Liebesmärchen in Manhattan

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Trost, Küsse, Zärtlichkeit: Für eine Nacht treibt tiefe Verzweiflung Evangeline in die Arme eines Fremden. Am nächsten Tag muss er schnell weg, und auf sie wartet ein Bewerbungsgespräch als Weinexpertin im besten Hotel Manhattans. Doch der Hotelbesitzer ist – der Mann von letzter Nacht!


  • Erscheinungstag 19.12.2022
  • ISBN / Artikelnummer 9783751521055
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

1. KAPITEL

Evangeline Holly waren vergnügliche kleine Sünden nicht fremd. Sie hatte eine Vorliebe für sahnige Schokoladentorten. Derzeit beherbergte sie zudem zwei Cavalier King Charles Spaniel in ihrer winzigen Wohnung, in der Haustiere verboten waren.

Aber sie kannte auch ihre Grenzen. Es gab zwei Dinge, die sie sich niemals gönnte: schlechten Wein und One-Night-Stands. Bis jetzt. Ihr Kopf brummte. Als sie mühsam die Augen öffnete, fiel ihr Blick auf die zwei Hunde. Sie schliefen auf einem Jackett von Armani, das auf dem Boden des Schlafzimmers gelandet war, und schnarchten laut. Daneben lagen eine Hose und ein weißes Oberhemd.

Sie schloss die Augen und erinnerte sich daran, dass an sich nichts verkehrt an schlechtem Wein oder Gelegenheitssex war. Sie war auf einem Weingut in Upstate New York aufgewachsen. Diese Tatsache hatte sie bislang davor bewahrt gehabt, schlechten Wein zu trinken.

Und was Gelegenheitssex anging … Das war wohl dem Umstand zuzuschreiben, dass sie die meiste Zeit ihres Erwachsenenlebens eine Beziehung mit demselben Mann geführt hatte, dem sie treu gewesen war. Außerdem hatte sie den Leuten ihre Andeutungen dazu, wie viel Zeit sie miteinander im Bett verbrachten, nie abgenommen.

Evangeline schlug die Augen wieder auf. Die frühe Morgensonne fiel auf ein Paar Manschettenknöpfe von Tiffany & Co., die auf ihrem Nachttisch lagen. Sie hatte sich total getäuscht. Vor allem was ihre Annahme anging, Jeremy wäre ihr genauso treu wie sie ihm. Denn er hatte anscheinend viel Zeit mit seiner stellvertretenden Küchenchefin verbracht.

Vor drei Tagen hatte sie die Wahrheit erfahren. Wie viel sich in nur drei Tagen ändern konnte, war bestürzend. Sie hatte ihren Freund und ihren Job verloren. Die grundlegenden Dinge, an die sie im Leben geglaubt hatte, waren den Bach heruntergegangen. Zudem hatte sie sich gewisse Schwächen zugestanden, die sie sich vorher nie erlaubt hatte.

Ihr Brummschädel war der Beweis dafür, dass sie gestern Abend gegen die Regel verstoßen hatte, schlechten Wein zu trinken. Der Beweis ihres allerersten One-Night-Stands war weitaus greifbarer – von den Kleidern und den Manschettenknöpfen bis hin zu dem aufsehenerregend attraktiven Mann, der mit geschlossenen Augen neben ihr lag – und dessen Körper nur mit einem Laken bedeckt war.

„Guten Morgen“, sagte er, ohne die Augen zu öffnen.

Konnte er spüren, dass sie ihn anstarrte? Seine Stimme klang toll und unvertraut. Überhaupt nicht wie Jeremys Stimme. „Äh.“ Sie schluckte. Was hatte sie sich dabei gedacht, einen völlig Fremden in ihre Wohnung mitzunehmen?

Das war zu neunzig Prozent Jeremys Schuld. Die anderen zehn Prozent lastete sie dem Pinot Grigio an, dessen Geschmack sie immer noch im Mund hatte. Pinot Grigio, um Himmels willen. „Guten Morgen“, sagte sie schließlich. Auch wenn an diesem Morgen nichts gut zu sein schien.

Evangeline wusste nicht, was sie sagen oder tun sollte. Sie war noch nicht einmal sicher, wo sie hinschauen sollte. Obwohl sie ihren Blick offenbar nicht vom Besitzer der Manschettenknöpfe abwenden konnte.

Er streckte sich, drehte sich auf den Rücken und entblößte viel nackte Haut sowie einen Waschbrettbauch. Ihr wurde der Mund trocken. Wo, um alles in der Welt, hatte sie diesen schönen Mann entdeckt? Und wie hatte sie den Mut aufgebracht, mit ihm zu flirten? Da sie mit ihm in ihrem Bett gelandet war, musste sie an einem gewissen Punkt mit ihm geflirtet haben, richtig?

In ihrem immer noch vom Pinot Grigio vernebelten Kopf hörte sie die Worte, die Jeremy zu ihr gesagt hatte: Natürlich habe ich mit anderen Frauen geschlafen. Was hast du erwartet? Du bist nicht gerade eine sinnliche und leidenschaftliche Frau, Evangeline. Ich brauche einfach mehr. Die meisten Leute brauchen mehr.

Deswegen hatte sie den Mut zu einem Flirt mit diesem Mann aufgebracht. Ihr Freund hatte ihr zu verstehen gegeben, dass sie schlecht im Bett war. Also hatte sie sich beweisen wollen, dass er falsch lag. Das Räuspern des Fremden neben ihr brachte sie zurück in die Gegenwart.

Sie ließ den Blick von seiner schmalen Taille zu seinem schläfrigen, halben Grinsen wandern. Er hatte sie also dabei ertappt, wie sie ihn eingehend in Augenschein genommen hatte. Hitze stieg in ihre Wangen. „Hör mal …“

„Ryan.“ Er legte die Arme über seinen Kopf, wodurch das Betttuch noch weiter nach unten rutschte.

Schau nicht hin. Doch sie sah hin. Eine Woge der Lust durchströmte ihren Körper und machte sich in ihren erogenen Zonen breit, die Jeremy noch vor drei Tagen für nicht existent erklärt hatte. „Richtig.“ Sie biss sich auf die Lippe und sah ihn wieder an. „Ryan. Das weiß ich.“

„Ich glaube dir.“ Er zwinkerte ihr zu.

Offenbar glaubte er ihr nicht. Obwohl Ryan der erste Name gewesen war, der ihr eingefallen war, nachdem sie die in seinen Manschettenknöpfen gravierten Initialen RW erspäht hatte.

„Eve.“

Eve? Niemand hatte sie jemals Eve statt Evangeline genannt. Irgendwo hatte sie einmal gehört, dass der Name Eve Leben bedeutete. Sie bemühte sich, nicht daran zu denken, solange dieser Mann neben ihr lag, der den Körper eines griechischen Gottes hatte. „Wie auch immer, Ryan. Was ich zu sagen versuche, ist, dass ich so etwas gewöhnlich nicht tue.“

„Ja, ich weiß. Das hast du gestern Abend mehrmals erwähnt.“ Er legte eine Hand auf ihr Bein und lächelte sie an.

Seine Berührung löste ein Prickeln aus. Sein Lächeln wirkte ein wenig traurig. Sie hatte das Gefühl, dieser Mann wusste mehr über sie als nach ein paar gemeinsam verbrachten Stunden möglich war. „Gut. Dann sind wir uns einig. Das war ein One-Night-Stand. Wahrscheinlich ein Fehler. Ich erwarte nicht, dass du nach meiner Telefonnummer fragst oder so etwas.“

Sie zog ihr Bein weg und deckte es sorgfältig zu. Sein Lächeln legte sich. Die unter dem Bartansatz kaum sichtbaren Grübchen verschwanden völlig.

„Ein Fehler?“

Evangeline nickte. Natürlich war es ein Fehler. Ein Mann – wenn auch nur für eine Nacht – war das Allerletzte, was sie brauchte. Besonders diesen Mann, auf dessen Hände sie nicht schauen konnte, ohne sich vorzustellen, wie sie sich auf ihrer Haut anfühlten. Und dessen Lippen machten, dass sie im Bett bleiben und noch mal auf die sündigsten Dinge des vergangenen Abends zurückkommen wollte.

„Meine Güte, wie viel Wein habe ich gestern Abend getrunken?“ Habe ich diese Frage wirklich laut ausgesprochen?

„Ziemlich viel.“ Er runzelte die Stirn. „Obwohl du anscheinend nicht betrunken warst. Nicht einmal beschwipst. Soll ich mich jetzt entschuldigen? Irgendwie habe ich den Eindruck, ich sollte es tun.“

Das war ein weiterer Vorteil, wenn man auf einem Weingut aufgewachsen war: Sie vertrug sehr viel Alkohol. Zumindest in Form von Wein. Sogar wenn sie das Gefühl hatte, dass sie zu viel getrunken hatte, was selten vorkam, war es ihr nicht anzumerken.

„Es gibt nichts, wofür du dich entschuldigen musst. Wirklich nicht.“ Sie erinnerte sich daran, wie er geschmeckt hatte. Wie er sich angefühlt hatte. An sein Gewicht auf ihrem Körper, als er in sie eingedrungen war. Er hatte ihr genau das gegeben, was sie gewollt und gebraucht hatte. Köstlich.

Evangeline erschauerte und sprang aus dem Bett, um sich daran zu hindern, die Hand nach ihm auszustrecken. Sie spürte seinen Blick auf der Haut, als wäre es eine Liebkosung. Ryan. Ryan. Ryan. Gestern Abend hatte sie seinen Namen geschrien, nicht wahr? Oh, du lieber Himmel.

Als sie die Arme verschränkte, ließ er den Blick auf ihre nackten Brüste wandern. Angesichts der Situation war es logisch, dass sie ebenfalls nackt war. Sie war einfach so damit beschäftigt gewesen, dass er nackt war, dass sie ihre Nacktheit nicht registriert hatte.

„Aber was ist, wenn ich dich doch nach deiner Telefonnummer fragen will?“ Er machte keinerlei Anstalten, ihr Bett zu verlassen.

Wie lange beabsichtigte er zu bleiben? War Ryan nicht klar, wie One-Night-Stands funktionierten? Ryan. Ryan. Ryan. Sie fragte sich, wofür das W auf den Manschettenknöpfen stand. Aber sie wagte nicht, sich danach zu erkundigen. Wenn sie auch noch seinen Nachnamen kannte, könnte sie versucht sein, in einem weiteren Moment der Schwäche nach ihm Ausschau zu halten.

Evangeline schnappte sich die Decke, die am Fußende des Betts lag, schlang sie um ihren Körper und schüttelte den Kopf. „Du willst meine Telefonnummer nicht haben.“

„Ganz sicher will ich das.“

„Nein.“ Sie schüttelte noch heftiger den Kopf. „Das willst du nicht.“ Er würde schreiend weglaufen, wenn er erfahren würde, in welcher Situation sie steckte – und sie würde es ihm nicht im Geringsten verübeln.

„Dann muss ich ein Idiot sein.“

Warum musste er so charmant sein? Wahrscheinlich konnte er nicht anders. Wahrscheinlich gehörte sein Charme wie sein Waschbrettbrauch, die tiefe Stimme und die unermesslich blauen Augen zu seiner genetischen Grundausstattung. Sie hatte noch nie so blaue Augen gesehen.

Sie wandte den Blick von seinen blauen Augen ab. „Du musst das nicht tun, ehrlich. Alles ist gut. Mir geht es gut. Es hat …“ Sie schluckte, weil sie plötzlich einen Kloß im Hals hatte. „… Spaß gemacht.“

„Spaß“, wiederholte er.

Das Wort klang seltsam leer, und sie wollte es auf der Stelle zurücknehmen. Sie musste sich zusammenreißen, um ihm nicht die Wahrheit zu sagen. Sie war verloren, und eine solche Nacht, wie sie beide sie verbracht hatten, jagte ihr eine furchtbare Angst ein. Deshalb ließ sie sich nie auf solche Abenteuer ein.

Nähe und Intimität in jeder Form gingen mit einem Grad an Verletzbarkeit einher, mit dem sie nicht umgehen konnte. Sie hatte geglaubt, dass Jeremy das begriffen hätte, und hatte sich erneut getäuscht.

„Bitte sehr.“ Sie hob sein Hemd und die Hose auf und reichte sie ihm. Als sich ihre Fingerspitzen berührten, schluckte sie erneut. Der Kloß in ihrem Hals war noch größer geworden. Geh. Bitte, geh.

Er stand auf und zog sich an. Dem Himmel sei Dank. Olive und Bee lagen immer noch auf seinem Designerjackett und schliefen tief und fest. Sie versuchte, das Jackett unbemerkt unter den beiden schlafenden Hunden hervorzuziehen.

Doch sie hatte kein Glück. Bee war völlig taub und reagierte daher extrem sensibel auf Bewegungen. Die Hündin wachte ruckartig auf und scharrte mit der Pfote an Evangelines Schienbein. Olive gähnte und sprang aufs Bett, wo sie Ryan anstarrte, während er den Reißverschluss der Hose hochzog. Er entdeckte die Hündin und streckte die Hand aus, um sie hinter den Ohren zu kraulen.

„Bitte von der linken Seite streicheln. Sie kann mit dem rechten Auge nichts sehen. Also erschreckst du sie vielleicht“, sagte Evangeline. Er folgte ihrem Rat. Olive wedelte begeistert mit dem Schwanz. Bee kam zu ihr aufs Bett, um an dem Spaß teilzuhaben.

„Süße Hunde“, meinte er.

Ihr ging das Herz auf. Umgeben von den liebenswerten Hunden sah er sogar noch attraktiver aus. „Danke. Eigentlich gehören sie meinem Großvater. Aber er ist vor Kurzem in ein Altenheim gezogen. Also wohnen die beiden jetzt bei mir.“ Warum erzählte sie ihm das?

„Das zu hören, tut mir leid“, sagte Ryan weich.

Er schien es wirklich so zu meinen. Wenn er nicht bald ihre Wohnung verließ, würde sie ihn wahrscheinlich zum Frühstück einladen. „Hier.“ Sie drückte ihm sein mit Hundehaaren übersätes Jackett in die Hand. Er tat so, als würde er die Hundehaare nicht bemerken, und zog das Jackett trotzdem an.

Diese liebenswürdige Geste war fast mehr, als sie ertragen konnte. Vielleicht war die vergangene Nacht letzten Endes kein Fehler gewesen. Vielleicht beging sie jetzt den Fehler. Vielleicht sollte sie es nicht so eilig haben, ihn wegzuschicken.

„Dann also tschüs“, sagte sie so fest, wie sie konnte. Er kam ums Bett herum, blieb vor ihr stehen und hob die Hand, als wenn er sie ihr an die Wange legen wollte. Aber sie ging einen Schritt zurück.

„Auf Wiedersehen, Eve“, sagte er und ging.

Ryan Wilde war noch nie so kurz entschlossen aus dem Bett einer Frau geworfen worden. Andererseits ging er gewöhnlich nicht mit Frauen ins Bett, die er nicht wirklich kannte.

Besonders in letzter Zeit hatte sich sein Liebesleben dank der „New York Times“ ziemlich kompliziert gestaltet. In den vergangenen Wochen hatte er sich bemüht, romantische Verwicklungen völlig zu vermeiden.

Er verließ das Apartmentgebäude, in dem Eve wohnte. Dann holte er sein Handy aus der Innentasche des Jacketts, rief den Fahrer des Bennington-Hotels an und bat darum, abgeholt zu werden. Nachdem er Tony die genaue Adresse genannt hatte, steckte er das Handy wieder ein.

Einen Fahrer auf Abruf zu haben war einer der luxuriöseren Vorteile, wenn man Finanzchef des Bennington war. Er griff nicht oft darauf zurück. Aber in diesem Moment und in der Kälte war es sehr angenehmer Luxus. Der Schnee knirschte unter seinen Schuhen. Was, zum Teufel, hatte er mit seinem Mantel gemacht?

Ryan sah hinauf zu den Fenstern im zweiten Stock und wünschte, er hätte seinen Mantel in Eves Wohnung gelassen. Dann hätte er eine Ausrede, sie wiederzusehen. Aber er hatte seinen Mantel gestern Abend in dem Weinlokal vergessen. Er hatte an der Bar gesessen, als er Eve entdeckt hatte.

Sie hatte auf der gegenüberliegenden Seite des Lokals gestanden, ein Fleischermesser geschwungen und sich eine Flasche Champagner geschnappt. Dann hatte sie die Flasche mit dem Messer direkt unter dem Korken geköpft.

Während Champagner über ihren Arm geperlt war, hatte sie zufrieden gelächelt. Die Leute, die an ihrem Tisch gesessen hatten, waren in Jubel ausgebrochen. Alle waren Männer gewesen.

Doch seiner Einschätzung nach hatte es sich um kein Date gehandelt, sondern vermutlich um eine Art Arbeitsgruppe oder Studienkreis. Denn auf dem Tisch hatten sich jede Menge Karteikarten gestapelt.

Ryan war aufgestanden, hatte seinen Mantel, den Drink und seine drei Geschäftskollegen zurückgelassen und war zu dem Tisch gegangen. „Das war ein gekonnter Partytrick.“ Er hatte einfach mit ihr reden müssen.

Die ganze Woche über hatte er einen großen Bogen um jede heiratswillige alleinstehende Frau in Manhattan gemacht. Aber die messerschwingende Göttin war ihm sofort unter die Haut gegangen. Er war nicht einmal sicher, warum.

Ja, sie war schön mit den vollen roten Lippen, dem Porzellanteint und den langen Haaren, die wie gesponnenes Gold aussahen. Allein die Vorstellung, wie es sich wohl anfühlte, mit den Fingern durch diese Haare zu fahren, hatte ihn erregt.

Aber es war mehr als ihr Aussehen gewesen, das ihn in den Bann gezogen hatte. Sein Herz war weit geworden, als er sie angesehen hatte – und beim Blick in ihre Augen hatte er dann bemerkt, dass sie voller Geheimnisse steckte.

„Das ist kein Partytrick.“ Sie hatte ihn von oben bis unten angesehen und war errötet. „Das nennt man sabrieren.“

Sie hatte ausgeführt, dass französische Kavallerieoffiziere während der Napoleonischen Kriege ihre Degen in gleicher Weise dazu benutzt hatten, Champagnerflaschen zu öffnen. Was nicht im Geringsten erklärt hatte, warum sie es in einem Weinlokal in der Upper West Side tat.

Aber ihn hatte es nicht gekümmert. Sie hatte ihn fasziniert. So fasziniert, dass er es absichtlich unterlassen hatte, seinen Nachnamen zu nennen. Ryan fror. Wo blieb die verdammte Limousine des Bennington? Er ging zu einem Kiosk an der Ecke und hoffte, dort einen Kaffee kaufen zu können.

Sogar jetzt noch fühlte er sich schlecht, weil er ihr seinen Nachnamen nicht gesagt hatte. Nicht mal, als sie ihn nur wenige Minuten, nachdem er neben ihr aufgewacht war, aus ihrem Apartment geworfen hatte.

Nun, es war nicht so, dass er sie belogen hätte. „Nenn mich Ryan“, hatte er zu ihr gesagt. Er zuckte zusammen. Das hatte sich angehört, als wäre er ein Frauenheld – was er definitiv nicht war.

Aber das war die Ironie seiner gegenwärtigen Situation. Praktisch über Nacht und ohne sein Verschulden hatte er einen gewissen Ruf bekommen, der jeder Realität entbehrte. Er war sehr erleichtert gewesen, als er bemerkt hatte, dass Eve keine Ahnung hatte, wer er war.

„Entschuldigen Sie, haben Sie vielleicht auch Kaffee?“, fragte er den alten Mann hinter dem Verkaufsstand des Kiosks.

„Sicher. Extraheiß.“

„Perfekt.“ Er holte Kleingeld aus seiner Brieftasche und reichte es dem Mann, als sein Blick auf das Titelbild der Zeitschrift „Gotham“ fiel. Darauf war sein Gesicht zu sehen. Wenn Evangeline Holly bislang nicht gewusst hatte, wer er war, würde sie es jetzt erfahren.

Sechs Wochen später kam Ryan verspätet in sein Büro. Obwohl er berühmt-berüchtigt dafür war, dass er morgens immer als Erster des Führungskräfteteams zur Arbeit kam. Nur um ihn zu ärgern, versuchte manchmal der Hoteldirektor Zander Wilde, vor ihm einzutreffen. Zander war auch sein Cousin und fast wie ein Bruder für ihn.

Daher war er auch nicht überrascht, dass Zander mit einer Zeitung in der Hand hinter seinem Schreibtisch saß, als er fünf Minuten später als üblich sein Büro betrat. „Sieh mal einer an.“

Zander lächelte triumphierend. „Ich war vor dir da.“

Er setzte sich auf einen der Gästestühle. „Genieß ruhige deinen Sieg. Aber nimm bitte deine Füße von meinem Schreibtisch.“

Sein Cousin verdrehte die Augen und setzte sich aufrecht hin. „Ich muss mit dir über etwas reden. Aber zuerst – was ist los? Bist du krank? Du bist nie zu spät.“

„Ich habe mich fünf Minuten verspätet. Das ist alles.“

„Ah, ich verstehe.“ Er grinste süffisant. „Es handelt sich um ein spezifisches Junggesellenproblem.“ Er warf demonstrativ einen Blick auf das gerahmte „Gotham“-Titelbild, das an der Wand hing. Laut der Überschrift war Ryan Wilde der heißeste Junggeselle des Jahres.

Ryan, der an jenem Morgen vor Evangelines Wohnung in West Village am Kiosk von seiner „Krönung“ erfahren hatte, hasste dieses Titelbild. Es jeden Tag an der Wand in seinem Büro vor Augen zu haben, ging ihm völlig gegen den Strich.

Aber das war immer noch besser, als wenn das Titelbild in der Lobby zur Schau gestellt wurde, wo Zander es ursprünglich aufgehängt hatte. Er vermutete, dass sein Cousin es als Witz betrachtete und nie vorgehabt hatte, es in der Lobby zu belassen. Aber er ging kein Risiko ein, also hatten sie sich darauf verständigt, das Titelbild über Ryans Schreibtisch zu hängen.

„Lass mich raten“, meinte Zander. „Du warst gestern Abend aus und konntest dich vor lauter Frauen kaum retten.“

Wohl kaum. Er war seit sechs Wochen nicht mehr mit einer Frau zusammen gewesen. Obwohl seine jüngste Abstinenz nicht völlig auf die „Gotham“-Titelgeschichte zurückzuführen war.

Er konnte sich Evangeline Holly einfach nicht aus dem Kopf schlagen. Zweimal war er sogar in ihrem Apartmentgebäude gewesen, hatte einige Minuten vor ihrer Tür gestanden und an die zusammen verbrachte Nacht gedacht.

Es war der beste Sex seines Lebens gewesen. Sensationell. Aus diesem Grund sollte er es dabei belassen und sich neu orientieren. Diese Art von Magie stellte sich nur einmal ein. Jeder Versuch, sie wiederholen zu wollen, würde vergeblich sein.

Vielleicht aber auch nicht. Vielleicht war nicht die Nacht magisch gewesen, sondern Evangeline hatte den Zauber ausgeübt. Das hatte er beide Male in Erwägung gezogen, als er fast an ihre Wohnungstür geklopft hatte.

Doch dann hatte er sich daran erinnert, wie versessen sie darauf gewesen war, ihn am Morgen danach loszuwerden, und war zur Vernunft gekommen. Sie hatte sich geweigert, ihm ihre Telefonnummer zu geben. Also würde sie alles andere als erfreut sein, wenn er an ihre Tür klopfte.

„Ich habe mir das Spiel der Rangers angesehen und bin dann ins Bett gegangen. Allein“, betonte er.

„Warum bist du dann zu spät?“ Zander runzelte die Stirn. „Ah. Sag nicht, dass die Groupies zurück sind.“

Ryan wollte ihn korrigieren. Die Groupies waren nie fortgewesen. Seit fast zwei Monaten lungerten sie im Hotel herum – seit dem Tag, an dem die „New York Times“ entschieden hatte, für Aufruhr in seinem sonst friedlichen Leben zu sorgen.

Er hätte es kommen sehen sollen. Eine wahnsinnig beliebte Reihe von Kolumnen in der Hochzeitsrubrik der Tageszeitung hatte sich um das Bennington gedreht. Eine Reporterin hatte spekuliert, dass auf dem Hotel ein Fluch liegen würde, nachdem einige im Ballsaal abgehaltene Hochzeiten wie eine Szene aus dem Film „Die Braut, die sich nicht traut“ geendet hatten.

Aber das sollte eigentlich Schnee von gestern sein, weil Ryan einen Waffenstillstand mit der Journalistin ausgehandelt hatte. Als Ausgleich für die exklusive Berichterstattung über Zanders kürzlich stattgefundene Hochzeit hatte sie dann in ihrer Kolumne erklärt, dass sich der Hochzeitsfluch für immer erledigt hatte.

Die Andeutung in der letzten Zeile der Kolumne, dass Ryan auf Brautschau wäre, war allerdings nicht Teil des Handels gewesen. Die wenigen Worte hatten dafür gesorgt, dass sich ihm morgens, mittags und abends Frauen an den Hals warfen. Das „Gotham“-Titelbild hatte alles nur noch schlimmer gemacht.

„Ein halbes Dutzend Frauen warten in der Lobby auf mich.“ Er seufzte. „Ich musste durch den Dienstboteneingang ins Hotel kommen.“

„Du musstest?“ Zander lachte laut. „Vielleicht ist es verrückt – aber warum redest du nicht mit den reizenden Ladys und bittest eine davon um ein Date?“

„Auf keinen Fall.“ Diese Frauen wussten nichts über ihn. Außer der Tatsache, dass er Single und reich war. Man brauchte kein Genie zu sein, um zu wissen, warum sie ihn – einen völlig Fremden – heiraten wollten. Nein, danke. Einmal war er fast verheiratet gewesen, und dieses eine Mal hatte gereicht. Nie wieder.

Sein Cousin verdrehte die Augen. „Dir ist klar, dass jeder Mann in New York sofort deine Stelle einnehmen würde, nicht wahr?“

Autor

Teri Wilson
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