Schwelendes Feuer

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Wie eine gekaufte Braut kommt Corinne sich vor, als sie den Millionär Raffaello Orsini heiratet. Zwar erfüllt sie so den letzten Wunsch ihrer besten Freundin, seiner verstorbenen Frau … Doch ein Leben ohne Liebe scheint sie zu erwarten, ohne Leidenschaft, ohne Erfüllung! Denn trotz des schwelenden Feuers in seinen Blicken bleibt Raffaello kühl und lässt Corinne in ihrem Bett allein - bis sie auf einer Party mit einem anderen flirtet! Kaum zurück auf dem Anwesen, umarmt der feurige Italiener sie hitzig und küsst sie hungrig: Niemand darf sich nehmen, was nur ihm zusteht …


  • Erscheinungstag 14.06.2009
  • Bandnummer 1874
  • ISBN / Artikelnummer 9783862954148
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

Der Brief lehnte an einer Haarspraydose auf Corinne Mallorys Schminktisch. Kaum der richtige Aufbewahrungsort für feinstes Büttenpapier mit einem goldenen Wappen. Andererseits war es überhaupt ein Wunder, dass sie ihn nach dem Lesen behalten und nicht einfach zerknüllt in den Papierkorb geworfen hatte.

Es war der Name, schwungvoll und energisch unter die maschinengeschriebenen Zeilen gesetzt, der Corinne davon abgehalten hatte. Raffaello Orsini war mit ihrer besten Freundin verheiratet gewesen, und Lindsay hatte ihn von ganzem Herzen geliebt. Sie war absolut verrückt nach ihm gewesen, bis zum letzten Atemzug. Das allein hatte Corinne ihren Stolz schlucken und sich seinen Wünschen fügen lassen. Welche Gründe auch immer er für seinen unerwarteten Besuch in Kanada haben mochte, Corinne war es Lindsays Andenken schuldig, ihn zu treffen.

Jetzt waren es nur noch zwei Stunden, bevor sie den Mann zum ersten Mal persönlich kennenlernen würde. Allerdings war sie inzwischen nicht mehr so sicher, ob sie die richtige Entscheidung getroffen hatte. Was trug man zu einer Einladung, die sich mehr nach einem Befehl denn einer Bitte anhörte?

Corinne begutachtete den dürftigen Inhalt ihres Kleiderschranks. Schwarz war wohl die passendste Wahl. Mit Perlen. Ein Dinner im Pan Pacific, Vancouvers nobelstem Hotel, verlangte nach einem Hauch von Eleganz – selbst wenn die Perlen nicht echt waren und das Kleid nur aus Kunstseide.

Zumindest konnten die schwarzen Pumps ein Designer-Emblem auf der Innenseite vorweisen. Ein Souvenir aus der Zeit, als sie sich noch ein paar luxuriöse Extras hatte leisten können.

Auch diese Schuhe waren eine Erinnerung an Lindsay, eine zierliche Frau mit riesengroßen Träumen, in deren Wortschatz der Ausdruck „geht nicht“ keinen Platz hatte.

Wir kaufen uns irgendeine Ruine im richtigen Teil der Stadt und machen daraus ein schnuckeliges kleines Hotel, Corinne. Ich kümmere mich um die Einrichtung und die Zimmer, und du übernimmst die Küche.

Da brauchen wir schon eine gute Fee, die uns hilft.

Unsinn! Wenn wir es wirklich wollen, dann gelingt uns das auch. Nichts wird uns aufhalten!

Und wenn wir uns verlieben und heiraten?

Dann müssen es Männer sein, die unseren Traum teilen. Es könnte natürlich nicht schaden, wenn sie auch reich wären. Vielleicht sogar sehr, sehr reich.

Und falls sie es nicht sind?

Das macht auch nichts, denn wir werden es aus eigener Kraft schaffen. Ich bin felsenfest davon überzeugt, dass wir es schaffen, Corinne. Wir nennen unser Hotel ‚The Mallory Raines‘ und hängen ein großes Schild mit einem goldenen Logo über die Tür, verschlungene Buchstaben, MR. Bis wir dreißig sind, werden wir weltberühmt für unsere Gastlichkeit und unsere Küche sein. Die Leute werden sich darum reißen, bei uns unterzukommen.

Doch das war, bevor Lindsay einen Urlaub in Sizilien machte und sich Hals über Kopf in Raffaello Orsini verliebte. Der Mann war tatsächlich sehr, sehr reich, nur leider zeigte er nicht das geringste Interesse für Lindsays Traum. Stattdessen gelang es ihm, sie von seinem Vorhaben zu überzeugen. Lindsay vergaß das berühmteste Hotel am Pazifik und zog auf die andere Hälfte der Erdkugel, um Raffaellos Frau zu werden und eine Familie zu gründen.

Und das Glück, an das sie immer so unerschütterlich geglaubt hatte? Es hatte sich gegen sie gewandt und Lindsay mit vierundzwanzig dahingerafft. Leukämie hatte ein dreijähriges Mädchen mutterlos gemacht.

Die Erinnerungen brachen über Corinne hinein. Sie blinzelte lästige Tränen zurück, bevor sie nach ihrer Wimperntusche griff. Wann hatte sie das letzte Mal Make-up benutzt? Offensichtlich war es zu lange her, wenn man jetzt das Resultat betrachtete. Nun, es würde reichen müssen, und überhaupt, was machte es schon für einen Unterschied? Mit welchen Absichten auch immer Raffaello Orsini hier aufgetaucht war … Es gab keinen Grund für Corinne, sich hübsch zu machen.

Von unten drang das Geräusch von klapperndem Geschirr zu ihr hinauf. Mrs. Lehman, ihre Nachbarin und bevorzugter Babysitter, bereitete das Abendessen für Matthew zu.

Matthew war alles andere als glücklich, dass seine Mutter ausging. „Du sollst nicht weggehen. Du sollst hierbleiben. Immer lässt du mich alleine“, hatte er mit zitternder Unterlippe verkündet.

Mit gutem Grund, wie Corinne sich im Stillen eingestand. Viel zu oft konnte sie ihren Sohn abends nicht ins Bett bringen und zudecken, weil sie häufig Nachtschichten schob und selbst während der Ferien arbeiten musste. Doch es lag nun mal in der Natur der Dinge, und so gerne sie es auch anders hätte … Jemand musste für die Miete und das Essen auf dem Tisch sorgen.

„Ich bleibe nicht zu lange weg, und morgen backe ich uns Heidelbeerpfannkuchen zum Frühstück. Hör auf Mrs. Lehman, ja? Sei brav und mach ihr keinen Ärger, wenn es Zeit zum Schlafengehen wird, okay?“

„Vielleicht tue ich es doch“, warnte er trotzig. Obwohl er erst vier war, hatte Matthew mittlerweile einige Taktiken entwickelt, seinen Willen durchzusetzen. Überhaupt entpuppte er sich immer häufiger als kleiner Satansbraten. Inständig hoffte Corinne, dass sie bei ihrer Rückkehr nicht eine völlig fertige Mrs. Lehman vorfinden würde, die vergeblich versucht hatte, Matthew ins Bett zu bekommen.

Ich sollte zu Hause bleiben, dachte Corinna. Doch dieser Brief ließ ihr keine Ruhe. Obwohl sie bereits jedes Wort auswendig kannte, nahm sie ihn noch einmal zur Hand und las ihn durch. Vielleicht würde ihr diesmal endlich klar werden, was der Absender mit seinem Schreiben sagen wollte.

Villa di Cascata, Sizilien, 6. Januar 2008

Signora Mallory,

Ende des Monats werde ich wegen einer dringenden

Angelegenheit nach Vancouver kommen, die mir erst

kürzlich zur Kenntnis gebracht wurde.

Ich habe eine Reservierung im Pan Pacific Hotel und

würde es zu schätzen wissen, wenn Sie mich dort am

28. Januar um halb acht zum Dinner treffen könnten.

Mit freundlichen Grüßen

Raffaello Orsini

Doch auch beim zweiten Lesen entdeckte sie nicht den geringsten Hinweis, was sie zu erwarten hatte. Und nach dem Lärm in der Küche zu schließen, legte Matthew gerade los, Mrs. Lehman einen weiteren turbulenten Abend zu bescheren.

„Hoffentlich haben Sie einen guten Grund, Mr. Orsini“, murmelte Corinne, bevor sie den Brief zurück auf den Tisch warf. Mit einem letzten prüfenden Blick in den Spiegel ging sie nach unten, um einen kleinen Jungen zu beruhigen, der keine Erinnerung an seinen Vater hatte und dessen Mutter sich mehr schlecht als recht mit seiner Erziehung abmühte.

Beeindruckend, dieser Ausblick, entschied Raffaello. Im Norden erhob sich eine schneebedeckte Gebirgskette in den klaren Nachthimmel. Die Lichter der Brücke über der Hafeneinfahrt glitzerten wie Diamanten. Fast direkt unter dem Fenster seiner Suite lag eine Fünfundzwanzig-Meter-Jacht vor Anker und schaukelte sanft auf dem Wasser.

Dieser Ort konnte sich mit Sizilien zwar nicht vergleichen, aber er war dennoch bemerkenswert. Auch weil es Lindsays Heimat war. Die Szenerie hier war wild und distinguiert zugleich, schön und betörend – wie Lindsay.

Vor zwei Jahren hätte er nicht hierherkommen können. Auch vor einem Jahr noch nicht. Der Schmerz hatte zu tief gesessen, und die Trauer war zu sehr mit Ärger vermischt. Doch wie hieß es so schön? Die Zeit heilt alle Wunden. Sie vergoldete aber auch die Erinnerungen an Lindsay, die ihm zum Trost geworden waren.

„Ich tue das für dich, amore mio“, murmelte er, während er zum Himmel hochblickte.

Irgendwo unten in der Stadt schlug ein Kirchturm achtmal. Diese Corinne Mallory verspätete sich. Ungeduld erfüllte ihn. Er wollte die Angelegenheit endlich hinter sich bringen. Rasch griff er nach dem Telefon und rief beim Empfang an, um dem Portier erneut mitzuteilen, dass Corinne Mallory in seine Suite hinaufgeschickt werden sollte, sobald sie kam. Falls sie kam. Das, was er ihr vorzuschlagen hatte, war ungeeignet, um es an einem öffentlichen Ort zu besprechen.

Nachdem weitere zehn Minuten vergangen waren, ertönte ein derart lautes Klopfen an seiner Tür, dass er zusammenzuckte. Er unterdrückte den Ärger und richtete sich auf dem Weg zur Tür ein letztes Mal das Jackett.

Denk immer daran, dass sie Lindsays beste Freundin war. Das heißt nicht, dass sie deine beste Freundin werden muss, aber es wäre für alle Beteiligten gut, wenn zumindest eine gewisse freundliche Atmosphäre geschaffen werden könnte.

Raffaello hatte Fotos von ihr gesehen. Er war fest davon überzeugt, die Frau auf der anderen Seite der Tür genau einschätzen zu können. Doch sie war zarter, als er vorausgesehen hatte. Wie feine Spitze, die man achtlos behandelte. Ihre Haut schien fast durchsichtig. Viel zu straff spannte sie sich über die feinen Gesichtszüge, sodass das Gesicht fast zu klein für die großen blauen Augen wirkte.

Mit einer zuvorkommenden Geste trat Raffaello zur Seite. „Signora Mallory, danke, dass Sie meine Einladung angenommen haben. Kommen Sie doch bitte herein.“

Sie zögerte nur kurz, bevor sie seiner Aufforderung nachkam. „Ich hatte nicht den Eindruck, dass Sie mir eine Wahl gelassen hätten, Mr. Orsini. Auch hatte ich nicht damit gerechnet, dass das Treffen in Ihrem Zimmer stattfinden würde. Ich kann nicht behaupten, ich sei besonders erfreut darüber.“

Glaubte sie etwa, er sei um die halbe Welt gereist, um sie zu verführen? Ein ausschweifendes Schäferstündchen hätte er sich auch zu Hause gönnen können, wenn er es darauf angelegt hätte. „Ich versichere Ihnen, meine Absichten sind völlig ehrenhaft.“

Sie ließ sich von ihm aus dem Mantel helfen, bevor sie knapp erwiderte: „Das sollten sie auch besser sein.“

Er musste sich ein Grinsen verkneifen und deutete zu den Flaschen auf dem Barschrank. „Darf ich Ihnen vor dem Dinner etwas zu trinken anbieten?“

Wieder zögerte sie. „Eine Weinschorle vielleicht, danke.“

„Also …“ Er schenkte Pinot Grigio in ein Weinglas ein und goss es mit Mineralwasser auf, während er sich selbst einen Whiskey genehmigte. „Erzählen Sie mir ein wenig von sich, signora. Ich weiß nur, dass Sie und meine verstorbene Frau Freundinnen waren und dass Sie Witwe sind und einen kleinen Sohn haben.“

„Das ist immerhin mehr, als ich über Sie weiß, Mr. Orsini“, sagte sie mit entwaffnender Offenheit. „Und da ich nicht die geringste Ahnung habe, worum es bei unserem Treffen überhaupt geht, würde ich gern zum Kern der Sache kommen, ohne Zeit auf meine Lebensgeschichte zu verschwenden, an der Sie sicherlich kein wirkliches Interesse haben.“

Mit den Gläsern in den Händen kam er zu ihr und reichte ihr die Weinschorle. „Da irren Sie sich. Ich habe meine Gründe, mehr über Sie zu erfahren.“

„Fein. Dann werden Sie sicherlich Verständnis dafür haben, dass ich Ihre Neugier nicht zu befriedigen gedenke, solange Sie mir diese Gründe nicht mitteilen. Ich will gar nicht behaupten, ich wüsste, wie solche Dinge in Sizilien gehandhabt werden, aber in diesem Land hier stimmt keine Frau mit auch nur einem Funken Verstand zu, einen wildfremden Mann in seinem Hotelzimmer zu treffen. Hätte ich das gewusst, wäre ich nicht gekommen.“ Sie stellte das Weinglas ab und sah auf ihre Armbanduhr. „Sie haben genau fünf Minuten für Ihre Erklärung, dann gehe ich wieder.“

Er nippte an seinem Whiskey und musterte sie anerkennend. „Jetzt verstehe ich, warum Sie und meine Frau befreundet waren. Auch sie ist immer direkt auf den Punkt gekommen. Es war einer von vielen Charakterzügen, die ich an ihr bewunderte.“

„Viereinhalb Minuten, Mr. Orsini.“

„Also gut.“ Er zog einen Brief aus der Ledermappe, die er auf dem Tisch bereitgelegt hatte. „Der hier ist an Sie gerichtet. Ich denke, er wird alles erklären.“

Als Corinne die Handschrift erkannte, wurde sie blass. „Der Brief ist von Lindsay.“

Sì.

„Woher wissen Sie, was drinsteht?“

„Ich habe ihn gelesen.“

Bei seinen Worten wurde sie rot vor Zorn. „Wer gab Ihnen das Recht dazu?“

„Ich.“

„Ich werde mir merken, nie private Korrespondenz herumliegen zu lassen, wenn Sie in der Nähe sind.“ Ihre blauen Augen blitzten vor Empörung.

„Lesen Sie diesen Brief, signora, und danach können Sie den lesen, den Lindsay an mich gerichtet hat. Vielleicht werden Sie mir dann mit weniger Feindseligkeit begegnen und verstehen, warum ich den weiten Weg zurückgelegt habe, um mich mit Ihnen zu treffen.“

Sie warf ihm einen misstrauischen Blick zu, beugte dann aber den Kopf und las. Anfangs war ihre Hand noch ruhig, doch je weiter sie las, desto mehr begann das Blatt in ihren Fingern zu zittern, bis Corinne selbst am ganzen Körper bebte.

Fassungslos und ungläubig zugleich schaute sie Raffaello an. „Das … Das ist doch absolut lächerlich! Sie kann nicht mehr im Vollbesitz ihrer geistigen Kräfte gewesen sein!“

„Meine Frau war bis zu ihrem letzten Atemzug geistig klar. Die Krankheit hat ihren Körper zerstört, nicht ihren Geist.“ Er schob seinen Brief über den Tisch. „Hier steht ihre Bitte an mich. Sie sehen, beide Briefe wurden am gleichen Tag geschrieben. Dies hier ist eine Kopie. Sie können sie behalten, wenn Sie möchten, um später in Ruhe nachzulesen.“

Corinne überflog das Blatt, bevor sie es ihm kopfschüttelnd zurückreichte. „Ich habe erhebliche Schwierigkeiten, Lindsays Bitte zu akzeptieren.“

„Objektiv betrachtet lässt sich ein gewisser Sinn nicht bestreiten.“

„Da bin ich anderer Ansicht“, widersprach sie tonlos. „Ihnen muss der Sinn auch entgangen sein, sonst hätten Sie nicht so lange gewartet, um sich damit an mich zu wenden. Sie sind vor über drei Jahren geschrieben, wenn man dem Datum Glauben schenken darf.“

„Ich habe sie erst vor wenigen Wochen zufällig entdeckt, als ich ein altes Fotoalbum durchsah. Ich muss gestehen, dass ich zuerst genauso reagiert habe wie Sie.“

„Sie wollen damit doch hoffentlich nicht andeuten, dass Sie Lindsays Wunsch jetzt erfüllen möchten?“

„Zumindest sollte man über ihn nachdenken.“

Corinne griff nach ihrem Weinglas. „Ich glaube, ich könnte jetzt etwas Stärkeres vertragen“, murmelte sie.

„Mir ist klar, dass man sich an diesen Vorschlag erst gewöhnen muss, Signora Mallory, aber ich hoffe, Sie werden ihn nicht sofort von der Hand weisen. Von der praktischen Seite her gesehen birgt ein derartiges Arrangement viele Vorteile.“

„Ich möchte Ihnen ja nicht zu nahe treten, Mr. Orsini, aber wenn Sie das denken, können Sie unmöglich alle Tassen im Schrank haben.“

„Eine interessante Redewendung“, erwiderte er, wobei er sich ein Lächeln nicht verkneifen konnte, „die aber keineswegs zutrifft. Ich hoffe, ich kann Sie beim Dinner davon überzeugen.“

„Nachdem ich diese Briefe gelesen habe, halte ich ein gemeinsames Dinner für keine gute Idee.“

„Wieso? Befürchten Sie, es könnte mir gelingen, Ihre Meinung zu ändern?“

„Nein“, erwiderte sie im Brustton der Überzeugung.

„Was kann es dann also schaden, wenn wir die Angelegenheit über einem guten Essen diskutieren? Wenn Sie danach noch immer gehen wollen, werde ich Sie bestimmt nicht aufhalten. Sie dürfen nicht vergessen, dass Sie nicht die Einzige sind, die ihre Zweifel hat. Auch ich bin keineswegs von der Durchführbarkeit der Wünsche meiner verstorbenen Frau überzeugt, doch um ihr Andenken zu ehren, bin ich bereit, darüber zu reden. Sie würde es von mir erwarten und, so wage ich zu behaupten, von Ihnen ebenfalls.“

Corinne kämpfte mit sich, bevor sie nach einem Moment zustimmte. „Na schön, ich bleibe – um Lindsays willen, weil es ihr scheinbar so viel bedeutete. Aber machen Sie sich keine großen Hoffnungen“, erwiderte sie seufzend.

Er hob sein Glas zu einem Toast. „Auf Lindsay.“ Es klopfte an der Tür. „Das wird unser Dinner sein. Ich habe es aufs Zimmer bestellt, denn ich denke nicht, dass wir unser Thema in der Öffentlichkeit diskutieren sollten.“

„Nein, wahrscheinlich nicht.“ Ihre Antwort signalisierte Einverständnis, doch der gehetzte Blick, mit dem sie sich in der Suite umsah, deutete eher darauf hin, dass sie nach einem schnellen Fluchtweg suchte. „Kann ich mich etwas frisch machen, bevor wir uns zu Tisch setzen?“

„Natürlich.“ Er deutete zum Gästebad auf dem Korridor. „Lassen Sie sich Zeit, signora. Ich nehme an, der Chef und seine Leute werden ein paar Minuten brauchen, um alles aufzutragen.“

Sie brauchte mehr als nur ein paar Minuten, um sich wieder zu fassen!

Corinne verschloss die Tür hinter sich und starrte in den Spiegel. Sie wunderte sich nicht, als ihr fiebrig glühende Augen aus einem hochroten Gesicht entgegensahen. Ihre Sinne wurden auf eine harte Probe gestellt, eigentlich seit Raffaello Orsini seine Suitentür geöffnet und sie sich vor dem attraktivsten Mann wiedergefunden hatte, der ihr je unter die Augen gekommen war.

Lindsay hatte ihr damals Fotos von der Hochzeit geschickt. Aber Fotos konnten nicht die raue Sinnlichkeit einfangen, die dieser Mann ausstrahlte, da musste man ihm schon persönlich gegenüberstehen. Seine magnetische Anziehungskraft versetzte Corinne praktisch in Trance.

Er sah ganz anders aus, als sie sich vorgestellt hatte. Gut, er hatte das schwarze Haar und die typische oliv getönte Haut der Mittelmeerbewohner, aber soweit sie wusste, wurden sizilianische Männer normalerweise nicht knapp zwei Meter groß und hatten meist auch nicht Schultern, die jeden Rugbyspieler vor Neid erblassen lassen würden.

Was nun sein Gesicht betraf … Sie hatte es kaum über sich gebracht, ihn anzusehen, aus Angst, sie könnte die ganze Zeit auf seinen vollen sinnlichen Mund starren oder sich in seinen rauchgrauen Augen verlieren.

Sein Anblick hatte ihr im wahrsten Sinne des Wortes die Sprache verschlagen. Jetzt begann sie auch zu verstehen, wieso Lindsay so willig bereit gewesen war, für diesen Mann alles aufzugeben. Seinen fein gemeißelten Gesichtszügen, dem markanten Kinn und der tiefen samtenen Stimme war zugegebenermaßen schwer zu widerstehen.

Die Luxussuite im dreiundzwanzigsten Stock, in die er sich einquartiert hatte, war ebenso atemberaubend. Sie war größer als die meisten Wohnungen. In dem riesigen Wohnraum stand sogar ein Konzertflügel, der Tisch in der Essnische bot Platz für sechs Personen, und überall hingen erlesene Kunstwerke an den Wänden. Corinne konnte sich allerdings nicht vorstellen, dass jemand viel Zeit darauf verwenden würde, die Gemälde zu studieren. Nicht wenn die Fensterfront freien Blick auf den Stanley Park, die Lions Gate Bridge, Coal Harbour und die North Shore Mountains bot.

Das Verwirrendste jedoch war der Grund, aus dem er sie herbestellt hatte. Würde sie Lindsays Handschrift nicht genau kennen, hätte sie diese Briefe nie für echt gehalten. Die Echtheit konnte sie also akzeptieren, den Inhalt allerdings begriff sie immer noch nicht.

Deshalb hatte sie den an sie gerichteten Brief auch mit ins Bad genommen, um ihn noch einmal zu lesen, ohne Raffaello Orsinis forschenden Blick auf sich liegen zu spüren.

12. Juni 2005
Liebste Corinne,
ich hatte gehofft, dich noch einmal zu sehen. Wir hätten dann miteinander reden können, so wie wir es immer getan haben, offen und ohne etwas zurückzuhalten. Ich hatte auch gehofft, Elisabettas dritten Geburtstag miterleben zu können, doch inzwischen weiß ich, dass mir beides nicht mehr vergönnt sein wird. Mir bleibt nicht viel Zeit, um meine Angelegenheiten zu regeln, daher muss ich es schriftlich machen.
Corinne, du bist nunmehr seit fast einem Jahr Witwe, und ich weiß besser als jeder andere, wie schwer es für dich gewesen ist. Ich sehe inzwischen mit eigenen Augen, wie schmerzhaft Trauer sein kann, aber dann auch noch Geldsorgen zu haben … Zumindest das blieb mir erspart. Doch selbst mit Geld lässt sich keine Gesundheit kaufen, auch kann es einem Kind nicht den Verlust eines Elternteils ersetzen. Das ist etwas, das dein Sohn und jetzt auch bald meine Tochter durchmachen müssen und mich dazu bringt, diesen Brief zu schreiben.
Alle Kinder haben ein Recht auf zwei Elternteile, Corinne. Eine Mutter, um die kleinen Wehwehchen wegzuküssen, um einer Tochter den Weg zur Frau zu ebnen und um einen Sohn Mitgefühl und Zärtlichkeit zu lehren. Sie brauchen auch einen Vater, der sie vor einer Welt beschützt, deren sinnlose Grausamkeiten sie in so jungen Jahren noch nicht verstehen können, und der ihnen dann später beibringt, wie man sich dagegen wehrt.
Mit Raffaello habe ich so viel Glück erfahren. Er ist ein wunderbarer Mann und das beste Rollenvorbild für einen kleinen Jungen, der ohne Vater aufwachsen muss. Raffaello würde Matthew so unendlich guttun. Und wenn ich nicht mehr für meine Elisabetta da sein wer
de, dann kann ich mir niemand Besseren vorstellen als dich, Corinne, um meinen Platz einzunehmen.
Ich liebe dich praktisch seit dem Augenblick, als wir uns damals in der ersten Klasse begegneten, du bist meine Seelenschwester. Deshalb bitte ich dich, mir meinen letzten Wunsch zu erfüllen – dass nämlich du dich mit Raffaello zusammentust, in einer Ehe, und ihr die leeren Plätze im Leben unserer Kinder füllt.
Ihr seid zwei Menschen, die einander viel geben können. Doch ich habe noch einen ganz egoistischen Grund. Elisabetta ist zu jung, um mich in Erinnerung zu behalten. Ich hasse den Gedanken. Natürlich wird Raffaello alles tun, um mich in ihrem Herzen lebendig zu halten, doch niemand kennt mich so genau wie du. Du kannst ihr erzählen, wie ich als Kind und als Teenager war. Du kannst ihr von meinem ersten Flirt erzählen, meinem ersten Kuss, meinem ersten Liebeskummer, von meinem Lieblingsbuch, meinem Lieblingsfilm, meinem Lieblingslied … und noch so vieles mehr.
Wir beide haben alles miteinander geteilt. Wenn Elisabetta sich an dich wenden kann, dann ist es fast so, als könnte sie mich fragen. Ich vertraue dir mein Leben an, Corinne, doch das ist nun nicht mehr viel wert. Daher vertraue ich dir meine Tochter an. Ich verspüre den verzweifelten Drang zu leben, und ich habe solche Angst zu sterben. Aber ich könnte beruhigter gehen, wenn ich wüsste, dass Raffaello und du …

Hier endete der Brief, als hätte Lindsay keine Kraft mehr gehabt. Oder vielleicht waren es die Tränen gewesen, die sie daran gehindert hatten, weiterzuschreiben. Die Spuren waren auf dem Papier zu sehen, Spuren, die durch Corinnes Tränen jetzt aufgefrischt wurden.

Corinne griff eine Hand voll Kleenextücher und wischte sich den verlaufenen Mascara weg, der zu allem Übel in ihren Augen brannte.

„Oh, Lindsay“, flüsterte sie verzweifelt. „Du weißt, dass ich alles für dich tun würde. Alles … Aber das kannst du nicht von mir verlangen.“

2. KAPITEL

Als Corinne in den Salon zurückkehrte, stand der Mond am Himmel und sandte silberne Strahlen auf die schwarze Wasseroberfläche im Hafen. In der Suite leuchtete eine Bodenlampe und warf einen warmen Schein auf die Chaiselongue beim Fenster. Auf dem gedeckten Esstisch schimmerten Kristall und Silber im Schein der Kerzen. Corinne war erleichtert, als sie die dezente Beleuchtung sah. Das schwache Kerzenlicht würde ihre rot geweinten Augen kaschieren und verbergen, dass die Wimperntusche längst verschwunden war.

Raffaello Orsini rückte ihr den Stuhl zurecht und setzte sich dann ihr gegenüber. Mit einem unmerklichen Nicken ließ er den Kellner wissen, dass der Wein gereicht werden konnte. Doch Corinne schmeckte nichts von dem leichten weißen Burgunder, denn Lindsays Brief hatte sie zutiefst getroffen. Vermutlich würde sie keinen Bissen hinunterbekommen. Inzwischen bereute sie es, die Einladung angenommen zu haben. Sie war nicht nur verwirrt und erschüttert, sondern sah vermutlich wie ein Häufchen Elend aus. Welche Frau würde sich unter solchen Umständen schon wohlfühlen?

Immerhin besaß der Mann so viel Anstand, mit keinem Wort auf ihr Äußeres anzuspielen. Stattdessen plauderte er bei der delikaten Vorspeise witzig und geistreich über seine ersten Erfahrungen als Tourist in der Stadt. Bis das Dessert serviert wurde, hatte Corinne sich im Laufe des mit Sorgfalt zusammengestellten Menüs immerhin so weit entspannt, dass sie tatsächlich etwas von den erlesenen Delikatessen schmecken und ihren Gastgeber näher begutachten konnte.

Dieser Mann strahlte vor allem Selbstsicherheit aus, sein Reichtum war nicht einmal so vorrangig. Auch wenn es offensichtlich war, dass er mehr Geld besaß, als er ausgeben konnte, und über die Macht verfügte, die mit diesem Wohlstand einherging. Eine gefährlich verlockende Kombination. Corinne gefiel sein Scharfsinn. Wenn er lächelte – was er eher selten tat –, dann hätte sie fast den eigentlichen Grund für ihre Anwesenheit vergessen und sich einbilden können, hier säßen nur ein Mann und eine Frau bei einem angenehmen Abendessen zusammen.

Fast. Denn sie wagte es nicht, sich gänzlich zu entspannen. Er war ein vielschichtiger Mann, die faszinierende Verkörperung von Widersprüchen. Die schmale Patek Philippe-Uhr, die handgemachten Schuhe und der maßgeschneiderte Anzug gehörten zum Bild des Finanztycoons, der mit Milliarden jonglierte, und gleichzeitig konnte man sich bei der verhaltenen Kraft seiner breiten Schultern und den durchtrainierten Muskeln gut vorstellen, wie er mit einer Ziege über der Schulter die sizilianischen Berge erklomm. Dennoch war nichts Derbes an ihm, im Gegenteil. Er war das Paradebeispiel eines Mannes von Welt, charmant und attraktiv. Eine Mischung, die eine Frau um den Verstand bringen konnte.

Sie würde auf der Hut sein müssen. Als hätte er ihre Gedanken erraten, ging er plötzlich zum Angriff über.

„Bis jetzt habe ich die ganze Zeit geredet, signora. Nun sind Sie an der Reihe. Erzählen Sie mir etwas Aufregendes von sich, bitte.“

„Da gibt es nicht viel zu berichten, fürchte ich.“ Seine Aufforderung behagte ihr nicht, denn sie konnte sich nicht vorstellen, wohin das führen sollte. „Ich bin eine alleinerziehende Mutter, da bleibt nicht viel Zeit für Aufregendes.“

„Sie meinen, Sie sind zu beschäftigt damit, sich Ihren Lebensunterhalt zu verdienen?“

„So ungefähr, ja.“

„Was machen Sie beruflich?“

„Ich bin Chefköchin.“

„Richtig. Ich erinnere mich wieder, dass meine Frau einmal davon sprach. Sie haben in einem Fünf-Sterne-Restaurant gearbeitet, nicht wahr?“

Autor

Catherine Spencer

Zum Schreiben kam Catherine Spencer durch einen glücklichen Zufall. Der Wunsch nach Veränderungen weckte in ihr das Verlangen, einen Roman zu verfassen. Als sie zufällig erfuhr, dass Mills & Boon Autorinnen sucht, kam sie zu dem Schluss, diese Möglichkeit sei zu verlockend, um sie verstreichen zu lassen. Sie wagte...

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