sollst Vater und Mutter ehren? Manchmal ist das verdammt schwer! „Ich bin nicht irgendwer“, entgegnete Noah geduldig. „Ich bin dein Sohn. Und ich versuche nur, dich zu entlasten.“

Gene mühte sich mit dem kindersicheren Verschluss ab. „Ich brauche weder dich noch sonst wen zum Entlasten. Hast du vergessen, dass du immer noch mein Angestellter bist?“

„Als ob du mich das je vergessen ließest! Gib mir das Ding.“ Noah beugte sich über den Schreibtisch und griff nach der Flasche, bevor sein Vater sich beim Öffnen verletzen konnte. „Du hast zwei Möglichkeiten: Entweder überträgst du mir die Sache jetzt, oder du riskierst, dass Charley es sich anders überlegt und uns das Geschäft durch die Lappen geht.“

„Ich nehme an, seine hübsche Nichte hat nichts damit zu tun, dass du dich so um den Job reißt?“

Noah beschäftigte sich eingehend mit dem Verschluss der Flasche. „Roxie? Sie mag mich nicht mal.“ Das entsprach vollauf der Wahrheit – zumindest ihrem Verhalten nach zu urteilen. Seit Roxie vor einigen Monaten nach Tierra Rosa zurückgekehrt war, waren sie sich zwar nur selten begegnet, aber sie war stets sehr ablehnend gewesen.

Ihn hingegen hatte das erste Wiedersehen total umgehauen. Keine andere Frau hatte jemals eine so heftige Reaktion bei ihm ausgelöst. Er verstand es nicht, es gefiel ihm nicht, und auf keinen Fall wollte er sich eingestehen, dass ihm angesichts der Vorstellung, mit Roxanne Ducharme zusammenzuarbeiten, der kalte Schweiß ausbrach. Ihm, der ein Leben lang hemmungslos mit potenziellen Gefahren geflirtet hatte!

„Gibt es einen bestimmten Grund, warum sie dich nicht ausstehen kann?“

„Nicht, dass ich wüsste.“ Man hätte meinen können, dass ihre unerklärliche Antipathie gegen ihn Roxies Wirkung auf ihn schmälerte, doch dem war nicht so.

„Ist damals in der Highschool etwas vorgefallen?“

„Das ist zwölf Jahre her! Außerdem war sie nur ein einziges Jahr hier und ist nicht mal in meine Klasse gegangen.“

„Aber ihr habt genau gegenüber voneinander in derselben Straße gewohnt.“

„Trotzdem.“ Noah reichte seinem Vater die geöffnete Tablettenflasche zurück. „Ich bezweifle, dass wir in der ganzen Zeit mehr als zehn Worte miteinander gewechselt haben. Sie ist eine potenzielle Kundin, nichts weiter.“

Gene schüttelte sich mehrere Tabletten in die Hand, steckte sich eine in den Mund und kaute. „Vergiss nicht, dass uns die Vergangenheit immer einholt.“

Damit spielte er vermutlich auf die zahlreichen flüchtigen Affären an, die seiner Meinung nach Noahs allgemeine Unfähigkeit bewiesen, sich auf etwas festzulegen. Und so misstraute ihm sein Vater auch in geschäftlichen Angelegenheiten. Dass Noah umfassende Fachkenntnisse besaß – er arbeitete seit seinem vierzehnten Lebensjahr in der Schreinerbranche –, zählte offensichtlich nicht viel.

„Wenn du allerdings Eli mit ins Boot holen willst …“

„Vergiss es! Eli ist mit seinem Neugeborenen total ausgelastet und hoffnungslos übernächtigt. Außerdem schaffe ich es allein, Dad. Jetzt sag mir lieber, warum du diese Pillen einwirfst, als wären es Bonbons. Fehlt dir was?“

Gene rieb sich das Brustbein und stieß auf. „Davon abgesehen, dass ich noch zwei Wochen Arbeit an einem Projekt vor mir habe, das in sechs Tagen fertiggestellt sein soll, könnte es nicht besser sein. Allerdings ist mir der Burrito, den ich vor einer halben Stunde verschlungen habe, nicht gut bekommen.“ Er seufzte. „Außerdem treibt deine Mutter mich fast zum Wahnsinn. Aber wage ja nicht, ihr zu erzählen, dass ich das gesagt habe.“

Abgesehen von der Tatsache, dass seine Eltern sich ständig in die Haare bekamen, was sie vermutlich zusammenschweißte, hielt Noah es manchmal für klüger, sich dumm zu stellen. „Worum geht’s denn diesmal?“

„Um Urlaub.“ Gene verzog das Gesicht, stieß erneut auf und schüttelte die Tablettenflasche. „An Tagen wie diesen braucht ein Mann seine kleinen Helferlein. Es ist nicht der erste Termindruck, den ich verkrafte.“

„Wenn du nicht besser auf dich achtest, könnte es aber der letzte sein.“

„Oh Gott, nicht auch noch du!“

„Kannst du dich überhaupt erinnern, wann du das letzte Mal im Urlaub warst?“

„Sicher. Als wir die Schwester deiner Mutter in Dallas besucht haben. Vor zwei Jahren.“

„Das war vor fünf Jahren. Und Familienbesuche zählen nicht. Außerdem hast du jeden Tag mindestens zehnmal zu Hause angerufen und dich nach dem Stand der Dinge erkundigt. Und ganz abgesehen davon, ob du Urlaub brauchst oder nicht – hast du schon mal daran gedacht, dass Mom vielleicht mal wegfahren möchte? Allein mit dir?“

„Donna hat nie ein Wort darüber verloren.“

„Wann bittet Mom denn je um etwas für sich selbst?“, konterte Noah. „Ich glaube, sie weiß gar nicht mehr, wie das geht. Falls sie es je wusste.“ Seine Kehle war wie zugeschnürt. „Sie macht sich Sorgen um dich.“ Er deutete auf die Säureblocker. „Offensichtlich aus gutem Grund.“

Vater und Sohn tauschten einen langen Blick, bevor Gene murmelte: „Ich hatte ja keine Ahnung, dass ihr euch solche Sorgen macht.“

„Wenn du gelegentlich mal deine persönlichen Schwierigkeiten mit mir außer Acht lassen würdest, wüsstest du es.“

„Ich verstehe einfach nicht …“

„Das weiß ich. Und einerseits tut es mir echt leid. Andererseits … Nun, es wäre nett, wenn du dich dazu durchringen könntest zu akzeptieren, dass ich nicht wie du bin. Oder wie deine anderen Söhne. Also, wann ist der Termin?“

Nach langem Zögern sagte Gene: „Um zwei.“

Noah sah auf die Uhr und schnappte sich sein Klemmbrett vom Schreibtisch. „Dann mache ich mich jetzt auf den Weg.“ Er nahm seine Lederjacke vom Haken bei der Tür und ging hinaus.

„Ruf mich an, falls du irgendwelche Fragen hast, hörst du?“, rief Gene ihm nach.

Auf dem Weg zu Charleys Haus, das gerade einmal zwei Häuserblocks entfernt stand, verblasste der Glanz des kleinen Sieges rasch. Denn Noah wurde bewusst, was er sich da eingehandelt hatte.

Roxie hätte sich vermutlich schlappgelacht, wenn sie gewusst hätte, dass sein Verstand jedes Mal aussetzte, sobald er sie erblickte. Dass er von allen guten Geistern verlassen war.

Er bog um die letzte Ecke und stieg den Hügel hinauf, den er und seine Brüder in ihrer Kindheit millionenfach hinuntergerodelt waren.

Das zweistöckige schmutzig-weiße Haus aus den 1920ern kam in Sicht. Es thronte oberhalb eines unregelmäßig terrassierten Vorgartens, etwa zwanzig Fuß über der Straße. Durch die feine Schneedecke, die das wintergebleichte Gras und die verwilderten Rosenbüsche wie Zuckerguss überzog, wirkte das Ganze wie eine windschiefe Torte.

Trotz des Schnees waren am Haus deutliche Zeichen der Vernachlässigung zu erkennen – abblätternde Farbe, löchrige Fliegengitter und Zementstufen, die aussahen, als hätten kleine Monster an ihnen geknabbert.

Noah konnte sich lebhaft vorstellen, wie es von innen aussah – ganz zu schweigen von der Atmosphäre, die dort herrschen musste.

Er atmete tief die kalte Luft ein und blies sie in einer weißen Dunstwolke wieder aus, während er in seinen Jackentaschen nach einem Dauerlutscher kramte. Er hatte das Rauchen eigentlich vor fünf Jahren aufgegeben, aber zu Zeiten wie diesen war das Verlangen nach einer Zigarette noch immer fast unerträglich.

Nur nichts anmerken lassen …

Ding Dong.

Behutsam stellte Roxie eine kostbare Porzellanfigur von Lladró auf den Couchtisch und ging zur Haustür. Durch die Milchglasscheibe war eine verschwommene Silhouette zu sehen, die lässig am Rahmen lehnte.

Roxie stöhnte und riss die Tür auf. Ein Schwall Schneeflocken wehte ihr ins Gesicht, und vor ihr stand wahrhaftig Noah Garrett, mit einem Klemmbrett unter dem Arm. Der Stiel eines Lutschers hing lässig zwischen seinen schelmisch grinsenden Lippen.

Seine dunkelbraunen Augen funkelten. Glitzernde Eiskristalle hingen an seinen kurzen, dichten Haaren. Den dunklen Wimpern. Den breiten Schultern. Der schwarzen Lederjacke, die hervorragend zum schwarzen Henleyshirt, der schwarzen Cargohose und den schwarzen Arbeitsschuhen passte …

„Hey, Roxie“, murmelte er und nahm den Schoko-Lolli aus dem Mund. Sein Grinsen wurde breiter und zauberte Grübchen in seine Wangen. „Dad hat gesagt, dass Charley ein paar Arbeiten am Haus braucht.“

„Äh … ich hatte eigentlich deinen Vater erwartet.“

Noah zuckte die Achseln. „Er hat anderweitig zu tun. Also bin ich dein Mann.“

Nur im Traum! Eigentlich gab es keinen Grund dafür, dass sich ihr die Nackenhaare sträubten, sobald sie ihm näher kam als zehn Meter. Schließlich hatten sie keine gemeinsame Vorgeschichte – abgesehen von einer unbedachten und zum Glück unerwiderten Schwärmerei ihrerseits in der Abschlussklasse der Highschool. Damals war ihr Gehirn von Kummer umnebelt gewesen und Noah von allen Mädchen heiß begehrt. Und Gerüchten zufolge hatten die meisten ihn bekommen.

Zwölf Jahre später hatte sich auf den ersten Blick nicht viel geändert. Nicht seinerseits und anscheinend auch nicht ihrerseits, was geradezu erbärmlich war.

„Die Küche zuerst.“ Sie machte auf ihren Hüttenschuhen kehrt und ging voraus durch einen Wirrwarr an Kartons und prall gefüllten Müllsäcken.

Noah folgte ihr auf den Fersen. „Mistest du aus?“

„Ja. Tante Maes Sachen.“ Nun erst verstand sie, warum ihr Onkel über ein Jahr gebraucht hatte, um sich mit den gewaltigen Sammlungen ihrer Tante auseinanderzusetzen. Trotzdem empfand Roxie das Auspacken seltsamer Sammelsurien, das Aussortieren und Wegwerfen als befreiend nach den jüngsten Schicksalsschlägen.

Doch die Beseitigung des in vier Jahrzehnten angehäuften Zeugs aus Garage und Dachboden, Gästezimmer und Abstellkammer förderte den armseligen Zustand des Hauses zutage. Ganz zu schweigen davon, dass ihr Onkel beinahe so traurig aussah wie die fadenscheinigen olivgrünen Damastgardinen im Esszimmer. Deshalb hatte Roxie vorgeschlagen, das Gebäude zu sanieren, bevor es über ihren Köpfen zusammenbrach. Erstaunlicherweise hatte er eingewilligt … es sich zu überlegen.

Sich überlegen – loslegen … Kein großer Unterschied.

Roxie konnte hervorragend mit Farbrollern umgehen. Und sie hätte liebend gern die Küchenschränke mit einem Vorschlaghammer attackiert und sich dabei in den Lackfronten das Spiegelbild ihres Ex vorgestellt – was eine Facette ihres Wesens zum Vorschein brachte, die sie beunruhigte und zugleich erheiterte. Auf derartige Fertigkeiten beschränkte sich aber leider ihr Geschick im Renovieren, weshalb sie bei Gene Garrett angeklingelt hatte.

Und nun war die eine Person aufgetaucht, die sie an ihren Hang zu wirklich schlechten Entscheidungen erinnerte. Und dieser Hang war besonders ausgeprägt, wenn sie verletzlich war. Und empfänglich für … was auch immer Noah ausstrahlte. Momentan war es eine berauschende Duftmischung aus altem Leder und frischem Holz, Piniennadeln und Schokolade.

„Wow!“, murmelte er beim ersten Blick auf das Kaleidoskop aus Orange, Limettengrün und Kobaltblau. Und allem haftete das Aroma von unzähligen Hackbraten, Fischaufläufen und Grillhähnchen an.

Das Dekor des Hauses war für Roxie mit zu vielen lückenhaften Erinnerungen an traurige Begebenheiten, an tiefe Wunden verknüpft. Was sie anging, konnte es nicht schnell genug verbannt werden. „Ja, ein paar Arbeiten könnte etwas untertrieben sein.“

Der Lutscher war vergessen, während Noah staunend das scheußliche Siebziger-Jahre-Szenario betrachtete. Offensichtlich war er ganz auf den bevorstehenden Job fokussiert.

Und kein bisschen auf mich. Nun, auch gut. „Und das ist erst der Anfang“, verkündete sie.

Sein Gesicht leuchtete auf.

Konzentrier dich auf das Wesentliche, ermahnte sie sich. Und das ist eindeutig nicht Noah Garrett.

Entschieden hatte Noah sich eingeredet, dass Roxie nicht anders als andere Frauen war und er seine Gefühle wie immer fest im Griff hatte. Doch kaum hatte sie ihm ganz staubig und erhitzt die Tür geöffnet, da hatte er beinahe den Lutscher verschluckt.

Schon seit Langem fragte er sich nicht mehr, was er an sich hatte, dass er Frauen anzog wie Ameisen der Zucker. Denn es war einfacher, diese Tatsache als Segen zu akzeptieren. Und wenn er schlau war, betrachtete er Roxies Immunität gegen seinen Charme als Segen der anderen Art. Wenn sie dich tatsächlich beachten würde, wärst du nämlich erledigt.

Während ihm das alles durch den Kopf ging, begutachtete er vermeintlich die grottenhässlichen Schränke der offenen Küche. Derweil durchforstete Roxie Kartons im angrenzenden Essbereich. Somit bot sich ihm reichlich Gelegenheit, hin und wieder verstohlen in ihre Richtung zu blicken. Je mehr er sich daran gewöhnte, sie zu sehen, desto eher verblasste vielleicht dieser Wahnsinn. So unwahrscheinlich diese Vermutung auch sein mag.

Er beobachtete, wie sich eine Spinnwebe in ihren weichen, dunklen Locken verfing. Wie sie konzentriert – und vermutlich konsterniert – die Stirn krauste, während sie die Kartons auspackte. Ein schlabberiges Sweatshirt verbarg ihre Kurven. Doch dann drehte sie ihm den Rücken zu und bot ihm einen reizenden Blick auf ihren bildhübschen Po, der sich weiblich gerundet unter ihrer abgewetzten Jeans abzeichnete.

Sie wirbelte herum, als hätte sie seine Gedanken erraten. Ihre Wangen waren ganz rosig und ihre großen Augen von dem hübschesten Lindgrün, das er je gesehen hatte. Eine Sekunde lang hoffte Noah, dass alles wieder ins Lot geraten war. Geiler Junge steht auf hübsches Mädchen – eine ganz alltägliche Situation. Nicht, dass er in diesem Fall entsprechend handeln wollte. Denn einseitige Lust führte bloß zu Frust. Aber immerhin fühlte er sich, als wäre er wieder in seiner Welt angekommen, in der alles normal und vertraut und logisch war.

Roxie nahm etwas vom Esstisch und kehrte in die Küche zurück. „Hier. Ich habe eine Liste aufgestellt. Das muss alles gemacht werden.“ Sie reichte ihm ein Blatt Papier und mied dabei geflissentlich jeden Blickkontakt.

Ihre spröde Haltung ärgerte Noah plötzlich wie eine juckende Körperstelle, die man nicht erreichen kann. Er überflog die Liste, die mädchenhaft in hübscher Druckschrift geschrieben und mit vielen Fragezeichen und Unterstreichungen versehen war.

Gleichzeitig kamen ihm bisher ignorierte Bruchstücke von mitgehörten Gesprächen und aufgeschnapptem Geflüster in den Sinn. Dass sie ihren Job in Kansas City verloren hatte und von irgendwem sitzen gelassen worden war. Doch niemand schien nähere Details zu wissen. In seinem Kopf arbeitete es, langsam, aber gründlich. Neugier und der Drang, der Wahrheit auf den Grund zu gehen, rückten in den Mittelpunkt und schoben die Lust zumindest beiseite, wenn schon nicht ins Hintertreffen.

„Das geht ja weit über die Küche hinaus“, stellte er fest.

Sie nickte knapp und ging auf Abstand.

Diesmal machte er sich nicht die Mühe, ein Seufzen zu unterdrücken. Sie kann mich nicht ausstehen? Prima. Damit kann ich leben. Unter den gegebenen Umständen ist es mir sogar gerade recht. Aber nicht ohne Erklärung.

Sie zog die Brauen zusammen. „Was?“

„Ist zwischen uns eine alte Rechnung offen, an die ich mich nicht erinnere?“

Ihre rosigen Wangen wurden rot. „Nicht wirklich.“ Sie lächelte verkrampft. „Um die Küche steht es am schlimmsten. Aber das ganze Haus …“

Nicht wirklich?“

„Bloß eine Redewendung. Natürlich ist nichts zwischen uns, weder offen noch sonst irgendwie. Warum?“

„Weil es irgendwie ärgerlich ist, als Ersatz für einen anderen Mann die Zielscheibe abzugeben.“

„Wie bitte?“

Noah verschränkte die Arme vor der Brust. „Der Himmel weiß, dass es Frauen gibt, die mir zu Recht böse Blicke zuwerfen. Oder mir am liebsten den Kopf abreißen würden.“ Auf ihre überraschte Miene hin zuckte er die Schultern. „Was soll ich sagen? Missverständnisse passieren nun mal.“ In sanftem Ton fuhr er fort: „Gerüchten zufolge hast du Grund, stinksauer zu sein. Aber nicht auf mich. Also habe ich vielleicht keine Lust, als Blitzableiter zu fungieren.“

Abrupt stapfte sie zurück ins Esszimmer, kramte weiter in den Kartons und murrte dabei: „Jetzt weiß ich wieder, warum ich von hier weggegangen bin. Weil hier jeder seine Nase in die Angelegenheiten anderer steckt.“

„Tja, ich glaube, das nennt man Anteilnahme“, konterte Noah und wunderte sich selbst über seine defensive Haltung. Noch mehr überraschte ihn, dass Roxie ihn mit großen Augen und einem zaghaften Lächeln anstarrte und er sich fühlte, als hätte er in eine Steckdose gefasst.

„Nein, ich glaube, das nennt man Neugier“, widersprach sie.

Er schmunzelte. „In dieser Gegend ist das das Gleiche.“

Ihr Lächeln vertiefte sich, bevor sie sich auf einen Stuhl mit hoher Lehne fallen ließ. „Es ist ein bisschen komplizierter, aber du hast recht. Ich entschuldige mich. Es geht nicht um dich, sondern …“ Sie fuhr sich mit einer Hand durch die Locken und verzog das Gesicht, als sie auf die Spinnwebe stieß. „Heute ist einfach nicht mein Tag. Das Zeug von meiner Tante durchforsten … Die vergebliche Jobsuche … Mein Ex … und es ist nicht der Kopf, den ich ihm abreißen möchte.“

Sie seufzte und versuchte, die Spinnwebe von ihren Fingern zu lösen. „Ich fühle mich, als wäre jemand mit einem Rasentrimmer durch meinen Kopf gerast. Nicht deine Schuld, dass du der Rasentrimmer bist.“

„Ich würde dich ja um eine Erklärung bitten, aber ich denke, dass ich es nicht wirklich wissen will.“

„Stimmt, das willst du nicht.“ Roxie stand auf, kehrte in die Küche zurück und lehnte sich an einen Unterschrank. „Ich verspreche, dass ich von jetzt an lieb sein werde.“

„Heißt das, dass ich auch lieb sein muss?“

„Das versteht sich von selbst.“ Sie heftete den Blick auf seinen Mund. „Hast du für mich auch noch einen Lolli?“

„Ja.“ Noah kramte zwei Lutscher aus der Tasche. „Kirsch oder Schoko?“

„Kirsch.“ Sie griff nach dem Lutscher und wickelte ihn aus, steckte ihn in den Mund und schloss die Augen wie in Ekstase, während sie den Stiel zwischen den Fingern drehte. Schließlich zog sie ihn langsam heraus und betrachtete die glänzende tiefrote Kugel am Ende des Stiels mit verträumtem Blick. „Ich kann mich gar nicht erinnern, wann ich das letzte Mal einen Lutscher gegessen habe.“ Sie blickte Noah an. „Willst du dir jetzt das restliche Haus ansehen?“

Durchgeknallte Lust konnte er verkraften, Elektroschocks ignorieren. Aber beides zusammen? Das war nicht nur Neuland für ihn, das war wie ein alternatives Universum, von dem er nicht wusste, ob er jemals unbeschadet herauskam.

2. KAPITEL

Je länger Roxie mit Noah durch das Haus streifte und die betörende Wirkung von Pheromonen bekämpfen musste, desto mehr verstand sie, warum er Frauen gegenüber machtlos war. Nicht, dass er sich sonderlich zu wehren pflegte. Sein Ruf in dieser Hinsicht war allseits bekannt. Kein Wunder! Der Typ strahlt ja sexuelles Selbstvertrauen in ganzen Lastwagenladungen aus. Ich dagegen bringe gerade mal genug auf, um ein klitzekleines Modellauto zu füllen. An einem guten Tag.

Im Geist ohrfeigte sie sich dafür, dass sie sich bedauerte. Denn niemand wusste besser als sie, dass der Weg zur Hölle mit Selbstmitleid gepflastert war. Und mit Sehnsüchten, ob nun erwidert oder nicht. Vor allem nach einem Mann, den sie mit einem Gartengerät verglichen hatte.

„Wow! Du hast nicht übertrieben, was den desolaten Zustand angeht“, bemerkte Noah.

Geradezu lüstern betrachtete er die abgelösten Tapeten, die abgenutzten Holzböden. Und entzückt zog er ein Klappmesser aus der Hosentasche, um eine Schwachstelle im Fensterbrett zu prüfen.

Autor

Karen Templeton

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