Hemmungslose Leidenschaft mit dir

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Die brave, schüchterne Hallie will nicht länger im Schatten ihrer berühmten Zwillingsschwester stehen. Aber was weiß sie schon vom Feiern und Spaßhaben? Sie braucht einen Lehrer! Glücklicherweise ist der sexy Bad Boy Gavin Sutherland bereit, ihr zu helfen. In seiner erregenden Nähe verliert Hallie bald jegliche Hemmungen. Ohne an morgen zu denken, lässt sie sich von ihm zu einer so leidenschaftlichen wie unverbindlichen Affäre verführen. Bis sie wenig später schockiert die ungeahnt süßen Folgen entdeckt …


  • Erscheinungstag 26.04.2022
  • Bandnummer 2234
  • ISBN / Artikelnummer 9783751508995
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

An allem ist nur Brené Brown schuld.

Nervös zupfte Hallie Banks am Oberteil ihres schulterfreien, tief ausgeschnittenen pflaumenblauen Kleides, das sie an diesem Abend auf der Soiree trug. Wahrscheinlich lag es an der Talkshow, die sie sich gestern angesehen und bei der sie mit zu viel Chardonnay versackt war. Jedenfalls hatte sie noch während der Sendung angefangen, eine Liste zu machen und aufzuschreiben, was sich für sie im kommenden Jahr ändern sollte. Dazu gehörte auch: auffallen, mich nicht mehr verstecken.

Es hatte drei Online-Tutorials gebraucht, um ihr Outfit und ihr Make-up für die Veranstaltung zu perfektionieren. Und das hatte sie jetzt davon. In dem atemberaubenden Kleid, ihr Haar zu einem Chignon aufgesteckt, war sie auf dieser Party ein Hingucker. Das Dumme war nur, dass ihr der schöne Plan hier oben auf der Dachterrasse gar nicht mehr so genial vorkam.

„Wenn du noch einmal an deinem Kleid zerrst, binde ich dir die Hände auf dem Rücken fest, Hallie Banks“, schimpfte ihre Großmutter Eleanor.

„Ich zerre doch gar nicht.“ Hallie zupfte ein letztes Mal am Ausschnitt.

„Doch, das tust du. Ich habe dich nicht hierher mitgenommen, damit du auf dieser Cocktailparty inmitten all meiner berühmten Freunde eine Klamottenkrise kriegst.“

Eleanor Banks gehörte in der Countrymusic-Szene zu den Stars, daher stimmte es, sie hatte lauter berühmte Freunde. Und diese Freunde konnten Hallie dabei helfen, einen weiteren Punkt auf ihrer Liste abzuarbeiten. Dieser Punkt lautete: neue Künstler unter Vertrag nehmen.

„Ich hätte das kleine Schwarze anziehen sollen“, murmelte sie.

„Unsinn. Es ist höchste Zeit, dass du mal was trägst, das zu deiner Persönlichkeit passt.“

Eleanor hatte nicht die geringsten Probleme damit, aufzufallen. Sie trug ein mit schimmernden Perlen besetztes Kleid in Silber und Weiß. Hallie dagegen fehlte in dieser Hinsicht die Übung, etwas, das sie von ihrer Zwillingsschwester Hannah unterschied. Eleanor und Hannah standen immer im Rampenlicht, wohingegen sie die Überzeugungskraft einer charmanten Talkmasterin und zwei Gläser Chardonnay brauchte, um den Mut zu finden, sich in Szene zu setzen.

„Dort drüben ist er.“ Eleanor legte einen Arm um ihre Taille und flüsterte: „Bernard Merriweather, genannt Bernie. Sei nett zu ihm, denn Martina Merriweather ist seine Tochter. Sie ist gerade auf der Suche nach einem neuen Agenten.“

Hallie vergaß ihr Kleiderproblem und verwandelte sich in die Geschäftsfrau, die sie war. Aufmerksam musterte sie Bernie. Seine Tochter Martina war vierundzwanzig und damit sechs Jahre jünger als sie. Vor Kurzem hatte sie sich von ihrem Agenten getrennt, und zwar im wahrsten Sinne des Wortes. Die Ehe des Starlets mit dem wesentlich älteren Manager, der ihre Karriere förderte, hatte auf unschöne Weise geendet. All das hatte Gram ihr erzählt, als sie sie um ihre Begleitung zu dieser Party bat.

Hallie war auf der Suche nach neuen Talenten, nachdem ihre Schwester Hannah geheiratet hatte. Schon in den Anfängen von Hannahs Karriere als Countrysängerin hatte Hallie sie gemanagt. Nun war Hannah ein Star und Ehefrau von Will Sutherland, ihre Alben und Auftritte verkauften sich von selbst, und sie hatte unzählige Fans. Zeit für Hallie, sich um neue, vielversprechende Musiker zu bemühen. Außerdem fühlte sie sich ein bisschen im Stich gelassen, nachdem ihre Zwillingsschwester nun verheiratet war.

„Komm, ich stelle dich vor“, sagte ihre Großmutter. „Nimm dir ein Glas Champagner. Dann hast du was, woran du dich festhalten kannst.“

„Wieso? Ich fühle mich wohl“, entgegnete Hallie. Schließlich war sie die erfolgreiche Managerin eines Countrystars, und sie war nicht umsonst im Dunstkreis der berühmten Eleanor Banks aufgewachsen.

Hallie setzte ein Lächeln auf, als Gram mit ihr zu Bernie hinüberging. Der ältere Mann wandte sich zu ihnen um und nickte Eleanor zu, ehe er ihr, Hallie, die Hand hinstreckte. Und genau in diesem Moment entdeckte sie einen breitrandigen Stetson am anderen Ende der Bar, und dann sah sie auch den dazugehörigen Mann, der von Bernies hochgewachsener Statur verdeckt gewesen war. Am liebsten wäre sie in die Berge von Tennessee geflüchtet.

Gavin Sutherland.

Wenn es einen Mann auf dieser Erde gab, der sie in ein nervöses, unsicheres, stammelndes Etwas verwandeln konnte, dann der jüngste der Sutherland-Brüder. Sie war seit Jahren mit ihm bekannt, doch seit Hannah und Will Sutherland ein Paar waren, spielte Gavin eine größere Rolle in ihrem Leben. Außerdem arbeitete er als Rechtsanwalt für das Plattenlabel, das seinem Bruder Will gehörte, und so hatte sie schon einige Male beruflich mit ihm zu tun gehabt.

Gelegenheit genug, Gavins persönliche Vorzüge wahrzunehmen. Zum Beispiel seine graublauen Augen, die sie an einen Sturm über Beaumont Bay erinnerten. Oder sein nicht allzu kurzes, welliges Haar, das er in diesem lässigen Stil trug, der aussah, als wäre er gerade erst aufgestanden. Oder sein Dreitagebart, der vermuten ließ, dass sich hinter dem Mann im maßgeschneiderten Anzug ein charmanter Draufgänger verbarg.

Wann immer sie das Aufnahmestudio betrat und ihn dort sah, war sie fasziniert von seiner Art zu telefonieren. Manchmal war er ganz Geschäftsmann und manchmal flirtete er mit tiefer, verführerischer Stimme.

Das alles bewirkte, dass sie sich in seiner Gegenwart nie wirklich wohlfühlte. Vor einem charmanten Playboy wie Gavin fürchtete sie sich bis hinunter zu den perlmuttfarben lackierten Fußnägeln. Und genau deshalb hatte sie gestern Abend noch zu ihrer Liste hinzugefügt: Einen Drink mit Gavin nehmen …

Jetzt jedoch, als sie ihn an der Bar mit dieser glamourösen Frau entdeckte, die gerade hell über irgendetwas auflachte, das er zu ihr gesagt hatte, ging sie sofort wieder in die Defensive.

„Hallie?“, sagte ihre Großmutter nachdrücklich und offenbar zum wiederholten Mal.

Sie riss ihren Blick von Gavin los und wandte sich mit einem strahlenden Lächeln an Bernie. „Es ist wunderbar, Sie kennenzulernen, Bernie.“ Sie schüttelte seine Hand mit festem Griff und sah ihm in die Augen. Grundvoraussetzung für das erste Kennenlernen: fester Händedruck, Blickkontakt, den Namen des Gegenübers aussprechen.

Seine Irritation wich einem gewinnenden Lächeln.

„Grübchen“, bemerkte er hocherfreut. „Ich liebe Grübchen. Sie erinnern mich an meine verstorbene Frau Cheryl. Gott hab sie selig.“

„Sie war eine zauberhafte Frau.“ Eleanor ergriff Bernies Hand, und sie ergingen sich kurz in Erinnerungen an Cheryl Merriweather.

Doch nicht lange, und Eleanor brachte das Gespräch wieder auf Linie. Schließlich ging es ums Geschäft. Hallie passte sich an und vergaß Gavin für den Moment. Sie war auf der Suche nach neuen Klienten, und außerdem waren Typen wie Gavin für sie sowieso unerreichbar.

Daher konzentrierte sie sich auf Bernie Merriweather, sprach mit ihm über seine Tochter Martina und vermied das Thema Scheidung. Eleanor half ihr und pries Hallies Gespür für Talente, das schon bei Hannah zum Erfolg geführt hatte.

„Dann sind Sie beide tatsächlich Zwillinge, die man nicht auseinanderhalten kann?“, sagte Bernie. „Das muss für Sie als Teenager lustig gewesen sein.“

Hallie lächelte höflich. Klar war es lustig gewesen, aber es hatte auch Nachteile gehabt. Vor allem, weil Hannah und sie als Persönlichkeit so verschieden waren, obwohl sie sich so ähnlich sahen. Schon früh hatte Hallie gelernt, sich zurückzunehmen und ihrer Schwester den Vortritt zu lassen. Das war ihr nicht besonders schwergefallen, denn sie war von Natur aus eher ruhig und las gern. Bei der Arbeit sprühte sie vor Temperament, doch auf Partys und anderen Veranstaltungen verschmolz sie lieber mit der Tapete. Später war sie ein Workaholic geworden, wohingegen Hannah jede Gelegenheit zu einem Date genutzt hatte.

In letzter Zeit fühlte sie jedoch mehr und mehr das Bedürfnis, ihre Gewohnheiten zu ändern. Alles schien so eingefahren, so vorhersehbar. Sie sehnte sich danach, etwas vollkommen Verrücktes zu tun, nur um sich zu beweisen, dass sie es konnte. Einmal alle Regeln brechen, wider alle Vernunft. Bisher hatte sie sich immer vor den Konsequenzen gefürchtet. Jetzt, mit dreißig, machte das irgendwie keinen Sinn mehr.

Ihre glamouröse Großmutter und Hannah lebten ihr Jetset-Leben. Warum also konnte sie nicht auch mal Spaß haben?

Bernie rief Martina an und stellte sie beide einander in einem Videochat vor. Während Hallie sich mit Martina über eine mögliche Zusammenarbeit unterhielt, überlegte sie, dass es noch Zeit hatte, den Drink mit Gavin in Angriff zu nehmen. Falls es klappte und sie die neue Agentin von Martina Merriweather wurde, wäre das ja schon ein Riesenerfolg. Gavin und der Drink konnten warten. Der richtige Zeitpunkt würde sich irgendwann ergeben. Ihre Liste musste ja nicht an einem Abend abgearbeitet werden.

Hallie schaute in den sternenübersäten Nachthimmel, allerdings wurde der Glanz der Sterne von den Lichtern der Stadt zu ihren Füßen etwas gedämpft. Dort unten lag Beaumont Bay, das exklusive Wohnviertel von Nashville. Hier ging es ruhig, elegant und gediegen zu, andererseits gab es genügend Abwechslung. Sie liebte diese Stadt.

„Guter Job, Darling“, lobte ihre Großmutter. „Ich fahre jetzt nach Hause.“ Eleanor umarmte sie. „Hier draußen ist es kühl. Bleib nicht zu lange, sonst holst du dir noch was weg.“

Gram wirkte genauso perfekt wie zu Beginn der Veranstaltung. Ihr Lippenstift war makellos, ihr Gesicht lebhaft und frisch, ihr Blick war voller Energie. Wie machte sie das bloß? Nach wenigen Stunden auf dieser Party war Hallie bereits erschöpft vom ganzen Smalltalk und den vielen Menschen.

„Ich gehe auch“, erwiderte sie. „Wenn du möchtest, bringe ich dich nach unten.“

„Nein, nein.“ Eleanor winkte ab. „Bleib noch ein bisschen und amüsiere dich. Du hast heute Abend eine vielversprechende Verbindung geknüpft, aber vielleicht ergibt sich später noch etwas Besseres. Du weißt schon, Alkohol macht potenzielle Klienten locker und wagemutig.“

Gram zwinkerte ihr zu und ging, ohne sich von einem ihrer vielen Bekannten aufhalten zu lassen. Ihre Großmutter war Grandezza pur, und Hallie wünschte, sie hätte mehr davon geerbt.

„Aber vielleicht kommt das ja noch“, sagte sie in Richtung der Sterne. Hinter ihr erklangen Schritte. Eine hoffnungsvolle innere Stimme wisperte Gavins Namen, doch das konnte nicht sein. Er hatte fast den ganzen Abend mit dieser Traumfrau an der Bar verbracht. Wieso sollte er sich plötzlich für sie interessieren?

„Schöner Abend, nicht?“, sagte eine tiefe, warme Männerstimme.

Gavin. Tatsächlich. Seine Stimme weckte sofort Gefühle bei ihr, die sie in seiner Gegenwart nie unterdrücken konnte. Hallie atmete tief durch und drehte sich zu ihm um. Wow, der Typ sah vielleicht gut aus. Groß, breitschultrig, mit einem Lächeln, das ihr durch und durch ging. Unter dem breitrandigen Stetson wirkten seine blaugrauen Augen dunkler. Sie hoffte, das gedämpfte Licht hier oben auf der nächtlichen Dachterrasse verbarg, dass sie tief errötete.

In Gavins Blick spiegelte sich kurz Irritation, als er ihr Outfit musterte. „Hannah“, sagte er erfreut.

Das wirkte auf Hallie wie ein eiskalter Guss. Er dachte, sie sei Hannah. Jetzt hatte sie zwei Möglichkeiten. Entweder konnte sie ihn über seinen Irrtum aufklären und danach ein verlegenes kurzes Gespräch mit ihm führen. Oder sie tat einfach so, als wäre sie ihre Zwillingsschwester.

Das war zwar ein bisschen feige, aber es wäre ja nicht das erste Mal, dass sie mit ihrer Schwester die Rollen tauschte. Oft genug war die eine für die andere eingesprungen, wenn es galt, sich aus einer unangenehmen Situation zu retten. Außerdem hatte Hallie an diesem Abend nicht mehr die Energie, um den jüngsten Sohn der Sutherlands mit ihrem Charme zu beeindrucken.

Als ob ihr das überhaupt jemals gelingen würde …

Daher straffte sie die Schultern, dämpfte ihre Stimme, um wie ihre Schwester zu klingen, und schnurrte: „Hey, Gav. Wie geht’s?“

Sekundenlang sah er sie zweifelnd an, doch dann kaufte er ihr die Lüge ab. Er wippte kurz auf den Absätzen seiner Cowboystiefel und schob die Hände in die Hosentaschen. „Ich dachte, Will und du, ihr hättet heute Abend andere Pläne?“

„Haben wir auch. Hatten wir … Ich wollte, hm …“ Hallie überlegte fieberhaft. „Ich wollte mich mit Gram treffen, ehe Will und ich ausgehen.“

Sie bemühte sich um eine ausdruckslose Miene, denn beim Lächeln hätten ihre Grübchen sie verraten. Geziert nippte sie an ihrem Champagner und ärgerte sich, weil sie in Gavins Gegenwart immer derart verwirrt war. Ihr Puls raste, und sie konnte keinen einzigen klaren Gedanken fassen.

Schon oft war sie mit ihrer Schwester verwechselt worden, doch bei Gavin war ihr das bisher nie passiert. Wahrscheinlich lag es an ihrem Outfit. Normalerweise trug sie schlichte schwarze Kleider oder Hosenanzüge. In so einem schulterfreien, farbenfrohen Kleid wie heute hatte er sie noch nie gesehen. Erneut zupfte sie nervös am Ausschnitt, was Gavins Blick auf ihr freizügiges Dekolletee lenkte. Er merkte es sofort, schaute woanders hin und räusperte sich.

„Ich dachte, ich würde Hallie hier treffen. Auf solch einem Event könnte sie leicht neue Klienten finden.“

„Klar, weiß ich“, antwortete Hallie. „Sobald ich gehe, rufe ich sie an, damit sie herkommt und fette Beute macht.“

Beute? Dieses Wort hatte sie noch nie benutzt. Du liebe Güte, in Gavins Nähe fühlte sie sich wie ein verknallter Teenager. Er dagegen war cool und charmant wie immer. Na ja, sie kannte sich halt besser mit Tabellen aus als mit dem Flirten.

Seltsam, dass sie tatsächlich geglaubt hatte, es genüge, ein sexy Kleid anzuziehen, um den Mut zu finden, Gavin auf einen Drink einzuladen. Brené sollte sich das nächste Mal vorsehen, ehe sie Leute wie sie zu Dingen motivierte, die sie überforderten.

„Wahrscheinlich ist es so das Beste“, bemerkte er und schaute sich kurz auf der Dachterrasse um. „Sie kann mich eh nicht leiden.“

„Wie bitte?“, entfuhr es Hallie.

„Bloß kein Mitgefühl, Hannah. Wir wissen doch beide, dass deine Schwester kein Fan von mir ist.“

Hm, das stimmte leider überhaupt nicht. Wenn es einen Fanclub von Gavin Sutherland gäbe, wäre sie die Präsidentin.

„Wenn ich sie treffe, redet sie kaum ein Wort mit mir, geschweige denn, dass sie mir einen Blick schenkt“, beschwerte er sich.

Hallie fragte sich, ob er das ernst meinte. Was kümmerte es Gavin, was sie von ihm hielt?

„Bei der Arbeit kann ich das ja noch verstehen“, fuhr er fort. „Aber selbst bei deiner Hochzeit – nichts. Ich finde das merkwürdig, weil wir doch jetzt mehr oder weniger verwandt sind.“

Erst wusste Hallie gar nicht, was sie darauf erwidern sollte. Auf der Hochzeit ihrer Schwester mit seinem Bruder hatte er ständig mit einer der Brautjungfern geflirtet. Sie war für ihn Luft gewesen. Und verwandt – das war ein viel zu großes Wort. Hannah hatte seinen Bruder geheiratet, das war alles.

„Ehrlich gesagt, ist es mir ganz recht, dass wir so wenig miteinander zu tun haben“, erklärte Gavin nun. „Das erspart uns Komplikationen, nicht wahr?“

Sein Lächeln ärgerte Hallie. Was fiel dem Typ ein?

„Ich denke, sie hat zu viel um die Ohren, um sich auf so einer kleinen Party blicken zu lassen“, antwortete sie kühl. „Schließlich managt sie meine gesamte Karriere. Du weißt ja, wie sie ist.“

„Ja, immer beschäftigt“, bestätigte er. „Keine Zeit für ein bisschen Spaß.“

Die Art, wie er das sagte, gefiel ihr gar nicht. „Vielleicht hat sie ja heute Abend auch ein Date.“

„Hallie? Ein Date?“

Er lachte auf, und Hallie errötete.

Wie peinlich. Zornentbrannt hätte sie fast ihre wahre Identität preisgegeben. Dachte der Typ wirklich, sie wäre nicht in der Lage, ein Date an Land zu ziehen?

Sie beherrschte sich und überlegte, was Hannah in dieser Situation antworten würde. „Hallie trennt das Geschäftliche immer vom Privaten. Sie würde niemals ein Date mit einer offiziellen Veranstaltung vermischen oder an der Bar flirten.“

Gavin zog die Augenbrauen hoch, was so gut wie ein Eingeständnis war, dass er vorhin genau das an der Bar getan hatte, denn er flirtete mit jeder attraktiven Frau, die er traf. Nur nicht mit jener, der am meisten an ihm lag.

„Tut mir leid, Hannah“, sagte er rasch und rieb sich den Nacken. „Ich wollte nicht unhöflich sein. Es geht mich überhaupt nichts an, was Hallie in ihrer Freizeit tut.“

Sie schwieg und wartete.

„Aber hier unter vier Augen darf ich behaupten, dass es ihr guttun würde, sich ein bisschen locker zu machen. Ein paar Regeln zu brechen. Das macht viel Spaß.“

„Viel Spaß“, wiederholte sie trocken und hob eine Augenbraue.

Er missverstand und antwortete: „Werde ich haben.“ Er berührte kurz ihren Arm und verabschiedete sich. „Sag Will viele Grüße.“

Damit mischte er sich wieder unter die Partygäste und ließ Hallie leicht frustriert zurück. Sie war heute Abend mit dem Vorsatz hergekommen, Gavin zu einem Drink einzuladen, aber alles war anders gekommen als geplant. Statt Eindruck auf ihn zu machen, hatte sie sich anhören müssen, dass sie ein Mauerblümchen war, das keinen Spaß hatte und kein Date zustande brachte.

Sie stellte ihr halb geleertes Sektglas auf einen Tisch und holte ihren Mantel. Kurze Zeit später, ehe die Fahrstuhltüren sich schlossen, sah sie Gavin an der Bar mit einer jungen Brünetten plaudern.

Hallie hob arrogant den Kopf und sandte ihm einen eisigen Blick, als er sie bemerkte. Dann entschied sie, ihre Liste zu ändern, sobald sie nach Hause kam. Ganz oben würde ab sofort stehen: Gavin aus dem Weg gehen.

2. KAPITEL

„Eine Freundin von dir?“, fragte die aufregende Brünette, die links von ihm an der Bar saß und seinem Blick gefolgt war.

Hannah verschwand im Fahrstuhl, um nach Hause zu fahren und sich mit seinem Bruder einen schönen Abend zu machen. Wo auch immer. Gavin fand es seltsam, dass sie nicht verraten hatte, wohin sie wollten.

„Meine Schwägerin“, antwortete er. Die junge dunkelhaarige Frau an seiner Seite hieß Alex Lockwood und hatte vor Kurzem einen Vertrag mit Elite Records unterschrieben. Gavin war für ihre Verträge mit Sponsoren zuständig. Er kannte eine Menge reiche Unternehmer, die Countrystars für Werbekampagnen engagierten. Alex war bildschön und vor allem überaus talentiert. Dazu blutjung. Sie zwirbelte ihr Haar und lächelte. Ihm fielen ihre blendend weißen Zähne auf, und er nahm sich vor, sie für einen Werbevertrag mit jener Firma vorzuschlagen, die gerade eine neue Bio-Zahnpasta auf den Markt gebracht hatte.

„So, wie sie dich angeschaut hat, würde ich vermuten, dass ihr mal was miteinander hattet“, bemerkte Alex.

„Weil sie aussah, als würde sie mich gern erwürgen? Ich habe im Gespräch ihre Zwillingsschwester erwähnt, und sie hat meine Bemerkungen übel aufgenommen.“ Oder besser: Er hatte genau das Falsche gesagt. „Du kennst doch Hannah Banks, oder? Sie ist die berühmte Ehefrau meines Bruders Will, dem die Plattenfirma gehört, bei der du unter Vertrag bist.“

Alex riss die Augen auf. „Das war Hannah Banks? Oh mein Gott.“ Bedauernd schaute sie hinüber zum Fahrstuhl. „Ich hätte sie gern persönlich kennengelernt. Irgendwie fehlten mir die Pailletten und das wallende blonde Haar. Berühmtheiten sehen offenbar anders aus, wenn sie privat unterwegs sind, oder täusche ich mich da?“

„Kann sein“, erwiderte er vage. Hannah hatte heute Abend tatsächlich anders ausgesehen. Nachdem er ihren Namen gesagt hatte, war er einen Moment lang unsicher gewesen, ob er nicht Hallie mit ihr verwechselt hatte. Doch er hatte Hallie nie zuvor in einem schulterfreien, knallfarbenen Kleid gesehen. Noch etwas anderes kam ihm seltsam vor. Als er sie da draußen auf der Dachterrasse erblickt hatte, war er mehr als nur erfreut gewesen, sie zu sehen. Seine Gefühle grenzten an Begehren, und das war neu. Er war Hannah schon so oft begegnet, und immer hatte sie atemberaubend ausgesehen. Begehrt hatte er sie jedoch nie.

Bei Hallie lag die Sache ein wenig anders. Ein oder zwei Mal hatte sie durchaus so etwas wie Verlangen bei ihm geweckt. Natürlich war daraus nichts entstanden, denn er wusste, dass sie ihn sofort abblitzen lassen würde. Und selbst wenn nicht, war sie für ihn tabu. Hallie war eine feine Frau, doch er bevorzugte kurze, unverbindliche Beziehungen. Auf so etwas würde sie sich niemals einlassen. Außerdem war sie jetzt seine Schwägerin, daher musste er sowieso die Finger von ihr lassen. Denn wenn die Beziehung zerbrach, konnte er ihr nicht entkommen.

Er lachte leise. Hallie entkommen? Die Frau redete ja kaum mit ihm, geschweige denn, dass sie seine Gegenwart suchte. Er hatte es ernst gemeint, als er Hannah gestand, dass ihre Zwillingsschwester ihm aus dem Weg ging.

Hannah war mittlerweile bei Elite unter Vertrag, was es mit sich brachte, dass er mit Hallie, ihrer Managerin, öfter zu tun hatte. Meistens lief das per E-Mail, aber ab und zu trafen sie sich auch im Studio. Dort warf sie ihm ein oder zwei Blicke über den Rand ihrer modischen schwarzen Brille zu, die sie ab und zu trug, ehe sie sich auf ihr iPad konzentrierte. Bald verschwand sie dann wieder und beschränkte sich auf E-Mails, um die Details der Verträge zu klären.

Er hatte keine Ahnung, weshalb sie ihn nicht leiden konnte.

„Ich stelle dir Hannah vor, wenn sie Zeit hat“, sagte er zu Alex. Oder wenn sie nicht gerade wütend auf ihn war. Wie bescheuert von ihm, zu unterstellen, Hallie könne kein Date an Land ziehen. Hallie war wundervoll. Wenn sie mal ein bisschen lockerer wäre, würden sich Dutzende finden, die sich um ein Date mit ihr rissen.

Allerdings hätte er in jedem Fall besser den Mund halten sollen. Auch, wenn er sie tatsächlich noch bei keinem Event mit einem Begleiter gesehen hatte. Seit Jahren schuftete sie für die Karriere ihrer Schwester. Irgendwie fand er, dass sie es verdient hatte, ein bisschen Spaß zu haben.

Heute Abend hatte er gehofft, sie zu sehen, ihr einen oder zwei Drinks zu spendieren und herauszufinden, ob sie danach immer noch so zugeknöpft sein würde. Er hatte sogar darüber nachgedacht, wie es wohl wäre, Hallie zu verführen. Schade, dass sie nicht der Typ für eine heiße, kurze Affäre war.

„Ich nehme dich beim Wort.“ Alex legte ihm eine Hand auf den Arm, um erneut seine Aufmerksamkeit zu erringen.

Apropos Verführung. Es war offensichtlich, dass seine junge Klientin scharf auf ihn war. In der Branche gab es genügend Widerlinge, die sich ohne Umschweife darauf eingelassen hätten. Er jedoch gehörte nicht dazu. Es schmeichelte ihm, sicher, aber er wusste, wann Schluss war. Nun musste er das Alex klarmachen, ohne ihre Gefühle zu verletzen.

Nicht ganz einfach.

Er entfernte ihre Hand von seinem Arm und schaute ihr in die Augen. „Es gibt in der Musikbranche eine Menge Mistkerle, Alex. Daher gilt als erste Regel: Biete dich niemals jemandem an. Ich hoffe, du hättest mir eine geknallt, wenn ich deine Geste ernst genommen und dich angebaggert hätte.“

Sie blinzelte überrascht. „Aber ich habe doch gar nicht versucht …“

„Oh, das weiß ich“, erwiderte er rasch, um ihr die Peinlichkeit zu ersparen. „Ich wollte dich nur vor den Kerlen in diesem Zirkus warnen. Die meisten davon würden dich nämlich mit nach Troubletown nehmen.“ Anerkennend lächelte sie, weil er den Titel ihrer neuesten Single als Wortspiel benutzt hatte. „Als Anwalt obliegt es mir, dich zu schützen. In dieser Welt gibt es eine Menge Haie, die ein neues Talent mit wenig Erfahrung nur zu gern verspeisen. Ich werde mich darum kümmern, dass niemand auf die Idee kommt, dich zu übervorteilen. Wir stehen dir zur Seite. Ich, meine Brüder und Elite Records. Wir sind dein sicherer Hafen, und du kannst dich auf uns verlassen.“

Alex lächelte dankbar. Womöglich war er der einzige ehrenhafte Anwalt auf diesem Planeten, aber es gab für ihn nicht den geringsten Grund zu lügen und zu betrügen, denn er war der Beste. Und wenn man der Beste war, hatte man es nicht nötig, krumme Dinger zu drehen, um Erfolg zu haben. Und er hatte es auch nicht nötig, um Klienten zu werben. Man riss sich um ihn.

Gavin verabschiedete sich von Alex und ging, wobei er eine Notiz in seinen elektronischen Kalender tippte, um morgen Brite White Tooth Powder wegen Alex anzurufen. Das Unternehmen brauchte ein eindrucksvolles Gesicht für seine Werbung, und seine junge Klientin war der Hit.

Dann steckte er sein Smartphone wieder ein und fragte sich, weshalb er sich Alex gegenüber so alt und erfahren fühlte. Schließlich war sie nur zehn Jahre jünger als er. Aber als jüngster von vier Brüdern hatte er sich immer angestrengt, mit den anderen mitzuhalten. Jetzt, da alle außer ihm verheiratet oder in festen Händen waren, fehlte ihm zum ersten Mal der Wunsch, mit ihnen gleichzuziehen.

Hannah, Presley oder Cassandra waren wunderbare Frauen, aber er fühlte sich nicht bereit, eine Familie zu gründen. Noch machte es ihm viel mehr Spaß, zu flirten und unverbindliche Affären zu haben. Seriös war er nur im Job.

Keiner der Brüder hatte sich je für das Immobilienimperium der Eltern interessiert. Stattdessen waren sie in der Musikindustrie gelandet. Gavin liebte Musik, aber er konnte weder singen noch Noten lesen. Seine Leidenschaft waren Verträge.

Elite Records konkurrierte mit Cheating Hearts Records, einer Plattenfirma, die Mags Dumond gehörte. Für Mags war Beaumont Bay ein einziges Monopoly, Elite verfügte jedoch über etwas, das Cheating Hearts fehlte: Skrupel. Für die Sutherland-Brüder zählten die Künstler und deren Erfolg mehr als alles andere. Und damit fuhren sie verdammt gut.

Gavin empfand es als Ehre, den Künstlern zu dienen. Ohne sie gäbe es keine Plattenfirmen, keine Sponsoren, keine Benefizkonzerte oder kostenlose Jam Sessions in kleinen Clubs für die wahren Fans. Schon oft hatte er erlebt, wie sich Agenten und Anwälte an hoffnungsvollen Talenten bereicherten und sie fallenließen, wenn sie sie genug ausgequetscht hatten. Er dagegen war immer und zuallererst für die Künstler da.

Auf dem Weg zum Fahrstuhl schüttelte er mehrere Hände und wechselte ein paar Worte mit Bekannten. Als er nach unten fuhr, dachte er an den eisigen Blick, den Hannah ihm zugeworfen hatte. Anstatt sich großartig zu fühlen, weil er ein so ehrenhafter Anwalt war, der junge, unerfahrene Musikerinnen und Musiker unterstützte, hätte er sich lieber bei Hannah entschuldigen sollen, weil er über ihre Schwester hergezogen war.

Er musste ihr unbedingt schreiben, dass es ihm ferngelegen hatte, Hallie zu beleidigen. Als er das Beaumont Hotel verließ und ins Laternenlicht der nächtlichen Straße trat, belebt von Touristen und Einheimischen, nahm er sein Smartphone und schickte Hannah eine Nachricht.

Autor

Jessica Lemmon
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