Verliebt in Mr Perfect

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Breitschultrig, attraktiv und atemberaubend sexy - Mike Brady ist ihr Mr Perfect! Kein Wunder, dass Anastazia der Atem stockt, als der Milliardär sie an sich presst und hungrig küsst. Heiß pulsiert das Blut in ihren Adern, denn nie zuvor hat ein Mann sie auf diese Weise berührt oder so leidenschaftlich begehrt. Sie ist verloren! Und dennoch wagt sie nicht, auf eine gemeinsame Zukunft zu hoffen. Schließlich hütet sie ein trauriges Geheimnis. Verzweifelt zieht sie sich von Mike zurück, aber der fordert hartnäckig eine Erklärung. Hat ihre Liebe doch eine Chance?


  • Erscheinungstag 12.01.2016
  • Bandnummer 1907
  • ISBN / Artikelnummer 9783733720957
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

PROLOG

Der Kreis scheint sich zu schließen. Viele Jahre hat sich mein ganzes Leben um meine geliebten Enkeltöchter gedreht. Jetzt sind sie erwachsen und haben ihr eigenes Leben. Die ruhige Sarah hat einen Mann, der sie vergöttert. Sie schreibt Bücher und erwartet ihr erstes Kind. Und Eugenia, meine fröhliche, unbekümmerte Eugenia, ist die Frau eines Diplomaten bei den Vereinten Nationen und Mutter von Zwillingen. Sie erfüllt beide Rollen so voller Freude, so mühelos.

Ich wollte, ich könnte dasselbe auch von Dominic sagen, meinem unglaublich attraktiven Großneffen. Dom hat sich noch nicht darein gefunden, dass er jetzt den Titel des Großherzogs von Karlenburgh trägt. Manchmal habe ich das Gefühl, dass er sich danach sehnt, wieder als Geheimagent zu arbeiten. Aber dann fällt sein Blick auf seine Frau, und seine Unruhe verfliegt. Natalie ist so ernst, so bezaubernd und so unglaublich klug!

In der letzten Zeit habe ich mit Doms Schwester, Anastazia, gelitten. Ich gebe zu, dass ich unsere entfernte Verwandtschaft schamlos ausgenutzt habe, um sie dazu zu bringen, während ihrer Zeit als Assistenzärztin hier bei mir im Dakota in New York City zu wohnen.

In wenigen Monaten wird ihre anstrengende dreijährige Ausbildung zu Ende sein. Sie sollte sich darüber freuen, aber ich spüre, dass etwas sie bedrückt. Etwas, über das sie nicht reden möchte. Nicht einmal mit mir. Ich werde sie nicht drängen, hoffe aber, dass der gemeinsame Urlaub, den ich für die bevorstehenden Feiertage für die ganze Familie arrangiert habe, etwas von der Sorge lindert, die Zia hinter ihrem hinreißenden Lächeln verbirgt.

Aus dem Tagebuch von Charlotte,

Großherzogin von Karlenburgh

1. KAPITEL

Grün schimmernde Wellen gekrönt von weißer Gischt rollten unablässig gegen den Strand. Zia hatte keinen Blick für das herrliche Schauspiel, das der Golf von Mexiko bot. Sie hatte sich in aller Frühe aus dem Apartment geschlichen, um eine Runde am Meer zu joggen.

Sie liebte ihre Familie. Ihren älteren Bruder, Dominic, der immer meinte, den Beschützer spielen zu müssen. Ihre Großtante Charlotte, die sie praktisch adoptiert hatte. Die Cousinen, ihre Ehepartner und ihre lebhaften Kinder. Aber ein gemeinsamer Weihnachtsurlaub hier in Galveston in Texas mit dem ganzen Clan der St. Sebastians ließ keinerlei Gelegenheit zur Muße. Dabei musste sie jetzt endlich eine Entscheidung treffen. Die Notwendigkeit hing wie ein Schwert drohend über ihr. Ihr blieben genau noch drei Tage. Drei Tage bis zu ihrer Rückkehr nach New York und …

„Hol sie dir, Buster!“

Zia hätte die fröhliche Stimme vielleicht überhört, hätte sie nicht die vergangenen knapp drei Jahre auf der Kinderstation des Mount Sinai Hospitals in New York gearbeitet. So registrierte sie automatisch, dass die Stimme einem fünf- oder sechsjährigen Jungen gehörte, der erkennbar über ein Paar gut ausgebildeter Lungen verfügte.

Lächelnd wandte sie ihre Aufmerksamkeit in die Richtung, aus der die Stimme zu ihr herübergekommen war. Sie joggte ein paar Schritte zurück und beobachtete den rothaarigen, sommersprossigen Kleinen, der wohl dreißig Meter hinter ihr durch das flache Wasser rannte, immer hinter einem kleinen braunweißen Terrier her. Der Hund wiederum verfolgte eine fliegende Frisbeescheibe.

Zia musste lachen über die Tollereien der beiden – bis ihr Blick suchend umherschweifte und sie nirgends einen Erwachsenen sah. Wo waren die Eltern des Jungen? Oder – in Anbetracht der umliegenden Nobelresidenzen – wo war sein Kindermädchen? Er war zu klein, um unbeaufsichtigt in der Brandung zu spielen.

Zia spürte Zorn in sich aufsteigen. Sie hatte in den vergangenen Jahren zu oft mit den Folgen vernachlässigter Aufsichtspflicht zu tun gehabt, um gelassen reagieren zu können. Ein neuerlicher Schrei lenkte ihre Aufmerksamkeit zurück auf den Jungen. Diesmal enthielt die Stimme eine Spur von Panik.

Zias Herz schien für einen Moment auszusetzen, als sie sah, dass der Kleine versuchte, dem Hund zu folgen, der mit der Scheibe im Maul Richtung Strand paddelte. Sie wusste, dass das Ufer steil abfiel. Zu steil! Und die Unterströmung war so stark, dass auch Erwachsene ihre Probleme damit hatten!

Sie rannte schon zurück, als der Rotschopf in den Wellen verschwand. Zia fixierte die Stelle und hechtete ins Wasser.

Sie konnte nichts sehen! Die zurücklaufende Flut hatte zu viel Sand aufgewirbelt. Er brannte ihr in den Augen. Das Wasser betäubte ihre Ohren. Sie tauchte für einen Moment auf, um Atem zu holen. Dabei sah sie den Hund. Er tauchte gerade ab und zeigte ihr damit die Richtung zu dem Jungen. Sie schoss an dem Terrier vorbei und packte das Kind beim Handgelenk. Mit kräftigen Stößen brachte sie sie beide an die Oberfläche. Sie musste einige verzweifelte Züge parallel zum Strand machen, bevor der Sog der tückischen Strömung endlich nachließ und sie ans Ufer schwimmen konnte.

Der Junge atmete nicht, als sie ihn auf den Rücken legte. Er konnte noch keinen ernsten Sauerstoffmangel erlitten haben, aber seine Lippen waren bläulich verfärbt. Zia konzentrierte sich auf die wiederbelebenden Maßnahmen. Sie ignorierte den Hund, der laut winselte. Sie nahm die Schritte nicht wahr, die sich eilig näherten. Hörte die Stimme nicht, die halb Panik, halb Stoßgebet stöhnte: „Davy! Jesus!“

Die kleine Brust unter Zias Händen bewegte sich. Einen Moment später begann der Junge, das Wasser in hohem Bogen auszuspeien. Mit einem stummen Dankgebet rollte Zia ihn auf die Seite und hielt seinen Kopf, während er von sich gab, was er zuvor unfreiwillig geschluckt hatte. Als er fertig war, ließ sie ihn zurücksinken. Seine Nase lief, und Tränen strömten seine Wangen hinunter, aber er hielt sein Schluchzen zurück.

„Was … Was ist passiert?“

Sie lächelte ihm beruhigend zu. „Du bist zu weit hinausgegangen. Die Unterströmung hat dich erwischt.“

„Bin ich … bin ich ertrunken?“

„Fast.“

Er legte einen Arm um den kleinen Terrier, während Verwirrung und Angst in seinen Augen langsam der Aufregung wichen. „Warte nur, bis ich Mommy und Kevin davon erzähle. Und abuelita und …“ Sein Blick blieb an einem Punkt direkt hinter Zias Schulter hängen. „Onkel Mickey! Onkel Mickey! Hast du das gehört? Ich bin fast ertrunken!“

„Ja, Kleiner, ich habe es gehört.“

Es war derselbe volle Bariton, den Zia schon kurz zuvor im Unterbewusstsein wahrgenommen hatte. Der Unterton der Panik war verschwunden und der hörbaren Erleichterung gewichen, unterlegt mit einem leisen Lachen.

Jézus, Mária és József! Begriff der Idiot nicht, wie knapp sein Neffe einer Katastrophe entgangen war? Zia sprang auf und wollte ihrer Empörung gerade lauthals Luft machen, als sie begriff, dass das Lachen reine Show für den Jungen gewesen war. Seine Hände waren zu Fäusten geballt, die Schultern unter dem T-Shirt mit dem verblichenen Logo der Universität von Texas angespannt.

Es waren breite Schultern, wie sie unwillkürlich registrierte. Darüber ein kräftiger Hals. Ein kantiges Kinn mit dem Hauch eines Grübchens. Dem Blick der erfahrenen Ärztin entging nicht, dass seine Nase aussah, als habe sie in der Vergangenheit mehrfach Kontakt mit einer harten Faust gemacht. Das Grün seiner Augen war so tief wie das des Meeres. Das rotbraune Haar war extrem kurz geschnitten.

Flüchtig nahm Zia eine breite Brust wahr, muskulöse Schenkel unter abgeschnittenen Shorts und nackte Füße in alten Leder-Flipflops. Sie fing einen dankbaren Blick der grünen Augen auf, bevor der Mann sich neben seinen Neffen kniete und ihm half, sich aufzusetzen.

„Du steckst ganz schön in der Tinte. Du weißt doch, dass du nicht allein an den Strand darfst!“

„Aber Buster musste nach draußen.“

„Ich sage es noch einmal: Du darfst nicht allein an den Strand!“

Zia musste ein Lächeln unterdrücken, als sie den mitleidheischenden Ton des Kleinen hörte. Wie alle Kinder seines Alters hatte er ihn auf Abruf parat.

„Aber du hast doch gesagt, ich soll mich um Buster kümmern, Onkel Mickey. Du hast gesagt, ich muss mit ihm spazieren gehen und ihn füttern und …“

„Wir werden diese Diskussion später fortsetzen.“

Wow! Dieser Jetzt-ist-es-aber-genug!-Unterton ließ sogar Zia zusammenfahren.

„Wie fühlst du dich?“, fragte der Mann den Jungen.

„Okay.“

„Gut genug, um aufzustehen?“

„’türlich.“ Der Junge grinste breit und sprang auf.

Sein Hund kläffte begeistert dazu, und die beiden wären mit Sicherheit sofort wieder davongestürmt zu neuen Abenteuern, hätte der Mann seinen Neffen nicht zurückgehalten.

„Hast du der Lady hier nicht noch etwas zu sagen?“

„Vielen Dank, dass Sie mich gerettet haben.“

„Keine Ursache.“

Der Mann hielt den Kleinen fest und reichte Zia die Hand. „Ich bin Mike Brennan. Ich kann Ihnen nicht genug danken für das, was Sie für Davy getan haben.“

Sie registrierte Kraft und Wärme in seinem Händedruck. „Anastazia St. Sebastian“, stellte sie sich vor. „Ich freue mich, dass ich rechtzeitig zur Stelle war.“

Das Entsetzen, das Mike gepackt hatte, als er sah, wie die Frau Davys leblosen Körper aus dem Wasser zog, wich allmählich und gab ihm die Möglichkeit, sie endlich richtig anzusehen – und den zweiten Schock des Tages zu erleben.

Ihr nasses, schwarzes Haar fiel bis über die Schultern. Ihre Augen waren fast ebenso dunkel wie das Haar. Jedes Supermodell der Welt hätte sonst was gegeben für diese hohen Wangenknochen. Der schlanke Körper, der sich unter dem eng anliegenden Tank und der schwarzen Jogginghose abzeichnete, war nur noch die Sahne auf dem Kuchen. Das und die Tatsache, dass sie keinen Ring am Finger hatte.

„Ich glaube, er ist okay“, sagte sie mit einem weiteren Blick auf den Jungen, der versuchte, sich dem eisernen Griff seines Onkels zu entwinden. „Aber Sie sollten ihn in den nächsten Stunden noch im Auge behalten. Achten Sie auf Anzeichen von beschleunigtem Atem, von erhöhtem Puls oder leicht erhöhter Temperatur.“

Ihr Akzent war ebenso faszinierend wie der ganze Rest der Frau. Er klang nur sehr leicht durch. Vielleicht etwas Osteuropäisches, dachte Mike. Aber der Anklang war zu schwach, um ihn genauer zu lokalisieren.

„Sie scheinen sich mit solchen Situationen gut auszukennen. Sind Sie Notfallhelferin?“

„Nein, Ärztin.“

Er war wie vom Donner gerührt. Die Frau wirkte geheimnisvoll wie eine Sphinx, hatte den Körper eines Supermodels und den Verstand einer Ärztin. Wenn das kein Treffer war!

Er deutete auf die bunten Schirme eines Restaurants an der Straße. „Ich hoffe, Sie erlauben Davy und mir, Sie auf ein Frühstück einzuladen, Dr. St. Sebastian.“

„Danke, aber ich habe schon gefrühstückt.“

Unter gar keinen Umständen wollte Mike dieses zauberhafte Wesen entkommen lassen. „Wie wäre es dann mit einem Abendessen?“

„Ich … äh … ich bin mit meiner Familie hier.“

„Ich auch. Leider.“ Er schnitt eine Grimasse für seinen Neffen, der lachte und ebenfalls ein Gesicht schnitt. „Ich wäre mehr als dankbar, wenn Sie mir einen Vorwand liefern könnten, meiner Sippe für eine Weile zu entgehen.“

„Nun ja …“

Ihr kurzes Zögern entging ihm nicht. Auch nicht ihr rascher Blick auf seine linke Hand. Der weiße Abdruck seines Eherings war längst verschwunden. Nur schade, dass das nicht auch für seine inneren Wunden galt. Energisch verdrängte er die Erinnerung an das Fiasko seiner Ehe.

„Wo wohnen Sie?“

Sie ließ sich Zeit mit der Antwort. Ließ ihren Blick über sein verwaschenes T-Shirt gleiten. Über die ausgefransten Shorts. Die alten Flipflops.

„Wir wohnen im Camino del Rey“, erklärte sie fast widerstrebend. „Das ist eine halbe Meile den Strand hinunter.“

Mike unterdrückte ein Lächeln. „Ich kenne die Anlage. Ich hole Sie um halb acht ab.“ Er gab seinem zunehmend ungeduldiger werdenden Neffen einen leichten Stoß. „Sag Auf Wiedersehen zu Dr. St. Sebastian.“

„Wiedersehen, Dr. S’baston.“

„Wiedersehen, Davy.“

„Bis später, Anastazia.“

„Zia“, korrigierte sie ihn. „Ich werde Zia genannt.“

„Zia. Okay.“ Mike schenkte ihr ein letztes Lächeln und marschierte mit seinem Neffen fest im Griff davon.

Zia sah den beiden nach. Sie konnte nicht glauben, dass sie soeben zugestimmt hatte, mit dem Mann zu Abend zu essen. Hatte sie nicht genügend andere Probleme, als mit einem Fremden Small Talk zu machen?

Mit vor der Brust verschränkten Armen sah sie zu, wie der Terrier neben dem Jungen hersprang und fröhlich bellte. Er erinnerte sie an den ungarischen Windhund, den ihre Schwägerin mit nach Texas gebracht hatte. Natalie war völlig verrückt nach dem eleganten Agár und bestand darauf, ihn Herzog zu nennen – sehr zum Verdruss von Zias Bruder Dominic, der immer noch nicht seinen Frieden damit gemacht hatte, dass er nicht mehr länger als Geheimagent arbeiten konnte, seit er den Titel des Großherzogs von Karlenburgh trug.

Das Herzogtum Karlenburgh war einmal ein Teil des Österreichisch-Ungarischen Reiches gewesen. Inzwischen existierte es nur noch in den Geschichtsbüchern. Das hatte die Paparazzi der europäischen Boulevardzeitungen nicht davon abgehalten, sich sofort auf den neuen Großherzog zu stürzen und seinen Werdegang vom Geheimagenten zum Adeligen genüsslich auszuschlachten. Dom wiederum hatte nichts Eiligeres zu tun, als die Frau, die seinen Anspruch auf den Titel entdeckt hatte, zu heiraten und damit zu einem Teil des immer größer werdenden Clans der St. Sebastians zu machen.

Zia liebte sie alle – ihren Bruder, seine Frau, die zwei Cousinen mit ihren Familien und natürlich Charlotte, ihre Großtante. Das aristokratische Oberhaupt der St. Sebastians hatte Zia und ihren Bruder vor drei Jahren in ihr Herz geschlossen. Zia wusste nicht, wie sie die anstrengende Zeit als Assistenzärztin ohne die Unterstützung und Ermutigung der Großherzogin überstanden hätte.

Im Geiste ließ sie die Zeit am Mount Sinai Hospital vor ihrem geistigen Auge abrollen, während sie zurück zu ihrem Urlaubsdomizil joggte. Zweieinhalb Jahre Visiten, wechselnde Schichten, Team-Besprechungen, Entlassungsgespräche. Endlose Tage und Nächte der Sorge um ihre Patienten. Herzzerbrechende Stunden der Trauer mit Eltern, die ihr Kind verloren hatten – während sie ihren eigenen schmerzlichen Verlust so tief in ihrem Inneren vergrub, dass er nur noch selten an die Oberfläche kam.

Außer in Zeiten wie diesen. Wenn sie entscheiden musste, wie ihre Zukunft aussehen sollte. Wollte sie die nächsten dreißig oder vierzig Jahre weiter mit kranken Kindern arbeiten, oder wollte sie das Angebot von Dr. Roger Wilbanks annehmen? Der Chef des Forschungszentrums für Kindermedizin hatte sie eingeladen, ein Mitglied seines Teams zu werden. Wem gehörte ihre Zukunft – der Arbeit am Krankenbett oder der Forschung?

Das Für und Wider beider Möglichkeiten ging ihr unablässig im Kopf herum, während sie dem Domizil der St. Sebastians zustrebte. Die Morgensonne stand inzwischen hoch am blauen Himmel, und die Feriengäste strömten an den Strand.

Unwillkürlich wanderten Zias Gedanken zurück zu Mike Brennan. Sie musste an den muskulösen Körper denken. An dieses Killer-Lächeln. Die alten Flipflops und die ausgefransten Shorts verrieten, dass er sich in seiner Haut sichtlich wohlfühlte, ohne sich dem reichen Ambiente anzupassen. Das gefiel ihr.

Und wenn sie es jetzt recht bedachte, gefiel ihr auch die Aussicht, mit ihm zu Abend zu essen. Vielleicht war es genau das, was sie im Moment brauchte – einen entspannten Abend ohne ihre temperamentvolle Familie. Ein paar Stunden, ohne an ihre Entscheidung denken zu müssen. Ein unverbindlicher Flirt …

Wow! Woher kam das plötzlich?

Unverbindliche Flirts lagen ihr nicht. Abgesehen von der Tatsache, dass ihre langen Arbeitsstunden ihr so viel Kraft abverlangten, war sie viel zu vorsichtig, zu verantwortungsbewusst – okay, vielleicht zu heikel –, um sich darauf einzulassen. Von einer einzigen beklagenswerten Ausnahme abgesehen. Mit einer Grimasse verdrängte sie die Erinnerung an den attraktiven Chirurgen, der vergessen hatte, darauf hinzuweisen, dass seine Scheidung noch Lichtjahre entfernt war. Im Geiste konnte sie sich noch heute für diesen Fehler ohrfeigen.

Das Penthouse, das die St. Sebastians für ihren Urlaub gemietet hatten, ging über zwei Etagen und hatte sechs Schlafzimmer. Obwohl es noch früh am Morgen war, schlug Zia ein Geräuschpegel am oberen Ende der Dezibel-Skala entgegen. Das meiste war den fast dreijährigen Zwillingen ihrer Cousine Gina zuzuschreiben. Die lebhaften blauäugigen Blondschöpfe waren Miniaturausgaben ihrer quirligen Mutter. Meist jedenfalls. Das fröhliche Kreischen, das im Moment aus dem Wohnzimmer kam, zeigte an, dass sie bester Laune waren.

Lächelnd folgte Zia der Geräuschkulisse. Das Panoramafenster des Wohnzimmers bot einen atemberaubenden Ausblick auf den Golf von Mexiko. Nicht, dass sich hier im Moment irgendjemand für den Ausblick interessiert hätte. Die Zwillinge waren unter lautem Gekicher dabei, ihren Onkeln blinkende rote Rentiernasen aufzusetzen. Sie trugen bereits jeder ein Rentiergeweih und eine Halterung mit Weihnachtsglocken. Dominic und Devon saßen im Schneidersitz auf dem Boden, sodass die Zwillinge mühelos auf ihnen herumklettern konnten. Ihr Vater, Jack, sah dem Treiben amüsiert zu.

„Was ist denn hier los?“, erkundigte sich Zia.

„Der … der Weihnachtsmann kommt“, sprudelte die kleine Amalia ganz aufgeregt hervor. „Und …“

„Und Onkel Dom und Onkel Dev ziehen den Schlitten“, ergänzte ihre Schwester Charlotte.

Die Mädchen waren nach der Großherzogin benannt, deren vollständiger Name und Titel mehrere Zeilen füllte. Sarah und Gina hatten fast ebenso lange Namen, und auch Zia. Anastazia Amalia Julianna St. Sebastian passte in kein Formular. Daran musste Zia lächelnd denken, während sie in der Tür stand und sich an der fröhlichen Szene ergötzte.

Es konnte keine drei Männer geben, die äußerlich so wenig gemein hatten und einander dennoch im Charakter so ähnlich waren, befand sie. Jack Harris, der Vater der Zwillinge und Botschafter der Vereinigten Staaten bei den Vereinten Nationen, war groß, hatte hellbraunes Haar und aristokratische Züge. Devon Hunters hart erkämpfter Aufstieg zum Selfmade-Milliardär zeigte sich in seinen hageren Zügen und den wachen Augen. Und Dominic …

Ahhh. Konnte es einen Mann geben, der es mit ihm aufnehmen konnte? Attraktiv. Charismatisch. Er hatte nach dem Tod ihrer Eltern die Vormundschaft für Zia übernommen. Er war ihr Freund und Ratgeber in den stürmischen Jahren der Pubertät gewesen. Hatte ihr während der Zeit am College und während des Medizinstudiums immer zur Seite gestanden, wenn sie seine Hilfe brauchte – und das, obwohl sein Job als Geheimagent ihn sehr forderte. Er hatte diesen Job geliebt – und ihn doch aufgegeben für die Frau, die er noch mehr liebte.

Und Natalie erwiderte seine Liebe. Ein Blick in ihre braunen Augen genügte, um die Tiefe ihrer Gefühle zu erkennen. Zia registrierte es mit einem inneren Lächeln. Natalie saß am Ende der komfortablen Couch und hatte den bebenden Windhund fest im Griff, um ihn davon abzuhalten, sich auf die fröhliche Rentierbande zu stürzen.

Neben ihr saß Zias Cousine, Gina. Sie trug eine Weihnachtsmannmütze auf den silberblonden Locken. Damit und mit der bunt gestreiften Leggins wirkte sie eher wie ein Teenager als wie die Mutter fast dreijähriger Zwillinge und Ehefrau eines Diplomaten, nicht zu vergessen ihre Teilhaberschaft an einer der erfolgreichsten Event-Agenturen von New York City. Ginas ältere Schwester, Sarah, hatte sich im Sofa zurückgelehnt. Ihre Hand lag auf dem sich gerade erst abzeichnenden Babybauch, und ihre Miene verriet tiefes Glück über die bevorstehende Mutterschaft.

Aber es war die Frau, die kerzengerade auf ihrem Sessel saß und die Hände auf den elfenbeinernen Knauf ihres Stocks liegen hatte, die Zias Blick fesselte. Die Großherzogin von Karlenburgh konnte jeder Frau jeden Alters ein Vorbild sein. Als junge Braut hatte sie auf verschiedenen Schlössern in ganz Europa gelebt, nicht zuletzt auf Burg Karlenburgh im gleichnamigen Herzogtum an der Grenze zwischen Österreich und Ungarn.

Dann waren die Sowjets einmarschiert und hatten den Aufstand der Ungarn niedergeschlagen. Charlotte musste mit ansehen, wie ihr Ehemann hingerichtet wurde. Ihr selbst gelang die Flucht mit ihrem Baby im Arm über die schneebedeckten Alpen – im Teddy des Kindes versteckt ein kleines Vermögen an Juwelen. Jetzt, mehr als sechzig Jahre später, hatte sie weder ihre Würde noch ihren Mut oder ihre aristokratische Haltung verloren. Die Großherzogin mochte alt geworden sein, aber sie regierte ihre wachsende Familie mit sanftem Nachdruck.

Sie war der Grund, wieso sie alle die Weihnachtszeit hier in Texas verbrachten. Charlotte hatte nicht geklagt, aber es war Zia aufgefallen, dass die winterliche Kälte in New York der Großherzogin arthritische Beschwerden verursachte. Und es brauchte nur eine diesbezügliche Bemerkung Zias, um den ganzen Clan der St. Sebastians einem gemeinsamen Urlaub im sonnigen Süden zustimmen zu lassen.

Dev und Sarah mieteten das Penthouse und richteten hier vorübergehend ihr Büro ein, das sie normalerweise von Los Angeles aus betrieben. Jack und Gina verschoben eine Reihe von Terminen und freuten sich darauf, endlich einmal einen wenngleich auch kurzen Urlaub in Texas zu verbringen. Auch Dom und Natalie flogen ein, natürlich zusammen mit ihrem Hund. Die Familie hatte auch Maria, die langjährige Gesellschafterin und Haushälterin der Großherzogin, überredet, als Gast an diesem Urlaub teilzunehmen, während die Angestellten des Hauses die Familie versorgten.

Zia konnte nicht ganz so lange in Texas bleiben wie die anderen. Obwohl die Assistenzärzte des Mount Sinai Hospitals in ihrem zweiten und dritten Jahr einen Urlaubsanspruch von vier Wochen hatten, nahm ihn kaum jemand in Anspruch. Zia hatte seit Beginn ihrer praktischen Ausbildung noch nie mehr als drei Tage am Stück freigenommen. Und wo nun die Entscheidung über das Angebot von Dr. Wilbanks fallen musste, wäre sie nie für eine ganze Woche nach Galveston gekommen, hätte Charlotte nicht darauf bestanden.

Fast schien es, als habe die Großherzogin ihren Gedankengang verfolgt, denn sie sah in diesem Moment zu ihr herüber. Der Druck ihrer knotigen Finger auf dem Knauf ihres Stocks verstärkte sich. Fragend hob sie eine Braue.

Ha! Charlotte musste Zia nur ansehen, um zu erraten, woran sie dachte! Sie hielt sie für alt und hinfällig und war überzeugt, sie brauche die Sonne des Südens, um Linderung für ihre kranken Knochen zu finden. Vielleicht war das so. Aber genauso wichtig war es ihr, wieder etwas Farbe in die Wangen ihrer Großnichte zu bringen. Sie war einfach zu blass, zu dünn und zu müde.

Sie hatte in den Jahren am Mount Sinai zu viel gearbeitet, besonders in den letzten Monaten. Und jedes Mal, wenn Charlotte versucht hatte, die Schatten unter diesen müden Augen zu ergründen, hatte das Mädchen ihr einfach lächelnd versichert, dass Erschöpfung völlig normal sei im dritten Jahr der Assistenzzeit an einer der renommiertesten Kliniken des Landes.

Charlotte mochte die Achtzig hinter sich gelassen haben, aber sie war nicht senil. Und sie kannte keine Skrupel, wenn es um das Wohlergehen ihrer Familie ging. Keiner von ihnen, auch Anastazia nicht, ahnte, wie sie sie alle zu diesem gemeinsamen Urlaub gebracht hatte. Es hatte nicht viel mehr dazu gehört, als gelegentlich die arthritischen Hände zu reiben und dabei schmerzlich das Gesicht zu verziehen. Dazu noch die scheinbar beiläufige Bemerkung, dass der Winter in New York City in diesem Jahr wirklich besonders feucht und kalt sei …

Ihre Familie hatte genauso reagiert, wie sie erwartet hatte. Innerhalb weniger Tage gingen sie alle möglichen Urlaubsziele von Florida bis Kalifornien durch. Die Entscheidung fiel schließlich für Texas, weil damit die Anreise für alle Familienmitglieder in etwa gleich weit war. Innerhalb einer Woche waren Charlotte und Maria im Luxus des sonnigen Südens untergebracht, während die anderen nach und nach dazukamen.

Charlotte hatte Zia sogar dazu bewegen können, sich die ganze Weihnachtswoche freizunehmen. Ihre Wangen hatten inzwischen ein wenig Farbe bekommen, und erfreut registrierte die Großherzogin, dass fast so etwas wie ein Leuchten in ihren Augen zu sehen war. Und noch interessanter: Ihr Haar war feucht und zerzaust und schien Spuren von Seetang zu enthalten. Sie klopfte mit dem Stock auf den Boden, um die Aufmerksamkeit der Zwillinge zu bekommen.

„Charlotte, Amalia – bitte seid einen Moment still.“

Das fröhliche Kreischen der kleinen Mädchen senkte sich um ein paar Dezibel.

„Setz dich zu mir, Anastazia, und erzähl, was dir am Strand passiert ist.“

„Woher weißt du …?“

„Du hast Seetang im Haar.“

Zia betastete ihren Kopf und fand das verräterische Indiz. „Stimmt.“ Sie lachte leise.

„Erzähl!“, befahl die Großherzogin. „Was ist geschehen?“

„Lass mich überlegen.“ Zia tat so, als müsse sie sich mühsam erinnern. „Ein kleiner Junge wurde von der Unterströmung erfasst, und ich bin ins Wasser gesprungen, um ihn herauszuziehen. Dann habe ich ihn wiederbelebt.“

„Großer Gott! Geht es ihm gut?“

„Es geht ihm prima. Und seinem Onkel auch“, setzte sie hinzu. „Deswegen werde ich heute Abend mit ihm essen gehen.“

2. KAPITEL

Wie Zia vorhergesehen hatte, löste ihre Ankündigung des Essens mit einem Fremden eine ganze Flut an Fragen aus, besonders von den Männern der Familie. Die hitzige Diskussion war noch in vollem Gange, als der Doorman anrief und einen Besucher für Dr. St. Sebastian meldete. Für einen Moment erwog Zia, in der Lobby auf Brennan zu warten. Aber dann fand sie, es sei ein guter Test für ihn, sich gleich dem geballten Feuer ihres Bruders, ihrer Cousins und der Großherzogin zu stellen. Wenn er den nicht bestand, brauchte sie keine Zeit mit ihm zu verschwenden.

Sie wartete an der Tür des Penthouses, als er aus dem Fahrstuhl kam. „Hallo!“

„Hi, Doc.“

Wow! Oder wie ihre jüngeren Patienten vielleicht gesagt haben würden: cool! Das entspannte Lächeln war dasselbe wie am Morgen, aber ansonsten hatte sich einiges geändert. Er hatte die abgeschnittenen Shorts und die Flipflops getauscht gegen eine schwarze Hose mit exakter Bügelfalte, dazu ein am Hals offen stehendes blaues Hemd und eine leichte Sportjacke. Verzierte Lederstiefel und ein schwarzer Stetson rundeten das Bild ab.

Autor

Merline Lovelace
Als Tochter eines Luftwaffenoffiziers wuchs Merline auf verschiedenen Militärbasen in aller Welt auf. Unter anderem lebte sie in Neufundland, in Frankreich und in der Hälfte der fünfzig US-Bundesstaaten. So wurde schon als Kind die Lust zu reisen in ihr geweckt und hält bis heute noch an.
Während ihrer eigenen Militärkarriere diente...
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