Nur Küsse sind süßer als Rache

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Die Stadt ist nicht groß genug, um sich aus dem Weg zu gehen. Will Fletcher weiß: April ist noch immer wütend auf ihn, weil er sie verlassen hat! Doch als sie sich wiedersehen, nimmt sie seine Entschuldigung überraschend an - und flirtet sogar mit ihm. Hat Will doch noch eine Chance?


  • Erscheinungstag 07.12.2020
  • Bandnummer 7
  • ISBN / Artikelnummer 9783751504294
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

1. KAPITEL

Will Fletcher hätte sich lieber einem bewaffneten Verbrecher gestellt als dem Gespräch, das er bald mit seiner Ex-Freundin führen musste. Die Stadt war einfach nicht groß genug für sie beide. Seit diesem Sommer war er nämlich der amtierende Sheriff von Blackwater Lake, und sie war eine freiberufliche Fotografin, die auch ab und zu für die Polizei arbeitete. Außerdem hatte sie ein Studio an der Main Street, direkt gegenüber von seinem neuen Büro.

Ihr nicht zu begegnen war deshalb unmöglich, und je früher er diese Konfrontation hinter sich brachte, desto besser.

Den ganzen Vormittag über hatte er den Photography Shop beobachtet und darauf gewartet, dass sie einmal allein war. Jetzt stand er auf dem Bürgersteig vor dem Büro des Sheriffs und zögerte. Er schaute erst nach links, dann nach rechts, bevor er die Straße überquerte. An ihrem Schaufenster stand in großen Buchstaben der Name des Studios, rechts davon in kleineren Buchstaben ihr Name. April Kennedy, Fotografin. In der rechten unteren Ecke waren ihre Dienstleistungen aufgeführt – Porträts, Familienfotos, Hochzeiten und besondere Anlässe.

Will starrte auf die Pappfiguren mit den ausgeschnittenen Gesichtern, hinter denen sich Touristen als Tänzerin oder Glücksspieler ablichten lassen konnten, um ein lustiges Souvenir aus Blackwater Lake, Montana, mitnehmen zu können. Technisch gesehen war er zwar ein Besucher, aber eindeutig kein Tourist. Er war hier geboren und aufgewachsen, war aber jetzt nur hier, um den richtigen Sheriff zu vertreten. In drei Monaten, wenn sein Vater wieder gesundgeschrieben war und sein Amt erneut übernehmen konnte, würde Will nach Chicago zurückkehren und dort wieder als Detective bei der Polizei arbeiten.

„Nun mach schon, Fletcher“, murmelte er. „Wie schlimm kann es schon werden?“

Sie könnte weinen. Er verzog das Gesicht.

Er hatte es schon erlebt, und es hatte ihm das Herz zerrissen. Aber das war viele Jahre her. Er wusste nicht, ob sie immer noch wütend auf ihn war. Seit damals hatte er sie nicht mehr gesehen, und die Begegnung würde garantiert unangenehm werden, das stand fest.

Will nahm all seinen Mut zusammen und schob die Glastür auf. Eine Glocke läutete, als er eintrat. Der Verkaufsraum war leer.

„Ich bin gleich bei Ihnen“, rief sie.

Es klang fröhlich und süß und weckte sofort alte Erinnerungen in ihm. Sein Blick fiel auf die gerahmten Fotos, die zeigten, was für eine gute Fotografin sie war. Einzelpersonen, Familien und Babys. April hatte etwas an sich, das Menschen dazu brachte, sich zu entspannen, und es ihr ermöglichte, einen ganz besonderen Blick oder ein ehrliches Lächeln festzuhalten. Sonst sah er nur Streifenwagen in Schwarz-Weiß, also war das hier eine angenehme Abwechslung.

„Tut mir leid, dass Sie warten mussten …“ April Kennedy erschien im Durchgang, blieb aber abrupt stehen, als sie ihn erkannte.

„Hi.“

Sie waren damals so gut wie verlobt gewesen, aber jetzt fühlte sich Will, als wäre es ihre allererste Begegnung. Ihr schimmerndes langes blondes Haar war zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden. Sie trug Jeans und ein T-Shirt, das ihre hinreißende Figur betonte. Große haselnussbraune Augen musterten ihn, sie waren im Moment allerdings eher grün als braun, was bedeutete, dass sie sich nicht freute, ihn zu sehen. Er konnte es ihr nicht verübeln.

„Will!“

„Du siehst gut aus, April.“

„Danke, du auch.“

„Das wolltest du mir bestimmt nicht sagen, also nehme ich es mal als Kompliment.“

„Ich bin nur ehrlich.“ Sie zuckte mit den Schultern.

„Das habe ich an dir immer sehr gemocht.“

„Ich habe schon gehört, dass du momentan in Blackwater Lake bist.“

Er brauchte nicht zu fragen, von wem sie es wusste, denn April war die beste Freundin seiner jüngeren Schwester. Kim lebte mit ihrem Sohn im Teenageralter bei ihrem Vater, und Will war für den Sommer in sein altes Zimmer gezogen. Sie waren also wieder eine große glückliche Familie. Zwischen Aprils Garten und dem seines Vaters lag nur eine schmale Gasse. Als guter Nachbar hatte Hank Fletcher sich natürlich um April und ihre alleinerziehende Mutter gekümmert. Anders als Will war sein Vater auch dann noch für sie da gewesen, als Aprils Mutter an Brustkrebs gestorben war. Die Fletchers hatten sie quasi adoptiert und ihr deshalb bestimmt auch sofort von seiner Rückkehr erzählt.

„Dies ist eine kleine Stadt“, begann er.

„Ganz im Gegensatz zu Chicago.“ Ihre Stimme war so eisig wie die Schneestürme, die dort häufig vorkamen.

„Stimmt. Wir werden uns hier zwangsläufig über den Weg laufen, und ich wollte, dass das erste Mal nicht öffentlich passiert und dir unangenehm ist.“

„Kim hat dir gesagt, dass du herkommen sollst.“ Es war keine Frage.

„Meine Schwester hat gemeint, dass es besser wäre, wenn unser erstes Wiedersehen nicht vor Zuschauern stattfinden würde.“

„Du hättest ihren Rat nicht befolgen müssen. Ich finde es aber sehr rücksichtsvoll von dir, Will.“ Ihr war anzuhören, dass sie nicht damit gerechnet hatte.

Aber vielleicht bildete er es sich auch nur ein, weil er ein schlechtes Gewissen hatte. „Ich glaube, ich habe mich nie für das entschuldigt, was in Chicago passiert ist.“

„Du meinst, dass ich dich dort überraschen wollte und mir eine Frau die Tür geöffnet hat, die nichts als dein Hemd trug?“

„Ja, genau das meine ich.“ Er starrte auf ihren Mund. Wenn sie die Lippen zusammenpresste, hatte er sie immer küssen wollen. Leider wollte er es auch jetzt noch. Normalerweise war es trostreich, dass manche Dinge sich nie änderten, aber dieses Mal nicht.

„Du hast versucht, dich bei mir zu entschuldigen.“ Sie schaute ihm in die Augen. „Aber ich wollte nicht mit dir reden.“

„Dann lass es mich bitte jetzt sagen. Was passiert ist, tut mir unendlich leid.“

„Lass es, Will. Es ist lange her. Außerdem habe ich schließlich selbst vorgeschlagen, dass wir uns alle Freiheiten lassen sollen, als du nach Chicago auf die Polizeiakademie gegangen bist. Ich fand es nur richtig, weil ich dich nicht begleiten konnte und jeder weiß, dass Fernbeziehungen immer riskant sind. Wir haben eben leider auf die harte Tour gelernt, wie riskant.“

Will hatte versucht, sie zum Mitkommen zu überreden, aber ihre Mutter war gerade erst erkrankt gewesen. April hatte ihren Vater nie gekannt und die Frau, die so viel für sie geopfert hatte, nicht allein lassen wollen. Sie hatte deshalb vorgeschlagen, dass Will und sie fortan mit anderen ausgehen durften, aber in Verbindung blieben und nach einem Jahr entschieden, wie sie nun zueinander standen. Er war froh, dass sie das nicht vergessen hatte.

„Ich habe ja gar nicht erwartet, dass du keine Dates hast“, sagte sie, „und du hattest welche.“

„Du hast mit allem recht behalten.“

„Vielleicht war es besser so.“ Sie zuckte mit den Achseln, als wäre es ihr egal.

„Na gut.“

Will wusste nicht, warum es so war, aber ihre Antwort ärgerte ihn. Vielleicht lag es an der Höhe. Hier oben war die Luft dünner als in Chicago. Eine bessere Erklärung fiel ihm nicht ein. Warum war er nicht erleichtert darüber, dass sie ihn nicht anschrie oder weinte? Vielleicht war er auch einfach nur ein egoistischer Idiot, der gehofft hatte, dass sie noch etwas unter dem litt, was er ihr vor sechs Jahren angetan hatte.

Möglicherweise lag es auch daran, dass er die Frau, die nur sein Hemd getragen hatte, später geheiratet hatte, und die Ehe nach kurzer Zeit gescheitert war. Außerdem hatte er immer geahnt, dass er damit den größten Fehler seines ganzen Lebens begangen hatte. Er war ein Mann, der es hasste zu scheitern, und es gleich zwei Mal zu tun, fühlte sich nicht gut an. Dass sie mit der Vergangenheit offenbar komplett abgeschlossen hatte, gefiel ihm ebenfalls nicht.

„Wenn das alles ist …“ Sie zeigte mit dem Daumen nach hinten, wo ein Stativ mit einer Kamera stand.

„Ich bleibe den Sommer über hier, bis Dad sich von seiner Herzoperation erholt hat.“

„Das war vielleicht ein Schock.“ Sie presste die Hand an die Brust. Die erste Gefühlsregung, seit er ihr Studio betreten hatte. „Erst der Infarkt, dann die schwere OP. Er war für mich immer ein Fels in der Brandung. Seit er wieder zu Hause ist und mit der Reha begonnen hat, sorgt deine Schwester mit eiserner Hand dafür, dass er gesünder lebt.“

„Kim kann sehr streng sein.“ Wer wusste das besser als er? „Als Sheriff hat er immer zuerst an die Bürger seiner Stadt und danach an sich selbst gedacht. Vielleicht hat er in der Narkose ja seinen Schutzengel gesehen, denn er hat mich gebeten, ihn zu vertreten. Bürgermeister und Stadtrat sind auch damit einverstanden.“

„Bestimmt freut sich deine Familie, dich wieder hier zu haben.“ Sie offenbar nicht. „Gut, dass du dir in Chicago freinehmen konntest.“

„Ich habe jede Menge Überstunden angehäuft.“

„Jetzt bist du also der Sheriff hier.“ Sie verschränkte die Arme vor der Brust.

„Ja. Deshalb möchte ich auch sicher sein, dass ich mich auf deine Mitarbeit verlassen kann, wenn ich sie brauche.“ Vor allem bei Verkehrsunfällen mit mehr als zwei Autos brauchte er bessere Fotos, als ein Amateur sie mit dem Handy machen konnte. Die Versicherungen konnten einem das Leben nämlich ganz schön schwer machen.

„Natürlich. Hank muss sicher sein, dass alles so läuft, als wäre er weiterhin im Amt.“

„Also tust du es für Dad?“

„Natürlich. Nachdem es mit uns beiden nicht geklappt hat, hast du Wie-heißt-sie-noch bekommen, und ich deine Familie. Ich würde alles für sie tun.“

„Sie können wirklich froh sein, dich zu haben.“

„Nein.“ Sie schüttelte energisch den Kopf. „Ich kann froh sein.“

War das etwa Eifersucht, was er gerade empfand? Er war neidisch auf ihre Loyalität gegenüber seiner Familie, weil er selbst kein Recht mehr darauf hatte. Offiziell hatte er sie zwar nicht betrogen, trotzdem war es ein Verrat gewesen.

„Ich hätte dir sagen sollen, dass ich jemanden kennengelernt hatte, aber ich wollte dir nicht wehtun“, gab er jetzt zu.

„Das hat toll funktioniert.“ Sie lächelte, aber ihr Blick blieb kühl. „Es war nett mit dir zu reden, aber gleich kommt ein Kunde, und ich muss noch alles vorbereiten.“

„Okay. Ich wollte dich auch nicht aufhalten.“

„Kein Problem. Danke, dass du hergekommen bist. Jetzt wird es nicht so peinlich werden, wenn wir einander über den Weg laufen. Wir sehen uns, Will.“ Sie drehte sich um und ging nach hinten.

„Bis dann, April.“

Er verließ das Geschäft und fühlte sich plötzlich wie Kaugummi an einer Schuhsohle. Kim hatte gesagt, dass ein Besuch bei April die Situation entspannen würde, aber da hatte sie sich gründlich getäuscht. Die Anspannung war immer noch da und hatte nichts mit ihrer Geschichte, aber alles mit der wunderschönen, sexy Frau zu tun, die April Kennedy immer noch war. Seit wann war sie so selbstbewusst und so unabhängig?

Sie war so attraktiv wie früher, aber zugleich auch ganz anders.

Es würde ein langer, heißer Sommer werden.

April hörte, wie jemand an die Glastür ihrer Küche klopfte, und eilte hinüber. Auf der hinteren Veranda stand Kim Fletcher. Sie zog sie aufgeregt ins Haus.

„Danke, dass du so schnell gekommen bist.“

„Du hast gesagt, wir müssen unbedingt reden. Was ist denn los?“

Ihre Freundin war mit einem Kollegen von der Highschool von Blackwater verlobt. Sie unterrichtete Englisch, Luke Naturwissenschaften, und er war außerdem noch der Coach der Football-Mannschaft. Kims Sohn Tim spielte im Unterstufenteam und war mit dem Mann einverstanden, den seine Mutter bald heiraten wollte. Sie war glücklich, und April freute sich für sie.

„Weiß bei dir zu Hause jemand, dass du bei mir bist?“

„Ist das dein Ernst?“ Kim lächelte. „Mein Vater, Bruder und Sohn sind Männer. Ich könnte ankündigen, dass ich als Feuerschluckerin beim Zirkus anfangen will, und sie würden mir nur viel Spaß wünschen. Ich bin für die drei praktisch unsichtbar.“

„Okay.“ Seit Will in Chicago lebte, hatte April fast vergessen, dass ihre beste Freundin und ihr Ex Geschwister waren … die jetzt zeitweilig unter einem Dach lebten. „Ich muss dir unbedingt etwas erzählen, aber dazu brauchen wir Wein.“

„Jetzt bin ich aber gespannt.“

Kim Fletcher war sehr hübsch, doch April hatte lange nicht mehr daran gedacht, wie ähnlich sie ihrem Bruder sah. Sie hatte die gleichen blauen Augen und das gleiche braune Haar, wenn auch mit blonden Highlights.

April schenkte ihnen Chardonnay ein, und sie setzten sich damit auf das Sofa im Wohnzimmer.

Kim schlug die Beine unter. „Du hast also Will getroffen.“

April nippte an ihrem Glas und nickte. „Er hat zugegeben, dass es deine Idee war, um eine peinliche Begegnung in der Öffentlichkeit zu vermeiden.“

„Gern geschehen.“

„Nicht so schnell.“ Seit sie ihn wiedergesehen hatte, war April nervös und aufgewühlt. „Vielleicht wäre ich ihm ja auch gar nicht über den Weg gelaufen.“

„Diese Stadt ist so groß wie eine Briefmarke. Das Büro des Sheriffs liegt direkt gegenüber von deinem Laden. Er wohnt nicht weit von deiner Hintertür entfernt. Glaubst du wirklich, ihr wäret euch in den drei Monaten, die er hier sein wird, nicht begegnet?“

„Ich wünschte nur, du hättest mich vorgewarnt.“

Kim schüttelte den Kopf. „Das habe ich absichtlich nicht getan, denn du solltest ganz natürlich reagieren, ohne Drehbuch.“

April war jemand, der gern alles plante. Wenn sie ins Auto stieg, hatte sie die Route bereits im Kopf. Wenn sie einkaufte, begann sie im ersten Gang und endete beim Gemüse. Für einen Fototermin legte sie stets schon vorher sämtliche Kameras, Objektive und Requisiten bereit.

Bisher hatte Kim sie immer vorgewarnt, wenn Will seine Familie besuchen kam, und sie war ihm dann aus dem Weg gegangen. Selbst als sein Vater operiert worden war, hatte sie es geschafft, ihm im Krankenhaus nicht zu begegnen. Trotzdem hatte sie sich immer wieder ausgemalt, wie sie ihn irgendwann zur Rede stellen würde und er dann bereute, dass er damals nicht auf sie gewartet hatte.

„Ich bin mir nicht sicher, ob das funktioniert hat“, gab sie jetzt zu.

„Wie war es denn? Ihn wiederzusehen, meine ich.“ Kim lächelte sie mitfühlend an.

„Er sieht immer noch gut aus.“ Sehr gut sogar. „Es ist nett von ihm, alles stehen und liegen zu lassen, um seiner Familie zu helfen.“

Kim nickte gedankenverloren. „Ich liebe meinen Bruder, aber ich glaube, bei ihm passiert gerade irgendetwas. Beruflich, meine ich. Es hat schon einige Familienkrisen gegeben – Gott weiß, ich war selbst mal eine. Im Teenageralter eine ledige Mutter zu werden, ist nun wahrlich ein Stoff, aus dem Krisen gemacht werden, und kurz nachdem er zur Polizei-Akademie gegangen ist, wurde Mom bei einem Verkehrsunfall getötet. Das soll nicht heißen, dass er kein Familienmensch ist, aber er hat noch nie einfach alles stehen und liegen lassen, um für uns da zu sein.“

„Hat er denn etwas gesagt?“

„Nein. Aber er wirkt irgendwie nervös, angespannt, und anders als sonst. Ich weiß auch nicht. Vielleicht sehe ich auch nur Gespenster.“

„Vielleicht solltest du mal mit ihm darüber reden.“ Sie selbst hatte kein Recht, sich in sein Leben einzumischen, und es ärgerte sie, dass sie sich immer noch um ihn sorgte. „Bring ihn dazu, sich zu öffnen.“

„Du weißt besser als jede andere, dass mein Bruder über so etwas nicht redet. Im Moment ist es erst einmal das Wichtigste, dass Dad wieder auf die Beine kommt. Solange Will ihn vertritt, kann Dad sich voll und ganz auf seine Gesundheit konzentrieren.“

„Das stimmt.“ Doch Aprils Leben wäre wesentlich einfacher, wenn der Sheriff nicht nur seinem Sohn vertrauen würde. Natürlich war Will ein guter Polizist und kannte Blackwater Lake wie seine Westentasche. Es gab keinen Zweifel daran, dass er sich gut um die Stadt kümmern würde. „Ich wünschte nur, ich wüsste, wie ich die nächsten drei Monate überstehen soll.“

Nachdenklich klopfte Kim mit einem Fingernagel gegen ihr Weinglas. „Das klingt so, als wärst du immer noch in ihn verliebt.“

„Nein. Das Ganze ist schon viele Jahre her“, widersprach ihr April nachdrücklich. „Das wäre mehr als dumm. Diesen Fehler begehe ich bestimmt kein zweites Mal.“

„Hmm.“ Ihre Freundin sah sie intensiv an. „Wo Rauch ist, ist auch Feuer.“

„Ein Klischee von Blackwater Lake Highs beliebtester Englischlehrerin?“

„Klischees enthalten immer viel Wahrheit. Das Wiedersehen mit Will hat bei dir starke Gefühle ausgelöst, und das lässt vermuten, dass er dir noch immer viel bedeutet.“ Sie leerte ihr Glas. „Also Rauch und Feuer.“

„Ich kann dir versichern, dass das, was ich für Will empfinde, keine Liebe ist. Ich hatte nach ihm auch noch andere Beziehungen.“

„Aber du sorgst stets dafür, dass sie nie funktionieren. Du findest immer einen Grund, um nicht den nächsten Schritt wagen zu müssen. Sobald ein Mann auch nur andeutet, dass er es ernst meint, gibst du ihm den Laufpass.“

April zuckte mit den Schultern. „Na und? Ich will eben etwas Besonderes. Und man muss eine Menge Frösche küssen …“

„Das mag sein.“ Doch Kim klang nicht überzeugt. „Oder du musst endlich mit dem ersten Frosch abschließen. Vielleicht hast du Will ja gar nicht richtig hinter dir gelassen, nachdem er davongehopst ist.“

„Einen besseren Abschluss, als ihn mit einer anderen Frau zu erwischen, kann es ja wohl kaum geben.“ Aber vorhin hatte er ausgesehen, als täte es ihm wirklich leid.

„Warum hast du mich dann angerufen? Wo ist das Problem?“

„Das Problem ist, dass ich ihn lieber hassen würde“, gab April zu. „Das würde vieles erleichtern. Hass ist eindeutig. Mit Hass kann ich umgehen. Aber er war nett.“

„Keine Sorge, das treibe ich ihm wieder aus“, erwiderte Kim spöttisch.

„Du weißt, was ich meine.“

„Ja, aber ich glaube immer noch, dass du noch nicht mit ihm fertig bist.“

April seufzte. „Wenn ich es jetzt nicht bin, dann werde ich es nie sein.“

„Vielleicht gibt es ja einen Weg.“

„Welchen?“

„Verführe ihn“, schlug Kim vor.

„Was? Bist du verrückt geworden?“

„Im besten Sinne. Das sagt wenigstens mein Verlobter.“

„Hast du mir gerade tatsächlich geraten, deinen Bruder zu verführen, um mit ihm abschließen zu können?“

„Ja, und danach lässt du ihn sitzen.“

April setzte sich auf. „Wie soll mir das denn bitte schön helfen?“

„Eure letzte Trennung war situationsbedingt und einseitig. Dieses Mal machst du es richtig. Flirte mit ihm, schlaf mit ihm, und wenn er Wachs in deinen Händen ist, sag ihm, dass Jean Luc, dein Skilehrer-Lover, jeden Tag hier auftauchen kann und du eure Affäre deshalb beenden musst.“

„Abgesehen davon, dass es keinen Jean Luc gibt, glaube ich nicht, dass ich das kann.“

„Kapierst du es denn nicht?“ Kim war von ihrer Idee vollkommen begeistert. „Endlich kannst du dich an ihm rächen.“

April schüttelte den Kopf. „So bin ich aber nicht.“

„Das weiß ich doch. Deshalb liebe ich dich und deshalb sind wir schon immer beste Freundinnen gewesen. Aber glaube mir, du musst die Situation endlich unter Kontrolle bekommen.“

„Aber er ist dein Bruder“, protestierte April.

„Du hast meine Erlaubnis.“

„Verführung ist aber nicht gerade meine Stärke.“

„Ich habe das Gefühl, dass es nicht sehr schwierig werden wird. Du brauchst deine Rache, und ihm wird es auch guttun.“

„Aber er hat Miss Nackt-unter-seinem-Hemd geheiratet“, beharrte April, „und jetzt sind sie geschieden.“ Dass sie das nicht bedauerte, war doch verständlich, oder nicht?

Kim zog eine Grimasse. „Ich habe die Frau nie gemocht.“

„Trotzdem wäre es unehrlich.“

„Wieso? Wenn du mit ihm flirtest und er darauf eingeht, ist er doch selber schuld.“

„Du findest das Ganze nicht schäbig und hinterhältig? Mit ihm zu flirten, nur um ihn dann sitzen zu lassen?“

„Du machst dir einfach zu viele Gedanken.“ Kim seufzte. „Locke ihn ins Bett, und danach schickst du ihn weg. Nach dem Sommer zieht er doch sowieso wieder nach Chicago. Ihr beide hattet Spaß miteinander, und das war’s auch schon. Vertrau mir, es wird alles gut werden.“

Berühmte letzte Worte.

Aber vieles von dem, was ihre Freundin gesagt hatte, klang durchaus vernünftig. Wenn er nichts mehr für sie empfand, würde es auch keinen Sex geben, und das wäre der Beweis, dass aus ihnen beiden ohnehin nichts geworden wäre. Sie brauchte nur nett zu ihm zu sein und abzuwarten, was passierte.

Sie umarmte Kim. „Genau deshalb musste ich mit dir reden.“

„Ich helfe doch gern.“

„Das hast du wirklich“, sagte April.

Und jetzt hatte sie endlich einen Plan.

April zog den Hühnchenauflauf aus dem Ofen und schaute lächelnd auf das Blubbern am Rand der perfekt gebräunten Nudeln. Die knusprigen Teile mochte sie am liebsten.

„Okay“, sagte sie zu sich selbst. „Operation Weck den Bären hat offiziell begonnen.“

Höchste Zeit, ihre Flirtkünste anzuwenden. Vorausgesetzt, sie hatte je welche besessen. Aber sie durfte es nicht zu offensichtlich angehen. Zu ihm zu gehen und Hey, Mr. Sexy Pants, besuche mich doch mal zu sagen, wäre viel zu aufdringlich.

Als sie zu hyperventilieren begann, wurde ihr klar, dass sie sich zusammenreißen musste. Vor weniger als vierundzwanzig Stunden hatte Kim ihr die Idee präsentiert. Sie würde sich Zeit lassen und nichts tun, was nicht zu ihr passte.

„Okay. Auf geht’s.“ Sie deckte den Auflauf ab, stellte ihn in einen Wärmebehälter und ging damit auf die Terrasse. Ein gepflasterter Weg führte zwischen den Häusern hindurch. Lächelnd dachte sie daran, dass ihre Mutter ihn angelegt hatte, weil Will und sie einst schon einen Trampelpfad in den Rasen gelaufen hatten.

Es war eine Ewigkeit her, aber noch immer löste der Gedanke daran Wehmut in ihr aus. Sie vermisste ihre Mutter auch jetzt noch und würde es vermutlich immer tun. Will wiederzusehen hatte viele Erinnerungen in ihr geweckt … manche waren schön, die meisten aber leider nicht.

Seufzend ging sie die drei Stufen zur Hintertür der Fletchers hinauf und klopfte.

Sekunden später stand Will vor ihr. „April. Hi.“

„Hallo. Ich habe einen Auflauf für deinen Dad gemacht. Das habe ich mir angewöhnt, seit er aus dem Krankenhaus zurück ist. Ich wollte etwas für ihn tun, also habe ich ihm einfach etwas zu essen gebracht. Etwas Gesundes, mit wenig Fett und Vollkornnudeln.“ Sie presste die Lippen zusammen.

Sie war hier, um mit Will zu flirten, also blinzelte sie ihn an.

„Das ist sehr nett von dir.“ Er nahm ihr den Behälter ab, dann runzelte er die Stirn. „Stimmt mit deinen Augen etwas nicht?“

„Oh. Nein. Ich meine …“ Sie blinzelte heftiger. „Ich glaube, mir ist etwas hineingeraten, aber jetzt geht es wieder.“

„Gut.“

Flirten war doch nicht so einfach, es war eher peinlich und unehrlich. „Okay. Wir sehen uns dann.“

„Komm doch herein.“ Mit der Schulter schob er die Tür weiter auf. „Es sei denn, du hast schon etwas anderes vor.“

„Nein.“ Jean Luc war heute Abend beschäftigt, also hatte sie Zeit zum Flirten.

Sie betrat das Haus, das ihr so vertraut war wie ihr eigenes. Die Tür führte ins Wohnzimmer, das mit einer Leder-Sitzgruppe und einem Fernseher an der Wand ausgestattet war. Hinter einer Theke aus Granit lag die Küche mit der großen Kochinsel, Armaturen aus Edelstahl und reichlich Eichenschränken.

April sah sich um. „Es ist so still hier. Wo sind denn alle?“

„Kim ist mit Luke unterwegs.“ Er stellte den Auflauf ab und schaute sie an. Sein Gesichtsausdruck verriet ihr, was er dachte – dass seine Schwester und ihr Verlobter viel zu selten ausgingen und lieber zu Hause blieben, um Sex zu haben.

Aprils Puls beschleunigte sich noch mehr. „Was ist mit deinem Dad und Tim?“

„Die sind im Kino.“

„Okay.“ Das Haus war also leer. Theoretisch war das ideal. „Na ja, jetzt hast du etwas zu essen. Lass es dir schmecken.“

Er warf ihr einen fragenden Blick zu. „Hast du schon gegessen?“

„Nein.“

„Was gibt es denn bei dir?“

„Oh, nur ein Tiefkühlgericht.“

Will lehnte sich gegen die Theke und verschränkte die Arme vor der Brust. Die maßgeschneiderte Sheriffsuniform betonte seine athletische Figur. „Du hast also Zeit und Mühe in einen Auflauf investiert und willst selbst etwas essen, das erst noch wiederbelebt werden muss?“

„Ja, das tue ich dauernd.“ Warum hatte sie das nur gesagt? Wie oft sie allein aß, ging ihn schließlich nichts an. Als Nächstes würde er bestimmt fragen, wie viele Katzen sie hatte.

„Heute Abend nicht“, verkündete Will. „Du bleibst und isst etwas von dem, was du selbst zubereitet hast.“

Laut Plan musste sie jetzt unentschlossen wirken. Sie durfte auf keinen Fall zu schnell nachgeben. Das Problem war nur, dass die Vorstellung, mit ihm zu Abend zu essen, einfach zu verlockend war.

„Ich weiß nicht …“

„Hast du den Auflauf etwa vergiftet?“

„Natürlich nicht. Seid ihr Detectives aus Chicago immer so misstrauisch?“

Autor

Teresa Southwick
<p>Teresa Southwick hat mehr als 40 Liebesromane geschrieben. Wie beliebt ihre Bücher sind, lässt sich an der Liste ihrer Auszeichnungen ablesen. So war sie z.B. zwei Mal für den Romantic Times Reviewer’s Choice Award nominiert, bevor sie ihn 2006 mit ihrem Titel „In Good Company“ gewann. 2003 war die Autorin...
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