Zwischen Verdacht und Leidenschaft

– oder –

 

Rückgabe möglich

Bis zu 14 Tage

Sicherheit

durch SSL-/TLS-Verschlüsselung

Was für ein arroganter Typ! Sophie ist nach Alaska geflogen, um herauszufinden, ob sie wirklich mit der reichen Familie Cambridge verwandt ist. Doch deren Geschäftspartner Nathaniel Stone hegt den Verdacht, dass sie die Cambridges um ihr Vermögen bringen will. Wenn er nur nicht so überwältigend sexy wäre! Als das Familienoberhaupt Sophie und Nathaniel auf die wildromantische Kodiak Island schickt, muss Sophie sich entscheiden: zwischen Wut auf Nathaniel – und heißer Leidenschaft mit ihm unter der Mitternachtssonne…


  • Erscheinungstag 21.06.2022
  • Bandnummer 2243
  • ISBN / Artikelnummer 9783751509084
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

„Du musst dich einfach ans Reichsein gewöhnen, Sophie“, sagte meine Freundin Tasha, als wäre es das einfachste der Welt.

Wir standen auf der Dachterrasse eines Hauses in Seattle, das zu verkaufen war, und schauten auf den hellblauen Pazifik. Hinter uns gewährte eine bodentiefe Fensterfront einen perfekten Blick auf den großzügigen Wohnraum.

„Was soll ich denn mit sechs Bädern?“ In letzter Zeit wurde mir mein Single-Dasein immer wieder deutlich unter die Nase gerieben.

Letztes Jahr waren meine drei besten Freundinnen auch noch solo gewesen, inzwischen waren sie allerdings alle glücklich vergeben. Da fiel es schwer, sich nicht außen vor zu fühlen.

„Du benutzt sie ja nicht alle gleichzeitig.“ Tashas Tonfall machte deutlich, dass sie fand, ich würde mich anstellen.

„Ich benutze aber doch nicht jeden Tag ein anderes Bad.“

„Du hast bestimmt auch mal Gäste, Sophie.“

„Wen denn? Ihr habt doch jetzt alle ein neues Leben.“

Tasha, Layla und Brooklyn hatten sich verliebt, geheiratet und waren anschließend aus Seattle weggezogen.

„Drückst du gerade etwa auf die Tränendrüse?“

„Ein bisschen“, gab ich zu.

Tief im Inneren freute ich mich ja für meine Freundinnen. Ganz ehrlich. Aber sie waren nun mal mein Halt gewesen, und jetzt wurde ich das Gefühl nicht los, dass ich kaum noch mithalten konnte.

Letzten Sommer hatte ich an der Entwicklung einer neuen Technologie mitgearbeitet. Sie heißt Sweet Tech und produziert ausgefallene Desserts für Luxusrestaurants. Es lief viel besser, als wir jemals gehofft hatten.

Mithilfe von Tashas Mann Jamie hatten wir das Patent für eine wahnsinnige Summe an ein japanisches Unternehmen verkauft. Zusätzlich hatten wir noch Tantiemen ausgehandelt, was bedeutete, dass die Schecks einfach immer weiter bei uns eintrudelten. Allerdings hatte ich mir den plötzlichen Reichtum irgendwie einfacher vorgestellt.

„Armes reiches Mädchen.“ Tasha lachte schelmisch.

Sie hatte den Nagel auf den Kopf getroffen.

„Ich bin ganz allein“, jammerte ich. „Ich weiß nichts mit mir anzufangen. Ich bin gelangweilt.“

Ich hatte keinen Job … ich fühlte mich nutzlos … ich hatte keinen Grund, irgendwohin zu gehen oder irgendwas zu tun. Das alles trieb mich langsam in den Wahnsinn.

Tasha drehte sich wieder zu dem Haus um. „Hier könnte man sich doch wirklich prima langweilen. Das Haus ist fantastisch.“

Ich drehte mich ebenfalls um. „Ich finde es eher abschreckend.“

„Sei doch nicht so ein Angsthase.“

„Ich hab keine Angst.“

„Doch, das Haus schüchtert dich ein.“ Sie hatte recht.

„Wie soll ich das denn sauber halten?“ Allein die Böden zu wischen, würde einen ganzen Tag dauern.

„Sophie, dafür kannst du doch jemanden einstellen.“

Bei dieser Vorstellung musste ich lachen. Das ganze Geld war zwar schön und gut, aber es bedeutete nicht, dass ich selbst keinen Finger mehr rühren würde.

„Du bist echt schlecht im Reichsein“, meinte Tasha.

„Ach ja? Klingt so, als wärst du schon komplett auf die dunkle Seite gewechselt.“

Tasha und Jamie waren groß im Investmentgeschäft und verdienten einen Haufen Geld an der Börse.

„Ich hab nie behauptet, ich hätte Personal“, sagte sie.

„Hast du aber.“

„Okay, ich hab ein paar Leute eingestellt, aber der Punkt ist doch, dass du dir ein Haus wie dieses hier kaufen kannst. Du kannst es dir leisten, direkt an der Küste zu wohnen. Gefällt es dir oder nicht?“

„Klar gefällt es mir.“ Das hier war mein Traumhaus.

„Du kannst jetzt machen, was du willst, Sophie, und das solltest du auch.“

„Aber was genau?“ Ganz konnte ich die Verzweiflung in meiner Stimme nicht unterdrücken.

Ich konnte zwar machen, was ich wollte, aber ich wusste nicht, was es war.

Ich hatte für wohltätige Zwecke gespendet, denn wenn man auch nur einen winzigen Funken Seele hatte, war das auf jeden Fall die erste Amtshandlung, wenn man unerwartet an viel Geld kam. Der örtliche Alphabetisierungsverband, das Krankenhaus und das Tierheim hatten sich jedenfalls sehr über meine Unterstützung gefreut. Man hatte Dankesschreiben geschickt und mir auf Partys zugeprostet.

Aber das war nun mal keine Lebensaufgabe. Sie brauchten mich nicht, um die Dinge am Laufen zu halten.

Früher hatte es nur Mom und mich gegeben, und ihr Job als Krankenschwester hatte nicht sonderlich viel eingebracht, weshalb wir immer zur Miete gewohnt hatten.

„Direkt an der Küste wirst du kein kleineres Haus finden“, nahm Tasha unsere Unterhaltung wieder auf. „Dafür sind die Grundstücke einfach zu teuer.“

Das hatte sich während unserer Haussuche schon bestätigt.

Das hier war das zehnte Haus an der Küste, das wir besichtigten, und es war genauso protzig wie alle anderen. Allerdings musste ich zugeben, dass ich mich in dieses verliebt hatte, auch wenn ich mir wahrscheinlich eine Karte zeichnen musste, um mich auf dem Weg vom Schlafzimmer in die Küche nicht zu verlaufen.

Ich begriff immer noch nicht ganz, dass ich nur das Scheckbuch zücken musste, und eine Zahl mit einer Menge Nullen würde von meinem Konto abgehen, auf dem eine Summe mit noch mehr Nullen ruhte.

„Vielleicht wohne ich einfach in der Einliegerwohnung und vermiete den Rest an eine Familie mit fünf Kindern.“

Tasha machte eine ausladende Bewegung. „Und verzichtest auf diese Terrasse?“

„Stimmt, die ist wirklich ziemlich toll.“

Sie lief in bestimmt zwanzig Metern Länge um drei Seiten des Hauses herum, und man konnte sie vom Wohnzimmer, Esszimmer, Büro und vom Hauptschlafzimmer aus betreten. Unten im Erdgeschoss gab es noch einen riesigen Gaming-Raum, von dem aus man auf eine Veranda mit einem Pool und einem Whirlpool kam. Dort unten hatte man seine Ruhe und an heißen Tagen ausreichend Schatten.

„Das Haus ist sogar möbliert“, erwähnte Tasha.

Ich war mir nicht ganz sicher, ob das ein Vor- oder ein Nachteil war. „Ich hab doch Möbel.“

„Du hast ein Sofa, einen Esstisch und ein Bett.“

„Hey, das Sofa ist super.“

Es war gemütlich und aus Leder. Ich hatte unglaublich lange darauf gespart, und gedacht, dass ich von so einem ausgefallenen und teuren Möbelstück sicher ewig etwas haben würde.

So war das, wenn man plötzlich vermögend war. Alles, was man vorher im Leben erreicht hatte, war auf einmal wertlos. Jetzt konnte ich mir zehn Ledersofas leisten, oder auch hundert … oder einfach in ein Haus wie dieses ziehen, das professionelle Innenarchitekten mit Sofas, Sesseln, Tischen und allem anderen ausgestattet hatten.

„Kannst du dir vorstellen, hier zu wohnen?“, fragte Tasha. „Siehst du die reiche Sophie, wie sie morgens ihren ersten Kaffee auf der Terrasse schlürft oder gemütlich vor dem Kamin liest?“

Ich sah es. Leider war das aber auch alles, was ich sah. Ich konnte doch nicht für den Rest meines Lebens nur Kaffee trinken und lesen.

„Und was dann? Hocke ich den lieben langen Tag nur im Haus herum?“

„Es ist nur ein Haus. Du machst die gleichen Sachen, die du auch in deiner Wohnung machst. Nur dass alles jetzt besser, größer, schöner und gemütlicher ist.“

Sie hatte recht. Ich fand es unglaublich. Die Größe schüchterte mich zwar etwas ein, aber ich wollte bleiben und den Ausblick genießen. Das hieß wohl, dass ich das auch sollte.

„Aber was mache ich danach?“

Tasha legte mir den Arm um die Schultern und drückte mich. „Zu schade, dass du nicht ein paar arme Verwandte hast.“

„Genau, die könnten hier einziehen und mir Gesellschaft leisten.“ Ich sagte das zwar im Scherz, meinte es aber leider viel zu ernst.

Hätte ich noch Familie gehabt, hätte ich sie auf jeden Fall irgendwie unterstützt. Es wäre toll gewesen, wenn ich Geschwister oder Cousins gehabt hätte. Oder vielleicht auch Nichten und Neffen, die Geld fürs College gebrauchen konnten.

Aber meine Mom war adoptiert worden und Einzelkind gewesen. Ihre Adoptiveltern waren inzwischen tot, und über ihre leiblichen Eltern hatte sie nie etwas herausfinden können, und mein Vater – tja, Mom hatte behauptet, er sei nur ein One-Night-Stand gewesen … ein verheirateter Pilot der Australian Air Force.

Sie waren sich in einem Krankenhaus in Deutschland begegnet, in dem sie für sechs Wochen gearbeitet hatte. Er hatte Hilfsgüter für die UN nach Bosnien bringen wollen und sich dabei eine Kopfverletzung zugezogen. Deshalb hatte er notlanden müssen.

Mein leiblicher Vater war also weit weg von zu Hause, verletzt und verzweifelt gewesen. Mom hatte ihm Trost gespendet. Sie verbrachten ein Wochenende miteinander, und sie schwor, dass sie das nie bereut hatte. Vor allem, weil ich daraus entstanden war.

„Hast du schon mal gesucht?“, fragte Tasha jetzt.

Worüber hatten wir uns denn gerade unterhalten? „Wonach?“

„Nach deiner Familie.“

„Ich bezweifle, dass es da was zu suchen gibt.“

Ich hatte überhaupt keine Lust, mich in das Leben meines leiblichen Vaters einzumischen.

„Guck doch mal auf einer von diesen Stammbaum-Websites oder mach einen DNA-Test.“

Ich musste kaum eine halbe Sekunde darüber nachdenken, um zu dem Schluss zu kommen, dass das eine gute Idee war.

„Was soll schon passieren?“, sprach sie weiter.

Eine Welle der Aufregung erfasste mich. Direkt gefolgt von einer saftigen Portion harter Realität. Denn bei einem entfernten Cousin zweiten Grades – und wen sonst sollte ich dabei schon finden? – konnte man wohl kaum von Familie sprechen.

Trotzdem …

Plötzlich saß ich im Flieger nach Alaska. Nach Anchorage, um genau zu sein, und zwar in der ersten Klasse, weil Tasha meinte, dass reiche Menschen das nun einmal so machen. Zuerst hatte sie sogar gesagt, Reiche würden einfach einen Privatjet chartern.

Im Ernst? Die erste Klasse war vollkommen in Ordnung. Sie war sogar mehr als in Ordnung. Hier gab es Champagner mit Orangensaft, heiße Handtücher, köstliche Croissants mit Aprikosenmarmelade und das schlechte Gewissen, dass die meisten Passagiere sich hinten in die engen Sitze quetschen mussten.

Wie sich herausgestellt hatte, hatte ich tatsächlich einen Cousin. Na ja, vermutlich. Laut DNA-Test gab es eine dreizehnprozentige Übereinstimmung, und wenn man der Website Glauben schenkte, war das schon eine ganze Menge. Sein Name war Mason Cambridge. Er war fünfunddreißig, in Alaska geboren und arbeitete in Anchorage für eine Firma namens Kodiak Communications.

Im Internet hatte ich Bilder von ihm gefunden. Auf den gängigen Social-Media-Kanälen war er nicht zu finden, aber in der Lokalzeitung gab es ein paar Artikel darüber, auf welchen Veranstaltungen er sich immer blicken ließ. In einem Land wie Alaska brauchte es aber vermutlich auch nicht viel, um bekannt zu werden.

Seine Anschrift hatte ich herausgefunden, aber ich hatte weder eine Telefonnummer noch eine E-Mail-Adresse.

Was aber nicht schlimm war, denn ich wollte ihn ohnehin lieber persönlich treffen.

Sollte er mich zum Teufel jagen, bevorzugte ich ein kurzes Gespräch von Angesicht zu Angesicht. Das war besser als eine kryptische Mail oder ein Telefonat, bei dem er mich abwürgte.

Mir war klar, dass ich womöglich enttäuscht werden würde und diese Reise umsonst machte. Aber ich wusste sowieso nichts Besseres mit meiner Zeit anzufangen.

Bis der Kaufvertrag für das Haus fertig aufgesetzt war, würde es noch ein paar Tage dauern, und Tasha war wieder in L.A.

Da konnte ich mich genauso gut in ein Abenteuer stürzen.

Als wir landeten, war ich satt, versorgt und beim Gedanken an mein unangekündigtes Auftauchen bei Mason Cambridge mehr als nervös.

Am Flughafen besorgte ich mir ein Mietauto. Wie ich schnell feststellte, war Anchorage doch um einiges größer, als ich angenommen hatte. Es gab eine gewaltige Innenstadt, weitläufige Vororte, ganz viel Natur und ein atemberaubendes Gebirgspanorama. Ohne Navi wäre ich in dem Labyrinth aus Straßen verloren gewesen.

Die Strecke führte mich schließlich in den Süden der Stadt. Bald verschwanden die Häuser und machten Platz für Bäume, die rechts von den Berghängen näher rückten, und für Wellen, die links von der Bucht ans Ufer schlugen.

Im Gras neben dem Highway entdeckte ich einen Fuchs und einen Elch. Als zwei Bären vor mir über die Straße liefen, hätte ich beinahe eine Kehrtwende gemacht. Auf den Straßen war nicht viel los. Sofort stellte ich mir vor, wie ich mit dem SUV liegen blieb und von gemeingefährlichen Grizzlys angegriffen wurde.

Doch dann schickte mich das Navi auf einen Kiesweg.

Trotz des Kieses war er recht angenehm zu befahren und wand sich durch riesige Fichten, Tannen und Birken. In meiner Vorstellung sah ich Mason Cambridge inzwischen als Holzfäller mit grauem Bart und Wildledermantel vor mir.

Auf den Fotos in der Zeitung hatte er allerdings nicht so ausgesehen. Aber vielleicht machte er sich ja schick, wenn er in die Stadt fuhr. Wahrscheinlich verbrachte er den Großteil seines Lebens hier oben in den Wäldern und duschte und rasierte sich nur, wenn er für seine monatlichen Streifzüge nach Anchorage musste, um seine Vorräte aufzufüllen – Bohnen, Speck und Zwieback.

Endlich hatte ich den Berg erklommen und ließ die Bäume hinter mir. Der Kiesweg wich nun einem glatten Straßenbelag.

Ich war überrascht und sogar schockiert, als ich die riesige, saftig grüne Rasenfläche mit den akkuraten Blumenbeeten und den sauber geschnittenen Büschen erblickte. Vereinzelte Pinien standen im Gras und verschmolzen beinahe mit dem umliegenden Wald.

Mitten auf der Rasenfläche befand sich ein Haus, so gewaltig, dass es mir den Atem verschlug.

Mit den hohen Fenstern, den spitzen Dächern und dem beeindruckenden Mauerwerk erstreckte es sich in zwei Flügeln und zwei Stockwerke hoch über dem Gras. Wie ein Fünf-Sterne-Hotel. Kurz fragte ich mich, ob es tatsächlich ein Hotel war.

Ich fuhr vor und parkte in der Nähe des Eingangs.

Konnte schon sein, dass Mason Cambridge in einem Hotel lebte. Seltsam, aber nicht vollkommen abwegig.

Ich zog die Handbremse an und stellte den SUV ab.

Dann hing ich mir meine Handtasche über die Schulter und stieg aus.

Eine kühle Brise schlug mir entgegen und pustete mir die Haare ins Gesicht.

Irgendwie fühlte ich mich fehl am Platz. Es wirkte nicht so, als würde man uneingeladene Gäste hier gern sehen. Hätte ich raten müssen, hätte ich darauf gewettet, dass man hier nur die Wohlhabendsten und Privilegiertesten der Gesellschaft antraf.

Ich hatte zwar mehr als genug Geld auf dem Konto, aber als wohlhabend und privilegiert hätte ich mich dennoch nicht bezeichnet. Meine Jeans war aus dem Kaufhaus, die Tasche hatte ich für zwanzig Dollar im Sale ergattert, und von den abgewetzten Stiefeletten wollte ich gar nicht erst anfangen. Aber ich war davon ausgegangen, dass ich in Alaska bequemes Schuhwerk brauchte.

Natürlich besaß ich auch ein paar High Heels, aber die standen in meiner Wohnung in Seattle.

Das Anwesen schien immer größer zu werden, je näher ich kam. Die Veranda war bestimmt zehn Meter breit, und über fünf Stufen erreichte man eine riesige, hölzerne Doppelflügeltür.

Ich stieg sie hinauf und starrte die Tür eine geschlagene Minute lang an. Sollte ich klopfen oder einfach hineingehen?

Wenn sich dahinter eine Hotellobby befand, würde mich wohl niemand klopfen hören.

Wenn es ein Privatanwesen war, wäre es allerdings ziemlich unhöflich und vermutlich sogar illegal, einfach so hineinzugehen.

Die Tür würde bestimmt abgeschlossen sein, wenn es ein Privatanwesen war.

Im Umkehrschluss bedeutete es, dass es ein Hotel sein musste, wenn die Tür nicht abgeschlossen war.

Ich legte die Hand auf die Klinke und testete, ob die Tür nachgab.

Sie gab nach.

Sie schwang auf und offenbarte den Blick auf einen großzügigen Eingangsbereich. Eine hohe Balkendecke schwebte über einer beeindruckenden Lobby.

Hinter dem Eingangsbereich und ein paar cremefarbenen Ledermöbeln entdeckte ich eine Glaswand, durch die man einen atemberaubenden Ausblick hatte. Ich konnte über die Klippen bis zum Meer im Westen sehen. Im Süden und Osten erstreckten sich meilenweit grüne Bergwiesen. Wenn ich die Augen zusammenkniff, konnte ich sogar einen Zaun und kleine braune Tiere auf der Wiese erkennen.

„Kann ich Ihnen irgendwie helfen?“, ertönte plötzlich eine tiefe, raue Stimme.

„Ja.“ Ich schloss die Tür hinter mir und löste mich von der Aussicht.

Als ich dem Mann in die Augen sah, geriet mein Herz auf einmal ins Stolpern, und mir stockte der Atem.

Er machte ein paar Schritte auf mich zu, geschmeidig und fließend wie eine Raubkatze, und starrte mich abwägend an, so als wäre ich – ich weiß auch nicht – eine Beute?

Er sah gefährlich gut aus, mit seinen zerzausten Haaren, den eisblauen Augen, der gebräunten Haut und dem leichten Bartschatten, der sich über das markante Kinn zog. Er war groß und selbstbewusst, hatte breite Schultern und war einfach alles, was eine Frau sich von einem Mann nur wünschen konnte.

Fragend hob er eine Braue. „Und wie?“

„Ich … ähm …“

Er wartete, und die Situation wurde mit jeder Sekunde unangenehmer.

„Ich suche Mason Cambridge“, sagte ich nun endlich.

„Erwartet Mason Sie denn?“

„Nein. Ist er hier?“

„Im Moment nicht.“

„Aber er wohnt hier, oder?“

Mason Cambridge musste wirklich ausgesprochen reich sein, wenn er in so einem Hotel lebte.

Es sah nicht so aus, als bräuchte er mein Geld.

„Das ist das Cambridge-Haus“, antwortete der Mann.

Bis ich seine Worte verarbeitet hatte, verging ein Moment.

Dann traf es mich wie ein Schlag. „Das hier ist gar kein Hotel?“ Oh, nein! Ich war also einfach in ein Privathaus hineinspaziert.

„Suchen Sie denn ein Hotel?“

„Nein, ich suche Mason Cambridge. Ich wollte nicht einfach reinplatzen, ich dachte …“ Als ich mich noch mal umsah, fiel mir auf, dass es überhaupt nicht aussah wie in einer Hotellobby. Nirgendwo gab es eine Rezeption, einen Empfang oder Personal.

„Was wollen Sie denn von Mason?“

Das würde ich einem Fremden ganz bestimmt nicht auf die Nase binden. „Wissen Sie, wann er wieder hier ist?“

„Das geht Sie nichts an.“

Wahrscheinlich würden wir beide keinen Preis für gute Manieren gewinnen, aber ich hatte ein Recht auf meine Privatsphäre und einen legitimen Grund, nach Mason zu suchen.

„Wenn Sie ihn in einer Bar getroffen haben …“

„Ich habe ihn nicht in einer Bar getroffen.“

„Auf einer Party?“

„Warum denken Sie sofort an so etwas?“, fragte ich herausfordernd.

Er musterte mich von Kopf bis Fuß. An seinem Blick konnte ich erkennen, dass ihm gefiel, was er sah. Er versuchte nicht mal, es zu verstecken.

Wow, wirklich überhaupt keine Manieren.

„Weil Sie sein Typ sind.“

„Bin ich nicht.“ Ich stockte. „Ich meine … ähm … ich hab ihn noch nie getroffen.“

Er sah mich mit einem berechnenden Grinsen an.

„Was denn?“, fragte ich unsicher.

„Freut mich zu hören, dass er keinen Anspruch anmelden kann.“ Etwas Provokantes funkelte jetzt in seinen Augen.

„Ernsthaft?“

Dachte er wirklich, er könnte mit mir flirten?

Er zuckte mit den Achseln. „Ist einen Versuch wert.“

„Würden Sie mir bitte einfach sagen, wann Mason wieder hier sein wird? Dann komme ich später noch mal vorbei. Ich klopfe auch vorher. Versprochen.“

Sein Grinsen wurde breiter. Er genoss es sichtlich, wie unangenehm mir das Ganze war. „Irgendwann nachher.“

„Prima.“

„Wo wohnen Sie denn hier?“

Diese Frage überraschte mich.

„Falls Mason Sie erreichen will. Sie scheinen nicht aus Alaska zu kommen. Ich bin übrigens Nathaniel Stone.“

„Sophie Crush.“

„Wohnen Sie im Tidal?“

„Das hab ich noch nicht entschieden.“ Vermutlich hätte ich von Seattle aus ein Hotel buchen können, aber ich hatte nicht damit gerechnet, dass Anchorage so von Touristen überlaufen war, dass ich vielleicht vor Ort kein Zimmer mehr bekommen würde.

„Dann empfehle ich Ihnen das Tidal oder das Pine Bird, wenn Sie aufs Geld achten müssen.“

Ich konnte mir ein Lachen nicht verkneifen. Aufs Geld achten musste ich nun wirklich nicht.

„Was ist denn so lustig?“

Ich schüttelte den Kopf. „Ach, nichts.“

„Ein willkürliches Lachen? Ich fürchte, ich muss Mason warnen … wenn Sie ihm irgendeinen Streich spielen wollen …“

„Das will ich nicht, aber ich muss nicht aufs Geld achten. Ich werde es im Tidal versuchen.“

„Perfekt. Was soll ich Mason denn ausrichten?“

Gute Frage. Ich wollte gerade etwas Unverfängliches sagen, doch dann ging auf einmal die Tür hinter mir auf.

„Oh, super“, sagte er zu wem auch immer hinter mir. „Du bist aber früh dran. Mason, eine Sophie Crush will dich sprechen.“

Ich hatte ein Flattern im Bauch, atmete tief durch und drehte mich zu dem anderen gut aussehenden Mann um, der in der Tür stand.

„Ha…llo.“ Er zog das Wort in die Länge, als wäre es ein Kompliment.

„Sie verrät mir leider nicht, was sie will“, sagte Nathaniel.

Mason setzte ein Lächeln auf. „Egal, was sie will …“ Er sah mir in die Augen. „… die Antwort ist ja.“

Dieses Geflirte musste unbedingt aufhören, sonst würde es für uns beide sehr peinlich werden.

Also kam ich direkt auf den Punkt. „Ich bin Ihre Cousine!“

Mason erstarrte.

„Was?“, rief Nathaniel hinter mir.

Nach meiner Enthüllung schoben sie mich in einen abgeschiedenen Raum. Vermutlich ein Arbeitszimmer. Solche Räume gab es in den meisten Häusern, die ich besichtigt hatte. Oft fand man darin Bücherregale, Schreibtische und übergroße Sessel, und warmes Licht fiel auf holzgetäfelte Wände. Dieser Raum hier sah nicht anders aus.

Mason schloss die Tür hinter uns.

Hier war die Decke nicht so hoch wie im Eingangsbereich, bloß drei Meter statt sieben. Ich setzte mich in einen der Sessel, aus dem man durch die Fenster in den hübschen Vorgarten und bis in den Wald blicken konnte.

Draußen erstrahlte alles in saftigem Grün. Die Luft war kristallklar, und am Himmel war kaum eine Wolke zu sehen. Alaska fühlte sich irgendwie surreal an. Als wäre ich bis an den Rand der Welt gereist.

Mason hatte sich auf die andere Seite eines Glastisches gesetzt, Nathaniel befand sich direkt neben ihm.

Ich ließ es mir nicht nehmen, Masons Gesicht genauer zu betrachten und mit meinem zu vergleichen.

Er hatte ein kantiges Kinn, meines war eher schmal. Seine Nase war größer als meine, hatte aber ansonsten die gleiche Form. Seine Augen waren hellbraun, meine dunkel wie Espresso. Sein Haar war fast schwarz, voll und dick, während meines goldbraun war.

Wenn ich mich hätte entscheiden müssen, hätte ich gesagt, dass mir seine Lippen vertraut vorkamen und die Art, wie er lächelte und sie beim Sprechen verzog.

„Möchte jemand etwas trinken?“, fragte er.

„Ernsthaft?“ Nathaniels Stimme klang angespannt.

„Na ja, du siehst auf jeden Fall aus, als könntest du was vertragen“, entgegnete Mason, dann sah er zu mir. „Sophie? Wir haben Wein, rot oder weiß, oder Whiskey, wenn du möchtest.“

„Mich hat die Nachricht nicht so sehr geschockt wie euch. Also danke, ich brauche nichts.“

„Nathaniel? Whiskey?“, fragte Mason noch einmal und stand auf. „Ich nehme einen. Mich hat die Nachricht nämlich geschockt.“

„Na gut“, erwiderte Nathaniel.

Ihre Begeisterung, mich zu treffen, hielt sich augenscheinlich in Grenzen. Sie hatten wohl keinen Schimmer gehabt, dass ich existierte. Im Kopf ging ich mögliche Verwandtschaftsverhältnisse durch.

Wenn meine Mutter die Verbindung war, dann hatte die Familie das peinliche Geheimnis um ihre Adoption womöglich all die Jahre totgeschwiegen, oder sie gehörten zur Seite meines Vaters. Vielleicht war er ja doch nicht bei der Australian Air Force gewesen. Vielleicht war er das schwarze Schaf, das die Familie vor Jahren nach Australien abgeschoben hatte … und jetzt tauchte ich unangekündigt auf und brachte alles durcheinander.

Es gab so viele Möglichkeiten. Vielleicht sollte ich besser wieder verschwinden, bevor es Ärger gab.

Mason ließ ein paar Eiswürfel in zwei Gläser fallen und schenkte dann Whiskey aus der Bar ein.

Nathaniel starrte mich immer noch an, und ich wich seinem Blick aus.

Ihn schien mein Auftauchen irgendwie viel mehr zu beunruhigen als Mason.

Warum? Wer war er, und in welchem Verhältnis stand er zu Mason? Er sah niemandem von uns auch nur im Entferntesten ähnlich.

„Und der Test hat ganz sicher ergeben, dass du meine Cousine bist?“ Mason setzte sich wieder zu uns.

„Vielleicht denkt sie sich das Ganze ja nur aus“, gab Nathaniel zu Bedenken.

„Es wäre doch ein Kinderspiel, das Ganze zu überprüfen.“

„Ich will hier nichts durcheinanderbringen“, sah ich mich genötigt zu erwähnen. „Ich dachte, es wären gute Neuigkeiten. Eine tolle Sache.“

„Für dich vielleicht“, erwiderte Nathaniel. „Du behauptest also, die lang verschollene Cousine der Besitzer der größten Telekommunikationsfirma in ganz Alaska zu sein.“

Wie bitte? Das hörte ich zum ersten Mal. Ich wusste zwar von Kodiak Communications, aber sonst? Das erklärte die gewaltige Villa, und es bedeutete außerdem, dass wohl niemand aus der Familie meine finanzielle Unterstützung nötig hatte.

Ich versuchte, meine Enttäuschung darüber zu unterdrücken. „Ich hatte keine Ahnung.“

Nathaniel stieß ein ungläubiges Lachen aus.

„Im Zweifel für den Angeklagten, oder?“, sagte Mason beschwichtigend.

„Ich bin wirklich nicht hier, um Ärger zu machen“, sagte ich zu ihm. Nathaniel ignorierte ich geflissentlich.

„Du bist wirklich meine Cousine?“

„Wenn man nach dem DNA-Test geht, könnte ich auch deine Großtante sein oder du mein Großonkel. Aber bei unserem Alter ist Cousine ersten Grades wohl am wahrscheinlichsten.“

„Cousine ersten Grades“, wiederholte Mason und schien darüber nachzugrübeln.

„Das sagt zumindest der Test.“

„Was war denn das für ein Test?“, fragte Nathaniel. „Wo hast du den machen lassen? Hast du das Ergebnis mitgebracht?“

„Nathaniel“, sagte Mason in einem warnenden Tonfall.

„Vielleicht will sie euch ja erpressen“, gab er zurück.

Ich stand auf. „Ich wollte niemandem etwas Böses.“ Mein Blick galt Mason. „Ich wollte dich einfach nur kennenlernen. Das hab ich ja jetzt. Offenbar bin ich hier nicht willkommen, also gehe ich einfach zurück nach Seattle, bevor …“

„Nein!“

„Mason.“ Nathaniels Stimme klang bedrohlich.

„Bitte setz dich wieder.“

Ich sah Nathaniel an. Nicht, weil ich seine Erlaubnis brauchte, sondern, weil ich seine Stimmung einschätzen wollte.

Er hatte die Stirn in Falten gelegt und den Mund zu einem schmalen Strich verzogen.

Okay, Stimmung eingeschätzt.

„Achte nicht auf ihn“, sagte Mason.

„Du weißt genau, was das anricht…“, presste Nathaniel hervor, doch Mason unterbrach ihn: „Es ändert aber nichts, wenn wir sie wegschicken.“

„Wir müssen die Familie beschützen.“

Mason deutete auf den Sessel hinter mir. „Bitte.“

„Ich will nichts falsch machen.“

Was hatte ich gehofft, in Alaska zu finden? Eine neue, fröhliche Familie, die zusammen am Küchentisch sitzt und Schmorbraten isst? Eine Plätzchen backende Tante in ihren Fünfzigern, einen herzlichen Onkel, der immer eine Geschichte auf Lager hat? Mir wurde klar, dass meine Vorstellung einem Norman-Rockwell-Bild ähnelte.

„Wenn du dich hinsetzt, kannst du nichts falsch machen.“ Mason sah mich aufrichtig an.

Also setzte ich mich.

„Meine Mutter war ein Einzelkind, und mein Vater hat nur einen Bruder namens Braxton. Ich schätze mal, du bist Ende zwanzig?“

Ich nickte.

„Dann bist du vermutlich gezeugt worden, als mein Onkel offiziell glücklich mit Tante Christine verheiratet war. Anders kann ich mir nicht erklären, wie ich sonst an eine Cousine ersten Grades kommen soll.“

Autor

Barbara Dunlop
Barbara Dunlop hat sich mit ihren humorvollen Romances einen großen Namen gemacht. Schon als kleines Mädchen dachte sie sich liebend gern Geschichten aus, doch wegen mangelnder Nachfrage blieb es stets bei einer Auflage von einem Exemplar. Das änderte sich, als sie ihr erstes Manuskript verkaufte: Mittlerweile haben die Romane von...
Mehr erfahren

Entdecken Sie weitere Bände der Serie

Gambling Men