Verlangen, stärker als die Vernunft

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Reisejournalistin Tate Harper ist fassungslos: Ihre Schwester hat ihr Baby zurückgelassen, und Tate ist plötzlich für ihre kleine Nichte verantwortlich! In ihrer Not wendet Tate sich an Linc Ballantyne, der einen gemeinsamen Sohn mit ihrer Schwester hat. Linc ist nicht nur durch und durch Familienmensch, sondern auch unverschämt sexy. Und er ist bereit, Tate zu helfen, wenn sie bei ihm einzieht und die neue Nanny wird. Ein gefährliches Angebot - denn der begehrte Milliardär löst bei Tate verbotene Gefühle aus …


  • Erscheinungstag 15.05.2018
  • Bandnummer 2029
  • ISBN / Artikelnummer 9783733720773
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

Tate Harper hatte in Thailand frittierte Heuschrecken gegessen und in Peru Meerschweinchen probiert. Sie hatte sich in Costa Rica im Dschungel verirrt und in einer Kaschemme in einer Favela in Rio die Nacht durchgetanzt. Überall auf der Welt hatten reiche wie arme Männer ihr unmoralische Angebote gemacht. Als Moderatorin einer Reisesendung über die Küche exotischer Kulturen hatte sie schon viele ungewöhnliche Situationen erlebt.

Aber nichts machte ihr das Herz so schwer, wie sich mit Kari zu treffen.

Tate presste sich die Faust auf die Brust und packte den Türgriff des Diners. Es war ein Mittwochnachmittag im Januar, und sie war erst heute Morgen um sechs Uhr auf dem Flughafen JFK gelandet. Am Vormittag hatte sie mit dem Produzenten des Reisesenders, für den sie arbeitete, über Optionen für eine neue Serie gesprochen. Jetzt war sie mental und körperlich erschöpft. Sie hatte einfach nicht die Energie, sich mit ihrer älteren, aber immer noch kindischen Cousine abzugeben.

Mit ihrer Adoptivschwester. Was auch immer Kari war.

Nicht zum ersten Mal wünschte Tate sich, dass Kari und sie ein engeres Verhältnis hätten und beste Freundinnen wären. Aber obwohl sie im selben Haus gelebt hatten, seit Tate acht Jahre alt gewesen war, hatten sie sich nie gut verstanden.

Der vertraute Groll ließ Tate flau im Magen werden. Sie sah die schneebedeckte Straße hinunter und dachte daran, einfach wieder zu gehen. Ihr Leben war ohne Kari viel einfacher.

Sie schüttelte den Kopf. Nein, sie war nicht abgebrüht genug, Karis Bitte um ein Treffen abzulehnen. Obwohl sie wusste, dass sie riskierte, wieder einmal enttäuscht zu werden, hoffte ein Teil von ihr immer noch, dass sie zu einer Familie werden konnten.

Resigniert öffnete sie die Tür und tauchte in die Wärme des Diners ein. Sie zog die Jacke aus, nahm die weinrote Baskenmütze ab und sah sich nach Kari um.

Weil ihre Mütter eineiige Zwillinge gewesen waren, sahen sie sich ähnlicher als Schwestern. Sie hatten beide Locken im Farbton zwischen Hellbraun und Dunkelblond und den gleichen schlanken Körperbau. Aber bei ihrer letzten Begegnung hatte Kari platinblond gefärbte Haare gehabt und war die stolze Besitzerin größerer Brüste gewesen. Das Geld dafür musste sie irgendwem abgeschwatzt haben, wahrscheinlich einem ihrer Geliebten. Sie hatten beide volle Lippen und hohe Wangenknochen, aber Kari hatte die leuchtend blauen Augen ihrer Mutter geerbt, während Tate die cognacfarbenen Augen und die gerade Nase von ihrem Großvater hatte.

Da sie Kari nicht sah, machte Tate eine Kellnerin auf sich aufmerksam. „Entschuldigen Sie bitte, ich suche nach einer Frau, die mir sehr ähnlich sieht. In ihrer SMS stand, dass sie hier auf mich wartet.“

Die Kellnerin nickte. „Sie sitzt da drüben in der Nische. Ich glaube, sie ist gerade in die Waschräume gegangen. Nehmen Sie Platz, sie kommt bestimmt gleich wieder.“

Tate bedankte sich und ging zu der leeren Nische. Ihr fiel ein niedliches Baby auf. Es schlief tief und fest in einem Buggy zwischen der Nische und dem Nebentisch, an dem ein Pärchen saß. Tate fand, dass das Baby den Hauptgewinn in der genetischen Lotterie gezogen hatte: Es war die ideale Mischung aus seinem gutaussehenden afroamerikanischen Vater und seiner nordeuropäischen Mutter.

Tate setzte sich und nickte, als ihr Kaffee angeboten wurde. Ja, verdammt, sie wollte Kaffee. Sie wollte die eiskalten Hände um einen warmen Becher legen, aus dem Fenster sehen und sich freuen, nicht mehr im Schneeregen zu stehen. Es war Jahre her, dass sie im Winter in der Stadt gewesen war, und sie hatte vergessen, wie erbärmlich das Wetter sein konnte.

Neben ihr schrammten Stühle über den Boden. Tate drehte sich um und sah, wie der schöne Mann und seine blonde Partnerin aufstanden und Mäntel und Einkaufstüten an sich nahmen. Ihr intimes Lächeln und ihre leidenschaftlichen Blicke zeugten von ihrer engen Bindung. Tate rümpfte die Nase, als Eifersucht sie durchzuckte.

Bisher hatte noch kein Mann sie so angesehen, als wäre sie der Grund dafür, dass die Erde sich drehte, dass der Mond die Gezeiten anzog und dass die Sonne schien.

Du willst dieses Spiel doch gar nicht mitspielen, rief sie sich schnell ins Gedächtnis. Du hast dich für Unabhängigkeit, Freiheit und ein Leben ohne Bindungen entschieden.

Diese Entscheidung schenkte ihr emotionale Sicherheit.

Und leider auch das Liebesleben einer Nonne.

Das hieß aber nicht, dass sie einen Männerhintern in eng anliegenden Jeans nicht bewundern konnte. Der Anblick war so schön, dass Tate eine Weile brauchte, um zu merken, dass die beiden gingen. Sie entdeckte das Baby, das immer noch im Buggy schlief, und sprang auf. „Halt, warten Sie!“

Das Paar drehte sich um.

Tate zeigte auf den Buggy. „Ihr Baby! Sie haben ihre Tochter vergessen.“

Beide runzelten die Stirn und sahen sie an, als wäre sie verrückt. „Das ist nicht unser Baby. Die Dame, die dort bei Ihnen gesessen hat, ist mit dem Baby gekommen“, erklärte der attraktive Mann.

Was?

Tate fing den Blick der Kellnerin auf und spürte, wie ihr das Blut in den Adern gefror. „Wer ist mit diesem Baby gekommen?“

Sie fing sich erneut einen erstaunten Blick samt hochgezogener Augenbrauen ein. „Die Frau, nach der Sie gefragt haben. Die, die wie Sie aussieht. Sie ist mit der süßen Kleinen gekommen.“

Oh Gott, oh Gott, oh Gott.

Tate rang nach Luft. Sie schaffte es, sich lange genug zusammenzureißen, um die Kellnerin zu fragen, ob sie in den Waschräumen nachsehen könnte, ob Kari noch da war. Tates Blick huschte zwischen dem schlafenden Baby und dem Flur zu den Waschräumen hin und her. Als die Kellnerin zurückkehrte, sich auf die Lippen biss und den Kopf schüttelte, begann Tate zu zittern.

Déjà-vu, dachte sie. Sie wusste ohne den geringsten Zweifel, dass Kari sich hinter ihrem Rücken aus dem Diner geschlichen hatte.

Kari, bitte nicht … Lass nicht noch eines deiner Kinder im Stich. Komm zurück, präsentier mir eine schwache Ausrede, dann tun wir so, als wäre das nie passiert. Aber geh nicht weg. Bitte bestätige nicht meine schlimmsten Befürchtungen.

Tate drehte sich um, sah zur Tür und wartete darauf, dass sie aufschwingen würde, wartete darauf, dass die Welt aufhören würde, zu schwanken. Eine Minute verging, dann noch eine. Sie seufzte und drehte sich wieder um. Als sie spürte, dass ihre Wangen feucht waren, wischte sie sich die Tränen ab und blinzelte verzweifelt. Sie würde nicht weinen, sie würde nicht zusammenbrechen. Tate holte tief Luft, um sich zu beruhigen, sah noch einmal nervös zur Tür und hoffte auf ein Wunder.

Nach zehn Minuten, in denen kein einziges Wunder geschah, ließ ihr Schock allmählich nach. Sie bekam wieder Luft, und der Nebel in ihrem Gehirn lichtete sich. Denk nach! Dieses Kind war ihre Nichte, und sie war für sie verantwortlich. So gern sie auch weggelaufen wäre, die Mutter des Babys war bereits aus dem Diner geflüchtet, und es einfach hierzulassen, kam nicht infrage.

Kari war verschwunden … Was nun? Tate sah nach unten und entdeckte eine Windeltasche unter dem Buggy. Sie zog sich die Tasche auf den Schoß, ließ die Arme darauf ruhen und versuchte, ihre Panik zu unterdrücken. Sie starrte das schlafende Kind an.

Sie sieht aus wie ein Engel, dachte sie wehmütig. Es war das einzige Wort, das passte. Die Haut des kleinen Mädchens war karamellfarben. Zarte kaffeebraune Löckchen bedeckten ihren Kopf. Ihre runden Wangen waren absolut perfekt. Das Baby hatte den breiten Harper-Mund und das spitze Kinn.

Tate öffnete die Windeltasche und warf einen Blick hinein. Sie entdeckte einen braunen Briefumschlag, öffnete ihn mit zitternden Fingern, zog die Papiere heraus und blätterte sie langsam durch: Impfbescheinigungen, medizinische Unterlagen, eine Geburtsurkunde, laut der es sich bei dem Baby um Ellie Harper handelte, Mutter: Kari Harper, Vater: unbekannt.

Mein Gott, Kari. Wie konnte es sein, dass sie nicht wusste, wer der Vater war? Oder wusste sie es und wollte es nicht sagen? Das letzte Stück Papier war ein Brief in Karis unordentlicher Handschrift:

Tate,

ich weiß, was du glaubst, und kann es dir nicht verdenken. Das hier sieht schlimm aus. Es ist auch schlimm. Du musst Ellie nehmen. Es ist etwas passiert, und ich kann sie nicht behalten. Dir wird schon etwas einfallen. Wenn du dich aufregst, und das tust du bestimmt, dann ruf Linc Ballantyne an, den Vater deines Neffen. Seine Telefonnummer steht unten. Ellie ist Shaws Halbschwester. Linc hilft dir sicher.

Ich weiß, dass du es mir nicht glauben wirst, aber ich habe sie lieb.

K.

Ohne den Blick von dem Brief zu wenden, zog Tate ihr Smartphone aus der Tasche. Sie fühlte sich, als würde ein Sumo-Ringer auf ihrer Brust sitzen. Sie wählte die Nummer und hielt den Atem an, während sie den kleinen Bildschirm anstarrte.

Was tat sie hier bloß? Linc Ballantynes Verbindung zu Ellie war bestenfalls schwach – er war Karis Ex-Verlobter und der Vater des jetzt vierjährigen Sohns, den sie im Stich gelassen hatte. Linc hatte vor vier Jahren Ähnliches erlebt wie sie jetzt, und vielleicht konnte er ihr helfen, Karis verrücktes Verhalten zu verstehen. Tate bat nicht gern um Hilfe, aber in dieser verzweifelten Situation musste sie ihren Stolz herunterschlucken.

Tate hob das Handy ans Ohr und lauschte. Sie wurde von einem Ballantyne-Angestellten zum nächsten durchgestellt, bevor eine tiefe Männerstimme ihr einen knappen Gruß ins Ohr murmelte. In dem Moment, als sie Linc Ballantynes sexy Stimme hörte, öffnete Ellie die Augen, und Tate war von dem leuchtenden Kobaltblau verblüfft.

Karis Augen …

„Hier ist Tate Harper, Karis Schwester. Ich habe ein großes Problem. Können wir uns treffen?“

Manchmal bereitete es Linc Ballantyne Kopfschmerzen, ein milliardenschweres Unternehmen zu führen. In letzter Zeit nicht nur manchmal. Er brauchte Aspirin. Linc ging in das Büro hinüber, das zwischen seinem eigenen und dem seines Bruders Beck lag, und holte das Aspirin aus der obersten Schublade des Schreibtischs. Die besorgte Miene der Vorstandsassistentin Amy ignorierte er. Er warf sich zwei Tabletten in den Mund und schluckte sie. An den bitteren Geschmack war er gewöhnt.

Amy klemmte sich das Telefon zwischen Ohr und Schulter und langte über ihren Schreibtisch, um Linc eine ungeöffnete Wasserflasche zuzuwerfen. Er fing sie auf und öffnete den Verschluss. Als er einen Blick durch die Glaswand warf, sah er seine immer noch schlanke und attraktive Mutter den Flur entlangkommen und dankte stumm den höheren Mächten, die sie in Connor Ballantynes Arme getrieben hatten.

Nun ja, nicht in seine Arme – soweit er wusste, hatten seine Mom und Connor nie eine Liebesbeziehung gehabt. Aber zumindest in sein Haus. Der Tag, an dem er in das Sandsteinhaus mit dem Spitznamen „die Bude“ gezogen war und die Kinder kennengelernt hatte, die später seine Geschwister geworden waren, war der schönste in Lincs Leben gewesen. Der Tag, an dem Connor gestorben war, der schlimmste.

Er ging durchs Büro, um Jo die Tür zu öffnen, und küsste sie auf die Wange. „Hi.“

„Hallo, mein Schatz“, antwortete Jo. Ihre Augen waren grau wie seine, aber ihre sahen nach der Farbe eines sanften Regens aus, während seine einen dunkleren und härteren Granitton hatten. „Es tut mir leid, ohne Vorwarnung bei dir hereinzuschneien.“

„Das ist kein Problem“, versicherte Linc.

Jo begrüßte Amy und deutete dann auf sein Büro. „Hast du eine Minute Zeit für mich?“

„Immer.“

In seinem Büro setzte Jo sich hin, während er sich an die Schreibtischkante lehnte und die Arme vor der Brust verschränkte. Er spürte das Brennen in seinem Bizeps. Gestern Abend hatte er sein nächtliches Workout in Rekordzeit erledigt, weil er gehofft hatte, dass der Sport dafür sorgen würde, dass er tief und fest schlief. Ein bisschen hatte es auch geholfen: Er hatte vier Stunden geschlafen, nur um von Shaw geweckt zu werden, der einen Albtraum gehabt hatte. Er hatte eine Stunde gebraucht, um seinen Sohn zu beruhigen, und bis dahin war er wieder hellwach gewesen.

„Gary hat mich gebeten, zu ihm zu ziehen.“

Linc starrte seine Mutter an und versuchte, sich den Schock nicht anmerken zu lassen. „Du willst aus der Bude ausziehen? So bald?“

Jo verdrehte die Augen. „Gary und ich haben seit über einem halben Jahr eine Beziehung, also hör auf, so zu tun, als wäre ich ihm erst gestern begegnet! Du magst ihn, das hast du selbst gesagt.“

Das war, bevor er dir zugeredet hat, auszuziehen, grollte Linc stumm. Wann immer Jo von Gary sprach, strahlten ihre Augen. Hätte Linc an die Liebe geglaubt, hätte er gesagt, dass seine Mutter vollkommen in den Ex-Banker verschossen war. Weil er es nicht tat, sah er nur zwei Menschen, die intellektuell und sozial kompatibel waren. Aber es gefiel ihm trotzdem nicht, dass sich Jo nun für Gary entschied und nicht für Shaw, den Enkel, den sie zusammen mit Linc großzog, seit der Kleine sechs Wochen alt gewesen war.

„Ich glaube, wir werden früher oder später heiraten“, fuhr Jo fort. „Ich lebe nun schon seit fünfundzwanzig Jahren in der Bude, und es gefällt mir dort sehr, aber jetzt will ich mein eigenes Zuhause. Ich will etwas, das ganz mir gehört, und wir wollen reisen.“ Sie sah besorgt zu ihm hoch. „Du weißt, dass ich Shaw liebe und dir immer gern mit ihm geholfen habe. Du hast die Unterstützung ja auch wirklich gebraucht. Ich springe auch in Zukunft noch ein, aber …“

„Aber nicht mehr jeden Tag“, sagte Linc, und Jo nickte.

Linc fluchte. Schlechter Zeitpunkt, um zu desertieren, Mom! Er hatte eine riesige Firma zu führen, die noch wachsen sollte. Sie waren mitten in einer Imagekampagne, er dachte daran, in eine Diamantmine in Botswana zu investieren, in einem Bergwerk in Kolumbien drohte ein Streik, und sie eröffneten neue Filialen in Abu Dhabi und Barcelona, während die in Hongkong, Los Angeles und Tokyo renoviert wurden.

Er hatte beruflich unglaublich viel zu tun und war dauernd im Stress. So viel konnte er nur leisten, weil sein Privatleben wie ein Uhrwerk lief: Er brachte Shaw in den Kindergarten, Jo holte ihn ab und passte nachmittags auf ihn auf, machte ihm Essen und badete ihn auch, wenn Linc sich verspätete. Er vertraute seiner Mutter blind und machte sich nie Sorgen um das körperliche und seelische Wohl seines Sohns. Jo war unersetzlich.

„Ich kümmere mich nun schon so lange um Kinder“, fuhr Jo fort. „Ich werde bald sechzig. Ich will noch ein bisschen Spaß haben, zur Ruhe kommen, reisen. Zum Mittagessen ein Glas Wein trinken, wenn ich Lust darauf habe. Ich bin müde, Linc. Verstehst du das?“

Linc stand auf und ging zu den Fenstern hinüber. Er spürte, dass sein Herzschlag sich beschleunigte und seine Kehle sich zuschnürte. Er hasste Veränderungen, besonders im Privatleben, und diese hier überrumpelte ihn völlig.

Ruhig bleiben und gut nachdenken. Als Vater eines munteren Vierjährigen und Chef eines der umsatzstärksten Unternehmen der USA war er es gewohnt, kühlen Kopf zu bewahren, wenn alle anderen die Nerven verloren.

Er hatte viel Übung darin, der Fels in der Brandung zu sein. Als er elf gewesen war, hatte seine Mutter die Stelle als Haushälterin bei Connor Ballantyne ergattert und ihm von da an geholfen, sich um seine Neffen und seine Nichte zu kümmern. Jo hatte Linc damals gesagt, dass er den Ballantynes aus dem Weg gehen sollte. Aber Connor hatte ein riesengroßes Herz und war überhaupt kein Snob. Er bestand darauf, dass sie richtig mit in der Bude lebten, wenn sie schon dort einzogen. Sie aßen und spielten alle zusammen, und Linc ging auf dieselbe teure Schule wie Jaeger und Beck. Er las in der Bibliothek, rutschte das Treppengeländer hinunter und beschoss den prächtigen Kronleuchter in der Eingangshalle mit Papierkügelchen.

Linc war sich nie wie das fünfte Rad am Wagen vorgekommen, vielleicht, weil Jaeger, Beck und Sage sich wie Kletten an ihn geheftet hatten. Obwohl er selbst noch ein Kind und nur etwas über ein Jahr älter als Jaeger gewesen war, hatten sie ihm alles anvertraut. Seit einem Vierteljahrhundert war er nun schon der Kitt, der die Ballantynes zusammenhielt. Obwohl sie alle vier gleich große Firmenanteile besaßen, war er der Leitwolf – und das, obwohl er gar kein geborener Ballantyne war.

Linc störte das nicht. Connor hatte die vier Kinder in aller Form adoptiert, als Linc sechzehn geworden war, und hatte klargestellt, dass er von ihm als Ältestem erwartete, auf seine Geschwister aufzupassen, sich um die Firma zu kümmern und ihn stolz zu machen. Linc wollte das Vertrauen seines Adoptivvaters nicht enttäuschen, aber Shaws Wohl stand für ihn an erster Stelle. Wie sollte er das Unternehmen leiten und weiterentwickeln, wenn er sich Sorgen machte, ob sein Sohn zu Hause genug Aufmerksamkeit bekam?

Linc öffnete den Mund, um seine Mutter um mehr Zeit zu bitten, und schloss ihn sofort wieder. So sehr er Veränderungen auch verabscheute, er durfte seine Bedürfnisse nicht über Jos stellen. Vor allem, da sie fünfunddreißig Jahre lang immer seinetwegen zurückgesteckt hatte.

Verdammt.

Er drehte sich um und zwang sich, zu lächeln. „Was schlägst du vor?“

Linc sah die Erleichterung in ihrem Blick und schämte sich, als er erkannte, dass sie mit seinem Protest gerechnet hatte. „Du brauchst eine Nanny.“

Igitt. Eine Fremde in seinem Haus, die sich um sein Kind kümmerte. Er wäre lieber gestorben.

„Ich nehme Kontakt zu den renommiertesten Agenturen auf und wähle dann ein paar Bewerberinnen aus“, sagte Jo und zog die Augenbrauen hoch. „Oder möchtest du dich vielleicht lieber selbst darum kümmern?“

Linc schauderte. „Nein danke.“

Seine Mutter legte den Kopf schief. „Du weißt aber, was du wirklich brauchst, oder? Mehr als nur eine Nanny.“

Sex? Schlaf? Skiurlaub mit viel Sex und viel Schlaf?

„Du brauchst eine Frau“, verkündete Jo.

Linc sah sie finster an. Eine Frau brauchte er absolut nicht. Vor langer Zeit hatte er fast einmal eine gehabt, aber sie hatte ihn sitzen lassen – zwei Wochen, bevor sie „Ja, ich will“ hätte sagen sollen. Seit vier Jahren kam er sehr gut ohne Frau aus. Bisher hatte er ja auch Jos Hilfe gehabt …

„Ich kenne deine Gegenargumente, Linc. Frauen sind unzuverlässig und wollen nur dein Geld oder den Namen Ballantyne. Und so weiter, und so weiter …“

„Mom.“ Linc schloss die Augen, öffnete sie wieder und sah durch die Glaswand in Amys Richtung. Vor ihm lag ein anstrengender Tag, er musste millionenschwere Entscheidungen fällen, und er wollte nun wirklich nicht über sein erbärmliches Liebesleben reden. Amy hob den Kopf, als könnte sie seine Gedanken lesen, und sah ihm in die Augen.

„Hilf mir“, formte er lautlos mit den Lippen.

„Amy wird dich nicht heraushauen“, sagte Jo, ohne sich auch nur zu seiner Assistentin umzudrehen. „Sie ist ganz meiner Meinung, dass du jemanden in deinem Leben brauchst.“

„Unbedingt“, murmelte Linc ironisch und flüsterte Amy zu: „Du bist gefeuert.“

Amy grinste bloß und wandte sich wieder ihrem Monitor zu.

„Du brauchst jemanden, der dich herausfordert, zum Lachen und zum Nachdenken bringt, jemanden, der selbstständig und klug ist“, beharrte Jo.

Warum redeten sie überhaupt darüber? Dank seiner Ex-Verlobten Kari war er entschlossen, sein Herz und besonders das seines Sohns nie mehr aufs Spiel zu setzen. Sie kamen blendend allein zurecht. Das mussten sie auch, denn es gab keine Frau auf der Welt, die es wert war, das Risiko einzugehen. Die Lektion hatte er gelernt. „Mom, ich habe jetzt keine Zeit, mein Privatleben oder meine verrückte Ex mit dir durchzudiskutieren.“

Jo stand auf und zeigte mit dem Finger auf ihn. „Du musst wieder mit Frauen ausgehen.“

Linc schauderte. Bloß nicht. Er musste das Thema wechseln. Und das konnte er nur, wenn er das Gespräch auf einen seiner Brüder lenkte. „Da wir gerade von Beziehungen sprechen … Cady ist in Becks Büro.“

Jos Augen leuchteten vor Neugier. „Cady? Ist sie wieder da?“

Linc legte ihr eine Hand auf die Schulter und führte sie sanft zur Tür. „Amy erklärt dir das. Ich muss wieder an die Arbeit gehen.“

Jo sah ihn finster an, als er ihr die Tür öffnete. „Du willst einfach nicht über dein Liebesleben reden.“

„Ich habe keines“, verbesserte Linc und küsste sie auf die Wange. „Und das ist auch gut so.“

„Er braucht wirklich ein Date“, sagte Jo zu Amy.

„Ich weiß“, antwortete Amy wie aus der Pistole geschossen und ließ die Finger weiter über die Tastatur tanzen. „Ich arbeite daran.“

„Du arbeitest an gar nichts“, gab Linc zurück. „Ich habe dich gerade gefeuert.“

Amy rollte die Augen. „Du spinnst, Linc. Wir wissen alle, dass ich hier das Sagen habe. Warte kurz“, bat sie ihn, bevor sie das Telefon abnahm. Sie lauschte und sah ihm dann ernst in die Augen. „Es ist Tate Harper. Sie muss dich sprechen. Sie sagt, es sei privat und sehr dringend.“

Linc stand in der Eingangshalle, warf einen Blick auf seine Rolex und starrte dann die imposante Haustür der Bude böse an. Das Sandsteinhaus unweit der Park Avenue gehörte schon über hundert Jahren den Ballantynes. Seit Kari vor vier Jahren abgehauen war, und zwar mit zwei seiner Kreditkarten und ihrem Verlobungsring mit dem gelben Diamanten, hatte er keinen Kontakt mehr zur Familie Harper. Er wusste, dass Kari von ihrer Tante adoptiert worden und mit ihrer Cousine aufgewachsen war, aber sie hatte kaum über die beiden gesprochen, und sie waren nicht zur Hochzeit eingeladen gewesen.

Damals hatte Linc geglaubt, dass es zwischen ihnen böses Blut gab. Jetzt wusste er, dass Kari sich gar nicht erst die Mühe gemacht hatte, sie einzuladen, weil sie nie vorgehabt hatte, ihn zu heiraten. Er hätte reichlich Zeit und Geld sparen können, wenn sie ihm dieses kleine Geheimnis anvertraut hätte.

Aber er hatte geglaubt, dass sie wollte, was er wollte: ein Zuhause, eine traditionelle Familie, ein gemeinsames Leben. Aber Kari war davor davongelaufen und hatte zu seinem Entsetzen auf das Sorgerecht für Shaw verzichtet. Linc war davon ausgegangen, dass seine Verbindung zu Kari und ihrer Familie für immer gekappt war. Deshalb verstand er auch nicht, warum Tate ihn unbedingt treffen musste.

Warum er sich dazu bereiterklärt hatte, wusste er genauso wenig. Aber er hatte irgendetwas in ihrer Stimme gehört, einen Unterton von Panik und tiefer Traurigkeit. Vielleicht war Kari etwas zugestoßen, und wenn ja, dann musste er wissen, was. Sie war schließlich trotz allem Shaws Mutter.

Linc hörte das leise Klopfen an der Tür und holte tief Luft.

Der erste Gedanke, der ihm kam, als er die Haustür öffnete und Tate Harper sah, war, dass er sie wollte. Unter sich, auf sich, an der nächsten Wand … Egal wie, er würde sie nehmen. Auf den Gedanken folgte unmittelbar ein zweiter: Oh nein, nicht schon wieder!

Kari war bildhübsch, aber ihr Aussehen hatte Arbeit gekostet – das wusste er, weil er dafür bezahlt hatte. Doch die Frau, die hinter dem Buggy stand, war von Natur aus wunderschön. Ihr Haar war eine Lockenmähne zwischen Blond und Braun, ihre Augen hatten dieselbe Farbe wie sein Lieblingswhiskey, und ihre Haut war auch ohne Make-up makellos. Diese Harper-Schönheit war absolut natürlich und dadurch umso betörender.

Verdammt. Linc ließ die Hand auf dem Türgriff ruhen und nahm sich einen Moment Zeit, Atem zu schöpfen. Er brauchte ihn.

Er musterte Tates Gesicht und konnte sich an ihrer bezaubernden Schönheit nicht sattsehen. Der vernünftige Teil seines Gehirns riet ihm, ihr zu sagen, dass er nicht mit ihr reden wollte, und dass Shaw und er den Ärger nicht gebrauchen konnten, den es immer bedeutete, sich mit einer Harper abzugeben.

Der Rest von ihm wollte, was seine vernachlässigte Libido ihm befahl – er war schließlich ein gestresster, alleinerziehender Vater, der nicht viel Zeit für so etwas hatte. Er wollte Tate die Kleider ausziehen, um ihren Körper zu entblößen, der bestimmt zum Anbeißen war.

„Tate? Komm rein.“

Sie schob den Buggy in die Eingangshalle und umklammerte den Griff so fest, dass ihre Fingerknöchel weiß hervortraten. Linc ahnte, dass er sich gerade einen ganzen Schwung Scherereien ins Haus geholt hatte. Er war nahe daran, die Einladung zurückzuziehen. Dann machte er den Fehler, ihr in die Augen zu schauen, und sah ihre Panik, ihre völlige Verzweiflung, ihren Gesichtsausdruck, der nur eines sagte: Womit habe ich das verdient?

Sie hatte sich mit Kari angelegt, erkannte Linc, und ordentlich etwas abbekommen. Aus irgendeinem Grund glaubte sie, dass er ihr helfen konnte. Und da sein erster Instinkt immer der war, andere zu beschützen, wollte er die Angst aus Tates Augen verscheuchen.

Mein Gott, bin ich dämlich!

Wütend auf sich selbst wandte er sich dem Baby im Buggy zu. Zehn oder elf Monate alt, schätzte er, sauber und wohlgenährt. Und süß. Er liebte Kinder, und diese niedliche Kleine mit ihren strahlend blauen Augen hatte Charme. Er erkannte diesen Lapislazuli-Farbton wieder: Karis Augen. Das hier war Karis Tochter.

Aber wenn sie Karis Kind war, warum stand Tate dann mit ihr vor ihm?

Leichenblass krampfte sie die Hände fester um den Griff des Buggys. Sie sah seinen Augen wohl die Frage an, denn sie nickte voller Verzweiflung und bestätigte seine schlimmsten Befürchtungen.

„Kari war an dem Treffpunkt, den wir ausgemacht hatten. Sie muss gesehen haben, wie ich gekommen bin, und ist abgehauen, sobald ich das Baby bemerkt hatte.“

Linc legte den Kopf in den Nacken, um zur Decke zu sehen. Er fluchte leise, bevor er wieder Tate anschaute, die auf den Fersen vor und zurück wippte. „Und was willst du nun von mir?“

Denn ich weiß, was ich von dir will: dir die Bluse aufknöpfen, sie dir von den Schultern schieben und deine seidige Haut unter den Händen spüren, während du mit diesem sündigen Mund an meinem knabberst. Ich will die Form deiner Brüste ertasten, dir an den Po fassen …

Sex? Ausgerechnet daran dachte er nach ihren schockierenden Worten?

Um Gottes willen, Ballantyne, reiß dich zusammen! Warum war er nach allem, was Kari ihm angetan hatte, plötzlich auf ihre Schwester scharf?

Linc rieb sich den Nacken. „Ich brauche Kaffee. Möchtest du auch eine Tasse?“

„Nur, wenn du sie nicht vergiftest. Oder hineinspuckst.“

Linc kämpfte gegen ein Lächeln an. Also hatte sie ein ganz schönes Mundwerk. Er hatte nichts gegen freche Frauen. Es gab nichts Nervtötenderes als jemanden, der einem ständig nach dem Mund redete.

Ich mag Tate nicht, rief er sich streng ins Gedächtnis. Er wollte sie nicht mögen. Sie würden nur miteinander Kaffee trinken. Danach würde er hoffentlich binnen zehn Minuten zurück an seinem Schreibtisch sein, und das Leben würde wieder normal werden.

Autor

Joss Wood

Schon mit acht Jahren schrieb Joss Wood ihr erstes Buch und hat danach eigentlich nie mehr damit aufgehört. Der Leidenschaft, die sie verspürt, wenn sie ihre Geschichten schwarz auf weiß entstehen lässt, kommt nur ihre Liebe zum Lesen gleich. Und ihre Freude an Reisen, auf denen sie, mit dem Rucksack...

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