Hilflos in deinen Armen

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Stolz verwaltet die schöne Gillian d’Averette die Burg ihres verstorbenen Vaters. Kein Mann soll ihr diese Position streitig machen! Doch die Berührungen und Küsse des edlen Ritters Bayard de Boisbaston lassen sie dahinschmelzen und wecken nie gekannte Gefühle in ihr. Schon sehnt sich Gillian danach, die Seine zu werden - da erfährt sie von einer bösen Verschwörung. Treibt ihr Geliebter etwa nur ein Spiel mit ihr?


  • Erscheinungstag 02.11.2016
  • ISBN / Artikelnummer 9783733767075
  • Seitenanzahl 256
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

1. KAPITEL

England, 1205

Die Eisenringe des Kettenhemds klirrten, als Sir Bayard de Boisbaston den Arm hob und seine Männer anhalten ließ.

„Nun, Frederic?“, fragte er seinen jungen Knappen und wies dabei über das bewaldete Tal hinweg. „Was hältst du von Averette Castle?“

Blinzelnd blickte Frederic de Sere hinüber zu der aus grauem Stein erbauten Feste, die sich jenseits des Tals auf einer sanften Hügelkuppe erhob. „Klein, hm?“, fragte er zurück und wand sich dabei unschlüssig im Sattel.

„Von unserer Warte aus gesehen könnte man das meinen“, bestätigte Bayard. „Aber Kastelle sind nicht unbedingt immer ringförmig angelegt. Torhaus und Türme drüben an der Landstraße liegen eventuell auf der Schmalseite.“

Er zeigte auf die Bastionen, die das Haupttor flankierten. „Bogenschützen haben freies Schussfeld auf Fallgatter und Zugbrücke. Außerdem können sie aus günstigen Winkeln auf jeden anlegen, der dem Tor zu nahe kommt.“

Zudem hatte er bemerkt, dass man die Bäume und Büsche, die sonst bis dicht an die Landstraße heranreichten, abgeholzt oder gestutzt hatte. Zwischen Fahrweg und Wald erstreckte sich nun ein an beiden Seiten mindestens zehn Fuß breiter, farnüberwucherter Streifen. So blieb Reisenden bei Überfällen durch Feinde oder Wegelagerer noch Zeit, das Schwert zu ziehen und sich zu verteidigen.

Frederic schob sich eine hellbraune Locke aus der Stirn. „Ah, kapiert, Mylord.“

„Auf nach Averette!“, befahl Bayard, indem er sein Pferd mit einem Schenkeldruck in Schritt fallen ließ.

Man mochte dem verblichenen Burgherrn zu Averette, dem Vernehmen nach ein furchtbarer Grobian, noch so viel nachsagen, aber eines musste man ihm lassen: Zumindest in der Verteidigungstaktik hatte er einiges Geschick bewiesen. Das fiel Bayard sofort auf, als er jetzt mit seinen Männern schweigend am Fluss entlang in Richtung auf ein offenbar blühendes Dorf ritt, vorbei am Weiher und der Mühle mit dem sich stetig und gemächlich drehenden Rad. Rinder muhten auf einem benachbarten Feld; ein paar Schafe stoben erschrocken auseinander, als der Reitertrupp an ihrer Weide vorbeikam, und von den Hofstätten entlang der Straße ertönte Gänsegeschnatter und das Gackern von Hühnern.

Der Weiler an sich war nicht sonderlich groß, doch die Katen wirkten gepflegt und die Dörfler wohlgenährt. Eine Horde Kinder mit kläffenden Straßenkötern auf den Fersen stürmte aus einer Gasse zwischen einem Kerzenmacher und einer Schänke, deren Aushängeschild ein Hirschkopf zierte. Mit offenen Mündern staunte die Rasselbande die vorbeiziehenden Ritter an. In der Schänkentür stand ein vollbusiges Weibsbild, das Bayard und seine Mannen mit berechnendem Blick beäugte. Falls das Frauenzimmer jedoch von trinkfreudiger Kundschaft ausging, war es gewaltig auf dem Holzweg.

Als der Trupp den Dorfanger passierte, hielt alles ringsum mitten im Tun und Treiben inne und starrte den Reitern hinterdrein. An den Verkaufsständen unterbrachen Krämer und Kunden ihr Gefeilsche. Das Grüppchen alter Männer unter der riesigen Eiche bei der Schmiede, aus der selbst an diesem Sommertag die Rauchschwaden quollen, hörte auf zu palavern, und den Frauen und Mädchen beim Brunnen verging das Schwatzen.

Eins stand für Bayard fest: Kaum dass er außer Hörweite war, würde man sich wie üblich das Maul über ihn zerreißen – über seine Gestalt, seine Haltung, über die Narbe, die sich vom rechten Auge hinunter zum Kinn zog. Man würde spekulieren, wo, wie und durch wen er die wohl abbekommen hatte. Manche meinten wahrscheinlich, die Schmarre verschandele sein Gesicht; andere wiederum fanden, sie verleihe ihm ein gewisses Etwas.

Das Gerede kannte er bis zum Überdruss.

Über kurz oder lang würde dem einen oder anderen einfallen, dass er von dem berühmt-berüchtigten Sir Bayard de Boisbaston schon mal gehört hatte. Auch an den Spitznamen, den er sich bei seiner Ankunft am Hofe eingehandelt hatte, würde man sich erinnern. Ein sechzehnjähriger Jungspund war er damals gewesen, verhätschelt und eitel und fest entschlossen, sich einen Namen zu machen.

Das war ihm weiß Gott gelungen.

Verstohlen musterte er den fünfzehnjährigen Frederic, der nun hoheitsvoll zu Ross saß, die Augen stur geradeaus gerichtet, als merke er überhaupt nichts von den bewundernden Blicken, mit denen die holde Weiblichkeit die vorbeiziehenden Ritter bedachte.

Dabei genoss der Junge diese Aufmerksamkeit zweifellos in vollen Zügen. Ach, der Stolz und die Torheit der Jugend! Eines Tages würde auch Frederic vermutlich lernen, dass weibliche Bewunderung nicht immer etwas Gutes darstellte, dass nicht jede Verehrerin die Liebesmüh lohnte und es durchaus nicht immer einem Triumph gleichkam, wenn man in ihrem Bett landete.

Von der Burg drang ein Warnruf herüber.

Die Wache war also in Alarmbereitschaft. Angesichts der zu übermittelnden Nachricht hielt Bayard es für geboten, die Begegnung, die ihm nunmehr bevorstand, möglichst rasch hinter sich zu bringen. Er befahl seinen Männern, das Tempo zu beschleunigen, und ließ sein Pferd mit kurzem Fersendruck in leichten Trab übergehen.

Als sie sich dem Burgtor näherten, kam plötzlich ein Knabe hinter einem mit leeren Körben beladenen Bauernwagen hervorgesprungen. Wie ein aufgescheuchter Fasan flitzte der Bengel quer über die Dorfstraße auf die Pforte eines windschiefen Stangenzauns zu.

Fluchend zerrte Bayard an den Zügeln, und zwar so heftig, dass sich sein Hengst Danceur aufbäumte und empört wieherte. Fast gleichzeitig und gleichsam wie aus dem Nichts tauchte im Vorgarten eine Frau auf. So ungestüm, dass das obere Lederscharnier vom Zaunpfosten flog, riss sie das kleine Tor auf, schnappte sich den Knirps und floh mit dem Jungen auf dem Arm zurück in den gepflegten Garten. Das Kind an sich gepresst, starrte sie aufgebracht den Ritter an, als habe der den Kleinen vorsätzlich über den Haufen reiten wollen.

Mit pochendem Herzen, als hätte er gerade einen Überfall überstanden, erwiderte Bayard den Blick. Er hatte dem Knirps kein Haar gekrümmt, aber es wäre auch nicht seine Schuld gewesen, wenn dem Kleinen, der ihm quasi direkt ins Pferd gerannt war, doch etwas zugestoßen wäre.

Genau das wollte er der undankbaren Bauersfrau gerade erklären, da fiel ihm der Auftrag ein, der ihn hergeführt hatte. Hilfe sollte er bieten, nicht Zwist, und daher schluckte er seinen Ärger hinunter. In der Annahme, ein paar klingende Taler würden die Wogen der Empörung schon glätten, stieg er aus dem Sattel und stapfte durch das ramponierte Tor auf Mutter und Kind zu.

Der Knirps, ein etwa sechsjähriger Bub, sah den Ritter aus kugelrunden Augen ehrfürchtig an, während die Mutter nach wie vor ein finsteres Gesicht zog. Gekleidet war sie in schlichte Bauerntracht aus hellbrauner Wolle, und ihr honigbraunes Haar war von einem Linnenschleier bedeckt. Eine ausgesprochene Schönheit konnte man sie zwar nicht nennen, doch dafür hatte sie offenbar Temperament. Nun hatte Bayard normalerweise nichts gegen heißblütige Frauen einzuwenden, schon gar nicht im Bett, doch wenn sich diese Eigenschaft gegen ihn richtete, hielt sich seine Begeisterung in Grenzen.

Jetzt kam ein vierschrötiger Mann in grober, selbst gesponnener Bauernwolle hinter der Kate hervor. Verdattert, als habe er noch nie einen Edelmann mit Geleitschutz gesehen, ließ er den Blick von Bayard über Frederic zu den berittenen Soldaten auf der Dorfstraße wandern und von dort wieder zurück zu der Frau.

Vielleicht wunderte er sich aber auch nur darüber, dass ein Ritter in seinem Vorgarten stand.

Die Frau reichte dem Mann den Knaben, verschränkte die Arme vor der Brust – wobei sie ungewollt erkennen ließ, dass sie einen sehr hübschen Busen hatte – und wandte sich ohne einen Hauch von Unterwürfigkeit oder Ehrerbietung an Bayard. „Was habt Ihr hier zu schaffen, Herr Ritter?“

„Was fällt dir ein?“, entrüstete sich Frederic. „Eine Frechheit, in einem solchen Ton mit einem Edelmann zu sprechen!“

„Halt dich zurück, Junge!“, knurrte Bayard und bedachte seinen empörten Knappen mit einem mahnenden Blick.

Schon mit den ersten Worten, die ihr über die vollen, missmutig verkniffenen Lippen kamen, hatte sich die vermeintliche Bauersfrau verraten. In ihrem Tonfall fehlte der bäuerliche Dialekt, der ländliche Singsang.

Bayard setzte den Helm ab, klemmte ihn sich unter den Arm und verneigte sich. „Seid mir gegrüßt, Mylady. Ich bin Sir Bayard de Boisbaston und bringe Euch Neuigkeiten von Eurer Schwester.“

Nicht ganz unerwartet für Bayard blitzten die grünen Augen der Frau überrascht auf, doch das Leuchten verlosch schnell. Sie versuchte auch gar nicht erst, sich zu verstellen. „Was für eine Nachricht sollte das sein?“, fragte Lady Gillian d’Averette kühl. „Und überhaupt: von welcher meiner Schwestern?“ Sie tat so, als sei es für sie alltäglich, vor Bauernkotten Zwiesprache mit Rittern zu halten, und das in bäuerlicher Tracht.

Möglicherweise stimmte das ja, und sie stand daher jetzt in ihrer üblichen Kleidung vor ihm. Armand hatte ihn schließlich vorgewarnt, dass die Schwester seiner Braut häufig aus der Rolle tanze. Einzelheiten hatte er sich allerdings gespart. Womöglich fand sie auch nichts dabei, wichtige Angelegenheiten vor aller Augen und Ohren zu besprechen. Das sah Bayard allerdings anders. „Ich glaube nicht, Mylady, dass dies für Euch der geeignete Ort ist für die Lektüre des Briefes, den ich Euch überbringe.“

Sie schürzte die Lippen, und fast hatte er den Eindruck, als wolle sie seinen dezenten Rat zurückweisen. Zum Glück tat sie es nicht.

„Nun, meinetwegen!“ Mit wenig damenhaften Schritten stolzierte sie an ihm vorbei und rief ihm über die Schulter zu: „Dann kommt halt mit, so Ihr die Güte habt!“

Neben dem Hinweis auf die Bauerntracht hätte Armand noch erwähnen können, dass seine zukünftige Schwägerin einen Befehlston wie eine Kaiserin am Leibe hatte, dass sie mit dem Fuß aufstampfte wie ein wutentbrannter Krämer und bei alledem nicht einmal annähernd so schön war wie ihre Schwester Adelaide. Einen Begrüßungskuss hatte sie ihm ebenfalls verweigert.

Ja, sapperlot!, dachte Bayard, als er ihr folgte. Da bist du ja selbst von dem Kerl, der dich in Frankreich gefangen gehalten hat, freundlicher begrüßt worden!

Nun, sei’s drum: Er nahm sich vor, kein Wort über ihr taktloses Auftreten zu verlieren und ihre brüske Art nach Möglichkeit zu ignorieren. An sich hatte er sowieso nicht erwartet, mit offenen Armen empfangen zu werden. So gesehen tat es nichts zur Sache, dass sie von seinem Kommen wenig begeistert schien. Armand hatte ihn gebeten, der Schwester seiner Gemahlin eine Nachricht zu überbringen und zu ihrem Schutz bei ihr zu bleiben. Daran gedachte Bayard sich nun voll und ganz zu halten.

Welche Neuigkeiten mochte dieser anmaßende Flegel wohl von Adelaide und dem Königshof bringen? Das fragte sich Gillian, als sie zur Burg eilte, um in ihrer Kemenate ungestört nachzudenken.

Gute bestimmt nicht.

Sie sowie ihre Schwestern Adelaide und Elizabeth – für ihre Freunde nur Lizette – waren Mündel des Königs. Das hieß, dass König John nach Gutdünken über sie verfügen konnte. Er durfte sie beispielsweise je nach Lust und Laune verheiraten, ganz gleich, ob sie dabei glücklich wurden oder nicht. Außerdem vergab er Vormundschaften über junge männliche Erben an Günstlinge, die in der Folge die betreffenden Anwesen plünderten, noch ehe die Knaben volljährig wurden und ihr Erbe antreten konnten. Ja, an das Wohl und Wehe der ihm Anvertrauten, das Volk von England eingeschlossen, verschwendete er nicht einen Gedanken.

Wer mochte da voraussagen, was er sich für sie oder die Leute von Averette ausgedacht hatte? Und wieso war ausgerechnet dieser Ritter damit beauftragt, ihr die Nachricht von ihrer Schwester zu übermitteln? Falls Adelaide erkrankt war, hätte man doch einen Dienstboten geschickt!

Musste man etwa befürchten, dass der König für Adelaide oder Lizette oder gar für sie einen Gatten bestimmt hatte? Und dass dieser Ritter der ausersehene Bräutigam war?

Gott behüte, nein! Das wollte sie lieber nicht hoffen. Jedenfalls nicht für sie, nicht einen wie diesen Klotz, diesen dünkelhaften Schnösel, der sie und alle Welt mit penetranter Verachtung strafte.

Im Laufe der Jahre hatte sie etliche Männer wie ihn kennengelernt. Zweifellos glaubte dieser Sir Bayard auch noch, er könne ihr imponieren mit seinem Rang, seiner Haltung, seinem guten Aussehen. Gewiss, ein schmucker Bursche war er, da biss die Maus keinen Faden ab. Trotz der dünnen Narbe, die sich von seinem rechten Augenwinkel bis hinunter zum Kinn zog. Aber Gillian war nun mal kein flatterhaftes, dummes Gör. So leicht ließ sie sich nicht beeindrucken.

Ein einziges Mal nur war sie einem Ritter begegnet, der sich großherzig, gütig und bescheiden verhalten hatte und zu ihrem Erstaunen mehr an ihr interessiert war als an ihren beiden Schwestern. Doch das lag Jahre zurück, und James d’Ardenay lebte nicht mehr.

Einmal mehr musterte sie Sir Bayard. Was mochte ihm jetzt, während sie sich der Burg näherten, durch den Kopf geistern? Wie viel der Zehnt einbrachte? Die Zahl der Bauern, die ihm Gefolgschaft leisten und gegebenenfalls im Kampf für ihren Lehnsherrn ihr Leben einsetzen mussten?

Gillian hingegen sah ihr Zuhause und die Menschen, die mit ihrer Hände Arbeit Averettes Wohlstand mehrten und es in Notzeiten verteidigten. Sie sah Männer und Frauen mit Namen, Gesichtern, Familien, Hoffnungen und Träumen. Menschen wie den jungen Davy zum Beispiel, der mehr über die Geschichte dieses Dorfes und seiner Bewohner wusste als sonst jemand. Oder Old Davy – für sie so etwas wie ein Großvater. Sein Weib war mütterlicher zu ihr gewesen, als es die eigene, stets kränkelnde Mutter jemals hatte sein können.

Sie kannte den Müller und den Bäcker mit ihrem ewigen Hader, den Schankwirt Sam und seine Schankmagd Peg, den wortkargen Kerzenmacher, der einem kaum drei Worte gönnte. Sie sah Menschen wie Hale, den Flurschütz, Vater des kleinen Teddy, den Sir Bayard um ein Haar über den Haufen geritten hätte. Der Zwischenfall war dem edlen Ritter anscheinend nicht sonderlich nahegegangen. Vermutlich war er der Ansicht, mit einem Sümmchen ließe sich die Sache bestimmt angemessen aus der Welt schaffen.

Viele andere wären noch zu nennen gewesen, jeder Einzelne einzigartig, manche liebenswerter als andere, doch allesamt ihrem Schutz anvertraut – wie das gesamte Gesinde, die Burg und das Gut.

Und wahrhaftig, für diesen Schutz gedachte sie auch zu sorgen. Bis zum allerletzten Atemzug, ganz gleich, wer gerade auf dem Thron sitzen mochte.

Als sie sich dem Vorwerk nährten, kamen ihnen zehn Mann der Burgwehr im Laufschritt entgegen. Einer gespickten Mauer gleich verwehrten sie den Ankömmlingen mit eingelegten Lanzen den Zutritt. Das Fallgatter war herabgelassen, das Innentor geschlossen. Etliche Bogenschützen gingen auf den Zinnen in Stellung.

Bayard hatte nichts anderes erwartet. „Hervorragend ausgebildet, Eure Leute“, bemerkte er, als er und Lady Gillian stehen blieben. Es war der Versuch, so etwas wie einen Waffenstillstand herzustellen.

Gillian platzte schier vor Stolz, als hätte sie die Soldaten persönlich gedrillt. „Allerdings!“, entgegnete sie, um dann mit lauter, klarer Stimme zu rufen: „Alles in Ordnung!“

Über die Mienen der Burgsoldaten huschte ein merkwürdiger Ausdruck, der Bayard nicht entging. Anscheinend bedeutete er, dass keineswegs alles in Ordnung war. Die Burgherrin hatte wohl nur zu verstehen gegeben, dass keine unmittelbare Gefahr drohte, man aber trotzdem kampfbereit bleiben solle.

Langsam ging das Fallgatter hoch. Die Lanzenträger teilten sich in zwei Reihen, schwenkten nach links beziehungsweise rechts und bildeten beiderseits der Zufahrt zum Burgtor eine Gasse. Brav marschierte Bayard im Gleichschritt neben der Hausherrin durch das mächtige Torhaus hinein in die Vorburg, die einen Appellplatz, einen Garten, ein Schmiedewerkstatt und einen runden, steinernen Taubenschlag umfasste. Bayard erkannte, dass er mit seiner anfänglichen Vermutung richtig gelegen hatte: Der von der Landstraße aus sichtbare Teil der Ringmauer ließ beileibe nicht auf die wirkliche Größe der Befestigungsanlage schließen. Die Burg war birnenförmig angelegt, mit Burgtor und Vorwerk am schmalen Ende.

Durch eine massige, mit eisenbeschlagenen Eichenbalken bewehrte Torhalle gelangten sie in den Innenhof der Hauptburg. Nach Bayards Einschätzung war die Feste in den letzten fünfzig Jahren entstanden, wenngleich der runde, jenseits des Rittersaals aufragende Bergfried erkennbar älter war. Nach den schwarzen Rußflecken unter einigen der schmalen Schießscharten zu urteilen, hatte der Turm schon des Öfteren gebrannt. Dass er gleichwohl noch stand, zeugte vom Können der Baumeister und der Güte des Mörtels.

Die Hauptgebäude innerhalb der Innenmauer bestanden aus dem großen Burgsaal, der Burgkapelle, dem Zeughaus, den Stallungen sowie der Küche, die über einen Gang mit dem Burgsaal verbunden war. Der an die Westseite des Rittersaals anschließende, zweigeschossige Palas beherbergte die herrschaftlichen Räumlichkeiten, eventuell auch einige Kammern für Gäste. Falls nicht, so vermutete Bayard, mussten er und Frederic wohl mit den Soldaten und dem männlichen Gesinde im großen Saal übernachten.

Im Gegensatz zu vielen Burgen lagen nicht haufenweise Fässer oder Körbe draußen herum; nirgendwo sah man beschädigte Karren oder sonstige Gegenstände, die man einfach an Ort und Stelle liegen oder stehen gelassen hatte, bis sie instand gesetzt werden konnten. Ja, der Burghof war beinahe peinlich sauber. Lediglich von den Ställen wehte ein Hauch von Mistgeruch herüber, was aber wiederum auch nur bedeuten konnte, dass sie oft ausgemistet wurden.

Zwar ließ die allgemeine Reinlichkeit in der Feste Bayard nicht unbeeindruckt, doch kam ihm eines nicht geheuer vor: Die Stille und das Fehlen von Gesinde – oder zumindest ließ sich niemand der Dienstboten sehen. Keiner, der aus dem Fenster oder durch eine Tür spähte, obwohl die Ankunft der Neuankömmlinge alles andere als lautlos verlief. Entweder hatte man hier die am wenigsten neugierigen Knechte und Mägde, denen er je begegnet war, oder seine Begleiterin regierte das Gut mit eiserner Faust.

Eine Hälfte der Bogenschützen schirmte inzwischen den Innenhof ab, die Pfeile mit den gekerbten Spitzen auf die kopfsteingepflasterte Fläche gerichtet, die mittlerweile von einem Spalier aus weiteren Burgsoldaten gesichert wurde. In der Hofmitte stand ein Hüne mit einem Oberkörper wie ein Bierfass, das Gesicht glatt rasiert, die Miene grimmig, das Haar bereits von grauen Fäden durchzogen. Barhäuptig, aber ansonsten in vollem Harnisch, hatte er sich dort aufgebaut und machte Front zum Tor, als sei er bereit, sich einem Angriff ganz allein entgegenzustellen.

Vermutlich, so Bayard, der Hauptmann der Burgwehr.

„Mylady“, grüßte der Hüne mit schottischem Akzent und musterte den Gast von Kopf bis Fuß.

Ein Schotte? Das war interessant. Während der Kämpfe in Frankreich, als König John seine verloren gegangenen Besitzungen zurückzuerobern versuchte, hatte Bayard die Schotten schätzen gelernt.

„Sir Bayard, das hier ist Iain Mac Kendran, der Hauptmann meiner Burggarnison“, erklärte Lady Gillian mit dem Anflug eines Lächelns. „Er ist verantwortlich für den guten Ausbildungsstand meiner Wehr.“

Offenbar mochte sie den Schotten, was ebenfalls interessant war. So manche Burgherrin behandelte ihre Beschützer kaum besser als einen Jagdhund oder Jagdfalken. „Es ist mir eine Ehre.“

Der Schotte reagierte mit einem abfälligen Schnauben – abermals ein Verhalten, das Sir Bayard nicht gewohnt war.

„Er bringt Kunde von Lady Adelaide“, erklärte die Burgherrin, derweil Bayard Mühe hatte, sich seinen Unmut nicht anmerken zu lassen. Auch bezüglich des Garnisonshauptmanns hätte Armand ihn vorwarnen können.

Der hob inzwischen die buschigen, grauschwarzen Augenbrauen. „Ach, tatsächlich?“

„Allerdings“, bekräftigte Bayard, wobei er eine Spur von Missfallen über den dreisten Ton mitschwingen ließ. „Euer Hauptmann verdient eine Auszeichnung, Mylady. Trotz seiner Sehschwäche trägt er eine große Verantwortung.“

„Mit meinen Augen ist alles in Ordnung“, knurrte der Schotte und runzelte etwas verwirrt die Stirn.

Ironisch lupfte Bayard nun seinerseits die Augenbraue. „Den Eindruck hatte ich nicht. Unten an Eurem Kettenhemd ist ein Rostfleck.“

Der Schotte senkte den Blick, die Lady ebenso. Bayard gestatte sich ein leises, befriedigtes Schmunzeln, als der Schotte rot anlief, weil er unten an seinem Hauberk tatsächlich drei Rostflecken erspähte.

Das ließ Bayards dunkle Augen noch amüsierter und herausfordernder blitzen. „Und noch eins fiel mir auf, Mylady. Wir sind noch nicht dazu gekommen, den Begrüßungskuss auszutauschen.“

2. KAPITEL

Bayard war gespannt, wie Lady Gillian auf seinen milden Rüffel wohl reagieren mochte. Allerdings wunderte er sich nicht, als sie mit herausfordernd blitzenden grünen Augen auf ihn zutrat, sich forsch auf die Zehenspitzen stellte und ihn schwungvoll auf beide Wangen küsste. Als sie sich von ihm löste, waren ihre eigenen runden Wangen mehr als nur zartrosa angelaufen.

„Ei, wie stürmisch!“, bemerkte er, den Blick in ihre Augen versenkt. „Vielleicht bin ich am Ende ja doch noch entzückt, dass man mich nach Averette geschickt hat.“

Während sie noch tiefer errötete, öffnete sich das Tor zum Burgsaal, und ein Mann erschien auf der Schwelle. Er war etwa so alt wie Bayard und trug eine bodenlange Tunika. Man hätte ihn für den Burgkaplan halten können, doch fehlte ihm die Tonsur. Außerdem sah er das Burgfräulein auf eine Weise an, die beileibe nicht priesterlich fromm zu nennen war.

Auch das fand Bayard interessant. Vielleicht hatte ihn sein erster Eindruck von Lady Gillian ja getäuscht, betrachtete man ihren herzhaften Begrüßungskuss und die offensichtliche Zuneigung des jungen Mannes da drüben. Bislang hatte Bayard sie eher für eine jener Adelstöchter gehalten, die hervorragend zur Nonne taugten.

Nun, sei’s drum, es tat ohnehin nichts zur Sache. Er war auf Armands Bitte hin hier und aus diversen anderen Gründen, nicht aber, um sich mit eigensinnigen jungen Damen zu verlustieren.

„Sir Bayard de Boisbaston, dies ist Dunstan de Corley, der Burgvogt zu Averette“, sagte sie, indem sie den jungen Mann vorstellte. „Dunstan, Sir Bayard bringt uns Kunde von Adelaide. Bitte begleitet uns in meine Kemenate.“

Sie wandte sich zum Rittersaal, hielt aber auf der Treppe inne und drehte sich noch einmal herum zum Hof. „Iain“, rief sie. „Ich möchte, dass Ihr ebenfalls mitkommt in mein Gemach.“

Der Schotte schloss sich den dreien an, und schon führte die Burgherrin ihren Gast, ihren Verwalter und den Hauptmann der Burgwehr durch einen ebenfalls völlig verwaisten Rittersaal. Saubere, nach Kräutern duftende Strohmatten bedeckten den Boden und dämpften die Schritte. Um die Eintretenden herum strichen Jagdhunde, die ebenso grimmig und argwöhnisch wirkten wie die Soldaten im Burghof. Einer der Vierbeiner begann sogar zu knurren, doch ein knapper Befehl der Lady ließ ihn sofort verstummen.

Endlich erblickte Bayard den ersten Dienstboten. Eine junge, sommersprossige Magd mit roten Haaren lugte um die Tür, die in die Küche führte. Als die Küchenmagd merkte, dass sie entdeckt war, zuckte sie sofort zurück. Möglich, dass sie nur schüchtern war, doch allmählich gewann er den Eindruck, dass der Haushalt der Lady Gillian nicht eben ein Hort des Frohsinns war.

Am gegenüberliegenden Ende des Saals ging es um eine Stellwand herum, hinter dem sich eine weitere Tür verbarg, und dann eine Stiege hinauf zu einem schmalen, überdachten Holzsteg. Dieser verband den Burgsaal mit dem Wohnturm und verlief gut fünfzehn Fuß über dem Boden.

Im Verteidigungsfall brauchte man diesen Quergang bloß in Brand zu stecken – schon war der Eingang zum Bergfried unangreifbar und nur noch über Leitern zu erreichen, vorausgesetzt, etwaige Angreifer waren gewillt, sich siedend heißen Wassergüssen oder einem Hagel aus Pfeilen und Steinen auszusetzen. Wenn sich im Inneren des Wohnturms auch noch eine unterirdische Zisterne und ausreichend Proviant befanden, konnte man einer Belagerung wochenlang standhalten.

Die Burgdame schloss die Außentür auf und bat die Herren einzutreten.

Im Inneren angelangt, ließ Bayard den Blick über die rohen, grauen Seitenwände schweifen. Eine Wendeltreppe wand sich an der Wand entlang hinauf zum Obergeschoss, derweil weitere Stufen nach unten führten, vermutlich hinunter zu den Vorratskellern und Kerkerzellen.

In einem solchen Verlies hatte der Duc d’Ormond auch Armand gefangen gehalten. Bayard war währenddessen eher wie ein Gast als wie ein Gefangener behandelt worden.

Die Kammer im Obergeschoss, in die Lady Gillian die drei Männer nun bat, war im Grunde gar keine Kemenate. Weder stand dort ein Bett, noch deutete sonst irgendetwas darauf hin, dass es sich um ein Privatgemach handelte. Aufgrund seiner Entfernung vom Rest der Feste hatte man dieses Zimmer in eine Schreibstube umgestaltet, in der die Rechnungsunterlagen und die Burgschatulle untergebracht waren. Davon zeugte die schwere, mit Eisenbändern und einem Vorhängeschloss gesicherte Holztruhe in der Ecke.

Sonnenstrahlen fielen durch ein Bogenfenster auf einen Tisch, an dessen rechtem Rand ein Kerzenhalter mit einem Kerzenstummel darin stand. Splitter von einem Gänsekiel lagen noch verstreut umher, als habe jemand in aller Hast aufgeräumt. Neben dem Tisch stand ein gepolsterter Sessel – einziges Zugeständnis an eine behagliche, persönliche Note. Gegenüber der Tür befand sich ein Schrank, wie man ihn zur Aufbewahrung von Niederschriften über erbrachten Zehnten sowie andere Schriftrollen benutzte.

Bayard griff in seinen Gürtel und zog den Brief hervor, den Armand seiner Obhut anvertraut hatte.

Ohne sich ihre Anspannung anmerken zu lassen, nahm Gillian das zusammengerollte Pergament entgegen und trat damit ans Fenster. Zwar vertraute sie Dunstan und Iain, doch hatte sie die Befürchtung, bei dieser Nähe könnten ihr die Männer womöglich am Gesicht ansehen, was in ihr vorging.

Innerlich gewappnet und auf das Schlimmste gefasst, brach sie das blaue Wachssiegel und begann zu lesen.

Adelaide hoffte, dass es Gillian und allen auf Averette ebenso gut ging wie ihr. Ja, sie sei sehr glücklich, so schrieb sie, aber das werde sie später noch genauer erklären. Zuerst müsse sie Gillian warnen.

Wie Gillian, die nun die Zeilen schneller überflog, dem Brief entnehmen konnte, hatte ihre Schwester mitgeholfen, ein Komplott gegen den König aufzudecken. Diese Verschwörung hätte zu Rebellion und Bürgerkrieg führen können. Leider war einer der Rädelsführer entkommen, und daher fürchtete Adelaide um das Leben ihrer Schwestern. Sie hatte auch an Lizette geschrieben und sie gebeten, unverzüglich nach Averette zu kommen.

Sir Bayard de Boisbaston, dem Adelaide diese Botschaft anvertraut hatte, sei ein bewährter Ritter und Turnierkämpe, der erst kürzlich vom Feldzug des Königs aus Frankreich heimgekehrt war. Er habe den Auftrag, auf Averette zu bleiben, bis sämtliche Verräter gefasst, eingekerkert oder getötet waren.

Gillian warf dem Ritter einen Seitenblick zu. Die Hände hinter dem Rücken verschränkt, stand er gelassen da und tat ganz so, als müssten sie alle froh sein, einem siegreichen Helden wie ihm dienen zu dürfen.

Wenn der sich einbildet, dass er mich in meinem eigenen Haus und unter den eigenen Leuten herumkommandieren kann, hat er sich aber geschnitten.

Den Brief fester fassend, las sie noch schneller weiter.

Sir Bayard, so hieß es in dem Schreiben, sei der Halbbruder von Lord Armand de Boisbaston, dem edelsten, ehrenhaftesten, tapfersten und besten Mann auf der Welt.

Ihrem Gemahl.

Bestürzt starrte Gillian auf die Zeilen. Adelaide und vermählt? Mit Armand de Boisbaston? Das durfte nicht wahr sein! Das ging doch gar nicht!

Nie im Leben hätte sich Adelaide einem Manne untergeordnet, sich von ihm wie eine rechtlose Leibeigene behandeln und den Mund verbieten lassen. Lizette, ja, die hätte eventuell den gemeinsam gefassten Vorsatz über Bord geworfen. Nicht aber Adelaide, von der dieses Gelöbnis ursprünglich stammte. Sie hatte doch erst die zahlreichen Gründe aufgeführt, die gegen die Ehe sprachen!

„Armand“, so stand in dem Brief zu lesen, „ist weiterhin damit einverstanden, dass Averette als dein Zuhause deiner Verantwortung obliegt. Er besitzt im Norden eigene Ländereien und meint, das sei für ihn mehr als genug. Ehrlich, Gillian, er ist ein Schatz.“

Das nahm Gillian ihr nicht ab. Sie wusste um die Macht von Liebe und Schwärmerei, und allem Anschein nach war Adelaide bis über beide Ohren vernarrt. Möglicherweise wartete dieser Lord Armand de Boisbaston bloß in aller Seelenruhe auf den passenden Moment, um dann wie ein Geier über Averette herzufallen – zumal er ja mit seinem Halbbruder quasi den Fuß bereits in der Tür hatte.

Mit besorgter Miene trat Dunstan einige Schritte vor. „Was gibt es denn? Ist Adelaide erkrankt?“

Sie wehrte kopfschüttelnd ab. „Nein, sie erfreut sich bester Gesundheit.“ Zumindest war sie nicht krank in dem Sinne, wie er es verstand. Höchstens liebestoll.

Dennoch: Falls das Undenkbare wahr sein sollte und Adelaide sich tatsächlich vermählt hatte, wäre sie persönlich angereist, um es ihr mitzuteilen. Weder hätte sie das einem Fremden übertragen noch einen Unbekannten als Beschützer hergeschickt.

Brüsk drückte sie ihrem Vogt das Schreiben in die Hand. „Glaubt Ihr, dass diese Zeilen von meiner Schwester stammen?“

„Es sieht jedenfalls wie Adelaides Handschrift aus“, murmelte er, während er den Brief durchlas.

Sie merkte auf Anhieb, wie er an der Stelle, die auch sie am meisten bestürzt hatte, überrascht stutzte. „Sie hat sich vermählt?“, stieß er hervor und blickte den Ritter an. „Mit Eurem Bruder?“

„Halbbruder.“

Ob nun halb oder ganz – was machte das schon aus?

„Wer ist vermählt?“, hakte der Hauptmann nach.

Sir Bayards Züge verhärteten sich zwar, doch seine Stimme klang weiterhin gelassen. „Lady Adelaide hat kürzlich meinen Halbbruder geheiratet. Lord Armand de Boisbaston, Reichsritter seines Zeichens.“

„Wann? Wie?“

„Vor vier Tagen“, erwiderte Sir Bayard mit immer noch derselben verflixten Gelassenheit. „Wie? Auf die übliche Weise. Ich persönlich wohnte der Hochzeitsfeier zwar nicht bei, war ich doch eben erst aus Frankreich zurück, doch kann ich Euch versichern, dass sie verheiratet und überaus verliebt sind – so sehr sogar, dass Armand sämtliche Rechte auf Averette abtritt.“

Das war nach Gillians Eindruck etwas, das der gute Sir Bayard offenbar nicht begriff – und sie selber auch nicht. „Das gibt’s doch gar nicht! Ein Lord, der auf mehr Ländereien verzichtet?“

„Darüber mag man denken, wie man will, aber das ist die Abmachung, die er mit seiner Gemahlin getroffen hat“, gab Bayard zurück. „Als Ehrenmann wird er sich daran halten. Und ich wiederum gebe Euch mein Wort als Reichsritter, dass dieser Brief wirklich von Eurer Schwester stammt und Ihr tatsächlich in Gefahr schwebt.“

„Gefahr?“, entfuhr es dem Verwalter. „Was denn für eine Gefahr?“

Gillian wiederholte rasch, was Adelaide über die Verschwörung geschrieben hatte. Ebenso wies sie darauf hin, dass Sir Bayard auf Averette bleiben sollte, was Dunstan und dem Garnisonshauptmann offenbar ebenso missfiel wie ihr selbst.

„Wie lange?“, wollte Iain wissen.

„Bis mein Bruder und seine Gattin der Ansicht sind, dass die Gefahr gebannt und meine Gegenwart nicht mehr erforderlich ist.“

„Und ich werde in dieser Angelegenheit wohl gar nicht gefragt?“, empörte sich Gillian.

„Seid unbesorgt, Mylady“, wiegelte Sir Bayard ab. „Ihr habt auch weiterhin das Sagen auf Averette. Ich soll Euch höchstens mit Rat und Tat zur Seite stehen, sonst nichts.“

„Wir sind durchaus in der Lage, uns selber zu verteidigen“, grollte Dunstan, die Hand auf dem Knauf des Schwertes, das er bislang allerdings nur auf dem Übungsplatz gezückt hatte.

Sir Bayard hob eine Augenbraue und verschränkte die mächtigen Arme über der Brust. „Ach? Hat einer von Euch Erfahrung in der Gefechtsführung? Habt Ihr schon einmal Männer bei einer Belagerung geführt?“

Der Schotte warf sich in die Brust. „Ich stand schon in der Schlacht, da wart Ihr noch nicht mal der Mutterbrust entwöhnt!“

„Danach habe ich nicht gefragt!“, konterte der Ritter. „Habt Ihr auch in der Schlacht geführt? Oder unter Belagerung?“

Die Miene wie versteinert, hielt der Hauptmann verbissen den Mund. Natürlich verfügte er über Kampferfahrung, das wusste Gillian wohl, war aber kürzlich erst zum Burgkommandanten ernannt worden, und zwar noch von ihrem Vater, bevor der vom Schlag dahingerafft worden war. Vorher hatte er einmal mehr im Suff darüber lamentiert, dass ihm der Herrgott einen Sohn versagt und bloß nichtsnutzige Töchter geschenkt hatte.

Was den Burgvogt anging, so hatte der überhaupt keine Erfahrung in Waffengängen. Seine Fähigkeiten lagen auf dem Gebiet der Zahlen und akkurater Abrechnungen.

„Die Gegner, mit denen wir es zu tun haben, sind zu allem entschlossen“, mahnte Bayard, an Gillian gewandt. „Insofern sollte Euch jedwede Hilfe, die ich Euch bieten kann, willkommen sein. Es sei denn, Ihr stellt Euren Stolz über das Wohlergehen Eurer Schutzbefohlenen.“

Was, wenn der Brief tatsächlich echt ist?, fragte sie sich. Wenn die von Bayard und Adelaide erwähnten Feinde gefährlich und skrupellos und schon auf dem Weg nach Averette sind? Sicher, auf Iains soldatische Fähigkeiten durfte man sich getrost verlassen, doch die Hilfe eines kampferprobten Ritters zurückzuweisen, das wäre auf pure Dummheit hinausgelaufen. „Nun, meinetwegen, Mylord. Dann bleibt in Gottes Namen hier.“

Mit erhobener Hand blockte sie die Proteste der beiden anderen ab und wandte sich nochmals an ihren Gast. „Wenngleich ich überzeugt bin, dass Iain und meine Männer die Menschen von Averette gegen jeden Kontrahenten verteidigen können. Jedoch werde ich meiner Schwester schreiben, damit sie bestätigt, dass der Inhalt des Briefes stimmt und dass Ihr der seid, der Ihr zu sein vorgebt. Da Ihr aber nun Eure Pflicht getan habt, dürft Ihr Euch in den Rittersaal begeben und Euch eine Stärkung gönnen.“

Sir Bayards dunkle Brauen senkten sich kaum merklich. Er hatte demnach begriffen, dass er fürs Erste entlassen war. Dennoch lag in seiner Stimme nicht eine Spur von Unmut, als er sagte: „Dann bis später, Mylady.“ Mit einer angedeuteten Verneigung empfahl er sich und ging zur Kammer hinaus.

„Gastfreundschaft hin oder her!“, grummelte der schottische Veteran, kaum dass der Gast verschwunden war. „Man sollte den blasierten Vogel umgehend vor die Tür setzen.“

„Auf der Stelle!“, bekräftigte der Verwalter. „So eine Unverfrorenheit!“

Gillian schaute von einem zum anderen, zwar dankbar für die Loyalität und Sorge, doch gleichzeitig im vollen Bewusstsein der Tatsache, dass die Verantwortung für Burg und Leute auf ihren eigenen Schultern lastete. „Und wenn er nun wirklich ein angeheirateter Verwandter ist? Was dann? Solange wir das nicht wissen, müssen wir ihn als Gast behandeln. Ist er ein Feind, empfiehlt es sich ebenfalls, ihn hier zu behalten, wo wie ein Auge auf ihn haben können.“

„Da ist was dran“, räumte Iain ein.

„Und wenn er ein Spion ist?“, fragte Dunstan aufgebracht. „Wenn er die Stärken und Schwächen unserer Burgwehr auskundschaften will?“

Daran hatte Gillian nicht gedacht. Ihr wurde ganz flau. „Aber Averette hat doch keine Schwächen!“

„Es gibt immer etwas zu verbessern, Mylady“, mahnte Iain. „Da können die Männer noch so fleißig üben oder die Mauern verstärken.“

Gillian wusste, dass er recht hatte, aber aufgrund des Briefes und ihrer Stellung als Burgherrin konnte sie Sir Bayard nicht kurzerhand die Tür weisen. Es war ja nicht ausgeschlossen, dass der Brief echt und der Ritter tatsächlich von Adelaide als Verstärkung geschickt war. Einen möglicherweise mit ihr verwandten Edelmann zu beleidigen oder dessen Hilfe in der Not abzulehnen, falls das Anwesen tatsächlich bedroht sein sollte – dieses Wagnis war sie nicht bereit einzugehen.

Andererseits war auch nicht einzusehen, wieso ein möglicher Spitzel unbehelligt auf ihrem Anwesen herumspazieren sollte.

„Er und seine Mannen dürfen bleiben“, entschied sie. „Als Ehrengäste – nach außen hin, wohlgemerkt. Tragt dem Gesinde und der Burgwehr auf, Sir Bayard, seinem Knappen und seinen Männern bis auf Weiteres mit vollendeter Höflichkeit zu begegnen. Jedoch dürfen unsere Gäste die Burg nicht verlassen. Falls sie Einspruch erheben, soll man sie zu mir schicken.

Iain, Ihr sorgt mir dafür, dass die Hälfte unserer Soldaten im Dorf einquartiert wird, damit wir unsere wahre Mannschaftsstärke nicht verraten. Waffen- und Gefechtsausbildung vorerst nur auf abgelegenen Wiesen.

Schärft außerdem jedem Bediensteten und Soldaten ein, verdächtiges Verhalten unverzüglich zu melden.“

Sie trat an den großen Schrank und nahm einen leeren Pergamentbogen heraus. „Ich werde an meine Schwester schreiben und um eine Bestätigung ihres Briefes bitten. Außerdem füge ich einige Fragen bei, die nur sie beantworten kann. Dann wird sich ja herausstellen, ob Bayards Schreiben falsch ist, oder ob die Post abgefangen wird.“

„Ein geschickter Zug, Mylady“, lobte Dunstan.

Gillian breitete den Bogen auf dem Tisch aus, legte einen Gänsekiel dazu und holte das Tontöpfchen mit der Tinte. „Solange wir nicht mit Sicherheit wissen, dass der Inhalt des Briefes der Wahrheit entspricht, werden wir diesen Sir Bayard de Boisbaston und seine Männer mit Argusaugen beobachten.“

„Sehr wohl, Mylady“, sagte Dunstan.

„Zu Befehl!“, schnarrte der Burghauptmann.

„Und wie heißt Ihr?“, fragte Peg, die Schankmagd, später am selben Tag den Händler, der seine Wagenladung Bier- und Weinfässer vor der Schänke „Zum Hirschen“ abgestellt hatte. Der Kaufmann schien nicht nur recht vermögend, zumindest gemessen an seiner Kleidung, sondern war schlank, jung und gut aussehend obendrein – alles Eigenschaften, bei denen ein weibliches Wesen einem Techtelmechtel nicht abgeneigt war. Zwar ließ der junge Mann sich anscheinend gerade einen Bart wachsen, und an sich hatte Peg für Bärte nicht viel übrig, doch in diesem Falle war sie bereit, eine Ausnahme zu machen – vorausgesetzt, der Preis stimmte.

Des Weiteren saßen in der Schänke noch etliche Bauern und Dörfler, die sich nach einem arbeitsreichen Tag, den sie bei der Feldarbeit oder beim Versorgen des Viehs verbracht hatten, einen kühlen Trunk gönnten. Am liebsten palaverte man über das Wetter, über die voraussichtliche Getreideernte und die Ausbeute an sonstigen Feldfrüchten sowie mitunter auch über den König und seine Gesetze. Die meisten hatten Stammplätze, wie etwa Geoffrey, der Müller, der neben den Fässern saß, oder sein Erzfeind Felton, der Bäcker, der sich auf einer Bank auf der anderen Seite der niedrigen Schankstube lümmelte. Old Davy und seine Kumpanen hockten hingegen beim Kamin.

„Charles de Fenelon“, erwiderte der Weinhändler mit freundlichem Lächeln. „Aus London.“

„So?“ Peg beugte sich vor und gewährte ihm einen tiefen Einblick in ihren Ausschnitt. „Kommt Ihr gerade von dort, oder seid Ihr auf dem Wege dorthin?“

„Ich bin auf der Heimreise“, antwortete er. „Von Bristol. Aber zuerst will ich rüber zur Burg, dort meinen Wein an den Mann bringen. Wie kommt man denn am besten an den Burgvogt heran?“

Einen Krug Ale balancierend, wiegte die Schankmagd sich in den Hüften und kaute auf einer Haarsträhne herum. „Dunstan de Corley? Der schneit alle naselang herein. Ich könnte Euch ihm vorstellen, wenn Ihr möchtet.“

„Soll dein Schaden nicht sein“, näselte Charles, wobei er sich mit der flachen Hand auf die am Gürtel befestigte Börse klopfte. „Wie heißt du eigentlich, meine Schöne?“

Angesichts seines Geldbeutels wurde ihr Lächeln noch breiter. „Peg.“

„Peg“, wiederholte er und dehnte den Namen, als läge in der Silbe schon eine Verheißung für sich. Als er die Magd zu sich auf den Schoß zog, blickte sie über die Schulter hinüber zu einem korpulenten Hünen, der den Zapfhahn an einem riesigen Bierfass bediente.

„Dein Mann?“, fragte der Händler, der zwar zu gerne seinen Gelüsten nachgegangen wäre, allerdings wenig scharf darauf war, deswegen Prügel einzustecken.

„Nee, noch nicht ganz“, gab sie kichernd zurück und schlang ihm den Arm um den Hals. „Im Übrigen hätte Sam nichts dagegen. Je mehr ich verdiene, desto eher können wir heiraten.“

„Aha“, nuschelte Charles, die Lippen an ihrem Hals. Bald allerdings griff er das für ihn wichtigere Thema wieder auf. „Und dieser Burgverwalter – ist das ein harter Knochen?“

„Hart wird er schon. Manchmal.“ Sie kicherte wieder.

„Das meine ich nicht.“

Sie schmollte ein wenig, da er auf ihren Scherz nicht einging. „An sich ein heller Kopf, aber das letzte Wort hat er nicht. Das hat die Herrin des Hauses.“

„Lady Adelaide?“

„Ach, die doch nicht! Die weilt bei Hofe! Nein, ihre Schwester. Lady Gillian. Die ist noch gescheiter als ihr Vogt, das kann ich Euch flüstern. Aber Wein können die in den nächsten Tagen sicher gut gebrauchen. Es ist gerade ein Ritter eingetroffen. Wie man hört, soll der wohl auch noch einige Zeit bleiben.“

Der Weinhändler zog interessiert die Braue hoch. „Ein Ritter?“

„So ist es. Mitsamt Schildknappen und einer berittenen Eskorte.“

„Vielleicht ein Werber, der um sie freit? Das hieße Wein fürs Hochzeitsfest!“

„Falls er das vorhat, na, dann viel Glück!“ Mit einem Kopfrucken schlenkerte Peg sich das haselnussbraune Haar aus der Stirn. „Lady Gillian wird ihn achtkantig rauswerfen, kein Zweifel. Genauso wie’s ihre Schwester vor ihr gemacht hat. Haben nicht viel für die Herren der Schöpfung übrig, die feinen Damen. Unnatürlich, so was, wenn Ihr mich fragt.“ Sie fuhr sich begehrlich mit der Zungenspitze über die Lippen. „Findet Ihr nicht auch?“

„Selbstverständlich“, bekräftigte der junge Mann. „Lady Adelaide soll ja eine Schönheit sein. Die Schwester desgleichen?“

„Die?“, prustete Peg abfällig. „Du lieber Himmel, nein! Zwar nicht gerade unansehnlich, aber verglichen mit ihren Schwestern? Potthässlich.“ Sie wand sich verheißungsvoll und schmiegte sich an ihn. „Möchtet Ihr denn mal unser Sonderangebot kosten?“, gurrte sie, wobei sie ganz offensichtlich nicht das Ale meinte.

„Na, sicher doch!“ Charles drehte sich auf seinem Sitz und ließ sie spüren, wie sie auf ihn wirkte. Mit der Hand tastete er nach ihrem Busen. „Aber erst ein Schluck Bier.“

„Keinen Wein?“ Peg ließ ihn demonstrativ gewähren und machte keine Anstalten, ihm einzuschenken oder ihm auf seine lüsternen Finger zu klopfen.

„Ale ist billiger.“

„Dann also Ale jetzt … und später was anderes.“ Peg beugte sich über seinen Arm und füllte ihm, die Brüste eng an ihn gepresst, den Krug, während die Zudringlichkeiten des Händlers zusehends kühner wurden. „Kostet zwei Silbergroschen“, hauchte sie ihm ins Ohr.

Ja, sapperlot! In London hätte er’s für die Hälfte gekriegt – alles, was er nur wollte. „Das ist aber teuer!“

Sie lächelte noch breiter, entblößte dabei ihre ebenmäßigen weißen Zähne und schwang noch verführerischer die Hüften. „Ich bin’s wert.“

Der Weinhändler ließ die Hand unter ihr loses Mieder gleiten, guckte gleichzeitig aber verstohlen zu dem beim Fass beschäftigten Wirt hinüber. Tatsächlich, der Esel grinste und tat fast so, als hätte er von seiner Zukünftigen gerade einen Sack voll Gold bekommen. „Nun, meinetwegen. Also, der Ritter, der da zu Besuch gekommen ist – wer ist denn das?“

„Ein schmuckes Mannsbild, auch wenn er eine Narbe auf der Wange hat. Bayard von Dingsda.“

„Etwa Bayard de Boisbaston?“, fragte Charles der Weinhändler scharf.

„Na, und wenn schon – was ist denn an dem so Besonderes?“

Der Kaufmann schüttelte den Kopf und zog ein grimmiges Gesicht. „Da soll sich deine Gutsherrin mal schön vorsehen, falls an den Gerüchten was Wahres dran ist. Die Damen bei Hofe behaupten, er tobe nur so durch die Lotterbetten und bräche die Herzen reihenweise. Man nennt ihn den ‚Zigeuner-Galan‘. Nach diesen Landstreichern, die vorgeben, sie könnten einem die Zukunft weissagen. Er soll mindestens fünfzig Damen vernascht haben, heißt es. Alles Gattinnen und Töchter von Hofherren!“

„Fünfzig?“ Peg verschluckte sich fast und machte große Augen. „Wie kommt’s, dass ihn noch keiner umgebracht hat? Ein betrogener Gatte etwa, oder ein Vater?“

„Weil niemand wagt, es mit ihm aufzunehmen. Er hat jedes Turnier gewonnen, an dem er teilgenommen hat, und dem Vernehmen nach ist er ein so grimmiger Gegner, dass selbst der Teufel vor seiner Klinge Reißaus nähme – wenn er sie denn überhaupt zückt. Tut er nämlich nicht immer. Voriges Jahr war er Burgkommandant in der Normandie, als seine Festung belagert wurde. Nach drei Tagen streckte er die Waffen und wurde Gefangener des Duc d’Ormonde, dessen Gemahlin als außergewöhnliche Schönheit gilt. Bei Hofe munkelt man, dass Bayard nur deshalb kapitulierte, weil er nach einer Möglichkeit suchte, die Schöne zu verführen. Und die fand er auch.“

Peg stockte der Atem. „Er hat sich mitsamt seiner Burg ergeben, nur um eine Frau ins Bett zu kriegen?“

Der Weinhändler nickte. „So geht das Gerücht. Und jetzt ist er hier.“

„Wenn der irgendwelche Hintergedanken hat, wird ihm Lady Gillian schon zeigen, wo der Hammer hängt!“ Resolut mischte sich nun der junge Davy ein, der gerade seinem Großvater einen Kanten Brot zum Bier und Käse reichte. „Die nimmt es mit dem Teufel selber auf!“

„Du lästerst Gott!“, raunzte der Kerzenmacher, der über seinem Bierkrug in einer Ecke hockte.

„Ihr Weiber habt nichts anderes im Kopf als Heiraten“, fuhr Davy der Jüngere fort, ohne auf den Kerzenmacher einzugehen. „Du hättest sie doch am liebsten gleich an James d’Ardenay verkuppelt! Kaum dass der arme Kerl eine Woche hier war!“

„Ach, der ist ja gestorben!“, gab die Schankmagd beleidigt zurück.

„Und wenn sie sich auch einen Mann nähme – das braucht doch unsere Sorge nicht zu sein.“ Nun meldete sich Felton der Bäcker von seinem Stammplatz beim Eingang.

„Ja, wär’s dir denn recht, wenn sie sich den ersten Besten schnappt?“, konterte der Müller von der anderen Seite der Schänke, wo er so weit wie möglich von seinem Erzfeind entfernt saß. „Etwa einen von diesen Hornochsen, die bisher um ihre Hand anhielten? Und so einer soll der neue Lehnsherr werden? Ohne mich! Bewahre uns der Allmächtige vor hochmütigen Rindviechern!“

„Wahrscheinlich will sie ja gar nicht heiraten!“, warf Davy der Ältere von seinem Platz am Kamin aus ein. „Wegen ihres Vaters, dieses brutalen Lumpenhunds! Bei so einem niederträchtigen Schurken muss ein Mädel ja auf den Gedanken kommen, dass der Tod womöglich besser ist als die Ehe!“

Den Weinhändler hielt es nun kaum noch auf seinem Sitz, diesmal indes vor Ungeduld. „Also, wenn du hier bloß über die Burgherrin tratschen willst, ziehe ich besser allein ab.“

Peg sprang auf und fasste ihn bei der Hand, um ihn die Stiege hinauf ins Obergeschoss über der Schänke zu führen, wo die Reisenden übernachteten und auch sie selber ihrem Nebenerwerb nachging. „Werdet doch nicht gleich bös, Charles! Was dort oben in der Burg abläuft, darf uns eben nicht kalt lassen, ebenso wenig wie Euch die Steuer, die Ihr dem König schuldet. Lady Gillian ist ein guter Mensch, auch wenn sie von blauem Blut ist. Da möchte natürlich niemand, dass sie zu Schaden kommt.“

Nachdem Peg mit ihrem Händler nach oben verschwunden war, guckte Old Davy die anderen gespannt an. „Meint ihr, da ist was dran an dem, was der da eben verzapft hat?“

„Ach, nicht die Bohne!“, betonte sein Enkel energisch. „Lady Gillian ist viel zu klug und zu ehrenhaft, um sich von einem glattzüngigen Ritter aufs Kreuz legen zu lassen, egal, wie blendend der aussieht. Erinnert ihr euch denn nicht an diesen anderen Verehrer, der ihr mal auf die Bude gerückt ist? Sir Watersticks oder wie der hieß. Hat sie den nicht auch im Handumdrehen abgefertigt?“

Die Zecher im Schankraum lachten sich eins ins Fäustchen und nickten.

„Hat ihm die Haare angezündet“, prustete Old Davy, dem vor Lachen die Luft wegblieb. „Hinterher musste sie natürlich so tun, als wär’s ein Versehen gewesen. Hat bestimmt ein Jahr gedauert, bis ihm die Mähne wieder gewachsen war. Mann, hat der geflucht, was?“

„Ach ja, die Liebe!“, rief der Müller feixend in die Richtung des Bäckers. „Die ist fürwahr eine Himmelsmacht!“ Umgehend stimmte er eine sentimentale Liebesballade an. Daraufhin knallte der Bäcker den Krug auf die Tischplatte und stürmte fluchtartig zur Schänke hinaus.

3. KAPITEL

Bemüht, seinen Missmut zu verbergen, warf Bayard seinen Helm auf das große, von Vorhängen umgebene Bett mit dem Baldachin darüber. Nachdem er Lady Gillians Schreibstube verlassen hatte, war er von einem Diener hierher in diese blitzsaubere Kammer gebracht worden. Das Fenster war mit leinenen Übergardinen behängt, und in einer Ecke gegenüber der Bettstatt stand eine blaugrün bemalte Truhe. Es gab eine Pritsche für den Knappen, einen Tisch mit Wasserkrug nebst Waschschüssel darauf sowie reichlich saubere Tücher zum Abtrocknen. Der Fußboden wirkte frisch gefegt und alles bemerkenswert staubfrei – allemal eine Verbesserung gegenüber den beengten Quartieren, mit denen er unterwegs hatte vorlieb nehmen müssen. Nur mit dem Unterschied, dass man ihm hier nicht mit Gastlichkeit, sondern mit Argwohn, Respektlosigkeit und Abneigung begegnete.

Gewiss, dass Lady Gillian ihm nicht über den Weg traute, konnte er rein logisch gesehen nachvollziehen. Man lebte nun einmal in gefährlichen Zeiten, und König John galt als unzuverlässiger Herrscher. Dennoch ärgerte Bayard sich über diesen Empfang. Die Burgherrin sprang mit ihm um, als wäre er selbst der Verräter. Der Hauptmann stellte sich so argwöhnisch an, als hätte er Philipp von Frankreich persönlich vor sich. Und dieser Burgvogt …

Ob die Hausherrin wohl ahnte, dass ihr Verwalter sich in sie verguckt hatte? Sie war zwar ein blaublütiges Mündel des Königs und er ein einfacher Bürger, doch völlig ausgeschlossen war eine Ehe zwischen den beiden nicht. Der König brauchte Geld – viel Geld – für einen neuen Feldzug, um seine in Frankreich verlorenen gegangenen Besitztümer zurückzuerobern. Insofern hätte er Bestechungs- und Schmiergelder bestimmt gern angenommen, auch von einem Bürgerlichen, selbst im Austausch für die Hand einer Aristokratin.

Dennoch: Heimliche Blickwechsel zwischen den beiden waren Bayard nicht aufgefallen, schon gar keine offensichtlichen Begehrlichkeiten von Seiten der Lady. Wenn es überhaupt Herzensregungen gab, dann höchstens bei diesem Dunstan, nicht bei ihr. Um zarte Bande zu knüpfen, dazu war sie ganz ohne Zweifel viel zu selbstsüchtig und zu versessen darauf, das Anwesen allein zu führen. Denn dass nur sie und niemand sonst auf Averette das Sagen hatte, ließ sich nicht mehr übersehen.

Ab und zu hörte man zwar davon, dass Anwesen von Frauen geführt wurden, doch bei denen handelte es sich ausschließlich um Witwen. Ein solches Damenregiment war eher die Ausnahme und nie von langer Dauer. Andererseits begegnete Bayard zum ersten Mal einer Dame wie Lady Gillian, die zwar in Bauerntracht herumlief, dabei jedoch den Männern an Überheblichkeit und Selbstbewusstsein in nichts nachstand. An Sturheit auch nicht.

Kopfschüttelnd schlenderte Bayard hinüber zu dem neben dem Bett stehenden Tisch und fuhr mit den Fingerspitzen über die Platte, wobei er flüchtig den bronzenen Kerzenleuchter mit der Bienenwachskerze darin streifte. Auch hier kein Stäubchen.

Krachend flog die Tür gegen die Wand. Aha, sein Knappe war im Anmarsch. Schon kam Frederic herein, den ledernen Kleidersack über der Schulter. Mit einem erschöpften Ächzen ließ er ihn neben Bayards Helm auf die Bettstatt plumpsen.

Mittlerweile war Bayard an die theatralischen Auftritte seines Schildknappen gewöhnt. „Ich hätte nicht gedacht, dass ein paar Sachen aus Wolle und Linnen dermaßen anstrengend sind“,spöttelte er. „Am besten legst du dich erst einmal hin.“

Grinsend, denn auch Frederic war der Humor seines Herrn durchaus vertraut, ließ der Knappe sich auf die Pritsche fallen, dass die Stricke nur so ächzten. „Mache ich auch, wenn mich das Ding hier aushält.“

„Falls nicht, weck mich bloß nicht auf, wenn du auf den Fußboden krachst. Aber bevor du dich aufs Ohr legst oder unsere Sachen auspackst – hilf mir aus meinem Hauberk raus!“

Es dauerte seine Zeit, bis der Waffenrock und der schwere Hauberk mit Hilfe des Knappen ausgezogen waren. Danach ließ Bayard den Kopf kreisen und dehnte die Arme, indem er sie hoch über den Kopf streckte. Auch die mit Kettenringen verstärkten Beinlinge wurden abgelegt und von Frederic verstaut, ebenso wie das gefütterte Wams, das zum Dämpfen von Schlägen unter dem Harnisch getragen wurde.

Nunmehr nur noch in lockerem Hemd, Unterhosen und Stiefeln, trat er an den Waschtisch. Neben den Handtüchern lag ein nach Lavendel duftendes Stück Seife; der Wasserkrug war randvoll gefüllt. Bayard goss die Waschschüssel bis zur Hälfte voll und betastete sein Gesicht. Die Bartstoppeln brauchten wohl erst am folgenden Tag abgeschabt zu werden.

„Habt Ihr die hübsche Serviermagd gesehen?“, fragte Frederic, während er den Deckel der Truhe schloss. „Die Rothaarige mit den Sommersprossen?“

„Allerdings“, erwiderte Bayard. Er erinnerte sich an die Küchenmagd, die sich getraut hatte, durch den Türspalt zu spähen, als die Herrin mit den drei Männern unterwegs zum Wohnturm war. Vermutlich wirklich ein hübsches Mädel, die Kleine, ungefähr fünfzehn und gertenschlank.

Über das Gesicht des Knappen legte sich ein Ausdruck, den Bayard sogleich erkannte, war er doch im Laufe seines Lebens so manchem eifersüchtigen oder neidischen Mann begegnet. Das hatte bereits begonnen, als er noch jünger als Frederic gewesen war. Auch der Duc d’Ormonde zählte zu diesen Eifersüchtigen, wenngleich sich das als segensreich erwiesen hatte, sonst hätte Bayard wohl noch immer in der Normandie festgesessen. Der gute Herzog befürchtete damals wohl, der Gefangene könne seiner Gemahlin zu sehr gefallen, weshalb er ihn gegen die Zahlung eines verhältnismäßig geringen Lösegeldes lieber laufen ließ.

Auch vorhin hatte er diese Miene gesehen. Bei dem Burgvogt nämlich.

Leider Gottes sorgte Bayard überall dort, wo Damen sich aufhielten, für Eifersüchteleien, egal, ob Grund dazu bestand oder nicht.

In diesem Fall definitiv nicht, ganz abgesehen von der Tatsache, dass Lady Gillian Armands Schwägerin war. Temperament mochte sie ja besitzen – und eine Frau ohne Temperament war wie eine Suppe ohne Salz –, aber sonst? In keiner Weise reizvoll.

Ihr straffes Haar war von einem glanzlosen Braun und streng aus dem herzförmigen Gesicht nach hinten gekämmt. Keine entzückenden Löckchen, keine widerspenstigen Strähnchen, die einem Mann als Vorwand für eine verstohlene Liebkosung dienen konnten, etwa wenn man der Dame den vorwitzigen Haarstrang hinters Ohr strich. Dazu hatte sie eine kesse Stupsnase und einen ganzen Schwarm von Sommersprossen, der sich über Nasenrücken und Wangen verteilte und ihren Teint verunzierte. Gewiss, die grünen Augen blickten strahlend und lebhaft, wirkten aber auch nicht sonderlich verlockend. Außerdem war sie ihm zu mager, wenngleich sie einen hübschen runden Busen hatte und beim Gehen verführerisch die Hüften schwingen ließ.

Autor

Margaret Moore

Ihre ersten Schreibversuche als Autorin machte Margaret Moore mit acht Jahren, als der verwegene Errol Flynn sie zu einer Geschichte inspirierte. Wenig später verfiel sie dem kühlen Charme von Mr. Spock aus Raumschiff Enterprise. Er ließ bei sich keine Emotionen zu – ganz anders als die Helden in ihren Romances!...

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