Nur ein bisschen verheiratet?

– oder –

 

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"Wir sind noch verheiratet?" Schockiert hört Rose, dass ein bürokratischer Fehler ihre Scheidung von Lincoln ungültig gemacht hat. Zwar verspricht ihr Ex, der sie damals verließ, sich darum zu kümmern. Aber zugleich macht er ihr ein unfassbar verführerisches Angebot …


  • Erscheinungstag 21.12.2020
  • Bandnummer 9
  • ISBN / Artikelnummer 9783751504317
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

1. KAPITEL

„Rose, ich weiß, das wird ein Schock für dich sein, aber wir sind nicht geschieden.“

Verstohlen sah sich Lincoln Hart nach spitzen, schweren oder scharfen Gegenständen um, mit denen man Augen ausstechen, Schädel einschlagen oder andere wichtige Körperteile verstümmeln konnte. Zu seiner Erleichterung konnte er aber nichts Derartiges in ihrer Nähe entdecken.

Er richtete den Blick nun wieder auf die Frau, die er seit zehn Jahren nicht mehr gesehen hatte. Ihm wurde bewusst, dass Rose Tucker sogar noch schöner geworden war, und schon damals hatte ihr Anblick ihm jedes Mal den Atem verschlagen. Er war so verliebt in sie gewesen, dass jede Trennung von ihr fast schon körperlich geschmerzt hatte.

Rose … sogar ihr Name klang wunderschön. Sie war inzwischen eleganter als die junge Frau, die er damals verlassen hatte – und auch deutlich feindseliger, woraus er ihr allerdings keinen Vorwurf machen konnte.

Nach der Info von gerade eben hasste sie ihn bestimmt sogar noch mehr als vor zehn Jahren, und damals hatte sie ihn schon sehr gehasst.

„Was? Noch nicht mal ein kurzes Hallo?“, fügte er betont nonchalant hinzu und beobachtete, wie ihre Feindseligkeit erst Verwirrung, dann Überraschung und schließlich Misstrauen wich. „Ich dachte, ich komme lieber gleich zur Sache, um zu vermeiden, dass du mir die Tür vor der Nase zuschlägst, ohne zu wissen, was überhaupt los ist.“

„Du willst also behaupten, dass wir noch immer verheiratet sind? Ich glaube dir kein Wort! Was für ein Spielchen spielst du hier und was zum Teufel hast du davon, so zu tun, als seien wir noch verheiratet?“

„Das ist kein Scherz. Das Ganze ist für mich genauso ein Schock gewesen wie für dich, glaub mir.“

Als sie eine Hand auf die Stirn legte, als sei ihr schwindlig, hielt Linc sie rasch am Oberarm fest, um sie zu stützen. „Wollen wir uns nicht lieber setzen?“

Anscheinend riss seine Berührung sie prompt aus ihrer Benommenheit, denn sie entzog ihm ihren Arm sofort. Halb rechnete er damit, dass sie ihn ohrfeigen würde, was er ihr ebenfalls nicht verübeln könnte, denn dieses ganze Chaos war von vorne bis hinten seine eigene Schuld. Positiv daran war eigentlich nur eins: dass seine Familie bis heute nichts von seiner kurzen Spontanehe wusste.

Seine Brüder Sam und Cal würden ihn nämlich erbarmungslos damit aufziehen, und Katherine und Hastings Hart, seine Mutter und ihr Mann, und auch seine jüngere Schwester Ellie würden schrecklich enttäuscht sein. Aber nichts davon spielte gerade eine Rolle. Er und Rose mussten ein Problem lösen. Eines, für das er verantwortlich war.

„Wir sollten uns vielleicht wirklich hinsetzen …“

„Spiel hier nicht den Fürsorglichen, Linc. Wir wissen schließlich beide, dass du ein Arsch bist.“

„Was ich getan habe, war schlimm, aber trotzdem kann ich doch ganz nett sein.“ Er war kein komplettes Arschloch, nur eben nicht der Mann, den sie damals zu heiraten geglaubt hatte.

Sie standen jetzt in ihrer Wohnung über ihrem kleinen Inneneinrichtungsladen, der sich in einem alten Ziegelsteingebäude in einer Seitenstraße von Prosper, Texas befand. Dass der Raum überhaupt Charme hatte, lag nur an Rose’ Talent. Die Wände waren bis auf eine olivgrüne Wand im Wohnbereich, der von der Küche durch ein kleines Sofa abgetrennt wurde, in einem hellen Goldton gestrichen. Bilder, Deko-Gegenstände, Lampen und Kissen setzten farbige Akzente. Die Atmosphäre war warm und gemütlich. Rose’ Geschmack gefiel ihm.

„Du hast doch bestimmt irgendwelche Fragen“, meinte er.

„Seit wann weißt du schon, dass wir nicht geschieden sind?“ Sie strich sich das lange Haar hinter das Ohr.

„Mein damaliger Anwalt ist kürzlich verstorben, sodass ich einen neuen engagieren musste. Er hat mich gebeten, meine Unterlagen und Dokumente durchzusehen. Dabei habe ich eine Heiratserlaubnis gefunden, aber keinen Scheidungserlass. Nach ein paar Recherchen hat der neue Anwalt herausgefunden, dass die Unterlagen nie bei Gericht eingereicht worden sind.“

„Und wie konnte das passieren?“

Ihre offensichtliche Verwirrung war Linc sehr unangenehm, zumal er ihr damals versichert hatte, sich um alles zu kümmern. „Ich habe anscheinend einen zweitklassigen Anwalt engagiert und das bekommen, wofür ich bezahlt habe – eine halbe Scheidung.“

„Warum, Linc? Deine Familie besitzt Millionen, und Hart Industries hat eine ganze Armee hervorragender Anwälte. Es ergibt doch keinen Sinn, dass du dir selbst jemanden gesucht hast, schon gar nicht jemand so Inkompetenten. So etwas ist bei den Harts garantiert nicht üblich.“

Das war typisch Rose, sofort zum Kern des Problems zu kommen. Er redete zwar nicht gern darüber, aber sie hatte das Recht, es zu erfahren. „Weil ich kein Hart bin.“

„Wie bitte? Du bist nicht was?“

„Hastings Hart ist nicht mein Vater.“

„Ausgeschlossen“, sagte sie kopfschüttelnd.

„Es ist aber die Wahrheit. Hastings und Katherine haben es mir selbst bestätigt. Ich habe es allerdings erst kurz nach unserer Hochzeit erfahren.“

„Wie?“

„Mein leiblicher Vater hat mich aufgesucht. Er hat mir gestanden, eine … Affäre mit meiner Mutter gehabt zu haben.“

„Du hast mir doch erzählt, dass deine Eltern glücklich verheiratet sind“, protestierte Rose.

„Das haben sie auch immer behauptet. Aber wie sich herausgestellt hat, hatten sie mal eine Krise. Meine älteren Brüder sind vom Alter her nur neun Monate auseinander. Meine Mutter hatte mit ihnen alle Hände voll zu tun, und Hastings war ständig unterwegs oder im Büro, um Hart Industries aufzubauen.“

„Also hatte sie eine Affäre mit einem anderen Mann?“

„Hastings und meine Mutter lebten damals getrennt und wollten sich scheiden lassen, also war es streng genommen keine Affäre.“

„Du hast nie etwas davon gewusst? Hattest du gar keinen Verdacht?“ Sie klang mehr als skeptisch.

„Nein. Sie haben ihre Probleme offenbar geklärt, und Hart hat ihr versprochen, mir seinen Namen zu geben. Sie fanden, dass es deshalb keinen Grund gab, es mir zu sagen.“

„Und dein leiblicher Vater war damit einverstanden?“

„Er wollte damals Partner in einer ultrakonservativen Anwaltskanzlei werden, die auf Scheidungen spezialisiert ist. Mit einer Mandantin zu schlafen und sie dann zu schwängern, hätte seine Karriere ruinieren können, also war er ebenfalls damit einverstanden, es zu vertuschen.“

„Warum hat er dann all die Jahre später mit dir Kontakt aufgenommen?“

„Anscheinend hatte er eine Midlife-Crisis. Er hat außer mir nie Kinder bekommen.“ Lincoln wartete darauf, dass seine plötzlich aufflammende Wut abebbte, damit er weiterhin so tun konnte, als habe er sich längst mit der hässlichen Wahrheit ausgesöhnt. „Wahrscheinlich hat ihn die Vorstellung gestört, dass später niemand seinen Namen tragen wird.“

„Dann weißt du den Grund also gar nicht?“

„Unser Gespräch war nur kurz, und ich wusste damals noch nicht, ob er überhaupt die Wahrheit sagt.“ Wie sich hinterher allerdings herausgestellt hat, war der Typ offenbar der Einzige, der nicht gelogen hatte.

„Seitdem hast du nie mehr mit deinem Vater gesprochen?“

„Nein.“ Der Mann hatte schließlich sein Leben ruiniert. „Der narzisstische Idiot hat keinen Gedanken daran verschwendet, welche Auswirkungen seine Enthüllung auf mich haben würde.“

„Oh Gott, Linc …“ Ihr Schock und ihr Groll verwandelten sich nun in Mitleid, was allerdings auch nicht viel besser war. „Das muss dich schwer getroffen haben.“

„Sagen wir mal so … herauszufinden, dass deine Eltern dich angelogen haben, was den Weihnachtsmann angeht, ist kein Vergleich damit, erfahren zu müssen, dass dein Vater in Wirklichkeit gar nicht dein Vater ist.“ Linc hatte damals deshalb gar nicht mehr gewusst, wer er war. Außerdem hatte er nur eins gewollt: Rose schützen, auch vor sich selbst.

Die Erinnerung war jetzt wieder so lebendig, als sei es erst gestern passiert. Sie hatte den Sommer über einen Aushilfsjob in der Immobilienabteilung von Hart Industries gehabt, die Linc geleitet hatte. Sie hatten sich Hals über Kopf ineinander verliebt und waren letztlich nach Las Vegas durchgebrannt, um zu heiraten. Es war die schönste und glücklichste Zeit seines Lebens gewesen … bis alles den Bach runtergegangen war.

Er schüttelte den Kopf. „Du hast damals gedacht, einen Hart zu heiraten, aber ich bin bekanntlich keiner.“

Verdutzt sah sie ihn an. „Glaubst du etwa, das war mir wichtig?“

Die Erinnerungen an damals riefen plötzlich wieder Gefühle in ihr wach, die noch fast genauso intensiv waren wie vor zehn Jahren. Er hörte erneut die Verzweiflung in ihrer Stimme, als sie ihn gefragt hatte, warum er ging und ob sie etwas falsch gemacht hatte. „Mir schon.“

„Also hast du dich einfach von mir getrennt und dir für die Scheidung einen zweitklassigen Anwalt besorgt.“

„Ich fand, ich hätte nicht das Recht, einen Firmenanwalt zu nehmen, da ich ja nicht wirklich ein Teil der Familie bin, und um noch eins draufzusetzen, habe ich mich danach von allen distanziert.“

Er war damals mit dem Rucksack quer durch Europa gereist, obwohl er sich in Wirklichkeit eher von Land zu Land gesoffen hatte. „Erst nach zwei Jahren bin ich wieder zurückgekehrt.“ Er hatte nie vergessen, dass er ein Bastard war, der sein Können erst noch unter Beweis stellen musste.

„Und dein Vater? Der leibliche, meine ich?“

„Was soll mit ihm sein?“

„Wie ist er so?“

„Gute Frage. Wie ich schon gesagt habe, ich habe keinen Kontakt zu ihm. Wenn es dir nichts ausmacht, will ich aber nicht mehr über ihn reden. Ich habe ihn nur erwähnt, damit du die Zusammenhänge verstehst.“

„Glaub ja nicht, dass ich dir so einfach verzeihe!“

Ihre Worte versetzten ihm einen schmerzhaften Stich. „Keine Sorge. Ich dachte nur, du solltest Bescheid wissen.“

„Ich hätte es wahrscheinlich bald selbst herausgefunden.“

„Wieso?“

„Weil ich mit jemandem zusammen bin, und es allmählich ernst wird.“ Rose wandte sich ab und ging zum Sofa hinüber, wo sie geistesabwesend die Kissen neu arrangierte. „Er lässt in letzter Zeit öfter Andeutungen fallen, dass er mich heiraten will.“

Linc spürte so etwas wie Eifersucht in sich aufsteigen, auch wenn er absolut nicht das Recht dazu hatte. „Es wäre bestimmt sehr unangenehm geworden, die Hochzeitserlaubnis zu beantragen und dann herauszufinden, dass du noch immer verheiratet bist.“

„Findest du?“

Er glaubte, eine Spur Trotz aus ihrer Stimme herauszuhören, und riskierte deshalb eine Vermutung: „Du hast ihm nie erzählt, dass du mal verheiratet warst, oder?“

„Wir waren ungefähr eine Viertelstunde lang verheiratet.“ Ihre Augen bekamen nun einen grauen Schimmer, so wie immer, wenn sie wütend war … ganz genauso wie vor zehn Jahren. „Das Ganze ist eine Ewigkeit her. Es erschien mir nicht wichtig.“

„Du hast dich nie erkundigt, ob die Scheidung wirklich rechtskräftig ist?“

„Du doch genauso wenig!“

„Das stimmt, aber ich werde das in Ordnung bringen. Mason, mein neuer Anwalt, wird dir die Unterlagen zur Unterschrift zuschicken, dann haben wir es hinter uns.“

Zumindest den Papierkram. Was seine Gefühle anging, sah die Sache schon wesentlich komplizierter aus. Komplizierter als gedacht.

„Okay.“ Misstrauisch sah sie ihn an. „Woher wusstest du eigentlich, wo ich jetzt wohne?“

„Na wie schon? Aus dem Internet.“

Dort hatte er auch herausgefunden, was sie in den letzten zehn Jahre so gemacht hatte. Zuerst war sie aufs College gegangen, dann hatte sie fünf Jahre bei einem renommierten Inneneinrichter in Dallas gearbeitet und sich vor anderthalb Jahren selbstständig gemacht. Bisher allerdings nur mit mäßigem Erfolg. Denn würde ihre Firma laufen, wäre sie jetzt in Dallas und nicht fünfunddreißig Meilen weiter weg, wo Büro- und Wohnraum günstiger waren.

Sie machte anscheinend alles allein und musste daher auch keine Gehälter bezahlen. In ihrem Laden im Erdgeschoss waren ein paar Bodenbeläge, Vorhänge, Rollos und Farbmuster ausgestellt, doch mit dem Angebot größerer Firmen konnte sie bei Weitem nicht Schritt halten, trotz ihres guten Rufs. Wenn es so weiterging, würde sie den Laden bestimmt schließen müssen … es sei denn, jemand gab ihr eine Chance.

„Hör mal, Rose, ich bin noch aus einem anderen Grund hergekommen.“

„Was für ein Grund soll das sein? Reicht es etwa nicht, dass wir nicht rechtsgültig geschieden sind?“

„Es ist etwas Positives, glaub mir.“

„Was? Du bittest mich allen Ernstes, dir zu glauben? Mich auf dich einzulassen, war der größte Fehler meines Lebens!“

„Okay.“ Er beschloss, sich nicht anmerken zu lassen, wie tief ihn ihre Bemerkung traf. „Ich weiß, dass du keinen Grund hast, mir zu vertrauen, aber vielleicht ändert sich das ja, denn ich will dir einen Auftrag anbieten.“

„Was für einen Auftrag?“

„Inneneinrichtung.“ Er rückte ein Stück näher. „Meine Wohnung in Blackwater Lake, Montana.“

„Warum sollte ich das Angebot annehmen?“

„Weil die Stadt schon bald in den Fokus der Reichen und Berühmten rücken wird, wenn das neue Hotel-, Wohn- und Ladenprojekt eröffnet wird. Das Hotel steht kurz vor der Fertigstellung und muss auch noch eingerichtet werden. Ich kenne zufällig den Bauherren. Wenn du bis dahin meine Wohnung präsentieren kannst, hast du bestimmt gute Chancen. Ich werde auch ein gutes Wort für dich einlegen. Was sagst du dazu?“

„Ich will vor allem wissen, welche Hintergedanken du dabei hast.“

„Gar keine.“ Außer, dass er etwas wiedergutmachen wollte, indem er ihr ein bisschen unter die Arme griff.

„Ich brauche aber keine Almosen.“

„Das sind keine Almosen, ganz im Gegenteil. Ich bitte dich um einen Gefallen.“ Er schob die Hände in die Hosentaschen. „Auch wenn ich natürlich keinen verdient habe. Denk bitte trotzdem darüber nach.“

„Warum machst du das?“

„Weil du offensichtlich gut in deinem Job bist.“ Er zog eine Visitenkarte aus seiner Brieftasche und legte sie auf den Sofatisch. „Ruf mich einfach in ein paar Tagen an und sag mir, wie du dich entschieden hast. Solltest du vorhaben, dich gar nicht zu melden, werde ich dich wieder kontaktieren.“

Rose nickte widerstrebend.

Linc zögerte, denn das Gespräch war anders verlaufen, als er gedacht hatte. Eigentlich hatte er gar nicht beabsichtigt, Rose einen Job anzubieten, aber irgendwie hatte das Wiedersehen mit ihr alles verändert, und sollte sie seinen Vorschlag tatsächlich akzeptieren, würde sie gemeinsam mit ihm nach Blackwater Lake zurückkehren – eine Vorstellung, die ziemlich verlockend war … ganz abgesehen von der Chance, bei ihr etwas wiedergutmachen zu können.

Im Grunde genommen war er also nichts weiter als ein selbstsüchtiger Bastard – genau wie sein Vater.

„Was meinst du damit, du bist verheiratet? Wieso weiß ich nichts davon? Vor allem – warum war ich nicht zur Hochzeit eingeladen?“

Rose saß mit ihrer besten Freundin Vicki Jeffers auf dem Sofa. Sie konnte einfach nicht aufhören zu zittern, seit Linc fort war. Sein plötzliches Auftauchen kam ihr immer noch so surreal vor, dass sie irgendwie unter Schock stand und das dringende Bedürfnis verspürte, mit jemandem über all das zu reden. Also hatte sie ihre Freundin angerufen und sie angefleht zu kommen. Dabei hatte sie anscheinend so aufgelöst gewirkt, dass Vicki sogar ein Date für sie abgebrochen hatte.

„Ich bin nicht wirklich verheiratet, aber eben auch nicht ganz geschieden.“ Sie trank einen Schluck von dem Wein, den Vicki mitgebracht hatte. Es war ein teurer Cabernet – einer, den Rose sich nicht leisten könnte. Mit ihrer vor anderthalb Jahren gegründeten Firma konnte sie sich gerade so eben über Wasser halten.

„Dann bist du also schon seit zehn Jahren verheiratet?“

„Faktisch nicht.“

„Das sehe ich aber anders. Wenn du nicht geschieden bist, dann bist du noch verheiratet.“

„Die Ehe war nach etwa einer Nanosekunde vorbei, also war es keine echte Ehe.“

„Es mag sich vielleicht nicht so anfühlen, aber faktisch warst du all die Jahre seine Frau.“ Vicki zog die Beine auf das Sofa. „Fang doch bitte noch mal ganz von vorn mit der Geschichte an.“

Rose versuchte daraufhin, ihre Erinnerungen zu sortieren. „Es war im Sommer vor dem College. Ich hatte einen kleinen Job bei Hart Industries. Lincoln Hart war gerade mit seinem Wirtschaftsstudium fertig und fing ebenfalls in der Firma seines Vaters an.“

„Was ist dann passiert? Hat er dich angemacht? Seine Position dazu missbraucht, dich sexuell zu belästigen?“

„Wie kommst du denn auf so etwas?“

„Ich bin schließlich Anwältin.“

„Und zwar eine ganz schön zynische.“ Rose schüttelte den Kopf. „Nein, er war der perfekte Gentleman. Wir haben uns einfach nur Hals über Kopf ineinander verliebt und geheiratet.“

„Warum hast du es nie für nötig gehalten, mir davon zu erzählen? Ich dachte, wir vertrauen einander all unsere Geheimnisse an.“

„Linc hat irgendwann urplötzlich mit mir Schuss gemacht und gesagt, dass er sich um die Scheidung kümmern wird und sein Anwalt mich kontaktieren wird, falls er etwas brauchen sollte. Da sich nie jemand gemeldet hat, ging ich davon aus, dass alles erledigt ist.“

„Du hast dich nie gewundert, dass du nichts unterschreiben musstest?“

„Ich hatte doch keine Ahnung von Scheidungen.“

Ehrlich gesagt, hatte sie damals versucht, alles zu verdrängen, was damit zusammenhing. Sie war sehr verletzt gewesen und hatte schrecklich unter Lincs Verlust gelitten. Die plötzliche Trennung war so ein Schock für sie gewesen, dass sie danach vollkommen verstört gewesen war. Inzwischen wusste sie zwar mehr, verstand Lincs Beweggründe aber trotzdem immer noch nicht. Sie hätte damals alles für Lincoln Hart getan … oder wie auch immer er jetzt hieß. „Ich war doch praktisch noch ein Kind.“

„Du warst aber offenbar nicht zu jung, um zu heiraten.“

„Er hat mein Herz im Sturm erobert, wie man so schön sagt. Ich konnte einfach nicht Nein sagen und er …“

„Was?“, fragte Vicki stirnrunzelnd. „Was hat er getan?“

„Nicht, was du anscheinend glaubst. Er war unglaublich lieb und verständnisvoll.“ Ganz zu schweigen von sexy und gut aussehend und absolut unwiderstehlich. Sexy und gut aussehend war er leider immer noch, aber widerstehen konnte sie ihm inzwischen mühelos. „Ich war zu dieser Zeit noch Jungfrau.“

Vicki verschluckte sich fast an ihrem Wein. „Wie bitte? Wie ist denn das möglich?“

„Du tust ja fast so, als sei ich ein Freak gewesen. Ich war damals erst achtzehn.“

„Aber bis über beide Ohren verliebt“, rief Vicki ihr ins Gedächtnis. „Du hast gerade selbst gesagt, dass du nicht Nein sagen konntest.“

„Zur Ehe. Meine Mom hat mir stets eingebläut, dass Männer die Kuh kaufen müssen, wenn sie die Milch umsonst haben wollen. Weil sie sonst nämlich einfach zur nächsten Kuh weiterziehen. Als mein Vater damals weiterzog, hatte sie leider schon ein Baby von ihm.“ Rose zeigte auf sich selbst. „Meine Wenigkeit.“

„Ach.“

„Deshalb wollte sie auf keinen Fall, dass mir so etwas ebenfalls passiert, und hat mich ständig ermahnt, erst mit einem Mann zu schlafen, wenn ich einen Ring am Finger trage. Aus diesem Grund war ich natürlich überglücklich, als mein Traummann mich heiraten wollte. Wie hätte ich da Nein sagen können?“

„Dann hat er dich also nur geheiratet, um …“, Vicki tippte sich nachdenklich auf die Lippen, „… dir deine Unschuld rauben zu können?“

„Zumindest habe ich das zehn Jahre lang angenommen.“

Rose konnte sich noch genau an Lincs Worte erinnern, bevor er sie verlassen hatte. Er hatte ihr gesagt, dass er nicht mit ihr zusammenbleiben konnte, weil er nicht in ihrer Liga spielte. Damals hatte sie geglaubt, dass er damit auf ihre relative Mittellosigkeit und seinen Reichtum angespielt hatte, aber inzwischen wusste sie, dass er sich selbst damit gemeint hatte. Weil sein Vater nicht derjenige gewesen war, für den er ihn gehalten hatte. „Er hatte damals eine Identitätskrise.“

Vicki verdrehte genervt die Augen. „Na klar doch. Es muss ja auch schrecklich belastend sein, ein Hart zu sein und all die Milliarden unter sich und seinen Geschwistern aufteilen zu müssen.“

„Genau darum geht es ja. Damals hat er erfahren, dass er genetisch gar kein Hart ist. Er hat mir nur nichts davon gesagt.“

Vicki zuckte mit den Achseln. „Na und? Wie war’s denn?“ Sie leerte ihren Wein. „Ihn wiederzusehen, meine ich.“

„Irgendwie surreal. Er hat sich überhaupt nicht verändert, abgesehen davon natürlich, dass er zehn Jahre älter geworden ist. Aber das steht ihm gut.“

Was Rose total unfair fand, denn wäre er dick, glatzköpfig und langweilig, würde sie jetzt wenigstens über ihren damaligen Liebeskummer lachen können, aber so?

Seine Augen waren immer noch faszinierend dunkelblau, und groß, schlank und breitschultrig, wie er war, hatte er nach wie vor eine so animalische Anziehungskraft auf sie, dass sie kaum wusste, was sie zu ihm gesagt hatte. „Wie alle Männer sieht dieser Idiot mit den Jahren immer besser aus. Alles wäre viel einfacher, wenn er wie ein Troll aussehen würde.“

„Wie unverschämt von ihm.“ Vicki veränderte ihre Sitzposition. „Hat es denn zwischen euch wieder gefunkt?“

Nur, wenn Wut auch dazuzählte. Aber vielleicht ließ eine so explosive Chemie ja nie ganz nach. So schwer es ihr auch gefallen war, über Linc hinwegzukommen – es war ihr irgendwann gelungen, die Lücke zu füllen, die er in ihrem Leben hinterlassen hatte. Schon möglich, dass stattdessen Wut an seine Stelle getreten war. „Nein. Keine Funken mehr.“

„Er hat dich also persönlich aufgesucht, um dir mitzuteilen, dass ihr nie geschieden worden seid.“ Vicki legte nachdenklich den Kopf schief. „Ist dir eigentlich klar, dass ihr bald euren zehnten Hochzeitstag habt?“

„Da wir niemals zusammengelebt haben, werden wir vermutlich keine Geschenke austauschen“, frotzelte Rose. Anscheinend erholte sie sich allmählich wieder von ihrem Schock.

„Was man sich wohl nach zehn Jahren Ehe schenkt?“

„Eine Scheidung hoffentlich.“ Jetzt wurde sie auch noch sarkastisch. Anscheinend war sie wirklich auf dem richtigen Weg.

Vicki schüttelte verwirrt den Kopf. Es fiel ihr immer noch schwer, die ganze Situation zu erfassen. „Ich verstehe einfach nicht, warum du mir nie etwas davon erzählt hast.“

„Hast du etwa noch nie etwas so Demütigendes und Erniedrigendes getan, dass niemand davon wissen sollte?“

Vicki grinste. „Na klar. Wenn auch nicht etwas so Spektakuläres. Außerdem kennst du all meine demütigenden und erniedrigenden Eskapaden, während du das hier die ganze Zeit für dich behalten hast.“

„Tut mir leid.“

„Oh nein, sieh mich nicht so unschuldig aus deinen großen, blauen Kulleraugen an! Dir tut es doch nur leid, erwischt worden zu sein. So, und nun verrat mir endlich, warum ich erst jetzt davon erfahre.“

„Ich habe es wohl einfach verdrängt. Ich ging danach aufs College und habe versucht, alle Altlasten hinter mir zu lassen.“

Sie hatte außerdem gehofft, dass der Schmerz nachlassen würde, wenn sie nicht mehr darüber sprach, aber das war ein Irrtum gewesen. Nur die Zeit hatte ihre Wunden heilen können. „Du und ich haben uns zwar auf Anhieb gut verstanden, aber wir kannten uns damals ja noch nicht so gut, und je länger ich nichts erzählt habe, desto weniger wusste ich, wie ich das Thema zur Sprache bringen sollte. Außerdem dachte ich, ich sei längst geschieden, sodass sowieso nie jemand davon zu erfahren bräuchte.“

„Tja, nur gut, dass du jetzt informiert bist. Sonst hättest du eine Riesenüberraschung erlebt, wenn du mit Chandler die Heiratserlaubnis beantragt hättest.“

„Das hat Linc auch gesagt.“

„Also weiß er, dass du ihm nicht hinterhertrauerst? Richtig so.“

Hätte Rose ihn nie wiedergesehen, könnte sie das vielleicht bejahen, aber als sie Linc die Tür geöffnet hatte, waren sofort Erinnerungen an jene kurze und wunderschöne Zeit in ihr aufgestiegen … eine Zeit, in der sie geglaubt hatte, dass all ihre Träume sich erfüllt hatten … mitsamt all den damaligen Gefühlen. Hatte sie ihm vielleicht doch hinterhergetrauert, ohne dass es ihr bewusst gewesen war?

Autor

Teresa Southwick
<p>Teresa Southwick hat mehr als 40 Liebesromane geschrieben. Wie beliebt ihre Bücher sind, lässt sich an der Liste ihrer Auszeichnungen ablesen. So war sie z.B. zwei Mal für den Romantic Times Reviewer’s Choice Award nominiert, bevor sie ihn 2006 mit ihrem Titel „In Good Company“ gewann. 2003 war die Autorin...
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