Wenn unsere Leidenschaft erwacht

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Selbstverständlich hilft Desmond Pierce der schönen Nicole: Sie will herausfinden, wer der Vater ihres Neffen ist, und ihre Suche hat sie zu Desmonds Ranch in Montana geführt. Völlig unvorbereitet trifft den Selfmade-Millionär das heiße Begehren, das Nicole in ihm weckt! Voller Leidenschaft erobert er sie, und als sie zusammen das Rätsel um den Jungen gelöst haben, macht er ihr einen Heiratsantrag. Er will sie für immer! Aber zu seiner größten Verwunderung sagt Nicole Nein und packt ihre Koffer …


  • Erscheinungstag 17.08.2021
  • Bandnummer 2199
  • ISBN / Artikelnummer 9783751503808
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

PROLOG

Müde von ihrer langen Reise lag Nicole Cruz noch im Bett, als ihr Handy am Sonntagmorgen klingelte.

Halb wach nahm sie ab. In Gedanken war sie noch im Land der Träume. Ihr Flieger war erst nach Mitternacht in San Francisco gelandet. Viel später war sie in San Jose ins Bett gefallen. Zum ersten Mal seit fast zwei Wochen hatte sie wieder zu Hause geschlafen, und sie war völlig fertig.

„Hallo?“ Sie stützte sich auf den Ellbogen und strich sich die zerzausten rotbraunen Haare aus der Stirn, um das Handydisplay besser zu sehen. Schlagartig wurden ihr zwei Dinge klar.

Erstens war das hier kein normaler Anruf, sondern ein Videocall.

Und zweitens war der Anrufer Desmond Pierce, der reiche und mächtige Casinobesitzer, der ihr gestern den Rückflug von Prince Edward Island bezahlt hatte, damit sie und ihr Neffe Matthew seiner Einladung nach Montana folgen konnten. Allerdings hatte sie darauf bestanden, einen Zwischenstopp zu Hause in San Jose einzulegen, um ein paar Sachen zu holen.

In Wirklichkeit wollte sie Matthew am Morgen noch schnell ins Internat bringen. Sie hatte Desmond nicht gesagt, dass sie nicht vorhatte, den Jungen auf die Mesa Falls Ranch mitzunehmen, auf der sie sich heute treffen wollten, um darüber zu sprechen, wer der Vater des Jungen war.

„Guten Morgen, Nicole“, tönte Desmonds tiefe Stimme aus dem Handy, während sein Bild auf dem Display erschien. Sein dunkelbraunes Haar schien an den Seiten frisch geschnitten zu sein. Oben war es länger und widerspenstiger. Die Bartstoppeln an seinem Kinn wirkten gepflegt, standen aber im Kontrast zu seinem maßgeschneiderten Anzug.

Aufmerksam musterte er sie aus grauen Augen, und ihr wurde bewusst, dass sie leicht bekleidet in einem rosafarbenen Hemdchen geschlafen hatte.

„Desmond“, stieß sie verlegen hervor und riss ein großes Kopfkissen an sich, um ihre Brüste zu verdecken. „Ich … hätte wohl nicht abnehmen sollen.“

Sein Anblick ließ ihren Puls rasen. Seine breiten Schultern füllten seinen Anzug auf äußerst verlockende Art aus, und der Klang seiner Stimme hatte ihr schon gefallen, als sie früher in der Woche zum ersten Mal miteinander telefoniert hatten. Aber ihn zu sehen hatte eine seltsame Wirkung auf sie. Ihre Sinne waren geschärft. Überaus deutlich nahm sie ihn wahr – ebenso wie sich selbst und die Tatsache, dass sie fast nichts anhatte.

„Möchten Sie mich lieber zurückrufen, wenn es Ihnen besser passt?“ Sein Ton blieb neutral, als hätte er gar nicht bemerkt, dass er mit einer Frau sprach, die noch im Bett lag. Aber sie hätte schwören können, dass seine Augen amüsiert funkelten. „Ich wollte Ihnen nur die Einzelheiten zu Ihrem Flug heute durchgeben.“

Und da hätten Sie mir nicht einfach eine Nachricht schreiben können?

Aber sie wollte das Gespräch lieber gleich hinter sich bringen.

„Schon okay“, versicherte sie gespielt fröhlich und achtete darauf, sich nicht zu sehr aufzurichten, damit das Kissen nicht verrutschte, hinter dem sie sich versteckte. „Ich hätte ohnehin längst aufstehen sollen. Bis zu meinem Flug habe ich noch eine Menge zu tun.“

„Ich kann Ihnen einen Wagen schicken“, bot er an und tippte auf den Bildschirm eines Tablets. Er saß an einem eleganten Mahagonischreibtisch. Hinter ihm konnte sie durch die Fenster die Bitterroot Mountains erkennen. Er war also schon auf der Mesa Falls Ranch.

Als sie vor einiger Zeit ein paar Wochen lang dort gearbeitet hatte, war Desmond nicht vor Ort gewesen. Kurz nach Weihnachten hatte sie unter einem falschen Namen einen Job im Gästeservicebereich angenommen, um mehr über die Männer herauszufinden, denen die Ranch gehörte. Bevor ihre Schwester Lana im letzten Jahr an einem Aneurysma gestorben war, hatte sie Nicole gegenüber angedeutet, dass einer der Besitzer von Mesa Falls Matthews Vater sein könnte. Aber Nicole war gefeuert worden, bevor sie die Wahrheit herausgefunden hatte.

Desmond Pierce hatte behauptet, keiner der Partner sei dafür verantwortlich. Aber die fristlose Kündigung hatte Nicole noch misstrauischer gegenüber den Ranchbesitzern gemacht. Gemeinsam mit ihrem Neffen war sie nach Prince Edwards Island gereist, um erst einmal in Deckung zu gehen und neue Pläne zu schmieden. Dass Desmonds Privatdetektiv ihnen dorthin gefolgt war, hatte sie kalt erwischt. Tagelang hatten sie Katz und Maus gespielt. Als der Detektiv sie schließlich zum dritten Mal gebeten hatte, mit Desmond zu sprechen, hatte sie nachgegeben. Sie hatten schon zweimal kurz telefoniert. Aber solange sie nichts über Desmonds Motive wusste, wollte sie, dass Mattie behütet an seiner Schule blieb. Als hochbegabtes, aber autistisches Kind konnte ihr Neffe nicht gut mit Veränderungen umgehen. Und seit dem Tod seiner Mutter hatte sich schon mehr als genug für ihn verändert.

„Ich komme allein zum Flughafen“, versicherte Nicole. Sie wollte nicht mehr Hilfe als nötig von ihm annehmen. Schlimm genug, dass er sie heute mit seinem Jet abholen ließ. „Ich muss doch nach Reid-Hillview?“, fragte sie. Der Privatflughafen lag in der Nähe ihres Hauses.

„Ja“, bestätigte Desmond, stand auf und knöpfte geschickt sein Jackett zu. Ihr Blick blieb an seiner Hand hängen. „Der Pilot ist um ein Uhr vor Ort, um Sie und Matthew abzuholen. Aber er wartet, bis Sie kommen, also hetzen Sie sich nicht ab.“

Ihr wurde flau im Magen. Einen Moment lang bekam sie ein schlechtes Gewissen, unterdrückte es aber. Sie tat doch nur, was das Beste für Mattie war. Sie würde ihn im Internat abliefern, bevor sie zum Flughafen fuhr.

„Ich brauche ein bisschen länger.“ Sie presste sich das Kissen an die Brust und stand ebenfalls auf. „Aber bis zwei bin ich da.“

„Hervorragend.“ Desmond schenkte ihr ein Lächeln, das wahrscheinlich schon erfahrenere Frauen als sie bezaubert hatte. Er war faszinierend, und das lag nicht allein an seinem guten Aussehen. „Ich bin froh, dass Sie bereit sind, sich mit mir zu treffen.“

Er klang sehr überzeugt – wie jemand, der sich sicher war, alles erreichen zu können. Aber reiche Leute waren nun einmal selbstbewusst. Desmond wollte, dass sie und ihr Neffe nach Montana kamen. Deshalb hatte er sie beschatten lassen, bis sie sich seinen Bedingungen gefügt hatte.

Das denkt er zumindest. Wenigstens von ihrem Neffen konnte Nicole ihn fernhalten.

„Die Entscheidung ist mir nicht leichtgefallen“, rief sie ihm ins Gedächtnis. „Aber es spricht nicht für Sie, dass Ihr Detektiv mir auf Schritt und Tritt gefolgt ist, wenn Sie wirklich nur mit mir reden wollen.“

Sie befürchtete, dass er und seine Freunde versuchen würden, ihr das Sorgerecht für Matthew wegzunehmen. Aber das würde sie nicht zulassen.

Desmond biss die Zähne zusammen, widersprach aber nicht. „Entschuldigen Sie bitte. Ich wollte Sie unbedingt finden, um das Unrecht wiedergutzumachen, das Ihnen widerfahren ist, als Sie auf der Ranch gearbeitet haben. Wir sorgen dafür, dass Sie für die plötzliche Kündigung entschädigt werden.“

Sie musterte sein Gesicht, aber seine grauen Augen verrieten nichts über seine Absichten. Doch auch wenn sie auf der Suche nach dem Vater ihres Neffen schon fast all ihre Ersparnisse ausgegeben hatte, wollte sie keine Almosen von einem Mann, der ohnehin schon zu viel Macht hatte.

„Daran habe ich kein Interesse. Ich komme nur nach Montana, um herauszufinden, welche Verbindung zwischen Matthew und Mesa Falls besteht.“

Vielleicht hörte Desmond ihr an, dass sie in dem Punkt hart bleiben würde, denn er hielt nicht dagegen.

„Ich helfe Ihnen, die Antworten zu finden, die Sie suchen.“ Er musterte sie unverwandt.

Kann ich ihm vertrauen? Oder will er verhindern, dass ich zu viel herausfinde?

Sie konnte es nicht einschätzen. Aber sie würde sich nicht von Desmond Pierce aufhalten lassen, und wenn er noch so viel Charisma besaß.

Nichts war wichtiger, als ihren Neffen zu beschützen.

Als sie einfach nickte, fuhr Desmond fort: „Ich freue mich darauf, Sie kennenzulernen. Aber ziehen Sie sich warm an. Es braut sich ein Schneesturm zusammen.“

Sie wusste, dass er sie nur aus praktischen Gründen persönlich abholen wollte. Dennoch lief ihr bei der Vorstellung, dass sie nachher aus dem Flugzeug steigen und Desmond das erste Mal persönlich begegnen würde, ein Schauer über den Rücken.

Er war der erste Mann seit über einem Jahr, der sie im Bett gesehen hatte.

Schnell verdrängte Nicole den Gedanken und wünschte sich, ihre Kontaktperson in Mesa Falls wäre nicht so verdammt attraktiv.

„Wir sehen uns bald. Und … danke.“ Sie legte auf und wartete, bis das Display dunkel war, bevor sie das Kissen losließ.

Jetzt musste sie erst einmal duschen, um einen klaren Kopf zu bekommen. Nachher würde sie Matthew ins Internat bringen und dann in Desmonds Privatjet allein nach Montana fliegen, um herauszufinden, was die Männer aus Mesa Falls ihr verheimlicht hatten.

Wenn sie Desmond Pierce das nächste Mal sah, würde er nicht zufrieden mit ihr sein.

1. KAPITEL

Desmond Pierce lenkte seinen SUV auf den verlassenen Parkplatz hinter dem Ravalli County Airport in Hamilton, Montana, und stellte den Motor ab. Er hatte den Flug des Jets getrackt und seine Ankunft so getimt, dass er Nicole Cruz und ihr Mündel gleich bei ihrer Ankunft kennenlernen konnte.

Wind peitschte von den zerklüfteten Gipfeln der Bitterroot Mountains im Westen herab. Die schneebedeckten Berge warfen lange Schatten auf das Tal, denn die Sonne stand schon tief am Himmel. Desmond ging zur Vorderseite des Haupthangars herum, wo der Jet gerade angehalten hatte.

Das Flugzeug hatten er und seine fünf Freunde zur selben Zeit gekauft wie die Mesa Falls Ranch. Dort investierten sie in umweltfreundliche Ranchmethoden. Vor nicht allzu langer Zeit hatten sie die Ranch zum Luxusresort ausgebaut. Mesa Falls war ein Projekt zum Gedenken an ihren Freund Zach, der vor vierzehn Jahren gestorben war, als sie alle noch Schüler eines Internats in Kalifornien gewesen waren. Bis vor Kurzem hatte Desmond geglaubt, mit dieser entsetzlichen Zeit in seinem Leben abgeschlossen zu haben. Aber die Geister der Vergangenheit waren zurück und quälten ihn, seit vor drei Monaten ein Skandal über Mesa Falls hereingebrochen war.

Ein Skandal, der zum Teil etwas mit seinen Gästen zu tun hatte: einer geheimnisvollen Frau und ihrem dreizehnjährigen Neffen Matthew. Die Frage, wer Matthews Vater war, führte tief in die Vergangenheit, die Desmond so gern vergessen wollte. Aber es gab nun einmal eine Verbindung zwischen dem Jungen und den Besitzern von Mesa Falls. Darum hatte Desmond es übernommen, sich mit Nicole zu befassen.

Erstens, weil er damit an der Reihe war, die Initiative zu ergreifen, und zweitens, weil seine Telefonate mit Nicole seine Neugier geweckt hatten.

Er wusste selbst nicht genau, warum er heute Morgen dem Drang nachgegeben hatte, einen Videocall zu tätigen. Aber das Bild von ihr in dem rosafarbenen Hemdchen quälte ihn seitdem jede Minute.

Er blieb unter einem Vordach aus Metall vor einem der Eingänge des Hangars stehen und wartete. Die Flugzeugtür öffnete sich, und ein Mitarbeiter vom Bodenpersonal sicherte die Treppe. Schnell schüttelte Desmond sich den Schnee von den Stiefeln und ging im Kopf noch einmal durch, was er aus dem Bericht des Detektivs über Nicole wusste.

Sie hatte unter falschem Namen einen Job auf der Ranch angenommen und dort Nachforschungen über die sechs Männer angestellt, denen Mesa Falls gehörte. Sie glaubte, dass einer von ihnen der Vater ihres Neffen sein könnte, dessen Mutter plötzlich an einem Aneurysma gestorben war. Vor ihrem Tod hatte Nicoles Schwester angedeutet, dass jemand, der den Ranchbesitzern nahestand, für Matthews Ausbildung aufkam. Nicole wollte wissen, warum.

Aber sie war von ihrem Vorgesetzten gefeuert worden, der unmittelbar danach gekündigt hatte. Daraufhin waren sie und Matthew verschwunden. Das hatte das Misstrauen zwischen ihr und den Männern von Mesa Falls noch gesteigert.

Desmond brauchte jedoch Nicoles Hilfe, wenn sie herausfinden wollten, wer der Vater des Jungen war. Als er ihr vorgeschlagen hatte, dass sie mit ihrem Neffen nach Montana kommen sollte, hatte sie nur unter einer Bedingung zugestimmt: Desmond und seine Partner mussten DNA-Proben für einen Vaterschaftstest abgeben. Das Ergebnis war bei allen negativ gewesen, aber das hatte er Nicole noch nicht mitgeteilt, weil er befürchtet hatte, dass sie es sich sonst vielleicht anders überlegen und nicht nach Montana zurückkehren würde.

Jetzt bewegten sich Schatten hinter der Flugzeugtür. Desmond straffte sich. Er hatte Fotos des Jungen gesehen, also wusste er, womit er rechnen musste. Matthew hatte blonde Haare, braune Augen, einen schmächtigen Körperbau und sah niemandem ähnlich, den Desmond kannte.

Nicole hatte dichte rotbraune Locken und die gleichen dunkelbraunen Augen wie ihr Neffe. Ihre Gesichtszüge hatte Desmond sich schon vor dem Videocall eingeprägt. Er kannte ein Bild, das eine Überwachungskamera der Ranch aufgenommen hatte, als Nicole dort angestellt gewesen war. Damals hatte Weston Rivera sich um Mesa Falls gekümmert, während Desmond sich auf sein Casinoresort am Lake Tahoe konzentriert hatte. Er war Nicole noch nie begegnet.

Eine verpasste Chance? Aber vielleicht war es das Beste so. Das Interesse, das sie in ihm weckte, hatte nichts mit ihrer Verbindung zu Mesa Falls zu tun. Er wusste nicht, warum er so auf sie reagierte. Okay, sie war wunderhübsch. Aber Schönheit hatte ihn noch nie so fasziniert. Attraktiven Frauen begegnete er ständig. Aber Nicole hatte noch etwas anderes. Wärme. Feuer. Das hatte er an ihrer Stimme gehört und es bei dem Videocall in ihren Augen gesehen.

Er konnte es nicht abwarten, sie kennenzulernen, und fragte sich, ob das seine unerklärliche Sehnsucht nach ihr lindern würde. Vielleicht war das der eigentliche Grund für den Videocall heute Morgen gewesen. Er hatte wohl gehofft, dass sich seine Besessenheit legen würde, wenn er sie sah. Aber wenn überhaupt, ging sie ihm jetzt noch weniger aus dem Kopf als zuvor.

Nun stand sie keine dreißig Meter von ihm entfernt am oberen Ende der Treppe. Sie trug einen rehbraunen Mantel zu kniehohen schwarzen Lederstiefeln. Mit einer behandschuhten Hand stützte sie sich am Geländer ab und strich sich mit der anderen die rotbraunen Locken zurück.

Wenn Desmond gehofft hatte, dass die magische Anziehungskraft sich verflüchtigen würde, sobald er Nicole persönlich begegnete, löste sich diese Hoffnung jetzt in Luft auf. Bisher war es ihm nicht schwergefallen, ein unkompliziertes Privatleben zu führen. Seine gesamte Aufmerksamkeit hatte er dem Casio gewidmet, das er aus dem Nichts aufgebaut hatte. Für Frauen hatte er wenig Zeit, allenfalls für flüchtige Beziehungen. Aber als er Nicole Cruz jetzt ansah, sprühten die Funken, obwohl ein eisiger Wind wehte.

Als hätte sie seine Gedanken gelesen, warf sie plötzlich einen Blick auf den Hangar und entdeckte ihn. Bestimmt bildete er sich nur ein, dass sie dieselbe Anziehungskraft verspürte wie er. Deshalb straffte er sich und ging ihr entgegen.

Auf halbem Weg zur Metalltreppe fiel ihm auf, dass niemand bei Nicole war. Der Pilot war bereits auf dem Rollfeld und sprach mit dem Mann vom Bodenpersonal. Nicoles Tasche stand auf dem kleinen Teppich am unteren Ende der Treppe.

Tasche. Singular!

Misstrauisch beäugte er Nicole, hielt sich aber zurück, als er sie begrüßte.

„Herzlich willkommen, Nicole.“ Er streckte ihr die Hand hin. „Danke, dass Sie die Reise auf sich genommen haben.“

Er schloss die Finger um ihren Handschuh. Kurz spürte er durch das Leder ihre Wärme. Sie war groß für eine Frau. Dank ihrer hohen Absätze waren sie fast auf Augenhöhe.

„Danke für Ihre Einladung. Mir ist es genauso wichtig wie Ihnen, mehr herauszufinden“, versicherte sie ihm, bevor sie die Hand wegzog.

Sie musterten einander im grellen Licht der Außenbeleuchtung. Ihr Gesicht wirkte ungeschminkt, aber der satte Rosaton ihrer vollen Lippen zog seine Aufmerksamkeit magisch an, wenn sie sprach.

Reiß dich zusammen! ermahnte Desmond sich schnell. Nicole war wegen ihres Neffen hier. Ihm dagegen ging es darum, die Männer zu beschützen, die für ihn wie Brüder waren. Er durfte seinem Begehren nicht nachgeben.

Hinter ihnen schloss der Mann vom Bodenpersonal die Flugzeugtür.

„Da Sie Ihren Neffen erwähnen …“ Desmond sah von Nicole zum Jet und dann wieder zurück. „Wo ist Matthew?“

Sie alle wollten den Jungen kennenlernen, den ihr früherer Mentor Alonzo Salazar heimlich finanziell unterstützt hatte.

„Wieder im Internat.“ Nicole packte den Griff ihrer Reisetasche, die Rollen hatte, und schien die Diskussion für beendet zu halten – die gleiche, die sie schon am Telefon geführt hatten, als er sie darum gebeten hatte, den Jungen nach Montana zu bringen.

Verärgert nahm Desmond ihr das Gepäck ab. Seine Hand streifte ihre.

Im Hintergrund war ein Flugzeug im Landeanflug zu hören.

„Wir waren uns doch einig“, rief er ihr ins Gedächtnis. Er war es nicht gewohnt, dass man seine Anweisungen nicht befolgte. Sein Casino lief wie geschmiert, weil seine Pläne bis ins letzte Detail umgesetzt wurden. Und in Mesa Falls, wo er sich die Leitung mit seinen Partnern teilte, hielt man sich an Abmachungen.

Aber hier sah er sich mit offenem Trotz konfrontiert.

Nicole presste die vollen Lippen zu einer schmalen Linie zusammen und sagte dann: „Soweit ich mich erinnere, waren wir uns uneinig. Ich habe Ihnen gesagt, dass Matthew nicht gut mit Veränderungen umgehen kann und dass er in seine gewohnte Umgebung zurückkehren muss. Sie haben darauf bestanden, dass ich ihn wider besseres Wissen herbringe.“

In ihren braunen Augen loderte ein Feuer, das in ihren kühlen Worten gar nicht durchschimmerte. Es zeugte von einer Leidenschaft, die ihn neugierig gemacht hätte, wenn sie nicht gerade all seine Pläne durchkreuzt hätte.

„Jedenfalls bin ich jetzt hier“, fuhr Nicole fort, „und ich werde mit Ihnen oder ohne Sie Antworten finden. Was ist Ihnen lieber, Desmond? Wollen Sie, dass ich Sie nach Mesa Falls begleite, oder nicht?“

Ein paar Minuten später saß Nicole auf dem Beifahrersitz von Desmonds glänzendem schwarzen SUV. Ihr Gepäck lag im Kofferraum des Luxusautos. Desmond fuhr nach Westen auf die Bitterroot Mountains und die Mesa Falls Ranch zu.

Dem langen Blick nach zu urteilen, den er ihr zugeworfen hatte, als er sie aufgefordert hatte, ihm zu folgen, freute er sich nicht gerade darüber, dass sie nicht nach seiner Pfeife tanzte.

Sein Pech.

Sie konzentrierte sich auf die Landschaft vor dem Fenster, während sie sich den zerklüfteten Bergen näherten. Nicole war es egal, was die privilegierten Männer von Mesa Falls über sie dachten. Sollte Desmond ruhig finster dreinsehen. Ihr ging es nur darum, den Vater ihres Neffen zu finden und ihn dazu zu zwingen, Unterhalt für seinen Sohn zu zahlen. Zwar wurde Matthews Schulgeld durch die Einkünfte aus Alonzo Salazars Bestseller finanziert, aber das Arrangement gefiel ihr nicht. Für Mattie war die Privatschule ideal, die er schon vor dem Tod seiner Mutter besucht hatte. Die Trauer um Lana erwischte Nicole manchmal auch jetzt noch mit voller Wucht. Der Schmerz war dann so heftig, dass sie keine Luft mehr bekam. Aber an Mattie zu denken half. Besonders weil sie wusste, dass der Junge natürlich noch mehr um Lana trauerte als sie.

Die Tatsache, dass Lana gestorben war, ohne etwas über Matties Vater zu verraten – abgesehen von dem vagen Hinweis auf Alonzo Salazars Enthüllungsroman –, machte Nicoles Leben viel komplizierter. Es störte sie nicht, ihren Job als freie Grafikerin für eine Weile zu unterbrechen, um nach Antworten zu suchen. Aber die Wochen waren zu Monaten geworden, und ihre Ersparnisse schrumpften merklich. Daher konnte sie es sich nicht leisten, Desmonds Angebot abzulehnen, ihr die Reise nach Montana zu bezahlen.

Aber sie durfte auch nicht die Bedürfnisse ihres Neffen ignorieren, nur um dem Mann einen Gefallen zu tun, der jetzt auf dem Fahrersitz saß. Sie betrachtete Desmond. Obwohl er wütend auf sie war, empfand sie ihn als unglaublich attraktiv. Schon den ganzen Tag hatte sie immer wieder an ihren Videocall denken müssen, bei dem sie noch im Bett gelegen hatte.

Aber Desmond sah nicht einfach nur gut aus, obwohl seine grauen Augen, sein dunkles Haar und sein Dreitagebart sehr verführerisch waren. Er hatte mehr zu bieten als seinen athletischen Körperbau, der sogar unter der dicken Winterkleidung – einer schwarzen Wolljacke und einem graubraunen Pullover – zu erahnen war. Die Art, wie er sie ansah, mit ihr sprach und sich bewegte, legte einen Schalter in ihr um.

Ein seltsames Phänomen, das sie noch nie erlebt hatte. Bisher hatte sie nur wenige Beziehungen gehabt und dabei nie das Knistern gespürt, das andere Frauen schilderten. So etwas passierte ihr einfach nicht.

Aber ein einziger Blick auf Desmond reichte aus, um ihr zu zeigen, was ihr bisher entgangen war. Wie unfair, dass das Universum ihr diesen charismatischen Mann ausgerechnet jetzt vor die Nase setzte. Schließlich musste sie sich darauf konzentrieren, den Vater ihres Neffen zu finden!

Nur mühsam unterdrückte sie einen frustrierten Seufzer. Sie konnte das lastende Schweigen in dem luxuriösen SUV nicht länger ertragen. Trotz der geschmeidigen Ledersitze und des eleganten Designs fühlte sie sich in dem Auto nicht wohl. Es erinnerte sie nur daran, wie viel Macht und Einfluss dieser Mann hatte.

„Ich weiß nicht, ob wir herausfinden, wer Matthews Dad ist, wenn wir nicht miteinander sprechen“, bemerkte sie und knöpfte ihren langen Mantel auf, weil es hier nicht so kalt wie draußen war.

Vielleicht musste sie auch nur ihre heißen Gedanken etwas abkühlen.

Desmond schloss die Finger fester ums Lenkrad, während die Sonne hinter den schneebedeckten Bergen unterging und den Himmel in Gold und Lila tauchte.

„Wir lassen uns schon etwas einfallen.“ Kurz sah er zur Seite. „Wir haben keine Wahl.“

Der vorwurfsvolle Unterton machte sie gereizt.

„Ich hoffe, Sie erwarten nicht von mir, ein schlechtes Gewissen zu haben, weil ich tue, was für Matthew das Beste ist. Ich kümmere mich so gut um ihn, wie ich kann. Das schulde ich meiner Schwester.“

Bei den letzten Worten brach ihre Stimme. Eigentlich wollte sie sich keine Schwäche anmerken lassen. Aber der Gedanke, dass sie Lana niemals wiedersehen würde, zog ihr immer noch den Boden unter den Füßen weg.

Schnell blinzelte sie und sah wieder aus dem Fenster. Es wurde immer dunkler.

Wenn Desmond ihr die Gefühlsregung anhörte, ging er nicht darauf ein. Aber als er antwortete, klang er sanft: „Wie ist Matthew so?“

„Brillant“, sagte sie ohne Zögern, dankbar für den Themenwechsel. „Je mehr Zeit ich mit ihm verbringe, desto mehr bewundere ich meine Schwester dafür, dass sie so früh seine einzigartigen Fähigkeiten erkannt und die richtige Schule für ihn gefunden hat. Er ist ein Mathegenie und hat ein unheimlich gutes Gedächtnis. Er zeichnet auch sehr schön. So haben wir ein gemeinsames Interessengebiet. Ich bin Grafikdesignerin.“

Sie war fasziniert von den detaillierten Federzeichnungen, die ihr Neffe auf Prince Edward Island angefertigt hatte: Wolkenkratzer und Stadtansichten. Die Reise war ein Versuch gewesen, zu verhindern, dass Matthew plötzlich im Rampenlicht stand, falls herauskam, dass er von Salazars Buch profitierte. Aber Desmond hatte Nicole versichert, dass diese Information vorerst vertraulich behandelt wurde.

Jetzt bog er auf eine Privatstraße ab. Bei der Bewegung verrutschte sein Jackenärmel. Nicole sah seine elegante Patek-Philippe-Uhr, die mehr kostete, als sie in einem Jahr verdiente.

„Wie kommen Sie damit zurecht, plötzlich die Erziehungsberechtigte eines Dreizehnjährigen zu sein?“, fragte er überraschend einfühlsam.

„Ganz ehrlich?“ Sie dachte daran, wie sehr sich ihr Leben in den Monaten seit dem Tod ihrer Schwester verändert hatte. Ihre Welt stand Kopf. „Es ist ziemlich überwältigend.“

„Ich glaube, alle Eltern von Kindern in dem Alter finden das ziemlich anstrengend.“ Er nickte einem Traktorfahrer zu, der ihnen mit einem Schneepflug entgegenkam.

„Aber das liegt nicht an Mattie“, versicherte sie ihm, damit er keinen falschen Eindruck von ihrem klugen und liebenswerten Neffen bekam. „Er ist toll. Ich habe nur Angst, dass ich alles falsch mache. Manchmal wache ich nachts auf und mache mir Sorgen, dass ich bei seiner Krankenversicherung einen Fehler gemacht oder ein Formular auf der Schulwebsite nicht richtig ausgefüllt habe.“

Desmonds Handy klingelte über die Bluetooth-Verbindung im Wagen, aber er betätigte einen Knopf, um es stummzuschalten, und schenkte ihr seine volle Aufmerksamkeit.

„Das geht wohl allen Eltern so. Wenn Sie sich fragen, ob Sie alles richtig machen, dann tun Sie es bestimmt.“

Autor

Joanne Rock
Joanne Rock hat sich schon in der Schule Liebesgeschichten ausgedacht, um ihre beste Freundin zu unterhalten. Die Mädchen waren selbst die Stars dieser Abenteuer, die sich um die Schule und die Jungs, die sie gerade mochten, drehten. Joanne Rock gibt zu, dass ihre Geschichten damals eher dem Leben einer Barbie...
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