Heiße Affäre in der Toskana

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Eine malerische Hochzeitskapelle, ein romantischer Wunschbrunnen … Kayla lässt sich von ihrem Boss Angelo Amatucci die schönsten Seiten seiner italienischen Heimatstadt Monte Calanetti zeigen. Natürlich nur, weil sie gemeinsam mit ihm an einem neuen Projekt für seine Werbeagentur arbeitet. Dass es mit jedem Tag sinnlicher zwischen ihnen knistert, muss sie dabei ignorieren. Und wenn sie sich noch so sehnsüchtig nach seinen Küssen verzehrt! Denn sie weiß: Beginnt sie eine Affäre mit Angelo, riskiert sie nicht nur ihren Job, sondern auch ihr wohlgehütetes Herz …


  • Erscheinungstag 17.01.2017
  • Bandnummer 0002
  • ISBN / Artikelnummer 9783733707217
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

„Darf ich einmal an Ihnen schnuppern?“

Kayla Hill vertippte sich prompt. Sie musste sich verhört haben. Das konnte ihr sehr seriöser, sehr gut aussehender Boss unmöglich gesagt haben.

Angelo Amatuccis gebräunte Stirn legte sich in Falten. „Sie tragen doch Parfüm, nicht wahr?“

„Äh … ja.“

„Gut. Das wäre sehr hilfreich. Also, darf ich?“

Hilfreich? Wobei? Kayla ließ die E-Mail E-Mail sein und drehte sich zu ihrem Chef um, der direkt neben ihr stand. Stört ihn mein Parfüm etwa? Aber dann hätte er es bestimmt doch schon vorher erwähnt, oder? Sie trug es nämlich immer.

Sie hob den Kopf und blickte an der ein Meter neunzig großen, durchtrainierten Gestalt empor. „Ich verstehe nicht ganz.“

„Ich hatte gerade ein Gespräch mit Victoria Van Holsen, der Inhaberin von Moonshadow Cosmetics. Ihrer Meinung nach reicht die Werbekampagne für den neuen Duft ihrer Firma nicht aus … obwohl sie jeden einzelnen Schritt abgezeichnet hat.“ Ein Muskel zuckte in seiner Wange. „Sie erwartet eine völlig neue Präsentation von uns.“

„Aber das ist doch eine Weihnachtskampagne. Wir haben schon März, da müsste längst alles abgesegnet sein.“ Abrupt presste Kayla die Lippen zusammen. Sie sprach hier mit jemandem, der sehr viel mehr Erfahrung hatte als sie.

„Jetzt, da die Info über die Festtagskampagne ihres Konkurrenten durchgesickert ist, will sie etwas, das Wellen schlägt.“

„Ich hielt unser Konzept für einzigartig, es hat mir wirklich sehr gut gefallen.“ Das stimmte, Kayla versuchte nicht, ihrem Chef zu schmeicheln. Das ergab sich eher nebenbei.

„Nun, Tatsache ist, dass jeder Victoria Van Holsen kennt und sie eine unserer wichtigsten Klientinnen ist. Deshalb müssen wir sie bei Laune halten.“

Das in Stein gemeißelte Firmenmotto: „Der Kunde ist König.“ Wenn Kayla jemals ihren Traum verwirklichen und nach dem kleinen Umweg über die Position einer Assistentin vom CEO der Amatucci & Partner Werbeagentur auf der Madison Avenue als Werbemanagerin landen wollte, durfte sie nie vergessen, dass der Kunde immer recht hatte. Ganz gleich, wie unsinnig und unrealisierbar seine Wünsche auch erscheinen mochten, wichtig war, ihn zufriedenzustellen.

„Wie kann ich helfen?“

Seine Miene blieb völlig ausdruckslos. „Stehen Sie auf.“

Sie tat wie geheißen, und ihr Herz schlug etwas schneller, als er sie mit gerunzelter Stirn umkreiste. Dann blieb er in ihrem Rücken stehen und schnupperte an ihrem Nacken. Eine Gänsehaut überlief sie, obwohl er nicht einmal an ein Härchen von ihr rührte. Hätte irgendjemand anders diese höchst ungewöhnliche Bitte vorgetragen, hätte sie das als Anmache verstanden. In der nächsten Sekunde stand ihr Chef, der todernste Mr. Amatucci, aber auch schon wieder vor ihr. Nichts in seiner Miene regte sich. Ihr Herzschlag beruhigte sich.

Er hatte noch nie mit ihr geflirtet, und sie nahm an, dass seine Neugier auf ihr Parfüm etwas mit dem Van-Holsen-Gespräch zu tun hatte. Nur konnte sie sich nicht denken, was ihm im Kopf umging. Die Parfüms aus dem Hause Van Holsen konnte sie sich nicht leisten, der kleinste Flakon hätte mehr als ein Monatsgehalt verschlungen.

„Es scheint bereits verflogen zu sein“, murmelte er.

„Hier, vielleicht ist das besser.“ Sie zog den Ärmel ihrer dunkelblauen Kostümjacke höher und streckte ihm ihr Handgelenk hin.

Mit warmen Fingern zog er ihren Arm unter seine Nase. Und wieder beschleunigte sich ihr Herzschlag. Kayla wünschte, sie könnte es kontrollieren. Der Mann war schließlich ihr Boss und hielt zudem ihre Karrierehoffnungen in der höchst einflussreichen Hand. Außerdem war er ihr viel zu trocken.

Nichtsdestoweniger kam sie nicht umhin, erste graue Strähnen an seinen Schläfen zu bemerken. Die dunkelbraunen Augen hielt er geschlossen, während er ihren Duft einatmete. Ihr fielen seine langen Wimpern auf. Erstaunlich, dass ihn sich noch keine Frau geangelt hatte. Nicht dass sie an so etwas dachte.

Kayla war der Ehefalle knapp entkommen, übrigens mit einem wirklich netten Mann, der sogar den Segen ihrer Eltern gehabt hatte. Steven aber hatte sich eine traditionelle Ehefrau gewünscht, eine, die kochte, putzte, ein Heim für eine große Familie schuf und glücklich damit war. An diesem Bild war sicherlich nichts verkehrt, aber sie hatte eben andere Vorstellungen von ihrer Zukunft. Sie hatte aus der Kleinstadt herauskommen wollen und ihre Zukunft in New York gesehen.

Mr. Amatucci gab ihren Arm frei, doch noch immer spürte sie die Wärme seiner Finger an ihrer Haut, und auch ihr Puls hatte sich noch nicht beruhigt. Sie hatte nicht die geringste Ahnung, weshalb sie so reagierte. Sie würde sich ihre Karriere nicht ruinieren, indem sie anfing, für ihren Chef zu schwärmen, schon gar nicht, wenn so deutlich war, dass er keinerlei Gefühle für sie hegte.

„Ist es das einzige Parfüm, das Sie tragen?“

Sie nickte. „Es ist mein Lieblingsparfüm.“

„Könnte ich Sie überreden, ein anderes zu benutzen?“

Natürlich könnte sie ihm jetzt die Antwort geben, die er hören wollte, aber wie sollte er dann auf neue Ideen für eine Marketingstrategie kommen? „Warum sollte ich wechseln, wenn ich das Parfüm schon seit Jahren trage?“

Er ließ sie nicht aus den Augen. „Wie lange ist es schon Ihr Lieblingsparfüm?“

„Seit meiner Teenagerzeit.“ Gekauft hatte Kayla es sich für den ersten Schulball, aufgelegt hatte sie es zu ihrer ersten Verabredung mit Steven und danach immer zu besonderen Anlässen, eigentlich bei allen wichtigen Gelegenheiten in ihrem Leben. Selbst an dem Tag, an dem sie ihre Koffer gepackt und nach New York aufgebrochen war.

„Sagen Sie es mir …“, brach Mr. Amatuccis Stimme in ihre Gedanken, „… woran denken Sie gerade?“

Argwöhnisch sah sie ihn an. In all den Wochen, in denen sie jetzt als seine Assistentin arbeitete, hatte es zwischen ihnen keinen einzigen persönlichen Austausch gegeben, es war immer nur um geschäftliche Dinge gegangen.

Vermutlich würde er sie für schrecklich sentimental halten. „Ich dachte gerade an all die Gelegenheiten, zu denen ich es aufgelegt habe. Mein erster Ball, mein erster Kuss, mein erstes …“ Ein kritischer Blick von ihm ließ sie verstummen.

„Also ist für Ihre Wahl dieses Parfüms mehr von Belang als nur der Duft, richtig? Es hat auch eine sentimentale Bedeutung.“

Sie zuckte mit den Schultern. „Ja, vermutlich.“

So genau hatte sie noch nie darüber nachgedacht. Normalerweise verschwendete sie keinen Gedanken an Parfüm. Wenn der Flakon leer war, kaufte sie ein neues, weiter ging es nicht.

Angelo rieb sich den Nacken, wie immer, wenn er nachdachte. „Wenn unser Kunde also nicht mit der ‚Gönnen Sie sich Glamour‘-Kampagne den Markt erobern will, werden wir uns auf einen eher gefühlsbetonten Ansatz konzentrieren. Ihnen gebührt der Dank, dass wir jetzt mit einer neuen Strategie aufwarten können.“ Schon im Gehen, drehte er sich noch einmal zu ihr um. „Sie haben als Werbetexterin gearbeitet, bevor Sie die Vertretung für meine Assistentin übernommen haben, richtig?“

Sie nickte. Gab es einen schnelleren Weg nach oben, als für den CEO einer der bekanntesten Namen in der Werbebranche zu arbeiten?

„Gut. Dann werden Sie jetzt tiefer in Ihren Erinnerungen kramen und sich die entsprechenden Texte dazu überlegen.“

„Aber … macht das nicht normalerweise das Kreativ-Team für dieses Kundenkonto?“ Kaum waren die Worte heraus, hätte Kayla sich treten mögen.

Mit zusammengekniffenen Augen musterte er sie. „Haben Sie kein Interesse, an dem Projekt zu arbeiten?“

Bevor sie ihm eine Antwort geben konnte, klingelte sein Smartphone, und er wandte sich ab, um das Gespräch anzunehmen. Kayla hielt ihre Aufregung eisern im Zaum. Das hier war ihre große Chance, und sie gedachte, sie beim Schopf zu packen und das meiste herauszuholen. Alle hatten gedacht, es wäre ein Schritt zurück, als sie die Vertretung für Mr. Amatuccis Assistentin angenommen hatte, aber wie es aussah, bekam sie genau das, was sie wollte.

Ihre Finger flogen über die Tastatur, als sie die E-Mail an das Kreativ-Team zu einer anderen Feiertagskampagne zu Ende schrieb, während ihr Boss vor der großen Glasfront stand und telefonierte. Zwar war erst März, aber in der Werbung arbeitete man eben weit voraus, und bei dem Schneesturm, der draußen vor den Fenstern über Manhattan hinwegfegte, passte es sogar in die Atmosphäre. Aber was würde sie nicht für Sonne und blauen Himmel geben! Nach Monaten mit Eis und Schnee wartete Kayla ungeduldig auf den Frühling.

„Arbeiten Sie schon an Ihrer Liste?“ Mr. Amatucci hatte sein Telefonat wohl beendet, denn seine braunen Augen ruhten durchdringend auf ihr.

„Äh, nein. Ich muss noch eine E-Mail schreiben, das wird jedoch nicht lange dauern. Ich finde, Ihre Idee trifft genau ins Schwarze. Sie werden sehen, wenn die Kundin die ersten Entwürfe in Händen hält, wird sie begeistert sein.“ Sie plapperte. Eindeutig. Aber in seiner Nähe war sie immer leicht nervös, hatte immer das Bedürfnis, diese langen Pausen zu füllen.

Mr. Amatucci sah aus, als wollte er etwas sagen, doch schon wieder klingelte ein Telefon. Diesmal das auf seinem Schreibtisch. Seine Privatleitung. In der ganzen Zeit, in der Kayla hier arbeitete, hatte es noch nie geklingelt.

Es klingelte und klingelte, aber er nahm den Hörer nicht ab.

„Soll ich den Anruf beantworten?“, bot sie an. Warum zögert er?

„Nein.“ Endlich nahm er den Hörer ab. „Was ist los, Nico?“

Es machte sicher keinen guten Eindruck, wenn sie hier saß und lauschte. Also konzentrierte Kayla sich wieder auf ihre Arbeit, tippte das Diktat mit den Ideen zu der Kampagne für den neuen Kunden ab und verschickte die E-Mail. Ein multinationaler Konzern, die Kampagne würde weltweit geschaltet werden. Um die Global Player kümmerte ihr Boss sich immer persönlich. Jeder dieser Kunden erwartete, dass ausschließlich Mr. Amatucci für sie da war, und er nahm ihre Anrufe zu jeder Tages- und Nachtzeit an. Dabei blieb er stets ruhig und sachlich. Man könnte Angelo mit Fug und Recht als Workaholic bezeichnen. Doch das zahlte sich aus: Die Resultate, die Amatucci & Partner lieferte, waren immer brillant, und die Agentur gehörte zu den renommiertesten weltweit.

Cosa! Nein, Nico!“

Die Stimme ihres Chefs wurde mit jedem Wort aufgeregter. Kayla hörte auf zu tippen und sah zu ihm. Der Mann war die Ruhe selbst, hob eigentlich nie die Stimme – bis zu diesem Moment. Jetzt brüllte er praktisch. Trotzdem verstand sie nur die Hälfte, weil er zwischen Englisch und Italienisch wechselte.

„Bist du sicher, Nico?“

Ist jemand gestorben? Und wer ist Nico? Den Namen hatte sie noch nicht gehört. Aber der Anruf war ja auch über die Privatleitung gekommen, also hatte es wahrscheinlich nichts mit der Agentur zu tun. Kayla wusste absolut nichts über Angelos Privatleben. Manchmal fragte sie sich, ob er überhaupt eines hatte.

„Marianna kann unmöglich schwanger sein!“ Er wechselte wieder ins Italienische.

Schwanger? Wird er etwa Vater? Vermutlich sollte sie sich entschuldigen und ihm Raum für das Gespräch lassen, aber sie blieb reglos sitzen. Wer hätte vermutet, dass dieser immer kühle, beherrschte Mann derart aufbrausen konnte?

Aber die wesentliche Frage lautete doch wohl eher: Wer ist Marianna?

Angelo Amatucci klammerte die Finger so fest um den Telefonhörer, dass es wehtat. Das musste ein Albtraum sein, etwas anderes war gar nicht möglich. Gleich würde er aufwachen … Vielleicht arbeite ich einfach zu viel. Vielleicht sollte ich mir die Ratschläge meiner Geschäftspartner zu Herzen nehmen und kürzertreten. Das wäre auch eine Erklärung, weshalb er vorhin, als er Miss Hills Parfüm gerochen hatte, mit dem Daumen sacht über die feine Haut an ihrem Handgelenk hatte streicheln wollen und …

„Angelo, hörst du mir überhaupt zu?“ Nicos besorgte Stimme drang durch die Leitung und riss ihn aus diesen absurden Gedanken. „Was sollen wir denn jetzt tun?“

Nico war sein vier Jahre jüngerer Bruder. Zu den meisten Dingen im Leben hatten sie völlig unterschiedliche Ansichten, aber sobald es um ihre kleine Schwester ging – die gar nicht mehr so klein war –, waren sie sich immer einig.

„Du musst da etwas falsch verstanden haben. Marianna hat doch nicht einmal eine feste Beziehung.“

„Ich weiß, was ich gehört habe.“

„Dann erzähl es mir noch einmal ganz genau.“

„Sie sollte den neuen Jahrgang probieren. Ich sage dir, das ist der beste Wein, den wir je hatten. Sobald du ihn probierst, wirst du mir zustimmen …“

„Nico, wir reden über Marianna.“

„Sicher, richtig … Sie sah blass und mitgenommen aus, als sie nach dem Jahr in Australien wieder nach Hause kam. Ich dachte, dass sie zu viel gefeiert hat und …“

„Es war nicht geplant, dass sie das Jahr mit Partys vergeudet!“, brauste Angelo auf. Er merkte, wie Miss Hill ihn mit großen Augen anstarrte. Darum kehrte er ihr ganz bewusst den Rücken zu und senkte die Stimme. „Sie war in Australien, um dort auf dem Weingut zu arbeiten und Erfahrungen zu sammeln. Hätte ich geahnt, dass sie ein Jahr nur feiert, hätte ich sie zurückgeholt und hier in der Agentur untergebracht.“

Nico seufzte. „Nicht jeder ist so ein Arbeitstier wie du, großer Bruder.“

„Und was hast du unternommen, als sie sich übergeben hat?“

„Was hätte ich denn tun sollen? Ich habe sie gefragt, ob sie krank ist, und sie tat es als leichte Magenverstimmung ab. Ich meine, was verstehen wir beide denn schon von schwangeren Frauen? Außer man sagt es uns offen. Es sei denn natürlich, es gibt Neuigkeiten bei dir …“

„Unsinn!“ Angelo plante weder zu heiraten noch eine Familie zu gründen. Nie.

„Als ich ihr den Wein anbot, hatte sie keine andere Wahl. Sie musste mit der Sprache herausrücken. Kaum zu glauben, was? In weniger als einem Jahr sind wir Onkel.“

„Jetzt sag nicht, dass du dich darüber auch noch freust.“

„Nicht unbedingt. Aber was soll ich deiner Meinung nach denn unternehmen?“

„Als Erstes herausfinden, wer der Vater ist.“

„Das habe ich schon versucht. Umsonst. Mehr, als dass sie im zweiten Monat schwanger ist, hat Marianna nicht gesagt. Und dann hat sie angefangen zu heulen und sich in ihrem Zimmer eingeschlossen.“

„Und damit hast du sie davonkommen lassen?“

„Dann komm du doch her, und setz dich mit einer schwangeren Frau auseinander, die alle paar Sekunden in Tränen ausbricht! Vielleicht schaffst du es ja, den Namen des Vaters aus ihr herauszubekommen. Ich habe es mehrmals versucht und bin nicht weitergekommen.“

Alles in Angelo verspannte sich. Wie hatten die Dinge so grässlich schieflaufen können? Und viel dringender – wie ließen sie sich wieder in Ordnung zu bringen? Wie sollte er seiner Schwester helfen, wenn er so weit weg war? Frustriert fuhr er sich mit den Fingern durchs Haar. Ein solches Gespräch führte man nicht am Telefon, dazu musste man sich persönlich gegenüberstehen und sich ansehen können. Nur konnte er New York jetzt nicht verlassen, es liefen so viele wichtige Projekte. Aber welche Wahl hatte er denn? Hier ging es um seine kleine Schwester.

Er sah sie noch immer durch die Weinberge laufen, mit ihren langen Zöpfen und dem fröhlichen Lachen. Seitdem war viel Zeit vergangen. Ob sie überhaupt noch mit mir reden wird? Dass er Italien nicht freiwillig verlassen hatte, zählte nicht viel bei seinen Geschwistern. Sie waren bei den extrem dramatischen Eltern zurückgeblieben. Seine Geschwister vermisste Angelo schmerzlich, das Drama, in das seine Eltern ihre Ehe permanent verwandelten, nicht. Streit, Versöhnung, Streit, Versöhnung … das war er so unendlich leid.

Vielleicht waren die Schwierigkeiten, in die Marianna sich gebracht hatte, eine Art Rebellion. Ihre Eltern lebten inzwischen in Mailand, so war nur noch Nico zu Hause, um auf sie aufzupassen. Man musste ihm zugutehalten, dass er sich noch nie über die enorme Verantwortung, die auf seinen Schultern lastete, beschwert hatte. Seit ihre Eltern weggezogen waren, gab es für Angelo keinen legitimen Grund mehr, weiterhin nicht nach Hause zu fahren. Doch jedes Mal, wenn ein Besuch in Monte Calanetti zur Sprache gekommen war, hatte er zu viel Arbeit als Entschuldigung vorgeschoben. Was ja auch der Wahrheit entsprach – meistens zumindest.

Vielleicht hätte er sich mehr Zeit für seine Geschwister nehmen sollen. Als der älteste Bruder trug er eine Verantwortung ihnen gegenüber. Stattdessen hatte er sich ausschließlich auf seine überaus erfolgreiche Firma konzentriert – und Bruder und Schwester vernachlässigt.

Schuldgefühle, Ärger und andere Emotionen, die er nicht benennen konnte, machten seine Brust eng. Er schuldete es Marianna, alles in seiner Macht Stehende zu tun, um ihr zu helfen.

2. KAPITEL

Kayla speicherte die Datei ab. Sie sollte Mr. Amatucci wirklich etwas Privatsphäre geben. Also holte sie ihr Portemonnaie aus der Handtasche und stand auf. Sie würde sich einen Kakao aus der Maschine holen. Kakao passte zum Wetter.

Genau in diesem Augenblick knallte er den Hörer zurück auf die Gabel und drehte sich zu ihr um. „Entschuldigen Sie. Wo waren wir stehen geblieben?“

Sie sah ihm an, wie aufgewühlt er war. „Ich … äh … wollte mir gerade etwas zu trinken holen …“

„Der Van-Holsen-Auftrag, richtig“, beantwortete er sich seine Frage selbst. „Und die neue Ausrichtung, die schnellstmöglich in Angriff genommen werden muss.“

„Äh … ja.“ Sie setzte sich wieder.

Kayla wusste nicht genau, wie sie sich verhalten sollte. Ihr Chef hatte noch nie die Beherrschung verloren. Und wer war diese Marianna? Sollte Mr. Amatucci doch ein Privatleben haben, und ist diese Marianna schwanger von ihm? Aber das ging sie nichts an.

Er trat vor ihren Schreibtisch. „Morgen Nachmittag gehen wir gemeinsam Ihre Ideen durch.“

„Morgen Nachmittag?“ Kayla wusste, dass er manchmal das Unmögliche verlangte, und das hier war so ein Fall. Sie brauchte Zeit und Ruhe, um innovative Ideen für eine neue Kampagne zu entwickeln. Außerdem hatte sie heute Abend noch ein wichtiges Treffen, was ihr Chef allerdings nicht wissen sollte.

„Wenn ich es mir recht überlege, besser wäre es gleich morgen früh.“

„Morgen früh?“

Mit zusammengekniffenen Augen musterte er sie, und Kayla bereute die Nachfrage sofort. Sie wollte ihn schließlich mit ihren Fähigkeiten beeindrucken und nicht mit dummen Fragen aufregen, wenn er sowieso schon übelster Laune war.

„Miss Hill, Sie wiederholen ständig meine Worte. Gibt es ein Problem, von dem ich in Kenntnis gesetzt werden sollte?“

Sie hasste es, dass er sie Miss Hill nannte. Konnte er nicht genau wie jeder andere hier Kayla zu ihr sagen? Andererseits war er Angelo Amatucci, und jemanden wie ihn hatte sie noch nie getroffen. Außerdem war er der erste Mann, der ihr ein Prickeln über den Rücken jagte, ohne sie überhaupt zu berühren. Als er vorhin an ihrem Nacken geschnuppert hatte … Sie schluckte. Und überhaupt … er ist mein Chef, nicht irgendein Typ, den ich auf einer Party kennengelernt habe. Er wird nie eine begehrenswerte Frau in mir sehen.

„Miss Hill?“

„Nein, natürlich nicht, kein Problem.“ Oh Mann, es war sogar ein Riesenproblem. Aber irgendwie würde sie es schon hinbekommen.

Ihr Blick glitt zum Fenster. Es wurde immer dunkler, dabei war noch nicht einmal Lunchzeit. Was hieß, dass noch viel mehr Schnee fallen würde. Bei dem Gedanken, im Büro eingeschneit zu werden, zog sich ihr Magen zusammen.

Mr. Amatucci musterte sie noch immer. „Tut mir leid, ich wollte Sie nicht anherrschen.“

„Ich verstehe schon, Ihnen geht gerade viel durch den Kopf.“

Sein Blick hielt ihren gefangen. In seinen dunklen Augen standen Mysterien … die Mysterien des Mannes jenseits von Designeranzügen und Rolex-Uhren. Kayla musste zugeben, dass sie neugierig war. Und dieser seltsame Anruf hatte ihre Neugier nur noch angefacht. Vielleicht ist er ja gar nicht Single, wie ich bisher immer angenommen habe …

„Sind Sie sicher, dass Sie mit dem Projekt fertig werden?“

Sie presste die Lippen zusammen, traute sich selbst nicht mehr und nickte daher nur stumm. Sie würde das Planungstreffen für die Spendensammlung verschieben müssen.

„Gut. Bitten Sie eine der Sekretärinnen, Ihre anderen Aufgaben zu übernehmen. Das Van-Holsen-Projekt ist jetzt Ihre alleinige Priorität.“

Er nahm sein Tablet und ging zur Tür. „Ich habe jetzt ein Meeting und komme später zurück.“ Und damit war er zum Raum hinaus, ganz der beherrschte und nüchterne Angelo Amatucci, den jeder respektierte und bewunderte. Wie er sich so schnell wieder unter Kontrolle gebracht hatte, war Kayla schleierhaft.

Und wie soll ich das jetzt mit dem Treffen heute Abend unter einen Hut bekommen? Dass sie diejenige war, die den Termin gesetzt hatte, half da kein bisschen. Irgendwie hatte sie plötzlich die Leitung der Spendensammlung für das Nachmittagsschulprogramm der Inner City League innegehabt. Ein großartiges Programm, dazu gedacht, die Kids von der Straße wegzuholen, solange die Eltern noch arbeiteten. Aber der ICL ging das Geld aus. Deshalb hatte Kayla letztes Jahr freiwillig ihre Hilfe angeboten. Ihre Eltern hatten sie dazu erzogen, großzügig mit tatkräftiger Hilfe und finanzieller Unterstützung zu sein, so wie sie es waren – selbst wenn sie von beidem nicht viel hatten. Kayla hatte nicht schnell genug aus Paradise, Pennsylvania, herauskommen können, aber es steckte noch immer viel von dem Städtchen in ihr. Und sie bekam mehr von den Kids und den anderen Ehrenamtlichen zurück, als sie hineinsteckte. Es war ein wunderbarer Kreis, der ihr das Gefühl gab, in der großen fremden Stadt irgendwohin zu gehören.

Daher konnte sie das Meeting heute Abend unmöglich verschieben. Bis zu dem Benefizkonzert war noch so viel zu erledigen. Aber genauso wenig konnte sie ihrem Chef absagen. Es war ein gutes Gefühl, dass Angelo Amatucci sich auf sie verließ.

Nicht nur war er eine Augenweide, sie arbeitete auch gern mit ihm zusammen, selbst wenn er ein wenig steif war. Und jetzt, wo sie miterlebt hatte, wie temperamentvoll er sein konnte, fragte sie sich, wie es wohl wäre, ihn näher kennenzulernen.

Angelo schüttelte den Kopf. Marianna – schwanger! Unmöglich!

Nun, ganz offensichtlich war es nicht unmöglich. Aber … wie hatte sie so verantwortungslos sein können? Bisher war sie von einer romantischen Schwärmerei schneller zur nächsten übergewechselt, als er seine Krawatten tauschte. Und Nico bekommt nicht einmal den Namen des Vaters aus ihr heraus?

„Was halten Sie davon, Mr. Amatucci?“

Er hob den Blick zu einem seiner vielversprechendsten jungen Grafikmanager. Sie besprachen die Kampagne für einen neuen Sportwagen, der noch in diesem Jahr auf den Markt kommen sollte. Ein schnittiges Auto, das mit Sicherheit Aufmerksamkeit erregen würde.

Aber Angelo konnte sich beim besten Willen nicht aufs Geschäftliche konzentrieren. In seinen Gedanken war er in Italien, in Monte Calanetti, wo er sich um seine Schwester kümmern sollte.

Er sah auf die Präsentation auf seinem Tablet und dann zurück zu seinem Manager. „Da haben Sie noch einiges zu feilen. Das hier ist flach. Es wird keinen Mittzwanziger dazu bewegen, einen Kredit aufzunehmen, um sich dieses Auto zu kaufen, wenn sich zeitgleich der Schuldenberg vom Studium vor ihm auftürmt. Mir fehlt der ‚Muss-ich-haben‘-Faktor. Dieser Wagen ist nicht nur einfach ein Auto, er ist ein Statussymbol. Das muss rüberkommen.“

Mike sah auf die Präsentation. „Aber so wollte der Kunde es haben …“

„Und Ihre Aufgabe ist es, dem Kunden das verborgene Potenzial aufzuzeigen und wie viel mehr sich da noch herausholen lässt.“ Vielleicht hatte er Mike vorschnell als vielversprechend beurteilt … anders als Kayla, die bei jedem Schritt bewies, dass sie selbstständig dachte. „Überarbeiten Sie das. In achtundvierzig Stunden will ich etwas Vernünftiges vorliegen haben.“

Mike starrte ihn an, öffnete den Mund … und schloss ihn wieder, um stumm zu nicken. Angelo wünschte, die Sache mit seiner kleinen Schwester wäre ebenso unkompliziert und nüchtern zu regeln. Jetzt, da er sich wieder unter Kontrolle hatte und klar denken konnte, wusste er, dass es nur eine Möglichkeit gab. Er musste nach Italien zurück, zurück nach Monte Calanetti. Dorthin, wo ihn niemand für einen erfolgreichen Überflieger hielt. Dort war er nur Giovannis Sohn, der seine Familie im Stich gelassen hatte, während der jüngere Bruder voller Stolz das Familienerbe verwaltete.

Nach dem Meeting kehrte Angelo in sein Büro zurück. Er hatte beschlossen, gleich morgen früh zu fliegen, musste vorher aber noch seine Aufgaben delegieren. Das könnte knifflig werden. Seine Klienten zahlten Top-Preise, damit er persönlich sich ihrer Belange annahm. Er brauchte jemanden, der mit jeder Krise umgehen konnte und selbstständig arbeitete.

Kaylas hübsches Gesicht stieg vor ihm auf. Ist sie die Antwort? Er zögerte. Manchmal hatte sie die Angewohnheit, zu viel zu reden. Aber hier handelte es sich um einen Notfall, da musste man Abstriche machen. Außerdem hatte sie ihn mit ihrer Arbeitsmoral beeindruckt – und mit einem guten Auge fürs Detail. Und sie war ehrgeizig. Last but not least konnte sie gut mit Menschen umgehen, eine Eigenschaft, die auf dieser Reise sehr nützlich sein konnte.

Vor ihrem Schreibtisch blieb er stehen. „Miss Hill.“ Sie hob den Kopf, und der Blick aus ihren grünen Augen traf ihn mit Wucht. Wie hat mir dieser Jadeton bisher entgehen können? Er räusperte sich. „Wie weit sind Sie mit dem Van-Holsen-Projekt?“

Autor

Jennifer Faye
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