Verführt von dem falschen Lord?

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"Tragen Sie Rot, damit ich Sie erkenne!" Daphnes Herz klopft zum Zerspringen, als sie die Worte liest. Seit sie auf die Heiratsanzeige eines Mr. Dishforth geantwortet hat, schreiben sie sich zunehmend zärtlich. Und auf dem heutigen Ball wird sie ihn endlich kennenlernen. Als ein attraktiver Fremder sie auffordert, ist Daphne sicher: Er ist ihr geheimnisvoller Briefeschreiber! Ein Märchen scheint wahr zu werden - bis Daphne schockiert den Namen ihres Tanzpartners erfährt: Henry Seldon! Seit Jahrhunderten tobt eine Fehde zwischen Daphnes Vorfahren und der skandalösen Seldon-Familie. Wo ist Mr. Dishforth, um sie vor dem zügellosen Lord zu retten?


  • Erscheinungstag 15.07.2016
  • Bandnummer 87
  • ISBN / Artikelnummer 9783733765316
  • Seitenanzahl 400
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Vorbemerkung der Autorin

Es war einmal, tief in der englischen Provinz, ein kleines, beschauliches Dorf, das sich rühmen konnte, mit einem Fluch belegt worden zu sein. Die meisten Orte hätten diesen Fluch nun wohl eher ignoriert – nicht so Kempton. Dort war man stolz darauf, machte der Fluch den kleinen Weiler doch einzig in seiner Art, weshalb die Dörfler stur daran festhielten.

Wer wollte sich denn auch mit einem Fluch auseinandersetzen, der jedem Dorfmädchen bis ans Ende seiner Tage ein Leben als alte Jungfer bescherte? Und wehe dem Mann, der sich auf das Wagnis einließ, eine von Kemptons jungen Damen zu heiraten! Der letzte derart Beherzte, ein gewisser Mr. John Stakes, führte die höheren Mächte in Versuchung, indem er Agnes Perts zur Frau nahm. Allein sein unseliger Familienname hätte ihm Warnung genug sein sollen, das Schicksal nicht herauszufordern, geschweige denn im ehelichen Schlafgemach einen Schürhaken frei herumliegen zu lassen, der zum Pfählen wie geschaffen war …

Doch dies nur am Rande.

Niemand wusste, woher der Fluch eigentlich rührte oder wie man ihn loswerden könne, und Miss Theodosia Walding war bei einem der wöchentlichen Treffen der Gesellschaft zur Besserung und Bekehrung Kemptons herausgerutscht, dass sie in der Angelegenheit einige Nachforschungen angestellt hatte, um das Dorf von seiner Plage zu befreien, was mit einhelliger Entrüstung aufgenommen wurde.

Nie wieder ließ sie sich zu einer solch unverfrorenen, um nicht zu sagen albernen Bemerkung hinreißen.

Aber dies ist nicht Theodosias Geschichte. Es ist nicht einmal die Geschichte jener anderen bemerkenswerten Dame aus Kempton, die glaubt, den Fluch gebannt zu haben, Miss Tabitha Timmons. Die heute berühmt-berüchtigte Jungfer hat von ihrem exzentrischen Onkel ein Vermögen geerbt (werden nicht alle Vermögen auf diese Weise vererbt?), ging nach London und verlobte sich mit einem Duke.

Ganz recht, einem echten Duke.

Aber solange Tabitha und ihr skandalöser Verlobter nicht in den Stand der Ehe getreten sind und man den Duke nicht von spitzem Gerät durchbohrt oder aber mit dem Gesicht nach unten im Mühlteich treibend findet, lässt sich nicht mit letzter Gewissheit sagen, ob der Fluch von Kempton denn nun wirklich gebannt ist.

Dessen ungeachtet macht sich derweil Miss Daphne Dale, eine weitere junge Dame aus besagtem Kempton, unerschrocken auf die Suche nach einem höchst vernünftigen Ehemann.

Ohne jeden Hintergedanken.

PROLOG

Höchst vernünftiger Gentleman mit eigenem Vermögen sucht vernünftige Dame aus gutem Hause zum Briefwechsel sowie – gegebenenfalls, nach reiflicher Überlegung – nachfolgender Eheschließung.

Anzeige im Morning Chronicle

Zu Beginn der Saison 1810

Nein, nein und nochmals nein!“, zeterte Lord Henry Seldon, als der Butler einen weiteren Postkorb ins Morgenzimmer brachte. „Nicht noch mehr von diesen unseligen Briefen! Verbrennen Sie sie, Benley! Hinfort, gehen Sie mir damit aus den Augen!“

Lady Henrietta Juniper, seine Zwillingsschwester und ehedem Lady Henrietta Seldon, sah von ihrem Teegedeck auf und mühte sich, ein Lachen zu unterdrücken, auch wenn es gar zu komisch war, wie Benley dort unschlüssig in der Tür stand und unter einem großen Weidenkorb wankte, der überquoll von offensichtlich unerwünschten Botschaften. „Stellen Sie ihn neben den anderen und hören Sie nicht auf Seine Lordschaft, Benley. Er ist heute früh ein wenig verstimmt.“

Ein wenig verstimmt? Er kochte vor Wut, hätte Henry gern erwidert, doch er richtete seinen Zorn lieber auf das eigentliche Objekt seines Ärgernisses. „Das wirst du mir mit dem Leben bezahlen, Preston.“

Preston, der nicht nur Henrys und Henriettas Neffe war, sondern auch der Duke of Preston und somit das Familienoberhaupt, duckte sich am Ende des Tisches hinter seine Zeitung und gab sich arglos.

Oh, wäre er es nur gewesen, aber von arglos konnte keine Rede sein. Gegenwärtig war er Henry mehr Fluch als Segen. Nicht nur hatte Preston sich mit seinem verwerflichen Tun, binnen weniger Wochen sage und schreibe fünf junge Damen ruiniert zu haben, auf die schwarze Liste der guten Gesellschaft katapultiert, nein, mittlerweile war sein Makel auch auf Henry und Hen abgefärbt, die auf einmal in kaum noch einem Hause empfangen wurden.

Als wären sie der Komplizenschaft schuldig.

„Du kannst Preston nicht umbringen“, schritt Henrietta ein. Sie tupfte sich die Lippen mit ihrer Serviette ab und legte sie neben ihren Teller. „Wie würde das denn aussehen? Du bist sein Erbe. Das wäre schlechter Stil.“

„Jawohl, schlechter Stil, da hast du es, Onkel“, sagte Preston über seine Zeitung hinweg. Er nannte Henry nur dann „Onkel“, wenn er ihn auf die Palme bringen wollte, betrug der Altersunterschied zwischen ihnen doch gerade mal sechs Monate – Prestons Großvater hatte die Zwillinge in unziemlich fortgeschrittenem Alter, quasi als einen Nachsatz, dem Familienstammbaum hinzugefügt.

Und so kam es, dass Henry der Onkel von Londons wohl berüchtigtstem Wüstling war.

Wenn Preston jetzt hier den anständigen Neffen geben wollte, würde Henry es ihm mit gleicher Münze vergelten. „Schlechter Stil war, was du und dein Freund, dieser Nichtsnutz von Roxley, euch mit dieser albernen Anzeige im Morning Chronicle geleistet habt.“

Wer hätte gedacht, dass eine einzige kleine Anzeige, ein Scherz von zwei Trunkenbolden, eine solche Flut von Antworten nach sich ziehen würde?

Henry fand sich förmlich begraben unter Briefen heiratswilliger Damen.

„Du solltest mir dankbar sein“, bemerkte Preston. „Jetzt kannst du dir eine Braut aussuchen, ohne jemals einen Fuß ins Almack’s setzen zu müssen.“

„Dir dankbar sein? Ich will überhaupt nicht heiraten“, erwiderte Henry. „Das überlasse ich dir – du bist der Erbe. Warum suchst du dir nicht eine dieser schreibwütigen Miezen aus?“

Preston schaute mit einem seltsamen Funkeln in den Augen auf. „Vielleicht habe ich sie ja schon gefunden? Meine Mieze, meine Tabby …“

„Oh nein, nicht das schon wieder“, seufzte Henry. „Soll das heißen, dass du diese Pfarrerstochter allen Ernstes heiraten willst, mit der du da herumtändelst?“

Ehe Preston etwas erwidern konnte, mischte Hen sich ein: „Du kannst dich glücklich schätzen, Henry, dass Preston sich seinen unseligen Scherz nicht in der Times erlaubt hat.“ Ein Lächeln spielte um ihre Lippen, als sie noch einen Schluck Tee nahm und sich zufrieden zurücklehnte. „Wenn ich ehrlich sein soll, fand ich Prestons Anzeige recht fad.“

„Fad?“, beschwerte sich Preston, schlug die Zeitung zu und musterte seine Tante. „Ich bin nie fad.“

„Dann eben harmlos“, lenkte sie ein. „Ich hätte nie gedacht, dass überhaupt jemand auf solchen Unsinn reagiert, geschweige denn einen Mann heiraten will, der sich selbst als ‚vernünftig‘ beschreibt.“ Sie schaute zu Benley hinüber, der den zweiten Postkorb neben dem ersten abstellte, der schon früher angekommen war. „Herrje, wie viele einsame Herzen gibt es denn in London?“

„Das wären jetzt knapp über zweihundert, Mylady“, erwiderte Benley und beäugte misstrauisch die gesammelten Werke, von denen ein betörendes Potpourri aus Rosenwasser und Veilchenduft aufstieg. „Mylord“, wandte er sich an Lord Henry, „Lady Tafts Lakai lässt fragen, wann Sie das ausstehende Porto zu begleichen gedenken. Ihre Ladyschaft ist recht ungehalten, eine nicht unbeträchtliche Summe aus eigener Tasche zahlen zu müssen – wie es aussieht, hat die Zeitung nun auch entlegenere Landstriche erreicht.“

Hen riss die Augen auf. „Die Briefe treffen in deinem Haus ein?“

„Ja, das tun sie“, erwiderte Henry.

„Natürlich tun sie das. So betrunken, dass ich diese Adresse hier angegeben hätte, war ich dann doch nicht“, warf Preston ein. „Man stelle sich nur den Lärm vor, die Belästigungen.“ Schaudernd wandte er sich wieder seiner Zeitung zu.

„Was nun auch der Grund für Lady Tafts Verdruss ist“, sagte Henry. „Als sie mein Haus für die Saison mieten wollte, habe ich ihr versichert, es sei eine der ruhigsten Adressen der ganzen Stadt.“

Besagtes Haus, gelegen am überaus respektablen und einstmals tatsächlich ruhigen Cumberland Place, war eine geräumige und repräsentative Stadtresidenz, die Henry von seiner Mutter geerbt, jedoch nie bezogen hatte. Wozu auch, wo er doch mit Preston und Hen – so diese sich gerade ohne Angetrauten befand –, sehr komfortabel im offiziellen Londoner Stadthaus der Seldons an der Harley Street lebte, gleich um die Ecke vom Cavendish Square. Bei solch einer guten Adresse und allen Vorzügen, die ein herzoglicher Haushalt zu bieten hatte, sah Henry wenig Sinn darin, einen eigenen Hausstand zu gründen.

Zumal er für sein nicht minder gut gelegenes Haus in Mayfair eine stattliche Miete einstreichen konnte – zumindest bislang. Er bedachte seinen Neffen mit strafendem Blick, aber Preston war zu sehr in seine Zeitung vertieft, um es auch nur zu bemerken. Wahrscheinlich war er auf der Suche nach dem neuesten Klatsch und Tratsch über – na, wen wohl? – sich selbst natürlich.

Konnte man es Lady Taft verdenken, dass sie damit drohte, das Mietverhältnis aufzulösen, wenn ständig die Türglocke ging, weil schon wieder einer dieser vermaledeiten Briefe eingetrudelt war?

Allesamt adressiert an den höchst vernünftigen Gentleman.

Dabei fühlte er sich im Augenblick alles andere als vernünftig.

Henry stieß seinen Stuhl vom Tisch zurück und stand auf. Raschen Schrittes durchmaß er den Raum, schnappte sich den ersten der beiden Körbe und marschierte damit zum Kamin.

„Du lieber Himmel!“, rief Hen und sprang auf. „Was hast du denn vor?“

Selbst Preston ließ die Zeitung sinken und verfolgte das Geschehen.

„Wonach sieht es denn aus?“, fragte Henry und blieb vor dem Kamin stehen. „Verbrennen werde ich sie, allesamt.“

Hen schoss durchs Zimmer, in ihrer Trauerkleidung wie ein schwarzer Pfeil, und entwand ihm den Korb. „Aber nein, das darfst du nicht.“

Henry versuchte, ihn zurückzubekommen, aber vergebens, er hätte es sich denken können. Nicht umsonst galt Hen als vermutlich die sturste aller Seldons, die je gelebt hatten. Sie drehte sich so, dass der Korb außerhalb seiner Reichweite war, und funkelte ihn an.

„Die Damen haben sich beim Verfassen dieser Briefe alle erdenkliche Mühe gegeben und erwarten eine Antwort. Du kannst die Briefe nicht einfach aus einer Laune heraus verbrennen“, sagte sie. „Das gehört sich nicht. Du musst sie beantworten. Und zwar alle.“

Voller Hoffnung, dass der von den Ergüssen der einsamen Herzen aufsteigende betäubende Duft nach eau florale seine Schwester überwältigen würde, schenkte Henry ihren Worten kaum Beachtung. Sein ganzes Trachten ging dahin, sich die Briefe zu schnappen, kaum dass Hen bewusstlos zu Boden ging – und sie hoffentlich dem Feuer zu überantworten, ehe sie wieder zur Besinnung kam.

Doch nicht einmal die beseligende Vorstellung, die Folgen von Prestons sogenanntem Scherz auf den Kohlen verglühen zu sehen, konnte ihn nicht über die Bedeutung von Hens Worten hinwegtäuschen.

Sie wollte, dass er diese leidigen Briefe beantwortete.

Henry lauschte den Worten noch einmal nach. Sie beantworten? Jeden einzelnen Brief?

Preston schien sich über diese Aussicht köstlich zu amüsieren. „Aber ja, Henry, dem kann ich nur beipflichten“, sagte der Duke. „Du willst doch nicht so viele Damen enttäuschen, oder? Das wäre ganz und gar nicht vernünftig.“

Henry ignorierte Preston und hielt den Blick auf seine Schwester gerichtet. „Du erwartest doch nicht allen Ernstes von mir, dass ich all diesen Frauen schreibe?“

„Aber natürlich! Jedes dieser armen Geschöpfe wartet doch nur auf deine Antwort. Wahrscheinlich stehen sie jetzt gerade, landauf, landab, noch während wir hier sprechen, am Fenster und sehnen die Post herbei.“

Er schnaubte bei der Vorstellung, wie in ganz London – und dem Vernehmen nach wohl in halb England – einsame alte Jungfern darauf warteten, dass die Liebe auf versiegeltem Bütten zur Tür hereingeschneit kam. „Das ist doch lächerlich.“

„Ist es nicht“, sagte Hen in diesem Ton, der Henry wohlvertraut war und keinen Widerspruch duldete. Sie trug den Korb hinüber zum Tisch und begann die Briefe zu sortieren. „Erinnerst du dich noch daran, wie es damals war, als Lord Michaels um mich geworben hat? Wie am Boden zerstört war ich, als er einmal zwei ganze Tage nichts von sich hatte hören lassen!“

Henry und Preston stöhnten bei der bloßen Erwähnung des Namens dieses Halunken.

Michaels war Gatte Nummer zwei gewesen. Drei an der Zahl gab es bislang, wobei Hens jüngste Errungenschaft, Lord Juniper, vor sechs Monaten plötzlich und unerwartet das Zeitliche gesegnet hatte. Daher auch die Trauerkleidung und Hens sentimentale Anwandlung.

„Ich wusste nicht mehr, was ich denken sollte, ob er mich liebt oder nicht“, verkündete sie und drückte sich ein Bündel Briefe an die Brust – was reichlich theatralisch wirkte, bis der Blütenduft sie niesen ließ und sie die Schriftstücke zurück in den Korb warf.

„Es hat dich nicht davon abgehalten, den Burschen zu heiraten, kaum dass er sich wieder hat blicken lassen“, grummelte Henry. Lord Michaels konnte vor seinen Augen keine Gnade finden. Ein bloßer Baron, und selbst das nur mit Ach und Krach.

Hen gab sich blasiert. „Nun denn, aber diese zwei Tage wie gesagt, während derer ich nicht um seine Gefühle für mich wusste, waren die längsten, schlimmsten zwei Tage meines Lebens.“

„Nein, wirklich, Hen – ist das nicht ein bisschen übertrieben? Die schlimmsten Tage deines Lebens?“ Henry schüttelte den Kopf und warf einen düsteren Blick in den Postkorb. Ihm bescherte man hier gerade die schlimmste Woche seines Lebens.

„Du musst sie beantworten“, beharrte sie und drohte ihrem Bruder gar mit erhobenem Zeigefinger. „Und sei es nur, um die Damen wissen zu lassen, dass sie einem Scherz aufgesessen sind, der auch dich getroffen hat, und es dir leidtut, wenn man ihnen unnötigen Kummer bereitet haben sollte.“

„Soll Preston sich doch entschuldigen“, erwiderte Henry und zeigte auf den wahren Schuldigen. „Er hat die Anzeige aufgegeben.“

„Ach, du weißt doch, dass er das niemals tun wird“, winkte Hen ab.

„Wärst du an besagtem Abend nicht so überaus pingelig gewesen, hätte ich die Anzeige überhaupt nicht aufgegeben“, verteidigte sich Preston. „Dieses kleinkarierte Genörgel, dass ich den guten Namen der Familie ruinieren würde.“ Er griff wieder nach seiner Zeitung. „Wenn ich euch beide daran erinnern darf: Wir sind Seldons – wir hatten nie einen guten Ruf zu verlieren.“

„Ganz genau“, griff Henry diese Feststellung bereitwillig auf. „Sollten besagte Damen herausfinden, wem sie in aller Unschuld geschrieben haben, und herumerzählen, wie übel ihnen – wieder einmal – von einem Seldon mitgespielt wurde, meinst du dann nicht auch, Hen, dass dies dem Ruf unserer Familie noch weiteren Abbruch täte? Bedenke, diesmal könnte dir gar der Zutritt zu Almack’s verwehrt werden.“

Er und Preston hielten gespannt den Atem an. Offiziell war zwar Preston das Oberhaupt der Familie, aber weder Neffe noch Bruder hätten sich jemals Hens Wünschen widersetzt, schon allein in ihrer beider Interesse.

Also musste man strategisch vorgehen – was meistens funktionierte.

Meistens.

„Du brauchst nicht mit deinem richtigen Namen zu unterschreiben“, machte sie Henrys Hoffnungen zunichte. „Schreib einfach …“ Sie trommelte mit den Fingern an ihre Lippen, dann lächelte sie. „Ich weiß! Unterschreib mit ‚Mr. Dishforth‘.“

„Dishforth!“, rief Henry überrascht, denn es war schon eine Weile her, dass dieser Name zuletzt gefallen war.

„Dishforth! Aber natürlich, warum nur bin ich nicht selbst darauf gekommen?“, meinte Preston und nickte Hen anerkennend zu. Kein Wunder, dass ihm die Idee gefiel. Dishforth, eine Erfindung Henrys aus Kindertagen, war dereinst zu Prestons unangefochtenem Helden avanciert. Wann immer etwas zu Bruch gegangen oder der Apfelkuchen bis auf ein paar Krümel verschwunden war, wurde es – sehr zum Leidwesen ihrer Kindermädchen und Lehrer – besagtem Mr. Dishforth, dem armen, alten Schlingel, zur Last gelegt.

Ungezählt die großen und kleinen Tragödien, die Dishforth auf dem Gewissen hatte. Da konnte er sich dieser jüngsten Katastrophe auch noch annehmen.

„Gut, dann eben Dishforth. Das enthebt dich aber nicht deiner Pflicht, Preston“, ließ Henry ihn wissen. „Du wirst diese Briefe beantworten.“

„Sag bloß, du willst mir das anvertrauen?“ Preston zwinkerte Hen zu.

„Preston hat dazu keine Zeit, Henry. Du wirst dich selbst darum kümmern müssen“, teilte Hen ihrem Bruder mit – und ihrem Neffen.

Er hat keine Zeit?“

Ich habe keine Zeit?“

„Nein“, erwiderte sie. „Und ich verstehe wirklich nicht, warum du deswegen so ein Theater machst, Henry. Ich weiß genau, dass du deinen Sekretär diese Briefe schreiben lässt und keinen weiteren Gedanken daran verschwenden wirst.“

Henry war so klug, Verlegenheit zu heucheln, auch wenn genau das sein Plan gewesen war.

Aber auch Preston sollte nicht ungeschoren davonkommen. Hen sah den Herzog an und sagte: „Dir bleibt keine Zeit für solche Kindereien, weil du voll und ganz damit beschäftigt sein wirst, dir eine passende Ehefrau zu suchen. Eine respektable junge Dame, die deinen – und damit auch unseren – Ruf wiederherstellt.“

„Du liebe Güte, Hen, nicht das schon wieder!“, stöhnte Preston. „Was, wenn ich besagte junge Dame schon gefunden hätte? Ein wahrer Ausbund an Tugend, meine perfekte Duchess.“

„Ich würde dir nicht glauben“, erwiderte Hen und verschränkte die Arme vor der Brust.

Henry grinste Preston hinter dem Rücken seiner Schwester schadenfroh an. Das geschah dem Taugenichts nur recht, dass er auch mal sein Fett abbekam. Endlich.

Aber Henry sollte sich zu früh freuen.

Als Hen Preston aus dem Morgenzimmer drängte, drehte der Duke sich noch mal um und zeigte auf seinen Onkel. „Schreib lieber schnell zurück. Lady Taft ist ein schreckliches Plappermaul. Kaum auszudenken, wenn erst die Runde macht, dass du inseriert hast, um eine Frau zu finden.“ Er hob arrogant die Brauen und ließ sich dann von Hen seinem ihm zugedachten Schicksal zuführen.

Henry gönnte seinem Neffen einen Moment des Mitgefühls – denn welcher Junggeselle würde das nicht, sähe er einen der Seinen ins Verderben gehen? –, doch lang hielt sein Beileid nicht vor. Als ihm nämlich aufging, dass Preston sich einen Spaß daraus machen würde, die unselige Geschichte, wenn auch über Umwege – namentlich Lady Taft – überall zu verbreiten.

Zum Henker mit ihm! Jede Wette, dass er das tun würde. Wahrscheinlich würde er es auch seinen Freund Roxley, diesen Wirrkopf, überall herumerzählen lassen, und am Ende würde ganz London über ihn, Henry, lachen.

Nicht auszudenken. Diese Schmach, dieses Grauen!

Nun, im Angesicht drohender, öffentlicher Bloßstellung, wurde Henry klar, dass er das Ganze im Keim ersticken musste.

Schnellstens.

Als er sich nach dem ersten Korb bückte, sah er, dass einer der Briefe herausgefallen war. Das Siegel hatte sich gelöst, und die beschriebene Seite lag offen vor ihm.

Eine forsche, doch sehr feminine Handschrift stach ihm ins Auge – ja, die Worte sprangen ihn geradezu vom Papier an.

Sehr verehrter höchst vernünftiger Herr,

sollte es sich bei Ihrer Anzeige lediglich um einen Scherz handeln, so lassen Sie sich gesagt sein, dass er kein bisschen witzig ist …

Seiner schlechten Laune zum Trotz musste Henry lachen. Diese unverschämte Mamsell hatte die Sache sofort durchschaut. Nichts war daran witzig, gar nichts. Als er sich den Brief genauer anschaute, stellte er fest, dass fast die gesamte erste Seite eine Moralpredigt war, nicht leichtfertig mit den Herzen und Hoffnungen junger Damen zu spielen.

Wohlgesetzte Worte, die selbst durch Prestons dickes Fell gedrungen wären.

Und ehe er es sich versah, saß Henry wieder am Frühstückstisch und vertiefte sich in das Schreiben der jungen Dame. Er goss sich eine frische Tasse Kaffee ein, denn während Hen und Preston Tee bevorzugten, trank Henry lieber Kaffee, und Benley sorgte zuverlässig dafür, dass immer eine Kanne bereitstand. Die Füße auf Hens Stuhl gestützt, las er sich den Brief einmal von vorn bis hinten durch. Und nachdem er ihn ein Mal gelesen hatte, las er ihn gleich noch ein zweites Mal.

Beide Male musste er lauthals lachen. Herrje, wie köstlich. Was für ein unglaubliches kleines Biest. Er warf den Brief auf den Tisch, doch während er seinen Kaffee austrank, ertappte er sich dabei, wie sein Blick immer wieder zu den letzten Zeilen zurückkehrte.

Sollte es jedoch wirklich Ihr Wunsch sein, die Bekanntschaft einer vernünftigen Dame zu machen, dann vielleicht …

Er hielt inne und starrte wie gebannt auf dieses eine Wort. Vielleicht.

Nein, völlig unmöglich, das konnte er unmöglich tun, dachte er und schüttelte den Kopf. Aber dann nahm er sich den Brief noch einmal vor, und aller ihm gegebenen Vernunft zum Trotz (denn in einer Hinsicht hatte Preston recht gehabt: Henry war überaus vernünftig) rief er nach Benley, dass er ihm schlichtes Papier und Schreibzeug bringen möge.

1. KAPITEL

Miss Spooner,

lassen Sie mich ganz ehrlich sein: Ihre Erwiderung auf die Zeitungsannonce lässt sehr genau erkennen, wie wenig Sie über Männer wissen. Kein Wunder, dass Sie noch immer unverheiratet sind. Sie müssen entweder furchtbar zänkisch sein – oder aber überaus unterhaltsam. Vermutlich werden nur der Lauf der Zeit und weitere Korrespondenz darüber Aufschluss geben.

Aus einem Brief von Mr. Dishforth an Miss Spooner

London, sechs Wochen später

Miss Dale, Sie wirken erhitzt. Brüten Sie ein Fieber aus? Unterstehen Sie sich! Nicht hier, auf Miss Timmons’ Verlobungsball!“, schalt Lady Essex Marshom und wandte sich an ihre jüngst verpflichtete Gesellschafterin. „Miss Manx, wo haben wir mein Riechsalz?“

Während die leidgeprüfte junge Frau in einem Retikül, das die Größe eines kleinen Koffers hatte und alles enthielt, was Lady Essex stets zur Hand zu haben müssen glaubte, nach dem Gewünschten suchte, gab Daphne sich alle Mühe, die Besorgnis der alten Dame zu zerstreuen.

„Mir fehlt nichts, Lady Essex, wirklich nicht, mir geht es bestens“, versicherte sie ihr und warf ihrer Freundin Miss Tabitha Timmons einen bangen Blick zu. Als Lady Essex sie das letzte Mal mit ihrem berüchtigten Riechsalz traktiert hatte, hatte Daphne noch eine ganze Woche danach nichts mehr riechen können.

„Nun, etwas gerötet siehst du schon aus“, pflichtete Tabitha mit einem schelmischen Funkeln ihrer braunen Augen bei.

Daphne verbiss sich die Bemerkung, die ihr auf der Zunge lag, auch wenn Tabitha ihrer Ansicht nach seit ihrer Verlobung mit dem Duke of Preston frech und vorlaut wie ein Fischweib geworden war und ihr einst so vernünftiges Wesen schmerzlich missen ließ.

Aber das kam eben davon, wenn man einen Seldon heiratete.

Daphne versuchte, nicht bis in die Dale’schen Zehenspitzen zu erschauern, befand sie sich doch hier gewissermaßen in der Höhle des Löwen, im Stadthaus der Seldons an der Harley Street, wo Tabithas und Prestons Verlobung mit einem Ball gefeiert wurde.

Nicht dass Daphne ihrer Freundin ihr Glück missgönnte. Denn es ließ sich kaum bestreiten, dass Tabitha dank Preston im siebten Himmel schwebte. Und die Verlobung hatte ihnen zudem Anlass gegeben, nach London zurückzukehren, was Daphne nur recht war, denn hier lagen all ihre Hoffnungen.

Hoffnungen, die auf einem gewissen Gentleman ruhten. Und heute Abend, da war Daphne sich ganz sicher, würde sie … würde sie endlich … Mit einem verstohlenen Blick auf ihre Freundin schickte sie ein stummes Stoßgebet gen Himmel, dass sie dereinst genauso glücklich würde, wenn sie erst ihre große Liebe gefunden hatte.

Denn wie könnte es anders sein, wo Mr. Dishforth doch irgendwo in diesem Saal war.

Oh ja, Mr. Dishforth. Sie, Daphne Dale, die vernünftigste aller Damen aus Kempton, hatte sich auf eine stürmische Korrespondenz mit einem Wildfremden eingelassen.

Und heute Abend würde sie ihm endlich von Angesicht zu Angesicht gegenüberstehen.

Sie hätte es mit einem ganzen Regiment von Seldons aufgenommen, um an diesem Ball teilzunehmen und ihrem lieben Mr. Dishforth zu begegnen.

„Wer sieht etwas gerötet aus?“, wollte Miss Harriet Hathaway wissen, die eben vom Tanzboden kam und tatsächlich gerötet und erhitzt aussah.

Lady Essex begann derweil ungeduldig zu werden.

„Miss Manx, wie oft muss ich Ihnen noch sagen, dass es oberstes Gebot ist, sein Riechsalz stets zur Hand zu haben?“

Harriet verzog das Gesicht und raunte unheilvoll:

„Wer ist diesmal die Unglückliche?“

Tabitha zeigte auf Daphne, die mit den Lippen ein lautloses „Rettet mich!“ formte.

Was Harriet, als beste Freundin, die man sich nur wünschen konnte, auch sogleich tat.

„Keine Sorge, Lady Essex, das liegt bloß an Daphnes Kleid. Der rote Satin verleiht ihr einen so rosigen Teint. Was unserer lieben Daphne wirklich gut zu Gesicht steht, finden Sie nicht?“

Die gute Harriet. Eins musste man ihr lassen: Sie ließ nichts unversucht.

„Sie ist erhitzt, wenn ich es doch sage“, beharrte Lady Essex. Dazu musste man wissen, dass Lady Essex keine Gelegenheit ausließ, ihr berühmtes Riechfläschchen zum Einsatz zu bringen. Mittlerweile hatte sie Miss Manx das Retikül abgenommen und durchsuchte nun selbst dessen Tiefen. „Es hätte gerade noch gefehlt, dass Sie mir hier in Ohnmacht fallen, Daphne Dale. Wenn man erst besinnungslos am Boden liegt, ist es nachgerade unmöglich, sich wie eine Dame zu betragen.“

Tabitha hob die Schultern. Was wollte man dagegen sagen?

Doch Harriet, furchtlos wie sie war, gab nicht so schnell auf.

„Wissen Sie, Lady Essex, ich finde ja, dass sich die Lebensgeister mit einer kleinen Runde durch den Saal viel besser beleben lassen.“ Sie legte eine bedeutungsvolle Pause ein, in der sie Daphne und Tabitha zuzwinkerte, dieweil die Dame noch immer in ihr Retikül vertieft war. „Zudem könnte ich schwören, dass ich eben, als ich mit Lord Fieldgate tanzte, Lady Jersey am anderen Ende des Saals gesehen habe.“

„Lady Jersey, sagten Sie?“ Lady Essex horchte auf und schien das Riechsalz für den Moment vergessen zu haben. Besser noch, sie vergaß sogar, Harriet dafür zu tadeln, überhaupt erst mit dem ruchlosen Viscount getanzt zu haben.

„Aber ja, ich bin mir ganz sicher.“ Und Harriet beließ es nicht dabei, sondern hakte sich bei Lady Essex unter, reichte das grauenhafte Retikül Miss Manx zurück und lotste die alte Dame ins Gemenge. „Meinten Sie nicht vorhin, dass Sie uns bereits jetzt Karten für die kommende Saison sichern könnten, wenn Sie bloß ein Wort mit ihr sprächen?“

So einfach war es, das leidige Riechsalz praktisch im Handumdrehen vergessen zu machen – und Daphnes erhitzte Wangen gleich mit dazu!

Die Aussicht auf eine Begegnung mit Lady Jersey ließ alles andere in Bedeutungslosigkeit versinken.

Daphne und Tabitha folgten den beiden, wenn auch in sicherer Entfernung, um sich ungestört unterhalten zu können.

„Du gehst ein furchtbares Wagnis ein“, flüsterte Tabitha ihrer Freundin zu. „Sollte Lady Essex das herausfinden …“

„Pssst!“ Daphne hielt sich den Finger an die Lippen. „Du sollst es doch nicht sagen, auch nicht ganz leise. Sie hört alles.“

Es grenzte ohnehin an ein Wunder, dass die alte Dame nicht längst schon hinter Daphnes dunkles Geheimnis gekommen war – dass Daphne auf die Heiratsannonce eines Gentleman geantwortet hatte.

Aber es war so. Und der Gentleman hatte ihr geantwortet. Woraufhin sie ihm ebenfalls geantwortet hatte. So war es dann den ganzen letzten Monat hin und her gegangen, heimlich und geheimnisvoll und gewiss hochgradig unschicklich und ruinös, sollte jemand die Wahrheit erfahren.

Würde Lady Essex dahinterkommen, dass ein solch skandalöser Briefwechsel direkt vor ihrer Nase stattfand, würde sie mit Sicherheit der Schlag treffen und die einzigen Briefe, die Daphne dann noch zu schreiben hätte, wären die Antworten auf die Kondolenzschreiben,.

„Glaubst du, er ist schon hier?“, fragte Tabitha und schaute sich um.

Daphne ließ ihren Blick ebenfalls durch den Saal schweifen und schüttelte den Kopf.

„Ich weiß es nicht. Aber er wird kommen, dessen bin ich mir gewiss.“

Ihr Mr. Dishforth. Erneut spürte Daphne, wie ihr verräterisch das Blut in die Wangen stieg. Zunächst waren ihre Briefe noch recht zaghaft und skeptisch gewesen, doch mittlerweile hatte ihre Korrespondenz, die in einem täglichen Austausch von Briefen und kleinen Billetts bestand, einen durchaus vertrauten Ton angenommen.

Ich würde noch mehr schreiben, werde jedoch heute Abend auf einer Verlobungsfeier erwartet. Darf ich zu hoffen wagen, dass meine Pläne sich mit den Ihren in Übereinstimmung finden?

Daphne presste sich die Finger an die Lippen. Eine Verlobungsfeier. Das konnte eigentlich nur bedeuten, dass er heute Abend hier war, oder? Auf dem großen Ball von Tabitha und Preston. Ihr Mr. Dishforth.

Sollten Ihre Pläne auch Sie zu dieser Feierlichkeit führen, so tragen Sie Rot, und ich werde Sie finden.

Weshalb sie sich in ihr nagelneues rotes Satinkleid geworfen hatte und voll banger, freudiger Erwartung gekommen war, um endlich das Rätsel um die wahre Identität von Mr. Dishforth zu lösen.

Womit dann auch Tabithas und Harriets Bedenken aus der Welt geschafft wären. Als die beiden herausgefunden hatten, was sie getan hatte – oder vielmehr noch immer tat –, waren sie schockiert gewesen.

„Daphne! Wie konntest du nur? Eine Annonce? In der Zeitung?“, hatte Tabitha geradezu betroffen gerufen. „Du kannst doch gar nicht wissen, um wen es sich bei diesem Dishforth wirklich handelt.“

Harriet war wie immer deutlicher geworden.

„Er könnte ein ganz schlimmer Schuft sein, so wie dieser furchtbare Mann aus Reading, der letztes Jahr in der Zeitung nach einer Ehefrau inseriert hat, aber bereits eine in Leeds hatte. Ja, vielleicht ist er es sogar!“

Daphne war zusammengezuckt, hatte ihre Cousine Philomena, die alle von Mr. Dishforth gesandten Briefe abfing und an Daphne weiterreichte, doch genau denselben Einwand vorgebracht. Und das nicht nur einmal.

„Aber ihr werdet es doch nicht Lady Essex sagen, oder?“, hatte sie ihre Freundinnen beschworen. Lady Essex nahm es nämlich sehr ernst damit, den drei jungen Damen in London eine gute Anstandsdame zu sein. Sollte sie von diesem unschicklichen Briefwechsel Wind bekommen – und eine alte Jungfer wie Lady Essex hatte sehr konkrete Vorstellungen von passenden Partien und dem, was schicklich war –, wäre es mit Daphnes Aussicht, Mr. Dishforth tatsächlich kennenzulernen, vorbei.

Ein für alle Mal.

Doch Daphne konnte sich glücklich schätzen, dass ihre Freundinnen, die ihr fast wie Schwestern waren, sich bereitgefunden hatten, ihr Geheimnis zu wahren – vorausgesetzt, sie durften letztlich darüber befinden, ob Mr. Dishforth angemessen war, ehe Daphne etwas Unüberlegtes tat.

Als ob sie, eine vernünftige und respektable Dale – noch dazu eine Dale aus Kempton –, so etwas tun würde.

Und doch konnte sich Daphne eines leisen Erschauerns nicht erwehren, als sie sich der letzten Zeile aus Mr. Dishforths jüngstem Brief entsann. Jene Zeile, die sie ihren Freundinnen nicht vorgelesen hatte.

Ich werde der unvernünftigste Gentleman im ganzen Saal sein. Unvernünftig vor Verlangen nach Ihnen.

Mit einem stillen Lächeln sah sie sich erneut im Saal um und hoffte wider besseres Wissen, ihn inmitten der illustren Gesellschaft, all der gut aussehenden Lords und Gentlemen, ausmachen zu können.

„Daphne, nicht hinschauen, aber da vorn ist ein Herr, der dich sehr aufmerksam betrachtet“, flüsterte Tabitha ihr zu.

Tatsächlich. Daphne ließ ihren Blick unauffällig schweifen, denn im Grunde konnte jeder Gentleman in diesem Raum der Gesuchte sein.

Aber sofort schüttelte sie den Kopf.

„Du liebe Güte, nein.“

„Warum nicht?“, wollte Tabitha wissen.

„Sieh dir doch bloß den Schnitt seines Fracks an. Das ist kein Weston“, erwiderte Daphne, nein, monierte sie geradezu. Denn wenn eine von den dreien sich auf Mode verstand, dann Daphne. „Mein Mr. Dishforth“ – denn er war ihr Mr. Dishforth – „würde auch niemals so viel Spitze tragen. Sieh nur, der manierierte Fall seiner Krawatte!“ Sie schauderte. „Das Tuch schaut so plissiert aus, als hätte ein Seemann Hand angelegt.“

Tabitha lachte, denn sie kannte Daphnes scharfsinnige und spitze Bemerkungen zu Modefragen.

„Stimmt, du hast recht“, pflichtete sie ihrer Freundin bei, als der berüschte Geck an ihnen vorbeischlenderte und dabei einen anerkennenden Blick auf Daphnes Dekolleté warf.

Was kein Wunder war – das Kleid war in der Tat etwas gewagt. Daphne hatte es aus einer Laune heraus geordert und sich dabei vorgestellt, was Dishforth wohl sagen würde, wenn er sie darin sähe. So sinnlich und so elegant!

Weiter vorn war Lady Essex stehen geblieben und plauderte mit einer alten Freundin, weshalb Harriet sich wieder zu ihnen gesellte.

„Also los“, meinte sie, „wer steht auf der Liste, Daphne? Lasst uns deinen Mr. Dishforth finden!“

Daphne holte die Liste aus ihrem Retikül. Sowie sie erfahren hatte, dass auch Mr. Dishforth den Verlobungsball besuchen würde, hatten die drei jungen Damen die Gästeliste nach möglichen Verdächtigen unter die Lupe genommen.

„Lord Burstow“, las Tabitha mit einem Blick über Daphnes Schulter vor.

Die drei schauten zu besagtem Herrn hinüber und mussten feststellen, dass ihre Informationen wohl nicht ganz zutreffend gewesen waren.

„Wie konnten wir nur so danebenliegen?“, flüsterte Harriet.

„Er ist bestimmt schon über achtzig“, meinte Tabitha und schnalzte bedauernd mit der Zunge.

„Und schaut nur, wie er zittert“, raunte Harriet. „Der könnte nie im Leben ein paar lesbare Zeilen zu Papier bringen, geschweige denn einen ganzen Brief!“

Alle waren sich einig und strichen ihn von der Liste. Dann nahmen sie ihre Nachforschungen wieder auf.

„Erzähl doch noch mal, was du über Dishforth weißt“, begann Tabitha.

Mithilfe von Harriet hatte Daphne ein umfangreiches Dossier zusammengestellt, das all ihr gesammeltes Wissen über Dishforth enthielt. Eine Aufstellung, die durchaus mit der Arbeit von Harriets Bruder Chaunce konkurrieren konnte, der für das Innenministerium tätig war.

„Zunächst einmal – und das vor allem – ist er ein Gentleman“, betonte Daphne. „Er war in Eton –“, ein Umstand, den er eher beiläufig erwähnt hatte. „Auch seine Handschrift, Rechtschreibung und Ausdrucksweise weisen auf eine exzellente Schulbildung hin.“

Was auf die meisten der anwesenden Herren zutraf.

Daphne fuhr fort: „Er lebt in London, vermutlich in Mayfair, denn seine Antworten treffen fast postwendend bei mir ein.“

„Oder zumindest“, gab Harriet zu bedenken, „hält er sich seit Erscheinen der Annonce in London auf.“

„Und er hat die Stadt nach dem Ende der Saison nicht verlassen“, merkte Tabitha an.

Aber Daphne ging davon aus, dass Dishforth das ganze Jahr über in London lebte.

„Seine Briefe werden stets von einem Lakaien in neutralem Aufzug überbracht.“

„Cleveres Kerlchen“, seufzte Harriet. „Eine Livree hätte uns einen wichtigen Hinweis geben können.“

Oh ja, Mr. Dishforth hatte bislang alles darangesetzt, dass man ihm nicht so leicht auf die Schliche kam. Bei der Adresse, an die sie ihre Briefe schickte, handelte es sich um ein vermietetes Haus, sehr hübsch am Cumberland Place gelegen – wie die drei herausgefunden hatten, als sie angeblich im Park spazieren gegangen waren.

„Wenn wir Lady Taft hier treffen würden …“, überlegte Tabitha laut und schaute sich im Saal um. Besagte Dame war nämlich die derzeitige Bewohnerin des Hauses am Cumberland Place. Dank Lady Essex’ zerlesener Ausgabe von Debrett’s hatten sie herausgefunden, dass Ihre Ladyschaft zwar zwei Töchter hatte, aber keine Söhne.

Was vermutlich hieß, dass Dishforth andernorts logierte. Aber auch Daphne bediente sich schließlich für ihre Briefe der Adresse ihrer Großtante Damaris, damit Lady Essex ihr nicht auf die Schliche kam.

„Wenn wir Dishforth heute Abend nicht finden“, sagte Harriet, „dann klopfen wir einfach morgen früh bei Lady Taft an die Tür und fragen ihren Butler, warum Ihre Ladyschaft als Dishforths Mittelsmann fungiert.“

„Oder wir erkundigen uns einfach, wer ihr Vermieter ist“, schlug Tabitha vor.

„Nein!“, rief Daphne, die sich für ihre erste Begegnung mit Dishforth einen eindeutig romantischeren Rahmen wünschte. Einfach so in Lady Tafts gemietetes Haus zu platzen, entsprach ganz und gar nicht ihren Vorstellungen.

Vorstellungen, die allerdings stets voraussetzten, dass Dishforth ihr gegenüber ehrlich gewesen war. Dass seine Briefe nicht genauso frei erfunden waren wie sein Name.

Sie zumindest war ganz aufrichtig mit ihm gewesen.

Nun ja, größtenteils. Auch sie hatte nicht ihren richtigen Namen angegeben. Sie hatte ihm als „Miss Spooner“ geschrieben, dem Namen ihrer ersten Gouvernante. Es schien ihr das perfekte Pseudonym zu sein, hatte sich die echte Miss Spooner doch bei Nacht und Nebel mit einem Captain der Marine davongemacht.

Doch nicht nur bei ihrem Namen hatte sie ein bisschen geflunkert. Daphne gestand es sich mit leisem Unbehagen ein: Nein, sie war nicht völlig aufrichtig mit Mr. Dishforth gewesen. So hatte sie nicht erwähnt, dass sie die Schule nicht beendet hatte. Oder wie sehr ihr London zuwider war.

Aber manches ließ sich eben schlecht in einem Brief sagen.

Und du liebe Güte, wären Männer und Frauen immer ganz ehrlich zueinander, würde doch überhaupt niemand mehr heiraten.

Derart in ihre Gedanken vertieft, hatte Daphne gar nicht bemerkt, dass Lady Essex sich wieder bei ihnen eingefunden hatte.

„Miss Dale, Sie sehen etwas derangiert aus.“ Die alte Dame musterte sie mit einem stechenden Blick. „Habe ich es nicht gleich gesagt? Sie glühen ja förmlich! Miss Manx, mein Riechsalz ...“

„Ich befinde mich sehr wohl, wirklich“, beeilte Daphne sich zu versichern.

„Wahrscheinlich liegt es an der Hitze, es ist wirklich furchtbar stickig hier im Saal“, befand Lady Essex. „Ein Ball – mitten im Juli! Ja, was soll man dazu sagen? Was meinen Sie, Miss Timmons, wird uns die Hitze in Prestons Owle Park auch so zusetzen?“

„Oh nein, Lady Essex, überhaupt nicht“, versicherte ihr Tabitha. „Owle Park ist ganz wunderbar. Das Anwesen ist sehr weitläufig, die Räume luftig und hell mit einem fantastischen Blick auf den Fluss.“

„Ein Fluss? Na, das lässt doch hoffen. Vorausgesetzt, das Wasser riecht in der Hitze nicht unangenehm“, sagte Lady Essex. „Es ist jungen Damen nicht gerade zuträglich, wenn sie verschwitzt sind. Und die gute Seide ruiniert es gleich mit.“ Letzteres mit einem vielsagenden Blick auf Daphne, deren rotes Kleid die Dame als „viel zu warm“ befunden hatte – was eine höfliche Umschreibung für „ganz und gar unpassend“ war. Für einen so milden Abend hätte ein leichtes, schlichtes Musselinkleid vollkommen genügt, fand Lady Essex.

Aber Daphne war nicht davon abzubringen gewesen – sie würde Rot tragen, koste es, was es wolle –, und nachdem Tabitha und Harriet einhellig bemerkt hatten, wie hübsch und vorteilhaft Daphne in ihrem neuen Kleid aussah, hatte die alte Dame schließlich nachgegeben.

Denn nichts war Lady Essex im Augenblick wichtiger, als dass Harriet und Daphne eine gute Figur machten. Sie brüstete sich gern damit, dass Tabithas Verlobung mit Preston ja letztendlich ihr zu verdanken war, und diesen Erfolg gedachte sie gleich noch zweimal zu wiederholen. Vorausgesetzt, es fanden sich ebenso exzellente Partien für ihre beiden anderen Schützlinge.

„Ich hoffe sehr, Sie werden sich der richtigen Sorte Gentleman gegenüber aufmerksam zeigen, Daphne Dale. Schluss mit dem albernen Benehmen, das Sie in letzter Zeit an den Tag gelegt haben“, beschied Lady Essex in einer Lautstärke, dass der halbe Saal mithören konnte. „Zum Kuckuck mit Ihrer fehlenden Mitgift! Ist eine junge Dame so einnehmend, wie Sie es sind, meine Liebe, sehen Männer über derlei Petitessen gern hinweg. Hätte ich seinerzeit Ihr Haar und Ihre Augen gehabt, wäre ich heute eine Duchess.“

„Haben Sie deshalb den Earl abgewiesen, Lady Essex?“, neckte Tabitha sie. „Weil Sie auf einen Duke gehofft hatten?“

„Nicht jede von uns kann so viel Glück haben wie Sie, Miss Timmons!“, stellte die alte Dame klar. „Eine Duchess! Und dazu noch Prestons Braut. Die Seldons dürften hocherfreut sein, dass Preston endlich heiratet. Und welch ein Glück, dass wir heute alle mit von der Partie sind …“

Daphne konnte sich eines Schauderns nicht erwehren, wie immer, wenn sie den Namen hörte. Nichts konnte eine Dale mehr verdrießen als dieser eine Name.

Seldon.

Wie kam es nur, dass der ton die Seldons in einem anderen Licht sah als die Dales? Es war Daphne ein Rätsel.

„Miss Dale, es wäre wünschenswert, wenn auch Sie sich für Miss Timmons freuen und zu einem Lächeln herablassen könnten“, tadelte Lady Essex sie.

„Sag es ruhig“, meinte Tabitha. „Dir wäre es lieber, ich würde keinen Seldon heiraten.“

„Nun denn, ich zumindest würde keinen heiraten“, erwiderte Daphne recht diplomatisch, wie sie fand, denn was sollte sie sonst sagen? Sie hatte sich längst damit abgefunden, dass ihre liebste Freundin bis über beide Ohren in Preston verliebt war – und er in sie.

Wenn … er bloß kein Seldon wäre.

„Daphne“, tadelte Lady Essex weiter, „wie lang zieht sich diese Fehde nun schon hin? Ein Jahrhundert?“

Seit bald dreihundert Jahren, um genau zu sein, aber Daphne verzichtete darauf, Ihre Ladyschaft zu korrigieren.

„Man sollte meinen, die Dales und die Seldons könnten das Kriegsbeil langsam begraben. Vergeben und vergessen“, mahnte Lady Essex. „Sehr lästig, das alles. Außerdem ist Tabitha mit Preston weitaus besser bedient als mit dem grässlichen Barkworth, den ihr Onkel für sie ausgesucht hatte.“

Lästige Fehde, von wegen! Daphne war bloß froh, dass ihre Mutter nicht da war und das anhören musste. Oder schlimmer noch, mit ansehen musste, wie ihre Tochter einen Ball der Seldons besuchte – gegen den ausdrücklichen Wunsch ihrer Mutter.

„Seien Sie unbesorgt, Lady Essex“, gab Tabitha sich zuversichtlich und hakte sich bei Daphne unter, um ihre Runde durch den Saal fortzusetzen, „wenn ich erst verheiratet bin, wird Daphne gar nichts anderes übrig bleiben, als sich mit den Seldons anzufreunden.“

„Da haben Sie allerdings recht“, pflichtete Lady Essex ihr bei. „Nach den Feierlichkeiten in Owle Park, wenn Miss Dale mit eigenen Augen gesehen hat, wie gut Ihnen die Ehe bekommt, wird dieser ganze Unsinn zwischen den Dales und den Seldons vergessen sein. Aus dem ganz einfachen Grund, weil sie bis dahin selbst einen Gatten gefunden hat.“

Owle Park. Daphne wandte den Blick ab, um sich ihre widerstreitenden Gefühle nicht anmerken zu lassen. Der Landsitz des Duke of Preston. Der Stammsitz der Seldons. Ein Anwesen, das alle Dales für einen Ausläufer von Sodom und Gomorrha hielten.

„Du kommst doch zu der Feier, nicht wahr?“, vergewisserte sich Tabitha, doch was sie damit eigentlich fragen wollte, war: Du kommst doch zu meiner Hochzeit, oder?

Daphne zögerte. Sosehr ihre Eltern sich für Tabitha freuten, dass diese eine so vorteilhafte Partie gemacht hatte, stellten sie sich doch unerbittlich dagegen, dass ihre Tochter ganze zwei Wochen auf feindlichem Gebiet zubrachte.

Unter dem Dach eines Seldon.

„An solch einem Ort?“, hatte ihre Mutter gesagt und war vor Abscheu erschaudert.

Immerhin waren Daphnes Eltern so höflich gewesen, dergleichen nicht in Tabithas Gegenwart zu sagen.

„Ich habe mit meiner Mutter darüber gesprochen“, meinte Daphne nun, wenngleich von einem Gespräch im eigentlichen Sinne kaum die Rede sein konnte.

Als Daphne das Thema zur Sprache gebracht hatte, hatte sich ihre Mutter zwei Tage lang in ihr Bett zurückgezogen, wo sie jammerte und klagte ob dieser Bitte, in der festen Überzeugung, dass die Erlaubnis, ihre einzige und unverheiratete Tochter zu einer Feier im Haus der Seldons gehen zu lassen, gleichbedeutend damit war, sie in das nächstbeste Freudenhaus zu schicken.

Es war doch allgemein bekannt, dass die Seldons den übelsten Lastern frönten. Wie sollte das dann erst auf dem Land werden, weitab vom prüfenden Blick der guten Gesellschaft? Wer wusste schon, welcher Verderbtheit sie dort ausgesetzt sein würde …

Wir werden allesamt ruiniert sein. Oder schlimmer, jammerte und klagte ihre Mutter ihrem mitfühlenden Gatten.

Was genau ihre Mutter mit „oder schlimmer“ meinte, wusste Daphne nicht. Sie hoffte nur, dass Tabitha es nicht schon bald bereuen würde, in eine so berühmt-berüchtigte Familie eingeheiratet zu haben, ganz zu schweigen von dem unrühmlichen Duke. Und seinen ebenso berüchtigten Verwandten – denen Daphne bislang geflissentlich aus dem Weg gegangen war.

„Natürlich kommt sie zu Ihrer Hochzeit“, sagte Lady Essex und drückte Miss Manx ihren Fächer in die Hand. „Wenn Ihre Mutter Ihnen erlaubt hat, die Verlobungsfeier zu besuchen, wird sie wohl auch einmal über ihren Schatten springen können und Sie mit der Hochzeitsgesellschaft aufs Land fahren lassen. Bedenken Sie, die Hälfte der guten Gesellschaft ist ganz verrückt wegen dieser Einladung. Und die andere Hälfte beklagt sich wie verrückt, weil sie keine bekommen hat. Und Ihre Mutter ist nicht so dumm, Ihnen diese Chance zu verwehren, Miss Dale.“

Dem mochte wohl so sein, hätte Daphne gern erwidert, aber ihre Mutter war eine Dale – und zwar durch und durch. Als Dale geboren und mit einem Dale verheiratet. Ihre Verachtung der Seldons beruhte nicht auf ihrem eigenen Misstrauen, sondern auf einer Feindseligkeit, die schon seit Generationen schwelte.

„Nun, wenigstens heute Abend bist du hier“, meinte Tabitha lächelnd. „Meinen Verlobungsball hat sie dir nicht verboten.“

Daphne hüllte sich in Schweigen, denn ihre Mutter hatte ihr nicht wirklich erlaubt, zu kommen.

Ganz im Gegenteil.

Daphne hatte die feste Absicht gehabt, das Versprechen zu halten, das sie ihrer Mutter gegeben hatte, bevor sie mit Tabitha von Kempton nach London aufgebrochen war. Sie würde nicht mehr Zeit mit den Seldons verbringen als unbedingt nötig.

Der heutige Abend ließ sich bestimmt als „unbedingt nötig“ bezeichnen mit der Aussicht, Mr. Dishforth zu begegnen, zum Greifen nah.

Selbst wenn sie dafür einen Tanz mit Prestons Onkel, Lord Henry Seldon, in Kauf nehmen musste.

Wenngleich es eine schreckliche Vorstellung war.

„Du denkst gerade an Lord Henry, nicht wahr?“, vermutete Harriet und stupste sie mit dem Ellenbogen an.

„Zieh bitte nicht so ein Gesicht, wenn er dich zum Tanz bittet“, fügte Tabitha hinzu.

„Ich habe weder an Lord Henry gedacht, noch ziehe ich ein Gesicht“, log Daphne und bemühte sich zu lächeln.

„Doch, hast du und tust du“, sagte Harriet. Manchmal entging ihr aber auch gar nichts.

„Verräterin“, zischte Daphne.

„Nicht meine Fehde“, erwiderte Harriet mit einem Achselzucken.

Tabitha stand derweil mit verschränkten Armen da und wippte ungeduldig mit dem Fuß.

„Oh, zum Kuckuck mit euch beiden!“, rief Daphne. „Ja, ich verspreche die anmutigste und sanfteste Lady im ganzen Saal zu sein, wenn ich mit ihm tanzen muss.“

„Ich weiß gar nicht, weshalb du dich so aufregst“, meinte Harriet. „Nach allem, was Roxley so erzählt, scheint Prestons Onkel sehr umgänglich zu sein. Fast schon langweilig.“

„Ts, ts“, kam es von Lady Essex. „Was höre ich da, Miss Hathaway? Sie wollen doch wohl den Worten meines missratenen Neffen keinen Glauben schenken! Seine Meinung tut hier überhaupt nichts zur Sache. Und Miss Timmons hat ganz recht, es schickt sich nicht, so ein langes Gesicht zu machen. Tanzen Sie einfach mit Lord Henry und bringen Sie es hinter sich.“

„Wie oft muss ich es denn noch erklären?“, seufzte Daphne entnervt. „Er ist ein Seldon, ich bin eine Dale. Wenn meine Familie erfährt, dass ich mit ihm getanzt, mit ihm am Tisch gesessen habe …“

Sie verstummte.

Jedes Mal, wenn sie daran dachte, dass sie mit Lord Henry tanzte, hatte sie ganz deutlich vor Augen, wie landauf, landab in ganz England sämtliche Dales ihre Stammbücher zückten und ihren Namen nachdrücklich daraus entfernten.

Bisweilen sogar herausrissen.

Großtante Damaris würde schnellstmöglich ein neues Stammbuch ordern, in das fein säuberlich die neu geordnete Ahnentafel übertragen würde.

Eine, in der Daphne nicht vorkam.

„Daphne, ich weiß wirklich nicht, was auf einmal in dich gefahren ist“, tadelte Tabitha sie. „Ich dachte, du würdest Preston mittlerweile mögen.“

„Oh ja, durchaus, er scheint sich gebessert zu haben“, räumte sie ein, „was ich aber eher deinem Einfluss zuschreiben würde, Tabitha, als einem angeborenen Charakterzug der Seldons.“

„Angeborener Charakterzug der Seldons?“, fragte Harriet irritiert. „Du müsstest dich mal hören, Daphne – du klingst wie ein Snob der schlimmsten Sorte.“

Das ließ Daphne nicht auf sich sitzen.

„Ich bin kein Snob, Harriet. Ich bin lediglich sehr gut vertraut mit der wenig erbaulichen Familiengeschichte der Seldons. Selbst Lady Essex wird mir wohl darin zustimmen, dass Blut dicker als Wasser ist.“

Lady Essex presste die Lippen zusammen, zog die Stirn in tiefe Falten – und schwieg. Denn ja, dieser Ansicht war sie sehr wohl, aber das konnte sie jetzt, hier, unter den gegebenen Umständen wohl kaum zugeben. Und so gab sie sich den Anschein, den Saal nach ihrem früheren Opfer abzusuchen, Lady Jersey.

„Und ich muss noch einmal fragen – warum muss ich mit ihm tanzen?“, erkundigte sich Daphne mit dem Hauch eines Lächelns, um wenigstens hinlänglich freundlich zu wirken.

„Weil es bei den Seldons so Tradition ist“, wiederholte Tabitha zum vierten Mal. „Bei der Verlobung tanzt die Brautjungfer der Braut mit dem Trauzeugen des Bräutigams.“

Harriet stimmte schnell ein: „Außerdem ist Tabitha unsere beste Freundin, und du tust ihr damit einen Gefallen. Wir wollen ihrem Glück doch nicht im Wege stehen.“ Ihre Worte waren sowohl Mahnung als auch ein bisschen Schelte.

„Dann könntest du doch mit ihm tanzen“, meinte Daphne. Schließlich war Harriet ebenso Tabithas Freundin wie sie.

„Ich habe dir doch erklärt, dass ich diesen Tanz bereits einem anderen versprochen habe“, antwortete Harriet und verschränkte die Arme vor der Brust. „Herrje, es ist doch bloß ein Tanz!“

„Es ist nicht bloß ein Tanz“, stellte Daphne klar. Sie war Lord Henry nämlich auch als Tischdame zugeteilt. „Ihr wisst beide, wie sehr meine Mutter das missbilligen würde.“

„Deine Mutter ist in Kempton“, bemerkte Harriet. „Und wir sind hier, in London.“

„Gütiger Himmel, Miss Hathaway“, rief Lady Essex plötzlich und schaute mit zusammengekniffenen Augen durch den Saal. „Da drüben ist sie, da ist Lady Jersey! Und ich hatte schon geglaubt, Sie hätten sich das bloß ausgedacht, damit ich Miss Dale nicht mit meinem Riechsalz traktiere.“ Sie bedachte die drei jungen Damen mit einem vielsagenden Blick, damit ein für alle Mal klar war, dass ihr nichts, aber auch wirklich gar nichts entging, und wandte sich zum Gehen. „Miss Hathaway, Miss Manx, wir sichern uns jetzt Karten für die nächste Saison – so es denn nötig sein sollte.“ Wieder ein vielsagender Blick, der Harriet und Daphne deutlich zu verstehen gab, dass sie sich lieber mal ranhalten und eine passende Partie suchen sollten, statt unnütz ihre Zeit zu vertrödeln.

Tabitha seufzte.

„Was bin ich froh, dass ich Preston gefunden habe … Ach, seht nur, wenn man vom Teufel spricht. Da ist er, ganz von Lady Juniper in Beschlag genommen. Wahrscheinlich geht es wieder um die Sitzordnung. Mal wieder.“

Daphne folgte ihrem Blick und entdeckte Tabithas Zukünftigen, der von einer sehr eleganten Dame in malvenfarbenem Kleid ins Gebet genommen wurde – die gerade erwähnte Lady Juniper, Prestons Tante und Lord Henrys Schwester.

Tabitha richtete ihr Augenmerk wieder auf Daphne, und an ihrem Wunsch konnte kein Zweifel sein.

„Geh ruhig und rette ihn“, meinte Daphne. „Ich finde mich hier schon allein zurecht.“

„Und solltest du ihn finden“ – gemeint war Mr. Dishforth – „bring ihn sofort zu mir, hörst du?“ Tabitha hob mahnend ihren Zeigefinger. „Untersteh dich, dich auf den ersten Blick zu verlieben und mit ihm durchzubrennen, ehe ich dir meinen Segen geben kann.“

„Tabitha, so etwas würde ich doch niemals tun, dazu bin ich viel zu vernünftig. Also versprochen: Wenn ich Dishforth finde, werde ich nicht mit ihm durchbrennen.“ Sie legte sich die Hand aufs Herz.

Damit gab Tabitha sich zufrieden und eilte fort, um ihren Verlobten zu retten. Daphne sah sich derweil in aller Ruhe unter den Gästen um, die Seldons Ballsaal füllten. Sie war vermutlich die erste Dale, die durch diese unheiligen Hallen wandelte.

So weit, so gut, sinnierte sie, sie war nun fast eine Stunde dort und bislang weder ruiniert noch an einen östlichen Harem verkauft worden.

Tabitha konnte ihr ja viel erzählen, dass es nichts Ungewöhnliches in der Residenz des Duke of Preston gab. Ja, der Rote Salon sei wohl etwas protzig und überladen, aber was wollte man erwarten in einem herzoglichen Anwesen?

Daphne musste in der Tat zugeben, dass sie keine merkwürdigen Insignien des Hell Fire Clubs oder ähnlicher Bündnisse entdeckt hatte, die sich einem ausschweifenden Lebenswandel verschrieben hatten.

Belastende Beweismittel, so vermutete sie, waren gewiss in den Keller verbannt.

Daphne machte sich im Geiste einen Vermerk: Nicht in den Keller gehen!

Aber in Anbetracht dessen, was sie mit ihrem Kommen alles aufs Spiel gesetzt hatte, sollte der Keller vermutlich die geringste ihre Sorgen sein. Insbesondere, wenn ihre Familie herausfand, was sie getan hatte.

Zu ihrer Verteidigung musste gesagt werden, dass sie mit den allerbesten Absichten zu dem Ball gekommen war. Weil er heute hier sein würde. Ihr Mr. Dishforth.

Nach dem heutigen Abend würde ihre Liebe sich nicht mehr bloß auf dem Papier abspielen.

Oh, sie wusste genau, was passieren würde – sie würde aufschauen, und ihre Blicke würden sich treffen. Er würde sie anlächeln. Nein, er würde strahlen vor Freude, dass er sie gefunden hatte.

Das wäre der Moment, dieser magische Augenblick, in dem sie beide es wüssten. Dass sie füreinander bestimmt waren.

Dishforth wäre elegant gekleidet, aber nicht stutzerhaft. Keine Rüschen und Spitzen und opulente Wasserfallfalten. Einfach nur ein gut geschnittener Frack von Weston, das makellos weiße Krawattentuch zu einem schlichten, doch einwandfrei perfekten Mailcoach-Knoten gebunden. Und er würde gut aussehen. Vielleicht sogar so gut wie Preston.

Auch wenn sie sonst kein gutes Haar an einem Seldon ließ – das musste sie ihm lassen: Preston sah wirklich teuflisch gut aus. Aber alle Männer in seiner Familie waren angeblich recht ansehnlich.

Daphne seufzte. Wenn ihr Mr. Dishforth nur annähernd so …

Dann schaute sie auf und sagte sich, dass es ein alberner, lächerlicher Traum war, weit entfernt von der Wirklichkeit.

Und das war es auch, ein albernes Wunschdenken, bis sie zu der anderen Seite des Saals blickte und alles sich genau so zutrug, wie sie es sich vorgestellt hatte.

„Na, schau an, wen haben wir denn da?“, rief der Earl of Roxley, als Henry unbemerkt in den Saal schlüpfen wollte. Normalerweise fand er sich stets pünktlich zu Geselligkeiten ein, doch heute Abend war Henry spät dran. Und das ausgerechnet auf Prestons Verlobungsball.

Hen würde ihm den Kopf abreißen.

Das indiskrete Gebaren des Earls half auch nicht gerade.

„Ah, Roxley“, sagte Henry. Er war von Prestons Freund nicht sonderlich angetan und hielt ihn für einen ziemlichen Quälgeist, aus dem er zudem nie so recht schlau wurde. Und nun kam er hier an, als wären sie beste Freunde seit Kindertagen. Vermutlich suchte der Earl jetzt, da Preston heiratete, einen neuen Weggefährten, mit dem er die Londoner Gesellschaft unsicher machen konnte.

Henry schauderte beim bloßen Gedanken an derlei Torheiten und wollte sich gerade höflich, aber bestimmt aus der Affäre ziehen, als ihm ein zündender Gedanke kam.

Ein Lebemann, ein Salonlöwe.

Um Himmels willen, Roxley war genau der Richtige, um ihm aus seinem Dilemma zu helfen, denn der Graf war in allen Fragen des ton hervorragend bewandert, insbesondere in allen Fragen, die die holde Weiblichkeit anbelangten.

Kurzum, er könnte ihm bestimmt helfen, eine gewisse Dame zu finden.

Henrys Miene hellte sich auf. Wenn das nicht ausgleichende Gerechtigkeit war! Immerhin hatten Roxley und Preston diese verdammte Anzeige aufgesetzt; da war es doch nur redlich, dass Roxley ihm jetzt half, das Problem aus der Welt zu schaffen.

„Wie schön, Sie zu sehen, alter Knabe“, sagte Henry und versuchte ein Lächeln.

„Aber sicher“, erwiderte Roxley und schlug Henry mit der Hand auf den Rücken, als würden sie sich immerzu so jovial begrüßen. „Habe ich schon etwas verpasst?“

„Da fragen Sie den Falschen“, meinte Henry. „Ich bin selbst eben erst eingetroffen.“

„Nein, wirklich?“, rief Roxley und maß Henry mit ungläubigem Blick. „Ausgesprochen untypisch bei Ihnen, mein Guter.“

Wahre Worte. In letzter Zeit gab es so manches an Henry, was ausgesprochen untypisch war. Ihretwegen. Miss Spooner.

„Preston meinte, Sie wären in letzter Zeit etwas sonderbar“, fuhr der Earl fort. „Hat mich darum gebeten, Sie ein bisschen im Auge zu behalten.“

„Ich?“ Henry schüttelte den Kopf. „Ich bin nie sonderbar.“

„Das habe ich Preston auch gesagt“, meinte Roxley. „Aber es ist schon sonderbar, wie Sie hier in Ihrem eigenen Ballsaal herumschleichen. Wüsste ich es nicht besser, würde ich meinen, Sie halten nach jemandem Ausschau.“

Ach herrje, war es wirklich so offensichtlich? Henry versuchte sich in Unschuld. „Wie kommen Sie denn darauf?“

Und nun sollte Roxley – der doch sonst immer etwas durch den Wind wirkte und nur Unsinn redete – sich als aufmerksamer Beobachter mit messerscharfem Blick erweisen, wie seine Tante Lady Essex, dieser alte Drachen. „Weil Sie in den letzten drei Minuten gewiss drei Mal zur Tür geschaut und die Tanzfläche zwei Mal abgesucht haben. Wer ist die Glückliche?“

„Niemand“, wehrte Henry ab. „Sie müssen sich …“

„Guter Mann, versuchen Sie jetzt nicht, alles abzustreiten. Mir können Sie nichts vormachen, ich lebe praktisch davon, anderen einen Bären aufzubinden. Wer ist sie?“, fragte er noch einmal und wartete selbstsicher auf Henrys Geständnis.

Henry presste die Lippen zusammen, denn natürlich hatte er noch keiner Menschenseele erzählt, was er getan hatte: diesen Brief beantwortet und sich in einen Briefwechsel mit einer jungen Dame verstrickt, die sich den lächerlichen Namen „Miss Spooner“ gab. Zumindest hoffte Henry, dass es nicht ihr richtiger Name war.

An sich wollte er jemandem wie Roxley auch kein Geständnis machen. Aber irgendwie kam er ihm an diesem Abend anders vor als sonst. Was auch daran liegen könnte, dass der Earl nicht von seiner üblichen Brandywolke umgeben war, und sein Blick scharf und klar war.

„Ich … also, die Sache ist die …“, begann Henry.

Roxley gebot ihm Einhalt.

„Das wird warten müssen. Meine Tante ist im Anmarsch, Lady Jersey im Schlepptau.“ Ihn schauderte. „Gott gnade mir, wenn die beiden meiner hier ansichtig werden.“ Er schlüpfte in einen der rückwärtigen Alkoven und öffnete die Tür zum Garten gerade so weit, dass er hindurchpasste. „Dann viel Glück bei der Suche. Ich fürchte, ich muss mich bis auf Weiteres empfehlen.“ Im Gehen wandte er sich noch einmal um. „Ein guter Rat noch: Was immer Sie mir gerade anvertrauen wollten – sagen Sie es nicht Ihrer Schwester.“ Er nickte ihm kurz zu, dann war er verschwunden.

Henry wandte sich wieder dem Saal zu und entdeckte Hen, die mit Preston in eine, wie es schien, recht unerquickliche Unterhaltung vertieft war. Vermutlich die Fortsetzung jener Debatte, die er heute Vormittag unterbrochen hatte. Während er in Gedanken noch einmal alles durchging, konnte er immer noch nicht glauben, was seine Familie von ihm erwartete.

„Preston, die einzige Lösung ist, zu verhindern, dass er ihr schon vorher begegnet“, hatte Hen gesagt, ehe sie jäh verstummte, als sie Henry an der Tür stehen sah.

„Wer soll wem nicht begegnen?“, hatte er gefragt.

Hen zuckte kurz zusammen, fasste sich jedoch rasch und wechselte einen kurzen Blick mit Preston, der zu besagen schien: Kein weiteres Wort.

Wie konnte Hen, wenn sie etwas im Schilde führte, nur stets vergessen, dass sie Zwillinge waren und er folglich jedes ihrer Spielchen durchschaute? So hatte Henry auch jetzt keinen Zweifel daran, wer die eine der beiden Parteien war, die es voneinander fernzuhalten galt.

Seine Wenigkeit.

Aber welche Dame wollte Hen ihm vorenthalten? Normalerweise schleppte seine Schwester ganze Scharen von Debütantinnen, unbedarften jungen Damen und vortrefflich erzogenen höchsten Töchtern zu seiner Begutachtung an.

Und jetzt sollte er also jemanden ganz explizit nicht kennenlernen? Wäre er nicht so sehr damit beschäftigt gewesen, die wahre Identität von Miss Spooner herauszufinden, wäre sein Interesse sofort geweckt gewesen. Und doch, es ging nicht an, Hen in dem Glauben zu lassen, dass sie mal wieder die Nase vorn hatte.

Diesmal nicht.

„Sag bloß, Hen – eine atemberaubende Unbekannte weilt heute Abend unter unseren Gästen, und du willst sie mir vorenthalten?“ Henry zwinkerte Preston zu.

„Nichts dergleichen“, beschied Hen ihn knapp.

Mit wachsendem Argwohn sah Henry, wie Preston und Hen schuldbewusste Blicke tauschten.

„Na los, heraus mit der Sprache“, forderte er sie auf und verschränkte die Arme vor der Brust. „Ihr wisst, wie wenig ich auf Überraschungen erpicht bin.“

„Sag du es ihm“, forderte Hen Preston auf. Als älteste der drei (sie war wenige Minuten vor Henry zur Welt gekommen) hielt sie es für ihr gutes Recht, unangenehme Pflichten zu delegieren.

„Ich?“ Preston schüttelte den Kopf und gab das Familienoberhaupt. „Es wäre besser, wenn er es von dir erfährt.“

Hen schüchterte man indes nicht so schnell ein. Sie hatte ihre Erwiderung schon parat, auch wenn sie dazu lieber auf Abstand und durch den Salon bis zur Anrichte ging. „Wir können es drehen und wenden, wie wir wollen, besser wird es dadurch nicht. Außerdem fällt sie in deine Verantwortung. In meine ganz gewiss nicht.“

Dieser Äußerung folgte ein kurzes, kritisches Schnauben, das Hen stets vernehmen ließ, wenn sie ein Thema für unter ihrer Würde erachtete. Als Tochter eines Herzogs geboren, tat seine Schwester sich bisweilen schwer, von ihrem hohen Ross herunterzukommen.

Henry wandte sich an Preston und wartete mit zusammengezogenen Augenbrauen auf eine Antwort.

Preston straffte die Schultern, ehe er mit der Sprache herausrückte.

„Unter unseren Gästen heute Abend ist eine Dale …“

Henry lachte laut auf. Eine Dale, unter den Gästen! Haha, dass er nicht lachte. Als er merkte, dass weder seine Schwester noch sein Neffe einstimmten, verstummte er.

„Du machst Witze“, sagte er zu Preston und gab ihm einen leichten Klaps auf den Arm.

Das konnte nur ein Witz sein.

Preston seufzte.

„Nein, mache ich nicht.“ Und tatsächlich, nichts in seiner Miene deutete auf einen Scherz hin, nicht mal einen schlechten.

Außerdem würde ein Seldon damit auch nicht scherzen.

„Aber sie kann doch nicht einfach …“, begann Henry.

„Doch. Sie ist …“

„Sie kommt hierher? Heute Abend? Und ihr seid sicher, dass sie eine …“ Henry brachte es nicht über sich, das Wort laut auszusprechen. Diesen elenden Namen.

Hen war frei von solchen Skrupeln.

„Eine Dale, ganz genau. Wir werden eine Dale in unserer Mitte haben und sollten uns lieber schon mal mit dem Gedanken anfreunden.“ Sie zog die Nase kraus und warf Preston einen vielsagenden Blick zu, mit dem sie ihm die Schuld an dieser unerfreulichen Tatsache gab.

„Das ist doch ungeheuerlich“, meinte Henry. „Weist sie ab.“ Er glaubte ohnehin nicht, dass sie es überhaupt wagen würde, einen Fuß in dieses Haus zu setzen.

Sie mochte eine Dale sein, aber sowohl die Seldons als auch die Dales vermieden es, miteinander zu verkehren.

Autor

Elizabeth Boyle

Bereits für ihren ersten historischen Roman erhielt Elizabeth Boyle den RITA Award für das beste Debüt. Auszeichnungen und Bestseller-Nominierungen für weitere siebzehn Romane folgten. Inzwischen hat Elizabeth Boyle ihren Job als Rechtsanwaltsfachangestellte aufgegeben, um hauptberuflich zu schreiben. Die New-York-Times-Bestsellerautorin, die in ihrer Freizeit gern gärtnert, strickt, liest, reist und Rezepte...

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