Romana Exklusiv Band 344

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IBIZA – INSEL MEINER TRÄUME von BRYONY TAYLOR
Endlich der Richtige! Als Edie auf Ibiza den faszinierenden Journalisten Neill Bennett trifft, scheint das Glück in ihr Leben zurückzukehren. Aber nach einer Nacht in seinen Armen macht sie eine erschütternde Entdeckung. Hat er sie bloß aus kühler Berechnung verführt?

WIE WIDERSTEHT MAN EINEM GRIECHEN? von REBECCA WINTERS
Seine Frau ist schwanger – mit Zwillingen! Doch das Warten hatte seinen Preis: Obwohl Leandros ihre Liebe nie aufgegeben hat, reicht Kellie die Scheidung ein. Kann der Milliardär sie auf seiner Trauminsel überzeugen, dass er eine zweite Chance verdient?

LIEBE, RACHE, HEISSE NÄCHTE von JENNIE LUCAS
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  • Erscheinungstag 14.01.2022
  • Bandnummer 334
  • ISBN / Artikelnummer 9783751510738
  • Seitenanzahl 384
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Bryony Taylor, Rebecca Winters, Jennie Lucas

ROMANA EXKLUSIV BAND 344

1. KAPITEL

„Hast du gesehen, wie die mich in dem Beitrag gestern in der Sendung dargestellt haben?“ Edie Barton verzog das Gesicht zu einer schmollenden Miene. Mit einer Hand strich sie sich eine Strähne ihres langen, honigblonden Haares aus dem Gesicht, die sich aus ihrem lockeren Zopf gelöst hatte. „Warum können die mich nicht endlich in Ruhe lassen? Warum nicht, Lilly? Kannst du mir das erklären?“

Seufzend hob ihre Freundin und Arbeitskollegin die Hand, streckte zwei Finger in die Luft und orderte damit eine weitere Runde Shots, die der Barkeeper des Beachclubs sogleich vor ihnen auf der Theke abstellte.

Es war bereits ihr vierter Drink, und Edie, die sich normalerweise nicht viel aus Alkohol machte, spürte die Wirkung deutlich. Ihre Glieder fühlten sich seltsam ungelenk an und gehorchten ihr nur mit kurzer Verzögerung. Die Geräusche der Party um sie herum – das Wummern der Bässe und das Gelächter der Gäste an der Bar – verschmolzen zu einem Rauschen im Hintergrund. Sie wusste, sie sollte den Wodka, der vor ihr in einer Lache eines halb geschmolzenen Eiswürfels stand, lieber nicht trinken. Aber nach der erneuten Demütigung, die ihr am vergangenen Abend widerfahren war, beschloss sie, ausnahmsweise einmal sämtliche Bedenken über Bord zu werfen.

Wenn ohnehin alle Welt sie für ein naives, feiersüchtiges Dummerchen hielt, dann konnte sie dieses Klischee auch ebenso gut bedienen – und sei es auch nur für einen Abend.

Sie hob das Glas, setzte es an die Lippen und stürzte den Inhalt furchtlos hinunter. Der Wodka schmeckte grauenhaft, doch wenigstens wärmte er sie innerlich. Und wenn er ihr auch nicht dabei half, ihren Kummer zu vergessen, so nahm er ihm doch zumindest ein wenig von seiner Spitze.

„Hast du eigentlich mal wieder was von Hunter gehört?“, fragte Lilly und sprach damit einen weiteren wunden Punkt in Edies Leben an.

„Hör mir bloß mit dem auf“, entgegnete sie energisch. „In letzter Zeit ruft er mich ständig auf dem Handy an und schickt mir SMS!“

„Warum blockierst du Anrufe seiner Nummer nicht einfach? Oder ist er dir vielleicht doch nicht so egal, wie du immerzu behauptest?“

„Spinnst du?“ Edie schüttelte den Kopf. Ihre Freundin und sie kannten sich nun schon eine geraume Weile – Lilly hatte miterlebt, wie schwer es Edie nach der Sache mit Hunter gefallen war, wieder auf die Beine zu kommen. Wie ausgerechnet sie so etwas fragen konnte, war ihr schleierhaft. „Der Mistkerl kann mir ein für alle Mal gestohlen bleiben!“

„Ach, tatsächlich?“ Ihre Freundin hob eine Braue. „Und warum trägst du dann immer noch deinen Verlobungsring?“

Das war wirklich eine gute Frage. Edie betrachtete ihre Hand, an deren Ringfinger ein schlichter silberfarbener Reif mit einem einzelnen Stein steckte, als habe sie sie noch nie gesehen.

Ja, warum trug sie den Ring eigentlich noch? Hunter hatte sich schon vor mehr als fünf Monaten aus dem Staub gemacht. Bei Nacht und Nebel war er getürmt und hatte sie im Stich gelassen. Es gab nun wirklich keinen Grund für sie, das Zeichen seiner angeblichen Liebe noch länger am Finger zu haben.

Demonstrativ zog sie den Ring ab und holte ihr Portemonnaie aus der Handtasche. Es war ein scheußliches altes Ding aus schwarzem Leder, das über die Jahre speckig und unansehnlich geworden war. Das Kleingeldfach wurde durch eine goldene Klemme geschlossen gehalten, an deren beiden Enden jeweils eine schimmernde Perle saß.

Hunter war in schallendes Gelächter ausgebrochen, als er es zum ersten Mal sah, und hatte sie gefragt, ob sie das Ding ihrer Großmutter geklaut habe. Tatsächlich handelte es sich um ein Geschenk ihrer Gran – und vermutlich fiel es Edie auch deshalb so schwer, sich davon zu trennen. Alle anderen verräterischen Spuren ihrer beklagenswerten Vergangenheit hatte sie nämlich bereits abgelegt gehabt, als sie Hunter zum ersten Mal begegnet war.

Sie schob die Erinnerungen beiseite, öffnete das Kleingeldfach und ließ den Verlobungsring hineinfallen. „So“, verkündete sie. „Das wäre erledigt.“

Ihre Freundin kicherte. „Sagen wir mal, es ist ein erster Schritt in die richtige Richtung.“

Natürlich wusste Edie selbst, dass es damit allein noch längst nicht getan war. Allerdings bezweifelte sie, dass sie wirklich über ihren Ex und dessen Verrat hinwegkommen würde, solange diese unselige Auswanderershow noch alle zwei Wochen über den Bildschirm flimmerte.

Sich für Up and away! zu bewerben war ihr zunächst wie eine gute Idee erschienen, als Hunter es vor etwas mehr als einem Jahr vorschlug. In der TV-Sendung wurden Auswanderer mit der Kamera begleitet, ohne dass das Fernsehteam ins Geschehen selbst eingriff. Hunter und Edie hatten sich kurz zuvor entschlossen, gemeinsam nach Ibiza zu gehen, um dort ihr eigenes kleines Café zu eröffnen. Doch das Geld von Edies Sparbuch reichte bei Weitem nicht für ein angemessenes Startkapital aus. Sie mussten nicht nur die Miete und die Renovierung ihres Lokals einkalkulieren, sondern auch eine längere Phase, in denen die Einnahmen nicht ausreichen würden, um ihren Lebensunterhalt zu bestreiten.

Die Gage, die man ihnen bei Up and away! anbot, erschien Edie damals wie ein Wink des Schicksals. Damit würde es ihnen sicher gelingen, auch den Rest der Finanzierung zu stemmen.

So weit kein schlechter Plan. Dummerweise war sich Edie nicht wirklich darüber im Klaren gewesen, auf was sie sich damit einließ.

„Ich verstehe immer noch nicht, warum diese Idioten vom Fernsehen dich unbedingt als kleines Dummchen hinstellen wollen.“

Traurig zuckte Edie mit den Achseln. „Weil es Quoten bringt. Nüchtern betrachtet kann ich das schon verstehen. Die Zuschauer lieben solche Geschichten.“ Sie seufzte. „Aber warum musste es unbedingt mich treffen?“

Von Anfang an war bei ihrem Projekt Auswanderung alles schiefgelaufen, was nur schieflaufen konnte. Das Café, das sie nur aus dem Internet kannten, stellte sich als absolute Bruchbude heraus, und dann machte Hunter beim Beantragen von behördlichen Genehmigungen auch noch einen folgenschweren Fehler. Die Renovierung geriet ins Stocken, die Eröffnung musste immer wieder verschoben werden, bis ihnen schließlich das Geld ausging – alles gnadenlos von der Kamera eingefangen.

Und als sie ganz unten angekommen waren, machte Hunter sich davon. Ohne eine Erklärung, ohne ein Wort des Abschieds. Edie war einfach eines Morgens allein in ihrem gemeinsamen Bett aufgewacht, nur um festzustellen, dass Hunter mit all seinen Sachen aus ihrem Leben verschwunden war.

Damals hatte sie geglaubt, dass es nicht mehr schlimmer kommen konnte. Ein Irrtum, wie sich bald darauf herausstellte. Denn etwa einen Monat später wurde die erste Folge von Up and away! ausgestrahlt, und die Katastrophe nahm ihren Lauf.

Edie war entsetzt gewesen darüber, wie sie in der Sendung rüberkam. Alles war so zusammengeschnitten worden, dass sie wie ein naives Blondchen wirkte, das sich, ohne zu überlegen, ins Abenteuer gestürzt hatte. Während Hunter in der Show als der sympathische Sonnyboy dargestellt wurde, wurde sie selbst der Lächerlichkeit preisgegeben. Aussagen, die sie gemacht hatte, waren vollkommen aus dem Zusammenhang gerissen worden. Und am Ende sah es so aus, als sei sie für das Scheitern ihrer gemeinsamen Auswanderung verantwortlich.

Was definitiv nicht der Fall war.

Leider interessierte das jedoch niemanden.

Lilly wollte eine weitere Runde Wodka bestellen, doch Edie winkte ab.

„Lass mal“, sagte sie. „Ich muss morgen früh raus. Mein Termin bei der Stadtverwaltung, du weißt schon. Mit Glück bekomme ich vielleicht doch die Genehmigung, das Café zu eröffnen.“ Sie seufzte. „Allerdings bringt mir das nicht viel, solange ich nicht genug Geld für die restliche Einrichtung zusammengekratzt habe.“

Tröstend legte Lilly ihr eine Hand auf die Schulter. „Das wird schon. Du arbeitest so hart für deinen Traum – früher oder später wird sich das für dich auszahlen, davon bin ich überzeugt.“ Sie ballte die Hände zu Fäusten. „Und wenn es erst so weit ist, wird Hunter es noch bereuen, dich sitzen gelassen zu haben.“

Edie nickte. Inzwischen war Hunter ihr herzlich egal. Soll er doch bleiben, wo der Pfeffer wächst, dachte sie verbittert. Alles, was sie jetzt noch für ihn empfand, war Wut und Enttäuschung. Sie hatte ihn geliebt – ein Gefühl, das offenbar nicht auf Gegenseitigkeit beruht hatte.

„Schau mal, die Blonde da an der Bar … Ist das nicht …?“

Edie unterdrückte ein Seufzen, als sie die tuschelnden Stimmen hinter sich vernahm. Sie blieb einfach sitzen, blickte sich nicht um und tat so, als hätte sie nichts gehört. Doch wie so oft half ihr das nicht. Im nächsten Moment stand ein schmieriger Typ mit einem breiten Grinsen neben ihr und versuchte, ihr einen Arm um die Schultern zu legen.

„Na, Baby, wie wär’s, wenn ich dir einen Drink ausgebe?“

Angewidert schüttelte Edie den aufdringlichen jungen Mann ab und stand auf. „Komm, lass uns gehen“, sagte sie zu Lilly, und ihre Freundin nickte.

„Jetzt stell dich doch nicht so an! Schließlich weiß alle Welt, dass du nichts anbrennen lässt!“, protestierte der Zurückgewiesene.

Edie wirbelte herum und funkelte ihn wütend an. „Selbst wenn das, was Sie sagen, wahr wäre, Mister“, entgegnete sie kühl und beherrscht – was sie selbst überraschte, weil ihr Herz wie verrückt hämmerte. „Einen wie Sie würde ich nicht mal dann in meiner Nähe dulden, wenn die Gattung Mann ansonsten nahezu ausgestorben wäre!“

Sie atmete tief durch und genoss einen kurzen Augenblick lang den überraschten Ausdruck im Gesicht des jungen Mannes. Dann wandte sie sich ab und verließ an Lillys Seite den Club. Draußen an der frischen Luft verflog ihr Enthusiasmus aber gleich wieder. Zurück blieb ein Gefühl grenzenloser Traurigkeit.

„Mach doch nicht so ein Gesicht, Süße“, sagte Lilly und hakte sich bei ihr unter. „Solche Typen gibt es überall. Und du bist sicher nicht die einzige attraktive junge Frau, die heute Nacht unter seinen albernen Anmachsprüchen leiden muss.“

Edie zwang ein Lächeln auf ihre Lippen. „Schon möglich“, entgegnete sie. „Das Problem ist nur, dass alle Welt genauso über mich denkt wie er.“

„Ganz so schlimm ist es nun auch wieder nicht.“ Lilly zwinkerte ihr aufmunternd zu. „Die Show wird schließlich nur in Großbritannien ausgestrahlt.“

„Na prima!“, gab Edie zurück, konnte ein leichtes Schmunzeln aber nicht unterdrücken. „Das bedeutet also, dass nur jeder zweite bis dritte Urlauber hier auf Ibiza zu wissen glaubt, dass ich den IQ einer Scheibe Toastbrot habe …“

Die beiden schauten einander an und mussten trotz der unschönen Situation lachen. Es war ein befreiendes Gefühl für Edie. Leider bot sich in letzter Zeit viel zu selten ein Anlass dazu. Ihr Leben war nicht unbedingt das, was man als unbeschwert bezeichnen konnte.

In keinerlei Hinsicht.

„Weißt du was?“, fragte Lilly plötzlich. „Ich finde, du solltest dir einen Reporter suchen, der bereit ist, der Öffentlichkeit deine Sicht der Dinge zu vermitteln.“

Edie runzelte die Stirn. Sie hatte die Presse bisher immer als ihren Feind betrachtet. Dass sie vielleicht auch ihren Nutzen aus ihr ziehen konnte, darauf war sie noch nie gekommen.

„Aber warum sollte sich irgendjemand für das interessieren, was ich zu sagen habe?“ Sie winkte ab. „Die Leute lieben es viel zu sehr, sich über mich lustig zu machen.“

„Schon möglich“, entgegnete Lilly. „Aber du könntest es wenigstens versuchen. Nicht alle Journalisten interessieren sich nur für Einschaltquoten und Auflagen. Es soll auch solche geben, die einfach nur die Wahrheit ans Licht bringen wollen.“

Kurz dachte Edie darüber nach, dann nickte sie. „Das ist vielleicht gar keine so schlechte Idee. Und selbst wenn es nichts bringt – was habe ich schon zu verlieren?“

Lilly und sie setzten sich in Bewegung. Trotz der frühen Morgenstunden tummelten sich auf der Strandpromenade nicht wenige Menschen, und einige Straßenhändler versuchten – zumeist vergeblich –, den Passanten ihre völlig überteuerten Artikel anzudrehen.

Edie wusste selbst nicht, warum ihr der Mann auffiel, der, einen Becher in der Hand, in abgerissenen Lumpen neben dem Eingang eines Clubs saß. Er hielt den Kopf gesenkt, sodass sie sein Gesicht nicht sehen konnte, aber es war offensichtlich, dass es ihm schlecht ging.

Immer, wenn sie Menschen in solchen Situationen sah, wurde ihr bewusst, wie vergleichsweise gut es ihr doch ging. Und dann schämte sie sich dafür, dass sie sich immerzu über ihr Schicksal beklagte. Schließlich hatte sie wenigstens noch ein Dach über dem Kopf, zwei Jobs, mit denen sie sich mehr schlecht als recht über Wasser hielt, und genug zu essen.

„Warte mal einen Moment“, bat sie Lilly. Rasch zückte sie ihr Portemonnaie, klaubte sämtliches Kleingeld zusammen und ging zu dem Mann hinüber. Kurz darauf landeten die Münzen klimpernd in seinem Becher.

Offenbar hatte er nicht damit gerechnet, so reichlich von ihr bedacht zu werden, denn er blickte überrascht auf. Dabei fiel ihr auf, dass er trotz der Dunkelheit eine Sonnenbrille trug.

„Danke“, sagte er – und zwar auf Englisch, was ebenso wie sein heller Teint dafür sprach, dass sie keinen gebürtigen Spanier vor sich hatte.

Ein weiterer Auswanderer, der es nicht geschafft hatte …

Edie schenkte ihm ein Lächeln. „Gern geschehen“, sagte sie, wandte sich ab und ging zu ihrer Freundin zurück. „Ich wünsche Ihnen alles Gute.“

Leise lachend schüttelte Lilly den Kopf. „Du bist viel zu weichherzig, weißt du das?“

„Genau deshalb magst du mich so“, entgegnete Edie vorlaut. Dann gingen sie weiter, zurück zu dem kleinen Apartment über einem supermercado, in dem sie zusammen wohnten.

Als Edie etwas später im Bett lag und zur Decke hinaufstarrte, hatte sie das seltsame Gefühl, einen Fehler gemacht zu haben, konnte sich aber nicht erklären, woher es rührte.

Nun, dachte sie und gestattete sich ein leises Seufzen, es wäre ja nicht das erste Mal …

2. KAPITEL

Zwei Tage später.

Das Büro des Mannes, mit dem Edie über ihr Anliegen sprechen wollte, befand sich laut ihrer Internetrecherche im westlichen Teil von Dalt Vila, der von trutzigen Mauern umgebenen Altstadt von Ibiza-Stadt.

Hier, wo die Mieten zurzeit noch einigermaßen bezahlbar waren, herrschte oftmals das Flair von spanischem Dorfleben: Wäsche flatterte an Leinen, die zwischen den Häusern gespannt waren, Kinder tobten lärmend in den schmalen Gassen, während ältere Männer im Schatten beieinandersaßen und Schach spielten. Aus den weit geöffneten Fenstern drangen die Geräusche des Lebens: Stimmen, Gelächter, Musik.

Edie fand es bedauerlich, dass Dalt Vila sich mehr und mehr zu einem Pflaster für die besser Betuchten entwickelte, doch so war nun einmal der Lauf der Dinge. Und es gab nun wirklich Wichtigeres, um das sie sich kümmern musste. Seit dem Abend im Club hatte sie immer wieder über die Worte ihrer Freundin nachgedacht. Und war zu dem Schluss gekommen, dass sie wirklich versuchen sollte, ein paar Dinge richtigzustellen. Genau deshalb befand sie sich nun auf dem Weg zu einem Reporter, von dem sie sich erhoffte, dass er ihr helfen konnte.

Einen Versuch war es jedenfalls wert. Im besten Fall würde dieser Reporter ihre Seite der Geschichte an die Öffentlichkeit bringen, und ihr Leben würde sich wieder normalisieren. Im schlimmsten Fall passierte einfach überhaupt nichts.

Sie hatte nichts zu verlieren.

Als sie vor einem Jahr nach Ibiza kam, war sie noch voller Hoffnungen und Träume gewesen. Auf dem Papier waren ihre und Hunters Pläne für das Café gut gewesen, in der Realität aber …

Seufzend fuhr sie sich mit einer Hand durchs Haar. Es gab noch einen zweiten Grund, warum ihr der Abend mit Lilly in Erinnerung geblieben war. Am nächsten Morgen hatte sie nämlich feststellen müssen, dass sich ihr Verlobungsring nicht mehr im Kleingeldfach ihrer Geldbörse befand. Zunächst hatte sie an einen Diebstahl gedacht. Doch dann war ihr langsam klar geworden, dass sie vermutlich selbst für den Verlust des Rings verantwortlich war.

Sie musste ihn zusammen mit den Münzen in den Becher des Obdachlosen geworfen haben.

Typisch …

Seit sie nach Ibiza gekommen war, schien ihre Pechsträhne einfach nicht mehr abzureißen. Alles, was sie anfasste, ging schief. Heute stand sie allein mit einem gerade einmal halbfertigen Café da, alle Welt hielt sie für ein hirnloses Modepüppchen, und nicht zuletzt hatte sie zwei Nebenjobs annehmen müssen, um selbst über die Runden zu kommen und darüber hinaus noch das Material für die restliche Renovierung bezahlen zu können. Manchmal fragte sie sich, warum sie sich nicht dazu durchringen konnte, den einfachen Weg einzuschlagen. Den Weg, den ihr die Anwälte des Hotelmagnaten Malcolm Jackson aufgezeigt hatten …

Eigentlich sollte sie froh sein, dass er ihr einen Ausweg aus ihrer Misere bot. Dennoch – unverrichteter Dinge nach Hause zurückkehren konnte sie auf keinen Fall. Ihre Eltern hatten ihr mehr als deutlich zu verstehen gegeben, wie sehr sie ihr Verhalten missbilligten. Die Genugtuung, auf ganzer Linie versagt zu haben, wollte sie ihnen nicht bieten. Auf gar keinen Fall!

Edie erreichte das Haus, in dem der Reporter ihren Recherchen zufolge arbeitete. Es handelte sich um eines der typischen alten Gebäude von Dalt Vila, mit einer wuchtigen, mit Schnitzereien versehenen Holztür und mehreren, von schmiedeeisernen Balustraden umgebenen Balkonen. Es war hübsch, wirkte aber im Vergleich zu den umstehenden Häusern etwas heruntergekommen. Das überraschte Edie ein wenig. Denn Neill Bennett, der Journalist, den sie aufsuchen wollte, hatte einmal einen sehr guten Ruf genossen und sogar eine eigene Fernsehsendung gehabt. Sie wusste nicht, was seine kometengleiche Karriere zu einem abrupten Stillstand gebracht hatte – aber wenn er in einem Haus wie diesem lebte, konnte es um seinen beruflichen Erfolg nicht mehr besonders gut bestellt sein.

Was vermutlich auch gut so war – denn sonst hätte sie wohl kaum eine Gelegenheit gehabt, mit ihm in Kontakt zu treten. Und vielleicht witterte er, wenn er ihre Geschichte erst einmal gehört hatte, auch seine Chance, wieder ins Rampenlicht zurückzukehren.

Ihre Geschichte: Die ganze Wahrheit über Edie Barton. Das musste doch einfach funktionieren!

Noch einmal atmete sie tief durch, dann trat sie durch die Eingangstür des Gebäudes. Bennetts Büro befand sich im dritten Stock. Sie war ein wenig außer Atem, als sie den entsprechenden Treppenabsatz erreichte, und ihr Herz klopfte heftig. Letzteres lag aber vermutlich weniger an mangelnder Kondition als vielmehr an der Tatsache, dass sie unangekündigt vor Bennetts Tür auftauchte und keine Ahnung hatte, wie er auf diesen Überfall reagieren würde.

Doch jetzt war es zu spät, um noch irgendetwas an ihrer Strategie zu ändern. Auf diese Weise konnte der Reporter sie zumindest nicht gleich abweisen, ohne sie angehört zu haben.

Sie nahm all ihren Mut zusammen, hob eine Hand und klopfte an seine Tür. Sekunden, die ihr wie kleine Ewigkeiten vorkamen, verstrichen. Nichts rührte sich, und Edies Magen zog sich zu einer schmerzhaften Kugel zusammen. Sie hätte doch anrufen und sich ankündigen sollen!

Was nun? Wie würde es aussehen, wenn sie hier im Treppenhaus herumstand und auf ihn wartete? Vielleicht war das alles doch einfach nur eine dumme Idee. Vielleicht sollte sie besser …

Mit einem leisen Knarren öffnete sich die Tür, und Edies Gedanken verstummten abrupt. Der Mann, der sie durch den Türspalt hindurch mürrisch musterte, sah ungemein gut aus. Dunkles Haar umrahmte ein kantiges Gesicht in dichten Wellen. Er hatte hohe Wangenknochen und einen ausdrucksvollen Mund. Doch es waren seine Augen, die Edie in ihren Bann zogen.

So grün wie frisch gemähtes Gras …

Im wirklichen Leben hatte sie noch nie einen Menschen mit solchen Augen gesehen. In Romanen wurden sie öfter auf diese oder ähnliche Weise beschrieben, doch Edie hatte nicht geglaubt, dass so etwas tatsächlich existierte.

Dieser Mann belehrte sie eines Besseren.

Doch der Blick, mit dem er sie bedachte, war alles andere als freundlich. „Ja?“, knurrte er. „Was wollen Sie?“

Edie zwang sich, die seltsame Starre abzuschütteln, die sie befallen hatte. Was war bloß mit ihr los? Reiß dich zusammen! Du bist nicht hergekommen, um im Anblick von Neill Bennetts Augen zu schwelgen. Es geht hier um deine Zukunft, vergiss das nicht!

Doch das war leichter gesagt als getan. Angestrengt räusperte sie sich, unsicher, ob ihre Stimme ihr gehorchen würde. „Neill Bennett?“

Er nickte. „Der bin ich. Und?“

„Ich … ich würde gern mit Ihnen über eine Story sprechen, die Sie vielleicht interessieren könnte.“

Einen Herzschlag lang reagierte er nicht und schaute sie einfach nur an. Sein Blick schien direkt durch sie hindurchzugehen. So als könnte er bis auf den Grund ihrer Seele schauen. Dann runzelte er argwöhnisch die Stirn. „Für gewöhnlich ruft man vorher an und vereinbart einen Termin. Es ist ziemlich dreist von Ihnen, einfach so hier hereinzuschneien, finden Sie nicht?“

Irgendwie schaffte sie es, ein Lächeln auf ihre Lippen zu zaubern. Ein Teil von ihr wollte sich am liebsten umdrehen und die Flucht ergreifen. Doch für sie ging es um zu viel, um jetzt einen Rückzieher zu machen.

Sie straffte die Schultern. „Ich weiß, das war nicht ganz die feine englische Art, aber … Nun, offen gestanden fürchtete ich, dass Sie mich vielleicht einfach abweisen würden.“

Höhnisch hob er eine Braue. „Das kann ich immer noch“, entgegnete er brüsk. „Und genau das werde ich jetzt auch tun. Ich habe meine Zeit nicht gestohlen. Einen schönen Tag noch.“

Er machte Anstalten, ihr die Tür vor der Nase zuzuschlagen, doch im letzten Moment schaffte Edie es, ihren Fuß dazwischen zu stellen. Sie wusste selbst nicht, woher sie die Courage dazu nahm. Normalerweise war sie eher schüchtern und zurückhaltend. Doch all die Monate, in denen sie gedemütigt, ausgelacht und verspottet worden war, hatten ihre Spuren hinterlassen.

Sie war verzweifelt – und längst über den Punkt hinaus, an dem sie noch davor zurückgeschreckt wäre, sich so in den Vordergrund zu spielen. Es war zu wichtig, dass dieser Mann sie anhörte. Zu wichtig, dass irgendjemand sie anhörte.

„Bitte“, stieß sie hervor. Das Herz klopfte ihr bis zum Hals, und ihre Knie zitterten leicht. Sie konnte nur hoffen, dass er es nicht bemerkte. „Schenken Sie mir wenigstens ein paar Minuten Ihrer Zeit. Ich verspreche Ihnen, dass Sie es nicht bereuen werden.“

Bennett zögerte kurz, trat dann aber zur Seite und ließ sie eintreten. „Ach, was soll’s?“

Sie unterdrückte mühsam ein erleichtertes Aufatmen und folgte ihm ins Innere des Büros – oder vielmehr der Wohnung, denn es war ganz offensichtlich, dass er hier lebte. In der Ecke gleich unter dem Fenster stand ein schmales Bett, daneben ein Kleiderschrank und gegenüber ein Schreibtisch, der mit Papieren und Stiften übersät war.

Offenbar ging es ihm beruflich noch sehr viel schlechter, als sie angenommen hatte, wenn er so wohnte und arbeitete. Doch warum wunderte sie das? Kaum jemand wusste besser als sie, wie schnelllebig und erbarmungslos die modernen Medien waren. Das galt für einen TV-Reporter vermutlich ebenso wie für eine naive Auswanderin, die für ein paar Euro ihre Seele verkauft hatte …

„Was ist?“, fragte er und bedachte sie mit einem scharfen Blick. „Ich erfülle wohl nicht ganz Ihre Erwartungen, wie?“

Hastig schüttelte Edie den Kopf. Sie hatte nicht starren wollen und fühlte sich nun wie ertappt. „Nein, nein, ich …“ Wie immer, wenn sie nervös wurde, fing sie an zu stammeln. Kein Wunder, dass alle Welt sie für dumm hielt! Verärgert über sich selbst rief sie sich innerlich zur Ordnung. „Darf ich mich vielleicht irgendwo hinsetzen?“

Schweigend befreite er einen Stuhl von den darauf liegenden Kleidungsstücken und warf diese achtlos aufs Bett. „Bitte sehr, fühlen Sie sich ganz wie zu Hause.“

Edie ignorierte die Spitze, die in seinen Worten lag, und setzte sich, während Bennett selbst sich auf den Rand seines Schreibtischs hockte. Das hatte zur Folge, dass sie zu ihm aufblicken musste, was ihr das Gefühl gab, noch kleiner und unbedeutender zu sein, als sie sich ohnehin schon fühlte.

War es vielleicht doch ein Fehler gewesen hierherzukommen? Konnte ein Mann in seiner Situation überhaupt von Nutzen sein? Ein abgehalfterter ehemaliger Journalist, dessen Stern am Medienhimmel längst untergegangen war?

Sie wusste es nicht – aber da sie nun einmal hier war, konnte sie es auch ebenso gut versuchen. Was hatte sie schon zu verlieren?

Tief atmete sie durch. „Vielleicht sollte ich mich zunächst einmal vorstellen“, begann sie. „Mein Name ist Edie Barton und …“

„Ach, jetzt weiß ich, woher Sie mir so bekannt vorkommen!“, unterbrach er sie. „Ihr Gesicht ist in letzter Zeit häufig in irgendwelchen zwielichtigen Boulevardsendungen im TV zu sehen …“ Seine abfällige Miene machte klar, was er von diesen Fernsehauftritten hielt. „Sie haben bei dieser albernen Auswanderershow mitgemacht, richtig?“

Edie zuckte zusammen. Nicht, dass sie nicht längst an diese Art von Reaktion gewöhnt war. Beinahe ständig begegneten ihr Blicke voller Spott und Häme. Das bedeutete jedoch nicht, dass sie sich jemals damit abfinden würde.

Mit Mühe schluckte sie den bissigen Kommentar hinunter, der ihr auf der Zunge lag, und nickte. „Bei Up and away!“, erwiderte sie. „Ja – und genau darum geht es auch. Ich weiß nicht, ob Sie sich die Show in letzter Zeit einmal angesehen haben …“

Angewidert verzog er das Gesicht. „Da muss ich passen. Ich frage mich schon lange, wer sich solche Sendungen überhaupt anschaut. Das ist doch billigste Fernsehunterhaltung!“

„Ich … Nun, damit mögen Sie durchaus recht haben. Ich kannte die Sendung auch nicht, bevor mein Fr… mein Exfreund vorschlug, dass wir uns mit der Gage unseren großen Traum finanzieren könnten, nach Ibiza auszuwandern und hier ein Café zu eröffnen. Meine Ersparnisse allein reichten hierfür nicht aus, und da Hunter selbst keine Rücklagen besaß …“

Bennett hob eine Braue. „Würden Sie wohl bitte zum Punkt kommen?“, unterbrach er sie brüsk. „Ihre Zeit läuft.“

Ein wenig irritiert blinzelte Edie, protestierte aber nicht. Sie hatte ihn um ein paar Minuten gebeten. Es war nur fair, dass er nun auch darauf pochte. Und mehr als das brauchte sie eigentlich auch nicht, um ihm zu verstehen zu geben, was sie von ihm wollte.

Was sie sich von ihm erhoffte.

„Es geht darum, dass ich in der Show vollkommen falsch dargestellt werde“, kam sie also direkt zum Punkt. „Man hat mir das Image des blonden Dummchens verpasst, während mein Expartner wie der große Macher erscheint.“

Sie biss sich auf die Unterlippe und wartete gespannt auf seine Reaktion. Doch die fiel anders aus, als sie erwartet hatte.

„Was Sie nicht sagen.“ Er lachte leise. „Und das stört Sie nun, wie?“

Edie runzelte die Stirn und nickte. „Allerdings!“

„Nun, wenn das so ist …“ Gleichmütig zuckte er mit den Achseln. „Dann kann ich dazu nur sagen, dass Sie sich das vielleicht ein klein wenig früher hätten überlegen sollen.“

„Na hören Sie mal, wie hätte ich denn …?“

„Geschenkt.“ Er winkte ab. „Vielmehr frage ich mich ohnehin, was Sie jetzt von mir erwarten. Ich kann die Meinung, die sich die Zuschauer über Sie gebildet haben, auch nicht ändern. Ich bin Reporter, kein Zauberer.“

Die Art und Weise, wie er mit ihr redete, machte Edie klar, dass er sich auch schon längst seine Meinung über sie gebildet hatte – und diese war alles andere als positiv. Sie zwang sich, ruhig zu bleiben. Es half niemandem, wenn sie jetzt die Nerven verlor.

„Aber wenn Sie vielleicht einen Bericht über mich …“

Mit einer harschen Handbewegung brachte er sie zum Schweigen. „Sparen Sie sich die Worte“, sagte er. „Ich kann und werde Ihnen nicht helfen. Glauben Sie mir, Menschen wie Sie sind mir im Laufe meiner Karriere schon oft begegnet. Sie wollten von den Vorzügen dieser TV-Show profitieren, haben aber die Schattenseiten nicht bedacht. Wenn ich es nett ausdrücken wollte, würde ich sagen, das ist Pech. Und wenn Sie schlau sind, werden Sie Ihre Lehre daraus ziehen und einen solchen Fehler nicht noch einmal begehen. Aber helfen werde ich Ihnen ganz sicher nicht.“ Er stand auf, ging zur Tür und öffnete sie. „Wenn Sie mich nun entschuldigen würden …“

Edie schluckte. Sie hatte nicht unbedingt mit einer begeisterten Reaktion seinerseits gerechnet. Dass er sie aber schon nach weniger als fünf Minuten kurzerhand hinauskomplimentieren würde …

Wie betäubt erhob sie sich von ihrem Platz. Ihre Gedanken rasten wild durcheinander. Was sollte sie jetzt tun? Aufgeben? Vortäuschen, seine Abfuhr würde ihr nichts ausmachen?

Fast verfluchte sie Lilly ein wenig für ihre Idee. Hätte ihre Freundin sie doch bloß gar nicht erst darauf gebracht. Dann hätte sie auch nicht gestern und heute solche großen Hoffnungen in dieses Treffen gesteckt.

„Bitte, Mr. Bennett“, startete sie noch einen letzten Versuch, als er an ihr vorbei in Richtung Tür ging.

Sein Blick machte deutlich, dass es vollkommen egal war, was sie sagte. Sie würde sein Herz nicht erweichen können. Er hob lediglich eine Braue, sagte aber nichts. Kein Zweifel: Er hatte sich seine Meinung gebildet und würde nicht von dieser abweichen.

Geschlagen zuckte Edie mit den Schultern. „Nun, dann wird mir wohl nichts anderes übrig bleiben, als das Angebot anzunehmen, das mir Mr. Jackson gemacht hat.“

Sie wollte an ihm vorbei durch die Tür gehen, als er sich ihr plötzlich in den Weg stellte.

„Was haben Sie da gerade gesagt?“, hakte er nach.

Verdutzt schaute sie ihn an. In seinen Augen flackerte etwas, das sie nicht zu beschreiben vermochte. War es Zorn? Aber wenn, dann konnte er nicht ihr gelten. „Sie meinen, dass ich Mr. Jacksons Angebot annehmen werde?“

„Dieser Mr. Jackson – hat der auch einen Vornamen?“

„Malcolm, soweit ich weiß“, entgegnete Edie irritiert. „Warum interessiert Sie das?“

Mit einem Mal glitt ein Lächeln über seine Lippen. „Nun, ich würde sagen, heute ist Ihr Glückstag. Und soll ich Ihnen auch sagen, warum? Weil ich es mir gerade anders überlegt habe, Miss Barton. Ich denke, wir sollten uns unbedingt miteinander unterhalten …“

„Also, was hat es nun mit diesem Angebot auf sich, dass Malcolm Jackson Ihnen gemacht hat?“

Mit einer Mischung aus echtem Interesse und tiefer Abneigung musterte Neill die junge Frau, die vorhin so unerwartet vor seiner Tür aufgetaucht war. Nachdem sie seine Wohnung schon wieder hatte verlassen wollen, saßen sie sich nun gegenüber. Und das hatte einen Grund: Malcolm Jackson.

Die Erwähnung dieses Namens war genug gewesen, um Neills Aufmerksamkeit zu fesseln. Allein der Gedanke an den millionenschweren Hotelier, der in diesem Moment vermutlich in seinem villenartigen Prachtbau saß und Champagner schlürfte, reichte, um heiße Wut in Neill hochkochen zu lassen. Es kostete ihn einiges an Selbstbeherrschung, seine Gefühle zu verbergen. Aber genau das musste er, vor allem vor dieser fremden Frau, die ihn mehr an jemanden aus seiner Vergangenheit erinnerte, als ihm lieb sein konnte.

Suzie …

Hastig verscheuchte er die Erinnerungen, die in ihm aufzusteigen drohten, drängte sie in den finsteren Winkel seines Inneren zurück, aus dem sie hervorgekrochen waren. Er hatte schon so lange nicht mehr an damals gedacht und beabsichtigte auch nicht, ausgerechnet jetzt wieder damit anzufangen. Dieses Kapitel gehörte der Vergangenheit an, und er hatte sich vor langer Zeit dazu entschlossen, nur noch nach vorne zu blicken. Es war die Zukunft, die zählte. Und vielleicht konnte die Frau vor ihm dazu beitragen, sein Leben wieder in Ordnung zu bringen.

Edie. Was für ein seltsamer Name für eine Frau.

Er betrachtete sie näher. In ihren Augen spiegelte sich Verwirrung wider, als sie ihn anschaute. Vermutlich hatte sie erwartet, dass er ihr Fragen bezüglich dieser Fernsehshow stellen würde, an der sie teilgenommen hatte. Als ob ihn diese lächerliche Story wirklich interessierte. Es ging hier nicht um sie oder darum, ihren Ruf wiederherzustellen. Aber sie konnte ja nicht wissen, welche Beweggründe ihn tatsächlich antrieben – und das war auch besser so.

Er atmete tief durch und löste den Blick von den Augen seiner Besucherin. Seiner ungeheuer attraktiven Besucherin, wie er zugeben musste.

Es wunderte ihn nicht besonders, dass die Leute vom Fernsehen sich begierig auf sie gestürzt hatten. Sie war eine der Frauen, denen das wenig schmeichelnde Auge der Kamera nichts anhaben konnte – und davon gab es nicht allzu viele. Ihre Schönheit strahlte von innen heraus, obwohl sie sich offensichtlich alle Mühe gab, ihre Vorzüge noch zu unterstreichen: Ein tiefes Bordeauxrot hob die sanft geschwungenen Lippen hervor, der perfekte Teint wurde durch sorgfältig aufgetragenes Make-up noch optimiert. Schwarze Tusche ließ ihre langen dunklen Wimpern länger und dunkler erscheinen, und ein Hauch von Rouge betonte ihre hohen Wangenknochen.

Wieder verfing sich sein Blick in ihren Augen. Sie waren blau. Nein, nicht einfach nur blau. Sie besaßen die Farbe von Saphiren, klar und rein und funkelnd. Er schaute sie an und hatte das Gefühl, hineingesogen zu werden. Glaubte, die Kühle des Edelsteins auf seiner Haut zu spüren, ehe er sich mit einem energischen Blinzeln zurück auf den Boden der Tatsachen zwang.

Hatte er den Verstand verloren, sie so anzusehen? Es war verrückt, vollkommen verrückt! Vor allem, da er genau wusste, wer sie war. Als er vorhin behauptete, dass dem nicht so war, hatte er gelogen. Er hatte sie vorgestern schon einmal gesehen, als er in seiner Tarnung auf der Strandpromenade herumgelungert hatte. Da war sie ihm bereits bekannt vorgekommen, aber er hatte sie zunächst nicht einordnen können.

Doch spätestens in dem Moment, in dem sie ihm neben einem Schwung Kleingeld einen Ring in den Becher geworfen hatte, war seine Neugier geweckt gewesen. Kurz darauf war ihm eingefallen, woher ihr Gesicht ihm bekannt vorkam.

Frauen wie sie kannte er zur Genüge. Sie alle wollten nur eines: ins Rampenlicht, um daraus so viel Kapital wie möglich zu schlagen. Und dazu waren sie sich für nichts zu schade – das hatte er bitter am eigenen Leib erfahren müssen …

Leise vor sich hin knurrend scheuchte er den Gedanken beiseite. Er brauchte Edie Barton nur, um über sie an Malcolm Jackson heranzukommen. Alles andere interessierte ihn nicht – zumindest versuchte er, sich das einzureden.

Als sie vorhin vor seiner Tür gestanden hatte, war sein erster Gedanke gewesen, dass sie kam, um ihren Ring zurückzuverlangen. Gleich gestern früh hatte er einen befreundeten Juwelier aufgesucht und ihm das Schmuckstück gezeigt. Seine Überraschung war nicht gerade klein gewesen, als er erfuhr, dass es gut und gerne zwanzigtausend Euro wert war.

Ob sie ahnte, was für ein Vermögen sie da weggegeben hatte? Ob sie den Verlust überhaupt schon bemerkt hatte? Daran, dass sie ihm den Ring nur versehentlich in den Becher geworfen hatte, zweifelte er jedenfalls keine Sekunde.

Nun, zumindest schien seine Tarnung ihren Zweck zu erfüllen, denn ganz offensichtlich brachte sie ihn nicht mit dem Obdachlosen in Verbindung, den sie in der Nacht auf der Strandpromenade gesehen hatte. Und er sagte auch nichts, um die Situation aufzuklären. Noch nicht. Erst wollte er wissen, was es mit ihr und Malcolm Jackson auf sich hatte.

„Nun?“ Auffordernd hob er eine Braue. „Wollen Sie nur dasitzen und mich anschweigen, oder haben Sie vor, heute noch etwas zu sagen?“

Sie zuckte zusammen, so als hätte er sie geschlagen, und er ärgerte sich darüber. Was hatte er ihr getan, dass sie so schreckhaft war? Gut, er war vielleicht nicht unbedingt besonders freundlich zu ihr gewesen. Aber was hatte sie erwartet, nachdem sie unangemeldet bei ihm aufgetaucht war?

Vermutlich war es ihr nicht einmal in den Sinn gekommen, dass sie ungelegen kommen könnte. Das war typisch für Frauen wie sie – er musste nur an Suzie denken, um das zu wissen. Ihr war es auch immer nur um eine Person gegangen: um sich selbst.

Er runzelte missbilligend die Stirn. Diese Person kann froh sein, dass ich sie nicht gleich wieder vor die Tür gesetzt habe, dachte er aufgebracht – nur, um sich dann daran zu erinnern, dass er genau das ja beinahe getan hatte. Sie war nur noch hier, weil sie plötzlich angefangen hatte, von Malcolm Jackson zu reden.

Sie zuckte mit den Achseln. „Um ehrlich zu sein, ich weiß nicht, was Sie eigentlich von mir wollen. Ich kenne Malcolm Jackson im Grunde überhaupt nicht – zumindest nicht persönlich. Er hat mir mehrere Ablöseangebote für mein Café zukommen lassen. Ungemein großzügige Angebote, wie ich hinzufügen möchte, dafür, dass das Lokal im Augenblick nicht viel mehr ist als eine Baustelle.“

„Wissen Sie denn, was er damit vorhat?“ Fragend schaute Neill sie an. Er hatte Up and away! entgegen seiner Behauptung einige Male gesehen und erinnerte sich daran, dass sie zusammen mit ihrem Freund ein Café auf Ibiza hatte eröffnen wollen.

Aber warum Malcolm Jackson so an ihrem Café interessiert war, konnte er sich nicht erklären. Ein solches Verhalten passte eigentlich nicht zu ihm. Dass der Hotelier Edie Barton eine angemessene Summe angeboten hatte, deutete darauf hin, dass sein Interesse wirklich groß sein musste. Es entsprach viel mehr seinem Charakter, den Preis so weit wie möglich zu drücken.

Neill fragte sich, warum.

Es ging hier doch nur um ein unbedeutendes kleines Café. Und normalerweise waren es große Luxushotels und Ferienclubs, mit denen er sein Geld verdiente.

Doch das, was Edie als Nächstes sagte, ließ die Dinge in einem vollkommen neuen Licht dastehen.

„Wenn ich es richtig verstanden habe, will er das Gebäude, das ich gepachtet habe, kaufen und abreißen lassen, um dort ein neues Hotel zu errichten“, erwiderte sie.

Neill nickte langsam. Das passte. Langsam fügten die Puzzlestücke sich ineinander. Durch den bestehenden Pachtvertrag konnte Jackson das Gebäude nicht einfach so dem Erdboden gleichmachen. Natürlich stand es ihm frei, Edie einen gleichwertigen Ersatz anzubieten. Doch es verwunderte Neill nicht sonderlich, dass sich der Millionär dagegen entschieden hatte. Er bevorzugte es, nur handverlesene Geschäftspartner in seinen Immobilien unterzubringen. Keine Frage, dass Edie nicht dazugehörte.

Blieb also nur die Möglichkeit, sie auszubezahlen.

„Und warum haben Sie nicht schon längst angenommen?“, erkundigte er sich. „Sie sagten ja gerade selbst, dass Sie bisher noch gar nicht eröffnet haben.“

Sie zuckte mit den Schultern, und ein ungemein trauriger Ausdruck schlich sich in ihre Augen. Ein Ausdruck, der etwas tief in Neill anrührte, obwohl er sich mit aller Macht dagegen wehrte.

„Um ehrlich zu sein, habe ich mich das selbst schon häufig gefragt. Es wäre sicher ein einfacher Ausweg für mich. Immerhin sind die Aussichten, was die Zukunft des Cafés betrifft, im Augenblick alles andere als rosig, aber …“ Seufzend fuhr sie sich mit einer Hand durch das lange, honigblonde Haar. Eine Geste, die in ihm eine längst vergessene Saite zum Klingen brachte, was ihm ganz und gar nicht gefiel. „Es ist ein Traum, den ich mir verwirklichen möchte. Ich weiß nicht, ob Sie das verstehen können …“

Ob er das verstand? Was glaubte sie denn? Kaum jemand wusste besser, wie es sich anfühlte, einem schier unerfüllbaren Traum nachzujagen. Er war früher ein angesehener Journalist gewesen und hatte sogar eine eigene Promi-Talkshow im Fernsehen moderiert. Die Medien hatten ihm zu Füßen gelegen, und er war mit den Schönen und Reichen auf Augenhöhe gewesen. Doch auf dem Gipfel seines Erfolgs war er gestrauchelt und so tief gefallen, dass ihm die Vergangenheit heute manchmal wie ein allzu schöner Traum erschien. Und das alles nur, weil er der falschen Frau vertraut hatte. Einer Frau, die ihm Gefühle vorgespielt und ihn als Sprungbrett für ihre eigene Karriere benutzt hatte.

Aber er würde wieder genau dorthin zurückgelangen: ganz an die Spitze, wo er hingehörte! Das würde ihm jedoch nur gelingen, wenn er es schaffte, eine richtig große Story aufzutun. Etwas, was wirklich für Aufsehen sorgte. Einen Paukenschlag, mit dem er wieder ins Licht der Öffentlichkeit zurückkehren konnte. Es musste schon etwas ganz Besonderes sein. Etwas, wie der tiefe Sturz von Malcolm Jackson. Das würde Neill wieder ganz nach oben katapultieren. Genau aus diesem Grund war er so interessiert an allem, was in irgendeiner Weise Jackson betraf.

Doch es gab noch einen zweiten Grund: Jackson zu erledigen hieße, zwei Fliegen mit einer Klappe zu schlagen. Denn wenn es jemanden gab, den Neill noch mehr hasste als Suzie Sands, dann Malcolm Jackson.

Den Mann, der seinen Vater auf dem Gewissen hatte …

Neill atmete tief durch und nickte. Eine mehr als unzulängliche Geste angesichts der Erinnerungen und Gefühle, die Edies Worte in ihm ausgelöst hatten. Doch es war besser, wenn sie davon nichts erfuhr. Sie sollte nicht denken, dass er sie womöglich ebenso brauchte wie sie ihn.

„Natürlich verstehe ich das“, sagte er daher sachlich. „Zudem ist für Sie der Schaden ja auch bereits entstanden, nicht wahr? Diese Sendung … Up and away! hat Ihren Ruf ziemlich ramponiert. Wenn Sie jetzt nach England zurückkehren würden …“

„Wäre das ein ziemlicher Spießrutenlauf für mich“, beendete Edie den Satz und seufzte tief.

Eines stand fest: Sie war längst nicht so dumm, wie die Medien sie darstellten. Doch das überraschte ihn im Grunde nicht besonders. Er hatte von Anfang an gemerkt, dass er keine oberflächliche Person vor sich hatte. Es lag wohl vor allem an ihrem Äußeren, dass die Leute einen falschen Eindruck von ihr gewannen. Edie Barton war hinreißend, keine Frage – aber aus irgendeinem Grund versuchte sie, sich auf eine möglichst künstliche Weise darzustellen. Warum sie ihre natürliche Schönheit unbedingt verstecken wollte, war ihm ein Rätsel.

Unwillkürlich drängte sich ihm die Frage auf, ob sie nicht vielleicht auch ein wenig mit ihrem Image spielte – oder es zumindest vorgehabt hatte.

Wieder erschien ungewollt das Gesicht einer anderen Frau vor seinem geistigen Auge. Auch sie bezaubernd schön und voller Anmut, aber tief in ihrem Inneren falsch und verlogen. Ob Edie in Wahrheit genauso war? Ob sie bereit war, alles zu tun, um sich in der Öffentlichkeit in ein positives Licht zu rücken? Um im Scheinwerferlicht zu stehen und bewundert zu werden?

Er schüttelte den Gedanken ab. Fest stand, dass die Dinge sich bestimmt nicht so entwickelt hatten, wie es geplant gewesen war. Selbst wenn er sich im Augenblick nicht auf dem Höhepunkt seiner Karriere befand, verfolgte er nach wie vor die Boulevardpresse. Und die überschlug sich fast vor lauter Häme und Spott über Edie Barton. Und es waren noch längst nicht alle Folgen dieser unsäglichen TV-Show ausgestrahlt worden.

Er verschränkte die Arme vor der Brust und musterte Edie eindringlich. „Und Sie denken, dass ich an Ihrer Situation irgendetwas ändern kann?“

„Ich hoffe es“, erwiderte sie nach kurzem Zögern. „Natürlich ist es nur ein Versuch, das ist mir schon klar. Aber ansonsten bin ich wirklich mit meinem Latein am Ende. Ich weiß einfach nicht mehr, was ich noch tun soll.“ Hoffnungsvoll schaute sie ihn an. Ihre Augen leuchteten wie zwei Sterne, und für einen Moment vergaß er, wer sie war und warum sie zu ihm gekommen war, und wollte sie einfach nur in seine Arme nehmen und halten. „Werden Sie mir helfen, Mr. Bennett?“

Ihr Blick hielt seinen weiter gefangen. Es war atemberaubend. Neill wusste, er sollte etwas sagen, doch ihm fehlten schlichtweg die Worte. Von solch intensiven Gefühlen hatte er bisher immer nur gelesen. Sie nun am eigenen Leib zu erfahren gefiel ihm nicht sonderlich. Und sie passten absolut nicht zu dem, was er mit ihr vorhatte …

Er zwang sich, sich wieder auf das Wesentliche zu konzentrieren. „Ich kann es versuchen“, sagte er. „Aber das geht nicht einfach so von heute auf morgen. Wir werden uns zunächst ein bisschen besser kennenlernen müssen.“

In dem Moment, in dem er die Worte aussprach, hätte er sich am liebsten die Zunge abgebissen. Er wollte sie nicht kennenlernen. Wollte sie nicht wiedersehen, nichts über sie wissen und sich schon gar nicht zu ihr hingezogen fühlen. Es war ein gefährliches Spiel mit dem Feuer, auf das er sich hier einließ. Ein Spiel, bei dem er sich schon einmal die Finger verbrannt hatte.

Trotzdem nahm er nicht zurück, was er gesagt hatte. Wenn sie ihm irgendwie dabei behilflich sein konnte, Malcolm Jackson zur Strecke zu bringen, dann durfte er sich diese Chance nicht entgehen lassen – oder?

Vermutlich wäre es besser, er würde reinen Tisch machen, ihr ihren Ring zurückgeben und sie aus seinem Leben verbannen. Ganz gleich, ob sie ihm mit Jackson helfen konnte oder nicht.

Doch aus irgendeinem Grund brachte er es nicht über sich. Nicht etwa, weil er darauf spekulierte, den Ring zu behalten. Er mochte im Augenblick finanziell nicht besonders gut dastehen, aber deshalb war er noch lange nicht so tief gesunken, sich an fremdem Eigentum zu vergreifen. Außerdem schien sie das Geld noch um einiges dringender zu brauchen als er selbst.

Es war verrückt, der Sache nicht gleich jetzt ein Ende zu machen, ehe die Dinge sich noch weiter verkomplizierten. Aber er konnte es nicht – er wollte es nicht.

Sie wirkte ein wenig überrascht über seine Forderung, nickte aber. „Ja, natürlich. Warum nicht? Für einen solchen Bericht müssen Sie sicher viel über mich wissen. Ich …“

Er winkte ab. Scheinbar gelassen, während sein Herz wie verrückt gegen seine Rippen hämmerte. „Sie reden eindeutig zu viel, wenn Sie nervös sind“, sagte er. „Das ist ein Punkt, an dem Sie wirklich arbeiten sollten.“

Verblüfft schaute sie ihn an. Dann glitt ein Lächeln über ihre Lippen, das das ganze Apartment erhellte und Neills Atem einen winzigen Moment lang stocken ließ.

„Sie halten mit Ihrer Meinung wirklich nicht hinter dem Berg, wie?“

„Nein“, entgegnete er kopfschüttelnd. „Man sagt mir nach, dass meine schonungslose Offenheit eine meiner besten Eigenschaften ist.“

Er konnte ihrer Miene förmlich ansehen, welcher Gedanke sich hinter ihrer Stirn formte: Wenn dies seine beste Eigenschaft ist, dann möchte ich den Rest lieber nicht kennenlernen …

Nun, sie würde sich noch wundern – und vermutlich schon bald den Tag verwünschen, an dem sie ihn aufgesucht hatte. Aber was das betraf, konnte er keine Rücksicht auf sie nehmen. Er musste an sich selbst und an seine Karriere denken. Alles andere war bedeutungslos.

Warum nur fiel es ihm in ihrer Gegenwart so schwer, sich dies vor Augen zu halten? Und wieso befürchtete er, dass am Ende er derjenige sein würde, der bereute, sie jemals kennengelernt zu haben?

3. KAPITEL

„Ich muss vollkommen den Verstand verloren haben!“

Am Morgen nach ihrem Treffen mit Neill Bennett stand Edie in dem Chaos, das einmal ihr Café werden sollte, und atmete tief durch. Einen kurzen Moment lang schloss sie die Augen und erlaubte sich, ihre Gedanken einfach nur treiben zu lassen. Dann straffte sie die Schultern und zog ihre Arbeitshandschuhe an.

Obwohl sie – zuerst gemeinsam mit Hunter, später allein – schon einiges erreicht hatte, war das Café immer noch weit von einem Zustand entfernt, in dem man es eröffnen konnte. Zwar war die Theke bereits fertig eingebaut, aber es fehlte an Tischen und Bänken für die Gäste. Davon abgesehen war erst die Hälfte des Gastraumes tapeziert, und ein großer Teil musste sogar noch verputzt werden.

Vor ihr lag also noch eine Menge Arbeit, und sie war nun wirklich keine besonders geschickte Handwerkerin. Aber sie musste es irgendwie allein schaffen, denn für professionelle Unterstützung fehlte ihr leider das notwendige Kapital. Lediglich Lilly und ein paar Bekannte halfen hin und wieder bei der Renovierung. Dennoch hatte Edie das Gefühl, überhaupt nicht vorwärtszukommen. Und mit jedem Tag wurde ihre Frustration angesichts der Tatsache, dass die Dinge einfach nicht vorangingen, größer.

Es würde wahrscheinlich alles etwas schneller gehen, wenn du nicht zusätzlich noch zwei Jobs hättest, um über die Runden zu kommen …

Seufzend strich sie sich mit dem Handrücken über die Stirn. Ja, vermutlich war sie tatsächlich vollkommen verrückt. Sie schuftete sich den Buckel krumm – und wofür? Für ein Café, das möglicherweise nie genug abwerfen würde, um ihren Lebensunterhalt zu finanzieren. Warum machte sie nicht einfach kurzen Prozess und ergab sich in ihr Schicksal? Wenn sie das Angebot annahm, das Mr. Jackson ihr unterbreitet hatte, brauchte sie sich keine Gedanken mehr darüber zu machen. Sie konnte nach England zurückkehren – zurück in den Schoß ihrer Familie – und ihr Leben weiterleben. So, wie es gewesen war, bevor sie sich entschlossen hatte, ein anderer Mensch zu werden.

Dann wäre sie wieder Edna Barton, das ewige Mauerblümchen. Die graue Maus, für die niemand sich je wirklich interessiert hatte.

Womöglich brauchte sie sich noch nicht einmal Sorgen machen, auf der Straße erkannt zu werden. Edna und Edie waren so unterschiedlich wie Tag und Nacht. Wie zwei Seiten derselben Medaille. Kein Mensch würde auf den Gedanken kommen, dass sich hinter der Fassade der farblosen jungen Frau in wadenlangem Wollrock und Rüschenbluse die Person verbarg, über die sich ganz England nun schon seit Monaten das Maul zerriss …

Doch im Grunde ihres Herzens wusste sie, dass es müßig war, auch nur darüber nachzudenken. Sie wollte dieses Café, wollte sich und der Welt beweisen, dass sie in der Lage war, es zu schaffen. In ihrem ganzen Leben hatte noch nie jemand wirklich an sie geglaubt. Ihre Eltern rechneten fest damit, dass sie scheitern und reumütig nach Hause zurückkehren würde. Doch den Gefallen würde sie ihnen nicht tun.

Schon allein deshalb kam Aufgeben für sie nicht infrage.

Sie war nicht mehr die brave, gehorsame Tochter, die alles dafür getan hätte, die Anerkennung ihrer Eltern zu gewinnen. Dieses alte Ich hatte sie vor vielen Jahren abgelegt und es keine Sekunde lang bereut.

Sicher, es war nicht alles immer nach ihren Vorstellungen gelaufen. Aber immerhin lebte sie nun ihr eigenes Leben und nicht mehr das, das Selena und Richard Barton sich für sie ausgedacht hatten.

Sie schreckte zusammen, als sie ein Geräusch hinter sich vernahm, und wirbelte herum. Als sie einen fremden Mann erblickte, der inmitten ihrer Arbeitsutensilien stand und sich hochmütig umblickte, runzelte sie die Stirn.

„Wir haben geschlossen“, erklärte sie – überflüssigerweise angesichts des desolaten Zustands, in dem sich das Lokal befand. „Kann ich irgendetwas für Sie tun?“

Sie musterte den Fremden mit einer Mischung aus Neugier und Argwohn. Er war schon älter, Edie schätzte ihn etwa auf Mitte fünfzig, und ihn umgab eine Aura der Überheblichkeit. Der maßgeschneiderte graue Anzug, den er trug, kostete offensichtlich mehr, als Edie in einem ganzen Monat mit ihren Nebenjobs verdiente. Sein Blick wirkte herablassend.

„Wir haben uns noch nicht persönlich kennengelernt, Miss Barton“, erwiderte er nach einer kurzen Pause. „Bisher hatten Sie lediglich mit meinen Anwälten zu tun, aber … Nun, ich dachte, es wäre an der Zeit, mich Ihnen persönlich vorzustellen. Mein Name ist Jackson. Malcolm Jackson.“

Edie atmete scharf ein. Das war er also, der Hotelier, der dieses Gebäude hier kaufen und abreißen lassen wollte. Soweit sie wusste, hatten alle anderen Pächter bereits jeglichen Widerstand aufgegeben. Die meisten waren froh über die großzügigen Abfindungen, die Jackson ihnen geboten hatte. Dass er nun höchstpersönlich vorbeikam, um mit ihr zu sprechen, bedeutete wohl, dass er langsam, aber sicher die Geduld verlor. Ein unbehagliches Gefühl machte sich in ihr breit, doch sie verscheuchte es. Einem Mann wie Jackson gegenüber ließ man sich besser keine Schwäche anmerken.

„Wie nett von Ihnen, vorbeizuschauen“, sagte sie unverbindlich. „Ich würde Ihnen wirklich gern etwas anbieten, aber Sie sehen ja selbst – ich bin mit den Vorbereitungen für die Eröffnung noch nicht ganz fertig.“

Missbilligend schnalzte er mit der Zunge. „Erlauben Sie mir die Frage, warum Sie sich die ganze Mühe überhaupt machen? Mit dem Geld, das ich Ihnen angeboten habe, könnten Sie anderswo auf der Insel ein neues Café eröffnen. Sie müssten sich nicht so abmühen. Warum tun Sie sich das an?“

Ganz unrecht hatte er nicht, das konnte Edie nicht leugnen. Sie würde irgendwo ein neues Ladenlokal finden, und es bliebe vermutlich noch genug Geld übrig, um alle notwendigen Renovierungen durchzuführen. Der Haken an der Geschichte war, dass Hunter und sie sich genau diesen Standort ausgesucht hatten, weil die Lage für ihre Zwecke einfach optimal war. Außerdem betrachtete Edie es als persönliche Herausforderung, die zusammen mit ihrem Exfreund entwickelten Pläne umzusetzen – und zwar allein.

Sie wusste, wenn sie das schaffte, würde sie auch alles andere meistern. Versagte sie aber …

Sie schüttelte den Kopf. „Ich kann es Ihnen nicht erklären, Mr. Jackson. Aber ich fürchte, dass nichts von dem, was Sie sagen könnten, meine Meinung ändern wird. Ich werde den Pachtvertrag nicht auflösen. Es tut mir leid, wenn ich Ihnen damit Unannehmlichkeiten bereite, aber das ist mein letztes Wort.“

Seine Augen verengten sich zu schmalen Schlitzen. Es war ganz offensichtlich, dass er wütend war, doch seine Stimme blieb sanft, beinahe einschmeichelnd. Seine Worte indes ließen Edie erschaudern. „Ich glaube nicht, dass Sie sich darüber im Klaren sind, mit wem Sie sich anlegen.“

„Drohen Sie mir etwa?“ Sie war immer noch fest entschlossen, sich ihre Unsicherheit nicht anmerken zu lassen, so schwer es ihr auch fiel.

Ein feines Lächeln legte sich auf seine Lippen. „Aber nein, wie kommen Sie denn darauf? Ich gebe Ihnen lediglich einen freundschaftlich gemeinten Rat, mehr nicht.“

Doch Edie glaubte ihm kein Wort. Die Botschaft hinter seinen Worten war glasklar: Sie sollte besser endlich auf sein Angebot eingehen, sonst würde er andere Saiten aufziehen. Und sie wollte lieber nicht darüber nachdenken, was das bedeutete …

Ihr wurde mulmig, doch sie kämpfte tapfer gegen das Unbehagen an. „Ich denke, Sie sollten jetzt besser gehen“, sagte sie mit erstaunlich ruhiger Stimme.

Noch immer lächelnd baute er sich vor ihr auf. „Finden Sie?“

„Belästigt dieser Mann Sie?“ Die Stimme, die von der Eingangstür zu ihnen hinüberdrang, klang energisch und bestimmt.

Edie erkannte sie sofort. „Mr. Bennett!“, stieß sie erleichtert hervor. „Der Herr wollte gerade gehen.“ Sie bedachte Jackson mit einem festen Blick. „Ich sollte Ihre Zeit wirklich nicht länger beanspruchen. Einen schönen Tag noch.“

Malcolm Jackson war deutlich anzusehen, dass er mit der Entwicklung, die die Situation genommen hatte, alles andere als zufrieden war. Doch ihm blieb nichts anderes übrig, als sich zu fügen. Mit einem letzten vernichtenden Blick wandte er sich ab und verließ gemessenen Schrittes die Baustelle.

Edie atmete erleichtert auf. „Vielen Dank“, sagte sie. „Das war wirklich Rettung in letzter Sekunde.“

„Was zum Teufel wollte er von Ihnen?“, fragte Neill aufgebracht. Er stellte immer noch den harten Gesichtsausdruck zur Schau, mit dem er Jackson in die Flucht geschlagen hatte – und machte ihr durchaus ein wenig Angst damit.

Sie blinzelte irritiert. „Sie kennen ihn, nicht wahr? Deshalb waren Sie gestern so plötzlich bereit, doch mit mir zu reden, als ich seinen Namen erwähnte.“

Seine Miene entspannte sich ein wenig, doch es wirkte bemüht. Er zuckte mit den Schultern. „Ja, ich kenne ihn – allerdings glaube ich nicht, dass er noch weiß, wer ich bin.“ Aus der Art und Weise, wie er es sagte, schloss Edie, dass es sich um etwas Persönliches handelte. Er hatte sich jedoch schnell wieder im Griff. „Sie haben meine Frage nicht beantwortet: Was wollte er von Ihnen?“

„Mich dazu bringen, sein Ablöseangebot noch einmal zu überdenken“, erwiderte sie und zwang ein nervöses Lächeln auf ihre Lippen. Seinem Gesichtsausdruck nach zu urteilen, gelang es ihr nicht besonders gut. „Ich glaube, Geduld ist nicht unbedingt seine Stärke.“

„Hat er Sie unter Druck gesetzt?“ Er schaute sie an, und Edie hatte das Gefühl, dass diese unglaublich grünen Augen bis auf den Grund ihrer Seele zu blicken vermochten. Sie konnte nur hoffen, dass das nicht stimmte, denn sie wollte lieber nicht, dass er wusste, wie es in ihr aussah.

Sie war nervös und angespannt – doch das lag zu ihrer eigenen Überraschung weniger an Malcolm Jacksons überraschendem Besuch als vielmehr an Neills Anwesenheit. Er hatte etwas an sich, was sie fesselte. Was ihr Herz schneller schlagen ließ und ihr immer wieder den Atem raubte. Sie wusste selbst nicht so genau, worum es sich handelte.

Nach der Geschichte mit Hunter hatte sie sich für keinen anderen Mann mehr interessiert. Sie war nicht erpicht darauf, noch einmal so verletzt zu werden. Wenn sie die Augen schloss, konnte sie tief in sich immer noch den Schmerz fühlen, den Hunters Verrat damals verursacht hatte.

Seit dem Tag, an dem er still und heimlich aus ihrem Leben verschwunden war, hatte sie nicht mehr mit ihm gesprochen. Und das, obwohl er seit Monaten immer wieder bei ihr anrief und sie mit SMS bombardierte, die sie allesamt löschte, ohne sie auch nur zu öffnen.

Hunter hatte sie tief verletzt. Und sie war sich beinahe sicher, dass auch Neill ihr wehtun würde, wenn sie es zuließ. Deshalb musste sie sich von ihm fernhalten.

Und das wirst du auch! Hast du schon vergessen, wie unfreundlich er dich empfangen hat? Außerdem ist er Reporter. Komm gar nicht erst auf die Idee, dich mit ihm einzulassen!

Sie atmete tief durch. „Er hat es zumindest versucht“, beantwortete sie seine Frage. „Offenbar glaubt er, mich einschüchtern zu können. Aber ich denke nicht daran, ihm mein Café zu überlassen.“ Sie ballte die Hände zu Fäusten. „Jetzt noch viel weniger als zuvor!“

Er quittierte ihre Entschlossenheit mit einem Lächeln, das ihre Knie weich werden ließ. Es brachte seine Augen noch mehr zum Leuchten, und für einen Moment verschwanden die Schatten, die sein Gemüt zu verdunkeln schienen. Doch es dauerte nicht lang, ehe seine Miene wieder denselben, halb gelangweilten, halb verbitterten Ausdruck annahm, den sie von ihm kannte. Jenen Ausdruck, der sie sich immer wieder fragen ließ, was ihm zugestoßen sein mochte. Obwohl sie es auf der anderen Seite lieber nicht wissen wollte. Es ging sie nichts an. Und es sollte sie auch nicht interessieren.

Sie brauchte ihn lediglich, um einige Sachen geradezurücken, die in ihrem Leben in Schieflage geraten waren. Was mit ihm war – was aus ihm wurde –, konnte ihr herzlich egal sein. Sie war beinahe sicher, dass er ebenso über sie dachte. Dass ihm nichts an der wirklichen, der echten Edie lag. Sie zweifelte nicht daran, dass er sie auch nur für seine Zwecke benutzen wollte, ebenso wie es umgekehrt der Fall war.

„Ich bewundere Sie dafür, dass Sie Jackson die Stirn bieten wollen. Allerdings sollten Sie seine Drohungen nicht auf die leichte Schulter nehmen.“ Er wirkte plötzlich sehr ernst. „Dieser Mann ist absolut skrupellos. Er schreckt nicht davor zurück, unlautere Methoden einzusetzen, um seine Ziele zu erreichen.“

Edie runzelte die Stirn. „Das klingt, als hätten Sie bereits mit ihm zu tun gehabt.“

Er lachte auf – doch es war ein Laut gänzlich ohne jeden Humor. „Das könnte man tatsächlich so sagen, ja.“

Mehr wollte er offenbar nicht preisgeben, und Edie gab sich damit zufrieden. Was blieb ihr auch anderes übrig? Wieder musste sie sich selbst daran erinnern, ihn nicht zu nah an sich heranzulassen. Das wäre dumm und unvernünftig, und sie sollte es eigentlich besser wissen. Außerdem war Malcolm Jackson nicht das Thema, über das sie mit Neill Bennett sprechen wollte.

Er sollte ihren Ruf wiederherstellen. Das war alles. Denn eines stand fest: Solange die Menschen sie als die Frau sahen, als die die Verantwortlichen von Up and away! sie darstellten, würde sie mit dem Café niemals erfolgreich sein. Zwar sorgte die Show in gewisser Weise für Publicity, aber es war kaum die Art von Aufmerksamkeit, die Edie sich für ihr Lokal wünschte.

„Haben Sie bereits Zeit gehabt, sich die Sendung anzusehen, oder warum sind Sie hier?“ Sie wusste nicht, welche Antwort sie lieber hören wollte. Es war ihr unangenehm, wie sie im Fernsehen gezeigt wurde. Aber es war notwendig, dass Neill wusste, womit er es zu tun hatte. Nur so konnte er ihr helfen – wenn er das überhaupt wollte.

Edie war sich immer noch nicht wirklich sicher, was sie von ihm halten sollte. Neill Bennett war ihr ein Rätsel. Und dass sie sich auf eine ihr selbst unerklärliche Weise zu ihm hingezogen fühlte, machte es auch nicht einfacher, ihn zu durchschauen.

„Ich habe mir ein paar Ausschnitte im Internet angesehen, ja.“ Er verzog das Gesicht. „Sie kommen tatsächlich nicht besonders gut weg.“

„Das haben Sie wirklich hübsch ausgedrückt“, gab sie mit einem traurigen Lächeln zurück. „Ich kann es den Zuschauern nicht einmal verübeln, dass sie sich über mich aufregen oder mich belächeln.“ Sie ließ die Schultern hängen. „Die Show hat mich zu einer Witzfigur gemacht.“

Tröstend legte er ihr eine Hand auf die Schulter. Obwohl es sicher nur eine aufmunternde Geste sein sollte, durchrieselte Edie ein wohliger Schauer, der so gar nichts Harmloses an sich hatte.

Unwillkürlich ärgerte sie sich über sich selbst. Sie sollte nicht so für Neill Bennett empfinden! Sie sollte für überhaupt niemanden so empfinden. Es gab in ihrem Leben derzeit wahrlich wichtigere Dinge, mit denen sie sich beschäftigen musste …

„Nehmen Sie sich diese Sache nicht allzu sehr zu Herzen“, sagte er nun zu ihrer Überraschung. „Dies ist eine schnelllebige Welt. Was heute in aller Munde ist, kann morgen schon wieder vergessen sein. Das gilt insbesondere für die Medienbranche.“ Er zuckte mit den Schultern. „Glauben Sie mir, was das betrifft, bin ich ein Experte. Es muss schon ein wirklicher Skandal geschehen, damit er den Menschen dauerhaft in Erinnerung bleibt.“

Täuschte sie sich oder lag da tatsächlich eine tiefe Traurigkeit in seinem Blick?

Edie vermutete, dass es ein solcher Skandal gewesen sein musste, der seine Karriere abrupt beendet hatte. Was genau geschehen war, wusste sie indes nicht. Ob es ihn immer noch belastete? Offensichtlich. Für einen ehrgeizigen, stolzen Mann wie ihn war es sicher hart, mit einem so herben Rückschlag umzugehen.

„Wahrscheinlich haben Sie recht“, erwiderte sie. „Aber ich werde trotzdem nicht einfach dasitzen und die Hände in den Schoß legen. Deshalb habe ich Sie um Ihre Unterstützung gebeten. Natürlich ist mir bewusst, dass auch Sie nicht zaubern können. Aber ich bin davon überzeugt, dass es Ihnen gelingen kann, meine Geschichte ganz groß rauszubringen. Und das würde im Endeffekt uns beiden helfen, nicht wahr?“

Besonders überzeugt wirkte er nicht, aber zumindest schien er seine Meinung auch nicht geändert zu haben. Doch anstatt mit ihr das weitere Vorgehen zu besprechen, schaute er sich neugierig im Ladenlokal um.

Unwillkürlich schoss Edie eine leichte Röte ins Gesicht. Ihr war durchaus bewusst, wie chaotisch es hier aussah. Im Grunde genommen war das Café eine einzige Baustelle. Und ihr fehlte es sowohl an Zeit als auch an Geld, um die Arbeiten schneller voranzubringen.

Herausfordernd reckte sie das Kinn, als er sich wieder zu ihr umwandte. „Ich weiß, dass es noch nicht viel hermacht. Aber es ist nicht so leicht, das alles allein zu bewerkstelligen.“

Er hob überrascht eine Braue. „Wollen Sie damit sagen, Sie haben keine Handwerker, die hier für Sie arbeiten?“

„Nein“, entgegnete sie. „Handwerker sind teuer, und Geld ist etwas, was ich nicht unbedingt im Überfluss besitze. Unsere Gage bei Up and away! sollte dabei helfen, die Finanzierung für die Renovierung und Einrichtung des Cafés zu stemmen. Aber nun ist Hunter fort und mit ihm auch das ganze Honorar.“

Neill nickte. „Das ist bitter, aber … Nun, ich könnte Ihnen ein wenig helfen, wenn Sie möchten.“

Ungläubig starrte Edie ihn an. „Ist das Ihr Ernst?“

„Warum nicht? Ich bin ein recht passabler Heimwerker. Und während wir arbeiten, könnten Sie mir Ihre Geschichte erzählen.“ Sein Blick verdüsterte sich. „Außerdem befürchte ich, dass Sie durchaus ein wenig Schutz gebrauchen können.“

Sie erschrak leicht. „Wie meinen Sie das?“

„Malcolm Jackson ist kein Mann, der leere Drohungen ausstößt. Ich fürchte, dass er versuchen könnte, Ihnen Schwierigkeiten zu machen.“

„Ich weiß wirklich nicht, ob das noch einen Unterschied machen würde“, sagte sie leise lachend. „Im Augenblick scheine ich Schwierigkeiten ohnehin magisch anzuziehen.“

„Glauben Sie mir, es macht einen Unterschied. Ich denke, in einer Sache hat Jackson durchaus recht: Sie haben tatsächlich keine Vorstellung, mit wem Sie sich hier anlegen.“ Er schüttelte den Kopf. „Sie glauben vielleicht, dass er lediglich ein einflussreicher und wohlhabender Hotelier ist, aber das stimmt nicht. Er ist nicht durch Fair Play zu dem geworden, der er heute ist.“

„Sie scheinen ihn ja wirklich gut zu kennen“, stellte Edie fest. Sie musterte ihn eindringlich. Kein Zweifel: Diese beiden Männer verband eine gemeinsame Geschichte. Und sie war nicht sicher, ob sie wissen wollte, was genau dahintersteckte. „Also schön“, sagte sie schließlich, als er nichts entgegnete. „Wenn es Ihnen wirklich ernst ist, dann würde ich mich über Ihre Hilfe sehr freuen. Wann können Sie anfangen?“

Am Abend saß Neill in seiner Wohnung am Schreibtisch und starrte den Ring an, der vor ihm auf der Tischplatte lag. Er schimmerte leicht im Schein der Bürolampe, die im Augenblick die einzige Lichtquelle im Apartment darstellte. Er wusste, es war albern, aber er konnte nicht aufhören, das kostbare Schmuckstück zu betrachten.

Und es sich an Edies Finger vorzustellen.

Nein, verdammt! Hör sofort auf damit!

Autor

Rebecca Winters

Rebecca Winters und ihre Familie leben in Salt Lake City, Utah. Mit 17 kam Rebecca auf ein Schweizer Internat, wo sie französisch lernte und viele nette Mädchen traf. Ihre Liebe zu Sprachen behielt sie bei und studierte an der Universität in Utah Französisch, Spanisch und Geschichte und später sogar Arabisch.

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